14. Mai 2021
BGB § 1602

Obliegenheit zur Vermögensverwertung betreffs einer vom erstverstorbenen Elternteil erlangten Erbschaft vor Inanspruchnahme des überlebenden Elternteils auf Kindesunterhalt

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 180023
letzte Aktualisierung: 14. Mai 2021

BGB § 1602
Obliegenheit zur Vermögensverwertung betreffs einer vom erstverstorbenen Elternteil
erlangten Erbschaft vor Inanspruchnahme des überlebenden Elternteils auf Kindesunterhalt
I. Sachverhalt

Ein geschiedener Vater möchte seine beiden unterhaltsberechtigten Kinder als Erben einsetzen,
dabei aber verhindern, dass sich nach dem Erbfall der Unterhaltsanspruch der Kinder gegenüber
der Mutter aufgrund des geerbten Vermögens vermindert. Beide Kinder sind volljährig, aber
noch in der Ausbildung.

II. Frage

Bestehen hier rechtliche Möglichkeiten, den Nachlass für die Kinder zu sichern, bis deren Unterhaltsanspruch
erlischt, z. B. durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung?

III. Zur Rechtslage

1. Nach § 1615 Abs. 1 BGB erlischt der Unterhaltsanspruch der Kinder gegen ihren Vater
nach §§ 1601 ff. BGB mit dessen Tode. Nachfolgend stellt sich aber die Frage, inwieweit
das vom Vater im Wege der Erbfolge erlangte Vermögen für einen Unterhaltsanspruch gegenüber
der Mutter bedarfsdeckend wirken würde.

Unterhaltsrechtlich gilt im Ausgangspunkt für die Verwertungsobliegenheit unterhaltsberechtigter
Kinder eine gesetzliche Differenzierung zwischen minderjährigen und volljährigen
Kindern (Überblick: Gerhardt, in: Gerhardt/von Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch
des Fachanwalts Familienrecht, 11. Aufl. 2018, Kap. 6 Rn 285 ff.): Ein minderjähriges,
unterhaltsbedürftiges Kind muss nach § 1602 Abs. 2 BGB den Stamm des eigenen Vermögens
– also auch solchen Vermögens, das es im Wege der Erbfolge erlangt – grundsätzlich
nicht für Unterhaltszwecke verwenden. Anders ist es jedoch, wenn die Eltern bei Berücksichtigung
ihrer sonstigen Verpflichtungen außerstande sind, Unterhalt ohne Gefährdung
ihres eigenen angemessenen Bedarfs zu gewähren; dann besteht eine gesteigerte
Unterhaltspflicht der Eltern nicht (§ 1603 Abs. 2 S. 3 BGB). In diesem Fall muss also auch
das minderjährige Kind das Vermögen für seinen Unterhalt bis auf einen „Notgroschen“
einsetzen.

Demgegenüber fehlt es für das volljährige Kind – und damit für die hier unterbreitete
Sachverhaltskonstellation – bei der Bedürftigkeit an einer entsprechenden gesetzlichen
Regelung, da § 1602 Abs. 2 BGB nur bei Minderjährigen gilt. Das volljährige Kind hat somit
– im Gegensatz zum minderjährigen Kind – vorrangig auch den Vermögensstamm zu verwerten,
bevor es seine Eltern auf Unterhalt in Anspruch nimmt (OLG München FamRZ
1996, 1433; zum Ganzen auch Wendl/Dose/Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der
familienrechtlichen Praxis, 10. Aufl. 2019, § 2 Rn. 132 ff.). Verletzt der Unterhaltspflichtige
die Obliegenheit, Vermögenswerte zu realisieren, wie etwa auch einen Pflichtteilsanspruch,
so ist er unterhaltsrechtlich so zu behandeln, als habe er seine Obliegenheit erfüllt mit der
Folge des Ansatzes eines entsprechenden fiktiven Einkommens (vgl. BGH NJW 2013, 530,
531; Gerhardt, Kap. Rn. 286).

2. Stellt allerdings der Vater das den Kindern zugedachte Vermögen testamentarisch unter
Testamentsvollstreckung, so ist diesen gem. § 2211 BGB die Verfügungsbefugnis über
das betreffende Vermögen entzogen. Sie liegt stattdessen beim Testamentsvollstrecker
(§ 2205 BGB). Daher liegt es nahe, das entsprechende Vermögen im Grundsatz auch unterhaltsrechtlich
als unverwertbar anzusehen. Dass diese Einschätzung zutrifft, ergibt sich mittelbar
auch aus einer Entscheidung des BSG (ZEV 2015, 484 ff. m. Anm. Tersteegen, 487
f.) für den Bereich des Sozialhilferechts. Ob unter Testamentsvollstreckung stehendes Vermögen
dennoch i. S. v. § 12 Abs. 2 SGB II als „bereites Mittel“ verwertbar sei, hängt nach
Ansicht des BSG von den Umständen des Einzelfalles ab. Insbesondere kommt es auf die
genaue Ausgestaltung der Anweisung an den Testamentsvollstrecker nach § 2216 BGB an.
Das BSG (ZEV 2015, 484 Rn. 22 ff.) hält insoweit insbesondere für erheblich, ob der mit
der Testamentsvollstreckung belastete Erbe einen gesicherten Anspruch gegenüber dem
Testamentsvollstrecker auf Auszahlung eines bestimmten monatlichen Betrages aus dem
Erbe erhält. Dann könne verwertbares Vermögen vorliegen (im Einzelnen Rn. 24).
Anderenfalls sei die sozialrechtliche Verwertbarkeit zu verneinen.

Unter Beschränkung auf den Regelungszusammenhang des familienrechtlichen Unterhaltsrechts
dürfte die Verwertbarkeit des Vermögens des Unterhaltsberechtigten (nämlich:
gegenüber einem privaten Unterhaltspflichtigen) eher noch in weiterem Umfang zu verneinen
sein als im Bereich des Sozialrechts, wo die öffentliche Hand im Grundsatz nur subsidiär
für den Unterhaltsbedarf des Bedürftigen eintritt (vgl. §§ 2 SGB II, 2 SGB XII). Wird
also der Testamentsvollstrecker in den Verwaltungsanweisungen gem. § 2216 BGB dahingehend
instruiert, dass er das dem Kind zugewandte Vermögen etwa bis zum Abschluss
seiner Berufsausbildung zu thesaurieren und dem Kind nichts daraus zu überlassen habe, so
dürfte wohl im Ansatzpunkt auch eine unterhaltsrechtliche Verwertbarkeit und damit eine
Verwertungsobliegenheit wegen § 2211 BGB ausscheiden.

3. Allerdings stellt sich noch die Folgefrage, ob nicht bei einer solchen Testamentsgestaltung
das Kind eine unterhaltsrechtliche Obliegenheit träfe, die mit der Testamentsvollstreckung
belastete Erbschaft auszuschlagen und so gem. § 2306 Abs. 1 BGB in den
Genuss des vollen, unbelasteten Pflichtteilsanspruchs zu gelangen. Dieser könnte sodann
bedarfsmindernd bzw. -deckend einzusetzen sein. Wie bereits angedeutet, hat das volljährige
Kind im Prinzip vor Inanspruchnahme seiner Eltern auch den Stamm des eigenen Vermögens
bedarfsdeckend einzusetzen. Eine Verwertungsobliegenheit entfällt nur, wenn sie unzumutbar
ist, wobei allerdings § 1577 Abs. 3 BGB im Bereich des Verwandtenunterhalts
nicht entsprechend anzuwenden ist. Die Grenze der Unzumutbarkeit ist nach Ansicht des
BGH (FamRZ 1998, 367, 369) etwas enger als bei § 1577 Abs. 3 BGB zu ziehen, angenähert
etwa dem Begriff der groben Unbilligkeit. Die Grenze der Unzumutbarkeit und damit
der Obliegenheit zur Vermögensverwertung ist also entsprechend dem Grundsatz der groben
Unbilligkeit durch den Tatrichter in einer umfassenden Zumutbarkeitsabwägung festzustellen,
die alle bedeutsamen Umstände und insbesondere auch die Lage des Unterhaltsver-
pflichteten berücksichtigt (BGH FamRZ 1998, 367, 369; Gerhardt, Kap. 6 Rn. 287;
Wendl/Dose, § 1 Rn. 607 ff.). Speziell für den Fall einer fraglichen Obliegenheit des Unterhaltsberechtigten,
unter Einsatz seines Ausschlagungsrechts gem. § 2306 Abs. 1 BGB den
zustehenden unbelasteten Pflichtteilsanspruch bedarfsdeckend einzusetzen, dürfte in die
Interessenbewertung auch noch die gesetzliche Grundentscheidung des § 852 Abs. 1 ZPO
einzustellen sein, wonach der freien Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten, ob er einen
ihm zustehenden Pflichtteil verlangen will, ein besonderes Gewicht zukommt. Gleichwohl
wird auch dadurch eine anderweitige unterhaltsrechtliche Obliegenheit, nämlich eine solche
zur Durchsetzung des Anspruchs, nicht grundsätzlich ausgeschlossen (s. BGH NJW 2013,
530, 531; jeweils zur Problematik einer Verwertungsobliegenheit hinsichtlich eines Pflichtteilsanspruchs
beim nachehelichen Unterhalt: BGH NJW 1993, 1920, 1921; BGH NJW
1982, 2771, 2772).

Nach dem Regelungszusammenhang des § 2306 BGB gelten die hier zunächst für den Fall
angestellten Überlegungen, dass der Vater Testamentsvollstreckung anordnet, entsprechend
auch für die nach § 2306 Abs. 2 BGB gleich zu behandelnde Gestaltung, dass der Vater seine
Kinder erst mit zeitlichem Abstand nach dem Erbfall als Nacherben gem. §§ 2100 ff.
BGB beruft.

4. Im Ergebnis wird man also insbesondere die Anordnung einer Testamentsvollstreckung
u. E. zumindest als einen nicht von vornherein untauglichen Ansatz einzuschätzen haben,
um den Nachlass für die Kinder gegen die Möglichkeit einer Kürzung ihres Unterhaltsanspruchs
gegenüber der Mutter zu sichern. Dabei ist auch die Befristung der Ausschlagungsmöglichkeit
gem. §§ 2306 Abs. 1 Hs. 2, 1944 BGB im Blick zu behalten. Familienrechtlich
würde hieran die Folgefrage anknüpfen, ob eine eventuelle Versäumung der Ausschlagungsfrist
wiederum als Obliegenheitsverletzung zu sanktionieren wäre. Ob also dem
besprochenen Gestaltungsansatz im konkreten Einzelfall letztlich in vollem Umfang durchgreifender
Erfolg im Sinne des Gestaltungsziels der Vermeidung einer Unterhaltskürzung
gegenüber einer Mutter beschieden ist, muss einer umfassenden Beurteilung anhand der
konkreten Umstände des Einzelfalles vorbehalten bleiben.

Gutachten/Abruf-Nr:

180023

Erscheinungsdatum:

14.05.2021

Rechtsbezug

National

Normen in Titel:

BGB § 1602