12. August 2022
ZPO § 894

Nachweisanforderungen bei Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung gegenüber dem Notar

ZPO § 894
Nachweisanforderungen bei Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung gegenüber dem Notar

I. Sachverhalt
Verkäufer V hat an Käufer K im Rahmen eines Bauträgervertrags eine neu zu errichtende Wohnung verkauft. In der Urkunde ist folgende Anweisung an den Notar enthalten:

„Die Vertragsteile weisen den Notar unwiderruflich an, die Eigentumsumschreibung erst zu beantragen, wenn ihm durch eine Mitteilung des Verkäufers nachgewiesen ist, dass der gesamte geschuldete Kaufpreis samt Vergütungen für Sonderwünsche und etwaiger Zinsen bezahlt ist.“

Die Auflassung ist in der Urkunde enthalten. Der klagende K hat dem Notar die „einfache Kopie“ eines Urteils des Landgerichts gegen den Beklagten V mit folgendem Tenor vorgelegt:

„1. Der Beklagte V wird verurteilt, den Notar anzuweisen, die Auflassungserklärung aus dem Bauträgervertrag ... beim Grundbuchamt einzureichen und die Eigentumsumschreibung im Grundbuch ... betreffend das Wohnungs- und Teileigentum bestehend aus ... zu beantragen.

2. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von ... € vorläufig vollstreckbar.“

Die Kopie hat die Überschrift „Vollstreckbare Ausfertigung“ und den mit Siegel versehenen und vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterzeichneten Vermerk „Vorstehende mit der Urschrift übereinstimmende Ausfertigung wird der Klagepartei zum Zweck der Zwangsvollstreckung erteilt. Vorstehendes Urteil ist der Beklagtenpartei am ... von Amts wegen zugestellt worden“; außerdem den mit Siegel versehenen und vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterzeichneten Vermerk „Das Urteil ist rechtskräftig“. V verweigert gegenüber dem Notar sowohl die Abgabe einer Bestätigung entsprechend des Bauträgervertrags als auch die Abgabe der Anweisung gemäß Nr. 1 des Urteils. K ist der Ansicht, dass nach § 894 S. 1 ZPO mit Rechtskraft des Urteils die Anweisung aus Nr. 1 des Urteils von V gegenüber dem Notar als abgegeben gelte.

II. Fragen
1. Gilt § 894 ZPO auch für Verfahrensanweisungen gegenüber dem Notar?

2. In welcher Form ist dem Notar das rechtskräftige Urteil nachzuweisen (z. B. Vorlage der vollstreckbaren Ausfertigung statt Kopie)?

3. Reicht die auf der vollstreckbaren Ausfertigung vermerkte Zustellung durch das Gericht für § 894 ZPO aus?

III. Zur Rechtslage
1. Anwendung auf Weisungen gegenüber dem Notar
Nach § 894 ZPO werden Willenserklärungen, in entsprechender Anwendung aber auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen und prozessuale Erklärungen fingiert (MünchKommZPO/Gruber, 6. Aufl. 2020, § 894 Rn. 3). Die Vorschrift gilt somit nach allgemeiner Meinung auch für Weisungen gegenüber den Notar (BeckOGK-BeurkG/Franken, Std.: 1.5.2021, § 60 Rn. 28; Renner, in: Armbrüster/Preuß/Renner, BeurkG/DONot, § 60 BeurkG Rn. 43; Gutachten DNotI-Report 1997, 181, 183).

2. Nachweis der Fiktion gegenüber dem Notar
Da sich bei Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung nach § 894 S. 1 ZPO keine Vollstreckungsmaßnahmen anschließen, wird eine vollstreckbare Ausfertigung nur hinsichtlich der Kosten erteilt (Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 894 Rn. 9; so im Übrigen auch, wenn es sich um ein Urteil auf Abgabe einer verfahrensrechtlichen Bewilligung handelt, obwohl sich in diesem Fall aus § 895 ZPO die Möglichkeit einer einstweiligen Sicherung ergibt, MünchKommZPO/Gruber, § 895 Rn. 7). Die Fiktionswirkung tritt mit Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung und Zugang einer Ausfertigung beim Erklärungsempfänger ein (MünchKommZPO/Gruber, § 894 Rn. 17). Die Ausfertigung kann nicht durch die Vorlage einer Abschrift ersetzt werden, denn als empfangsbedürftige Willenserklärung muss diese (in Form des die Fiktion anordnenden Urteils) selbst zugehen (Bartels, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2017, § 894 Rn. 23). Erklärungsempfänger ist vorliegend der Notar. Somit ist in diesem Fall die Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung nicht nötig, erforderlich bleibt allerdings die Vorlage einer Ausfertigung mit Rechtkraftvermerk.

Etwas anderes gilt, wenn dem Urteil eine Zug um Zug zu erbringende Leistung i. S. d § 894 S. 2 ZPO zugrunde liegt. Die Fiktionswirkung tritt nach dem Wortlaut der Vorschrift in diesem Fall erst mit Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung (MünchKommZPO/Gruber, § 894 Rn. 19) und Zugang derselben beim Erklärungsempfänger ein. Demnach ist in diesem Fall also mindestens die Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung erforderlich (BeckOGK-BGB/J. Weber, Std.: 1.1.2022, § 925 Rn. 123).

3. Keine Prüfung der Zustellung erforderlich
Da die formelle Rechtskraft von der Zustellung der Entscheidung an den Beklagen abhängt und bereits das Rechtskraftzeugnis als öffentliche Urkunde i. S. v. § 418 ZPO den vollen Beweis über den Eintritt der Rechtskraft erbringt (Lackmann, § 706 Rn. 5), ist eine Prüfung der Zustellung durch den Notar im Rahmen des § 894 S. 1 ZPO nicht mehr erforderlich; es genügt der entsprechende Zugang beim Notar. Im Vollstreckungsverfahren ist die Zustellung des Urteils bei unbedingter Verurteilung keine erneut zu prüfende Voraussetzung (Lackmann, § 894 Rn. 9). Somit würde bei unbedingt abzugebender Willenserklärung die Vorlage ohne Zustellungsvermerk genügen.

Dagegen wäre bei einer Zug um Zug abzugebenden Willenserklärung i. S. d. § 894 S. 2 ZPO der Zeitpunkt des Eintritts der Fiktionswirkung umstritten. In diesen Fällen stehen die vom Notar zu überprüfenden Voraussetzungen u. E. nicht völlig zweifelsfrei fest. Einige Autoren fordern, dass neben der Erteilung einer qualifizierten Vollstreckungsklausel auch Zustellungen nach § 750 Abs. 2 ZPO erfolgt sein müssen, insbesondere also die Klauseln und die zur Erteilung notwendigen Urkunden dem Schuldner zugestellt wurden (Kindl/Meller-Hannich/Bendtsen, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Aufl. 2021, § 894 ZPO Rn. 17; BeckOK-ZPO/Stürner, Std.: 1.7.2022, § 894 Rn. 10; ob der insofern zitierte Zöller/Seibel, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 894 Rn. 9 tatsächlich so verstanden werden kann, erscheint dagegen fraglich, da dieser sich wohl lediglich auf die Abgabe einer Willenserklärung unter einer Bedingung bezieht). Andere Autoren gehen auf das Problem nicht explizit ein und stellen in diesen Fällen lediglich auf die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung ab (vgl. etwa Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 16. Aufl. 2020, Rn. 748; MünchKommZPO/Gruber, § 894 Rn. 19, 20). Dies hat zur Folge, dass nach dieser Ansicht die Vollstreckungswirkung in dem Zeitpunkt eintritt, in dem der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die vollstreckbare Ausfertigung herausgibt (Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 894 Rn. 22; Bartels, § 894 Rn. 28; Schöner/Stöber, Rn. 748). Zusätzlich ist der Zugang beim Erklärungsempfänger erforderlich, allerdings soll es auf die Zustellung an den Schuldner nicht ankommen.

Wir neigen der zweitgenannten Auffassung zu, da der klare Wortlaut des § 894 S. 2 ZPO nur auf die Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung abstellt, nicht aber auch auf die Zustellung an den Schuldner (Bartels, § 894 Rn. 28). Die Zustellung ist nach § 750 ZPO lediglich Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung, nicht aber auch für die wirksame Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung. Eine regelrechte Zwangsvollstreckung, bei der die Voraussetzungen nach § 750 ZPO zu prüfen wären und die eine Zustellung voraussetzen würde, schließt sich nicht an, da die gesetzliche Fiktion allein aufgrund der Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung eintritt. Die Warnfunktion durch die Zustellung ist hier nicht angezeigt, da der Gläubiger wegen § 726 Abs. 2 ZPO nur eine vollstreckbare Ausfertigung erhält, wenn er die ihm obliegende Zug-um-Zug-Leistung bereits erbracht und nachgewiesen hat. In diesem Fall muss der Schuldner aber, anders als bei einer Leistungsverpflichtung im engeren Sinne, auch keine Handlung mehr erbringen, zu der er durch die Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung (letztmalig) angehalten werden soll, da die Wirkung kraft Gesetzes eintritt.

Wir gehen daher davon aus, dass selbst bei einer – hier nicht gegebenen – Verurteilung zu einer Zug-um-Zug-Leistung die Fiktion einer abzugebenden Willenserklärung auch dem Notar gegenüber durch Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung ausreichend nachgewiesen ist. Aufgrund der nicht abschließend geklärten Rechtslage wäre allenfalls in Erwägung zu ziehen, ob der Notar sein Vorgehen in diesen Fällen durch einen Vorbescheid ankündigen sollte (vgl. dazu jüngst BGH DNotZ 2020, 604, 616).

Gutachten/Abruf-Nr:

189642

Erscheinungsdatum:

12.08.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 121-123

Normen in Titel:

ZPO § 894