28. Juni 2021
EUErbVO Art. 21

Schweiz: Erbstatut; Behindertentestament

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 181663
letzte Aktualisierung: 28. Juni 2021

EuErbVO Art. 21
Schweiz: Erbstatut; Behindertentestament

I. Sachverhalt

Ein Schweizer mit Wohnsitz in der Schweiz möchte ein Testament errichten. Nach Erreichen
des Pensionsalters möchte er nach Deutschland ziehen und dort seinen Lebensabend verbringen.

Er ist geschieden und hat aus erster Ehe einen Sohn, der in Österreich lebt. Dieser
Sohn ist leicht behindert und es besteht die Gefahr, dass er später Sozialhilfeempfänger wird.

Der Testierer lebt in nichtehelicher Lebensgemeinschaft und möchte seine Lebensgefährtin auch
irgendwann heiraten. Einen konkreten Termin gibt es hierfür aber nicht. Die Lebensgefährtin
hat auch zwei Kinder. Der Testierer verfügt über Grundbesitz in Deutschland. Er möchte seine
Lebensgefährtin als Vorerbin und seinen Sohn und die beiden Kinder der Lebensgefährtin zu
gleichen Teilen als Nacherben einsetzen. Für den Erbteil des Sohns soll Testamentsvollstreckung
angeordnet werden, die Testamentsvollstreckung soll eine Miterbin übernehmen. Angedacht
sind Regelungen zur Testamentsvollstreckung entsprechend des Behindertentestaments.

II. Fragen

1. Kennt das Schweizer Recht die o. g. Gestaltungsvarianten?

2. Wie ist das Pflichtteilsrecht des Sohnes nach dem Schweizer Recht ausgestaltet?

3. Wird ein vor einem deutschen Notar errichtetes Testament in der Schweiz anerkannt?

III. Zur Rechtslage

1. Erbstatut

a) aus deutscher Sicht

Aus deutscher Sicht wird das für die Beerbung des Mandanten maßgebliche allgemeine
Erbstatut durch Art. 21 Abs. 1 EuErbVO festgelegt (Text und Kommentierung
auszugsweise bei Palandt/Thorn, BGB, 80. Aufl. 2021, Anh. zu Art. 25
EGBGB). Entscheidend ist also das Recht des Staates, in dem der Erblasser in dem
Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Gewöhnlicher Aufenthalt
im Todeszeitpunkt ist der Daseinsmittelpunkt einer Person als Schwerpunkt ihrer
familiären, sozialen und beruflichen Beziehungen. Der gewöhnliche Aufenthalt ist unter
Berücksichtigung der Erwägungsgründe 23, 24 zur EuErbVO zu ermitteln (EuGH
NJW 2020, 2947 Rn 37 ff.; Palandt/Thorn, Art. 21 EuErbVO Rn. 5 ff.; ausführl. Süß,
in: ders., Erbrecht in Europa, 4. Aufl. 2020, § 2 Rn. 1 ff.). Sollte dieser letzte gewöhnliche
Aufenthalt des Mandanten – wie derzeit geplant – in Deutschland liegen, so wäre
also bei objektiver Anknüpfung das deutsche Recht als allgemeines Erbstatut maßgeblich.

Sollte er dagegen mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz versterben,
würde Art. 21 Abs. 1 EuErbVO das schweizerische Erbrecht zur Anwendung berufen.

Darüber hinaus besteht nach Art. 22 Abs. 1 EuErbVO die Möglichkeit einer Wahl des
allgemeinen Erbstatuts, aber nur zugunsten des Heimatrechts des Betroffenen. Der
Testator könnte bei entsprechendem Wunsch aus deutscher Sicht also sein
schweizerisches Heimatrecht wählen, dagegen nicht das deutsche Erbrecht. Bei einer
entsprechenden Wahl wäre das geltende allgemeine Erbstatut von einer späteren Verlegung
des gewöhnlichen Aufenthalts unabhängig. Eine solche Rechtswahl hätte nach
Art. 22 Abs. 2 EuErbVO ausdrücklich in einer Erklärung in Form einer Verfügung von
Todes wegen zu erfolgen oder sich aus dem Bestimmungen einer solchen Verfügung zu
ergeben.

Inhaltlich unterliegen dem genannten allgemeinen Erbstatut nach Art. 21, 22 EuErbVO
insbesondere Pflichtteilsansprüche sowie die allgemein zur Verfügung stehenden erbrechtlichen
Gestaltungsmittel, wie etwa die Anerkennung einer Vor- und Nacherbfolge,
Testamentsvollstreckung und dergleichen (s. BeckOGK-EuErbVO/J. Schmidt, Stand:
1.5.2021, Art. 25 Rn. 6; Bauer, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, 2016, Art. 25
EuErbVO Rn. 5; MünchKommBGB/Dutta, 8. Aufl. 2020, Art. 25 EuErbVO Rn. 1).
Dies betrifft also gerade auch die hier angeschnittenen Rechtsfragen.

Davon zu unterscheiden ist das sog. Errichtungsstatut einer Verfügung von Todes
wegen. Die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes
wegen mit Ausnahme eines Erbvertrages unterliegen dem Recht, das nach der
Europäischen Erbrechtsverordnung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden
wäre, wenn die Person, die die Verfügung errichtet hat, zu diesem Zeitpunkt
verstorben wäre (Art. 24 Abs. 1 EuErbVO). Bei gegenwärtigem gewöhnlichen Aufenthalt
des Mandanten in der Schweiz wäre für dieses Errichtungsstatut des Testaments
also das schweizerische Erbrecht berufen, und zwar ohne Rücksicht auf die Möglichkeit
einer späteren Aufenthaltsverlegung des Mandanten (sog. hypothetisches Erbstatut).

b) aus schweizerischer Sicht

Da die Schweiz nicht Mitgliedsstaat der Europäischen Erbrechtsverordnung ist, ist insoweit
auf deren eigenes nationales IPR zurückzugreifen. Dort bestimmt sich das
Erbstatut nach Maßgabe der Art. 90 ff. des schweiz. Bundesgesetzes über das internationale
Privatrecht vom 18.12.1987. Der Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz
im Ausland untersteht gem. Art. 91 Abs. 1 schweiz. IPRG dem Recht des Staates, auf
welches das Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates verweist. Einen Wohnsitz wiederum
hat eine Person gem. Art. 20 IPRG in dem Staat, in dem sie sich mit der Absicht
dauernden Verbleibens aufhält.

Demgegenüber untersteht der Nachlass einer Person mit letztem Wohnsitz in der
Schweiz aus dortiger Sicht schweizerischem Recht (Art. 90 Abs. 1 IPRG). Allerdings
kann ein Ausländer durch letztwillige Verfügung oder Erbvertrag den Nachlass einem
seiner Heimatrechte unterstellen. Diese Unterstellung fällt dahin, wenn er im Zeitpunkt
des Todes diesem Staat nicht mehr angehört hat oder wenn er Schweizer Bürger geworden
ist (Art. 90 Abs. 2 schweiz. IPRG).

Verlegt also der Mandant noch vor seinem Ableben seinen Wohnsitz nach
Deutschland, so würde Art. 91 Abs. 1 schweiz. IPRG auf das deutsche Kollisionsrecht
verweisen. Dieses würde unter diesen Umständen gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO die
Verweisung annehmen, sodass es im Ergebnis auch aus schweizerischer Sicht zur
Geltung deutschen Erbrechts käme.

Behielte der Mandant demgegenüber seinen Wohnsitz in der Schweiz bei, so wäre gem.
Art. 90 Abs. 1 IPRG zwingend schweizerisches Erbrecht zur Anwendung berufen. Die
Möglichkeit einer abweichenden Rechtswahl hätte der Mandant als schweizerischer
Staatsangehöriger auch aus dortiger Sicht nicht (vgl. Art. 90 Abs. 2 schweiz. IPRG).

2. Zum schweizerischen Sachrecht

Soweit nach dem zuvor Gesagten im Ergebnis schweizerisches Erbrecht zur Anwendung
kommen sollte, bemerken wir zu dem hier interessierenden Instituten und Gestaltungsinstrumenten
Folgendes:

a) Vor- und Nacherbschaft im schweizerischen Recht

Ebenso wie das deutsche Recht kennt auch das schweizerische Recht die Vor- und
Nacherbschaft (einführend Süß/Wolf/Dorjee-Good, Erbrecht in Europa, 4. Aufl.
2020, Länderbericht Schweiz, Rn. 105 f.). Es ist geregelt in Art. 488-492 schweiz. ZGB.
Gem. Art. 491 Abs. 2 ZGB wird der Vorerbe Eigentümer der Erbschaft mit der Pflicht,
diese dem Nacherben auszuliefern. Nach schweizerischem Recht handelt es sich bei der
Vorerbeinsetzung um eine auflösend bedingte Erbeinsetzung (Bessenich/Rickli, in:
Basler Kommentar, ZGB II, 6. Aufl. 2019, Vor Art. 488-492a Rn. 3 m. w. N.). Aus
diesem Grund seien die Regeln des Obligationenrechts über die Bedingung ergänzend
anzuwenden. Die Bedingungen sind in Art. 151 ff. OR geregelt. Weiterhin beanspruchen
die Regelungen über die Nutznießung (Art. 745 ff. schweiz. ZGB) ebenfalls
für die Vorerbschaft Geltung (Bessenich/Rickli, Art. 491 Rn. 2 m. w. N.). Bei der Veräußerung
von Grundstücken sieht das schweizerische Recht ein dem deutschen Recht
ähnliches Schutzsystem vor. Die „Auslieferungspflicht“ des Art. 491 ZGB sollte im
Grundbuch vorgemerkt werden; ansonsten ist ein gutgläubiger Erwerb möglich
(Bessenich/Rickli, Art. 491 Rn. 6).

In wesentlichen Grundzügen ist damit die Vor- und Nacherbschaft schweizerischen
Rechts derjenigen nach deutschem Erbrecht (§§ 2100 ff. BGB) vergleichbar.

b) Willensvollstrecker im schweizerischen Recht

Gem. Art. 517 ZGB kann der Erblasser in einer letztwilligen Verfügung eine oder
mehrere Personen zu Willensvollstreckern einsetzen (Überblick: Süß/Wolf/Dorjee-
Good, Rn. 123 ff.; ausführl. Bengel/Reimann/Haas, Handbuch der Testamentsvollstreckung,
7. Aufl. 2020, § 9 Rn. 417 ff.). Diese haben die Rechte und Pflichten eines
amtlichen Erbschaftsverwalters und gelten insbesondere als beauftragt, den Willen des
Erblassers zu vertreten, die Erbschaft zu verwalten, die Schulden des Erblassers zu bezahlen,
Vermächtnisse auszurichten und die Teilung des Nachlasses nach den Vorgaben
des Erblassers durchzuführen (Art. 518 Abs. 2 ZGB). Während der Dauer der Willensvollstreckung
ist den Erben das Recht zur Verwaltung des Nachlasses entzogen. Der
Willensvollstrecker hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung.

Von wesentlicher kautelarjuristischer Bedeutung im Zusammenhang mit der Gestaltung
eines Behindertentestamentes ist es jedoch, dass nach schweizerischem Erbrecht das
Vermögen des Erben mit dem Nachlass verschmilzt, wenn er den Nachlass vorbehaltlos
erworben hat (Art. 571, 588 ZGB). Dies gilt unabhängig davon, ob der Nachlass
verteilt oder unverteilt ist. Mithin entsteht damit ein gemeinsames Haftungssubstrat, das
sowohl den Erbengläubigern als auch den Erbschaftsgläubigern zur Verfügung steht:
Die Gläubiger des Erben stehen, wenn dieser die Erbschaft vorbehaltlos erworben hat,
den Gläubigern des Erblassers gleich (Art. 564 Abs. 2 ZGB). Hieran ändert sich auch
dann nichts, wenn für den Nachlass Willensvollstreckung angeordnet ist. Die Willensvollstreckung
schirmt mithin den Nachlass nach schweizerischem Erbrecht
nicht gegen Eigengläubiger des Erben ab (Bengel/Reimann/Haas, § 9 Rn. 432).

Dass die Rechtslage bei angeordneter Willensvollstreckung mithin in diesem wesentlichen
Punkt vom deutschen Erbrecht abweicht (§ 2214 BGB), dürfte die Wirkungsweise
eines Behindertentestaments unter Geltung Schweizer Erbrechts entscheidend
beeinträchtigen. Überdies ist nach schweizerischem Erbrecht unklar, inwieweit eine
dauerhafte oder permanente Testamentsvollstreckung zulässig ist
(Bengel/Reimann/Haas, § 9 Rn. 421 f. m. Einzelheiten).

Im Ergebnis kennt also auch das schweizerische Erbrecht mit der Willensvollstreckung
nach Art. 517 f. schweiz. ZGB eine zum deutschen Recht parallele Gestaltungsvariante;
seine gesetzliche Ausgestaltung im Einzelnen weicht jedoch in für die Gestaltung des
Behindertentestaments wesentlichen Punkten von den Inhalten des deutschen Erbrechts
ab.

c) Pflichtteilsrecht nach schweizerischem Erbrecht

Das Pflichtteilsrecht ist im schweizerischem Erbrecht als echtes Noterbrecht ausgestaltet.
Die Pflichtteilsberechtigten erhalten nicht lediglich einen obligatorischen Anspruch
gegen den oder die Erben, sondern eine materielle (dingliche) quotale Beteiligung
am Nachlass, über die der Erblasser nicht von Todes wegen verfügen kann. Hat
der Erblasser seine Verfügungsbefugnis überschritten, so können die Noterben ihre Berechtigung
am Nachlass im Wege der sog. Herabsetzungsklage gem. Art. 522 ff.
schweiz. ZGB geltend machen. Es handelt sich hierbei um eine Gestaltungsklage, durch
die die beeinträchtigende Verfügung auf das erlaubte Maß herabgesetzt wird (Art. 522
Abs. 1 schweiz. ZGB; zum Ganzen Süß, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, Handbuch
Pflichtteilsrecht, 4. Aufl. 2018, § 19 Rn. 404 ff.; Solomon, in: Schlitt-Müller, Handbuch
Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2017, § 15 Rn. 708, 715 ff.). Gegenwärtig beträgt die
Noterbquote des Ehegatten die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils. Für Kinder liegt sie
bei ¾ ihres gesetzlichen Erbteils (Art. 471, 462 schweiz. ZGB; vgl. Süß, § 19 Rn. 405).

Heiratet der Mandant im vorliegenden Fall seine Lebensgefährtin und überlebt diese
ihn, so würde sie als gesetzliche Erbquote neben dem Sohn des Mandanten die Hälfte
der Erbschaft erhalten (Art. 462 Nr. 1 schweiz. ZGB). Der Sohn würde dann die
andere Hälfte erben (Art. 457 Abs. 1, 2 ZGB). Die Noterbquote (Pflichtteilsquote) des
Sohnes betrüge nach Art. 471 Nr. 1 somit ½ x ¾ = 3/8.

Wäre der pflichtteilsberechtigte Sohn – wie beim klassischen Behindertentestament –
als Vorerbe eingesetzt und seinerseits durch eine Nacherbeinsetzung beschwert,
so würde Art. 531 ZGB eingreifen. Hiernach ist eine Nacherbeneinsetzung gegenüber
einem pflichtteilsberechtigten Erben im Umfang des Pflichtteils ungültig; vorbehalten
bleibt die Bestimmung über urteilsunfähige Nachkommen. Art. 531 Hs. 2 ZGB nimmt
damit auf Art. 492a ZGB im Falle eines Urteils unfähigen Nachkommen Bezug. In
diesem Fall ist die „Nacherbeneinsetzung auf den Überrest“ zugelassen (hierzu
Süß/Wolf/Dorjee-Good, Rn. 110, 106).

Art. 531 ZGB bestimmt im Übrigen keinen Ungültigkeitsgrund, sondern lediglich eine
Herabsetzungstatbestand und damit eine besondere Art der Herabsetzungsklage
betreffs der Verfügung des Erblassers. In der schweizerischen Rechtsprechung wurde
zwischenzeitlich auch geklärt, dass es im Fall des Art. 531 ZGB dem Pflichtteilserben
zusteht, die Belastung des Pflichtteils durch die Nacherbeneinsetzung im Wege der
Herabsetzungsklage aufheben zu lassen, ohne gleichzeitig auf den Erbschaftserwerb
über den Pflichtteil hinaus zu verzichten (BSK ZGB II/Forni/Piatti, Art. 531 Rn. 1, 3).
Im vorliegenden Fall ist demgegenüber der pflichtteilsberechtigte Sohn nicht als Vorerbe,
sondern als Nacherbe berufen. Für diesen Fall des durch eine Vorerbschaft belasteten
Pflichtteilserben ist nach h. L. zum schweizerischen Erbrecht die genannte
Vorschrift des Art. 531 ZGB analog anzuwenden. Die Anordnung der Vorerbschaft
muss folglich nur auf dem den Pflichtteil übersteigenden Betrag geduldet werden
(Abt/Weibel/Hrubesch-Millauer, Praxiskommentar Erbrecht, 4. Aufl. 2019, Art. 531
Rn 4a m. w. N.). Im Übrigen könnte also der Sohn sein regelmäßiges Noterbrecht
sofort nach dem Tod des Vaters durchsetzen; daneben bliebe ihm für die übersteigende
Quote die Berufung als Nacherbe erhalten. Dass der als Nacherbe berufene Sohn
zwecks Pflichtteilsverlangen – anders als nach deutschem Recht (§ 2306 Abs. 2 BGB) –
nach schweizerischem Erbrecht nicht zur Ausschlagung der Nacherbschaft gehalten ist,
stellt wiederum eine kautelarjuristisch wesentliche Vorgabe dar. Es lässt sich nicht
sagen, dass die Duldung der Beschwerungen ohne Pflichtteilsgeltendmachung für den
Sohn bzw. dessen Betreuer insgesamt wirtschaftlich attraktiver sein könnte als die zusätzliche
(!) Pflichtteilsgeltendmachung.

Im Ergebnis sind also die Institute der Vor- und Nacherbschaft und der Willensvollstreckung
(Testamentsvollstreckung) auch dem schweizerischen Recht bekannt. Wegen
der substantiell abweichenden Inhaltsbestimmung der Willensvollstreckung und
der ebenfalls andersartigen Regelung zum Verhältnis zwischen Nacherbenberufung
und Pflichtteilsgeltendmachung nach schweizerischen Erbrecht würde
ein Behindertentestament unter Geltung schweizerischen Erbrechts aber jedenfalls
nicht vergleichbare Schutzeffekte erzielen, wie dies bei Geltung deutschen
Erbstatuts möglich wäre.

Auch unter Geltung deutschen Erbrechts wäre die klassische Konstruktion des
Behindertentestamentes übrigens wohl wenig zielführend, wenn der Mandant mit
letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, aber noch vor der geplanten Heirat
der Lebensgefährtin versterben würde. Dann wäre sein Sohn nach deutschem Erbrecht
gesetzlicher Alleinerbe, seine Pflichtteilsquote betrüge folglich ½ (§§ 1924 Abs. 1,
2303 Abs. 1 S. 1). Würde der Sohn – wie vorgesehen - testamentarisch zu lediglich 1/3
als Nacherbe berufen, so würde sich die Durchsetzung des genannten Pflichtteilsanspruches
durch Ausschlagung der Nacherbschaft gem. § 2306 Abs. 2 BGB ebenfalls für
ihn als wirtschaftlich attraktiver im Verhältnis zur Duldung der testamentarischen Gestaltung
darstellen.

3. Formwirksamkeit des Testaments

Für die Beurteilung der Formwirksamkeit eines vom Mandanten errichteten Testaments
sind aus deutscher Sicht gem. Art. 75 Abs. 1 Unterabs. 2 EuErbVO gegenüber den Regelungen
der EuErbVO die Bestimmungen des Haager Übereinkommens über das auf
die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht vom 5.10.1961 vorrangig, das
für die BRD am 1.1.1966 in Kraft getreten ist (Bundesgesetzblatt 1966 II, S. 11; Text
und Kommentierung auszugsweise bei Palandt/Thorn, Anh. zu Art. 26 EGBGB). Die
Beachtung der Formvorschriften am Errichtungsort ist aus deutscher Sicht gem. Art. 1
Abs. 1 lit. a Haager Testamentsformübereinkommen in jedem Fall für die Anerkennung
als formwirksam ausreichend.

Das Haager Testamentsformübereinkommen ist seit dem 17.10.1971 auch für die
Schweiz in Kraft getreten (Bundesgesetzblatt 1971 II, S. 119). Art. 93 Abs. 1 schweiz.

IPRG verweist nochmals deklaratorisch auf die Geltung dieses Abkommens. Auch aus
schweiz. Sicht ist also ein in Deutschland nach den hier geltenden Vorschriften formwirksam
errichtetes Testament gem. Art. 1 Abs. 1 lit. a HTFÜ auch in der Schweiz als
formwirksam anzuerkennen.

Gutachten/Abruf-Nr:

181663

Erscheinungsdatum:

28.06.2021

Rechtsbezug

National

Normen in Titel:

EUErbVO Art. 21