Behindertentestament; Einsetzung weiterer Verwandter als Nacherben; Vermeidung des Zugriffs des Sozialhilfeträgers
BGB §§ 138, 2100 ff.;
Behindertentestament; Einsetzung weiterer Verwandter als Nacherben; Vermeidung des Zugriffs des Sozialhilfeträgers
I. Sachverhalt
Ehegatten haben ein gemeinsames minderjähriges Kind, das an Trisomie 21 leidet. Das Kind wird wegen seiner geistigen Behinderung an einer Beurkundung betreffend pflichtteilsrechtliche Regelungen auch nach Volljährigkeit nicht teilnehmen können. Die Eltern beabsichtigen nun, eine Erbregelung in Form eines klassischen Behindertentestaments zu treffen. Insbesondere wollen sie dadurch beim Tod des längerlebenden Elternteils für die weitere Lebensdauer des behinderten Kindes sicherstellen, dass sich der Lebensstandard des Kindes durch die Teilhabe am Nachlass tatsächlich erhöht. Darüber hinaus soll für das Nachversterben des behinderten Kindes eine Vor- und Nacherbfolge angeordnet werden, und zwar wegen fehlender Geschwister eine solche zugunsten Dritter (z. B. Patenkinder, Nichten, Neffen).
II. Frage
Kann diese Verfügung in einem Behindertentestament dergestalt wirksam getroffen werden, dass auch nach dem Ableben des Kindes ein Regress der öffentlichen Hand in den Nachlass ausgeschlossen ist?
III. Zur Rechtslage
1. Kostenersatzanspruch als Sicherung des Nachrangs der Sozialhilfe
§ 102 SGB XII enthält einen Kostenersatzanspruch des Sozialhilfeträgers gegenüber dem Erben des Sozialhilfeempfängers. Nach § 102 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist der Erbe der leistungsberechtigten Person oder ihres Ehegatten oder Lebenspartners – falls diese vor der leistungsberechtigten Person sterben – vorbehaltlich des Absatzes 5 zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet. Nach Abs. 1 S. 2 der Vorschrift besteht die Ersatzpflicht nur für die Kosten der Sozialhilfe, die innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden sind und die das Dreifache des Grundbetrags nach § 85 Abs. 1 SGB XII übersteigen. Nach Abs. 2 S. 1 gehört die Ersatzpflicht des Erben zu den Nachlassverbindlichkeiten (
Der Kostenersatzanspruch aus § 102 SGB XII sichert den Nachrang der Sozialhilfe, soweit die besonderen Ausschlussgründe für die Heranziehung von Einkommen oder Vermögen des Leistungsberechtigten im Erbfall für die Erben nicht eingreifen (BeckOK-Sozialrecht/Adams, Std.: 1.9.2019, Vor § 102 SGB XII). Die Vorschrift erlaubt damit ausnahmsweise die Rückzahlung rechtmäßig gewährter Sozialhilfe (BeckOK-Sozialrecht/Adams, Vor § 102 SGB XII). Als Haftungsgegenstand kommt bspw. Vermögen des Hilfeempfängers in Betracht, das zu Lebzeiten des Leistungsempfängers vom Sozialhilfeträger nicht in Anspruch genommen worden und in den Nachlass gefallen ist, weil es zu Lebzeiten gem. § 12 SGB II bzw. § 90 SGB XII geschütztes Vermögen war (vgl. Conradis,
2. Ausgestaltung des Behindertentestaments zur Vermeidung eines Kostenersatzanspruchs
Das Behindertentestament folgt üblicherweise der sog. Erblösung. Dabei wird der behinderte Abkömmling zu einer oberhalb seines Pflichtteils liegenden Quote zum nicht befreiten Vorerben eingesetzt und dritte Personen, bspw. die nicht behinderten Geschwister, werden zu Nacherben bestimmt. In Bezug auf den Erbteil des behinderten Kindes wird zugleich Dauervollstreckung nach
Durch Anordnung der Nacherbfolge wird der dem behinderten Kind zugeteilte Nachlass zu seinen Lebzeiten vor der Verwertung durch seine Eigengläubiger, zu denen auch der Sozialhilfeträger zählt, geschützt (vgl.
Die im Zusammenhang mit der Erblösung zunächst umstrittene Frage, inwieweit das Behindertentestament in der vorstehend beschriebenen Ausgestaltung eine sittenwidrige und daher nichtige Gestaltung zulasten der Sozialhilfe darstellt (
Der BGH sieht in der Anordnung der Nacherbfolge keinen nichtigkeitsbegründenden Verstoß gegen den sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatz (vgl.
„Danach bietet das BSHG keine Grundlage für die Auffassung, ein Erblasser müsse aus Rücksicht auf die Belange der Allgemeinheit seinem unterhaltsberechtigten behinderten Kind jedenfalls bei größerem Vermögen entweder über den Pflichtteil hinaus einen Erbteil hinterlassen, um dem Träger der Sozialhilfe einen gewissen Kostenersatz zu ermöglichen, oder zumindest eine staatlich anerkannte und geförderte Behindertenorganisation als Nacherben einsetzen, damit der Nachlaß auf diesem Weg zur Entlastung der öffentlichen Hand beitrage [...].“
Weiterhin stellt der BGH maßgeblich auf die Testierfreiheit des Erblassers ab. Ihre Einschränkung durch Anwendung der Generalklausel des
3. Person des einzusetzenden Nacherben
Hinsichtlich der Person des einzusetzenden Nacherben wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise vertreten, dass die Berufung einer gemeinnützigen Organisation nicht als sittenwidrig anzusehen sei, wohl aber die Berufung anderer (gesunder) Kinder des Erblassers (vgl. LG Konstanz
4. Ergebnis
Im Ergebnis gehen wir davon aus, dass die Berufung der weiteren Verwandten zu Nacherben für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit des beabsichtigten Testaments keine entscheidende Rolle spielt. Da sich die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts allerdings immer nach sämtlichen Umständen des Einzelfalls bemisst, muss eine abschließende Bewertung den Gerichten vorbehalten bleiben.
172978
Erscheinungsdatum:15.11.2019
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Sozialrecht
BGB § 2100; SGB XII § 102; BGB § 138