25. September 2020
AktG § 181; FamFG § 21 Abs. 1; AktG § 243; AktG § 245; FamFG § 381; AktG § 202; FamFG § 26

Aussetzung der Eintragung eines Hauptversammlungsbeschlusses; Anfechtbarkeit; Widerspruch des Aktionärs; Fristsetzung zur Klageerhebung; Einforderung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Negativerklärung; Überschreitung der Anfechtungsfrist

FamFG §§ 21 Abs. 1, 381, 26; AktG §§ 181, 202 ff., 243 ff., 245 Nr. 1
Aussetzung der Eintragung eines Hauptversammlungsbeschlusses; Anfechtbarkeit; Widerspruch des Aktionärs; Fristsetzung zur Klageerhebung; Einforderung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Negativerklärung; Überschreitung der Anfechtungsfrist

I. Sachverhalt
In der ordentlichen Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft wurden Beschlüsse u. a. zur Schaffung eines genehmigten Kapitals (Satzungsänderung) gefasst. Es handelte sich um eine „virtuelle“ Hauptversammlung i. S. v. § 1 Abs. 2 MaßnG-GesR. Im Wege der elektronischen Kommunikation erklärte ein Aktionär Widerspruch mit der Begründung, die Videoübertragung des nicht öffentlichen Teils der Hauptversammlung habe nicht funktioniert. Der Widerspruch wurde der notariellen Niederschrift beigefügt.

Im Eintragungsverfahren forderte das Registergericht die Vorlage einer Versicherung des Vorstands, dass keine Klage gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung eingereicht worden sei. Die Versicherung sei frühestens sechs Wochen nach der Beschlussfassung vorzulegen.

II. Fragen
1. Ist das Registergericht berechtigt oder sogar verpflichtet, die Eintragung der Hauptversammlungsbeschlüsse in das Handelsregister zurückzustellen, obwohl lediglich ein Widerspruch eingelegt und keine Anfechtungsklage erhoben worden ist?

2. Falls das Registergericht insoweit eine Ermessensentscheidung zu treffen hat: Was sind die ermessensleitenden Erwägungen?

3. Wenn das Registergericht die Eintragung zurückstellen darf oder muss: Bis zu welchem Zeitpunkt darf es dies, ohne dass eine Anfechtungsklage erhoben worden ist? Nur bis zum Ablauf der Monatsfrist oder sogar darüber hinaus?

4. Kann das Registergericht im beschriebenen Fall eine Negativerklärung des Vorstands oder sonstige Nachweise über die Nichterhebung einer Anfechtungsklage verlangen?

III. Zur Rechtslage
1. Widerspruch und Anfechtbarkeit
Gem. § 245 Nr. 1 AktG setzt die Anfechtungsbefugnis des Aktionärs dessen Widerspruch gegen den Hauptversammlungsbeschluss voraus (vgl. auch BeckOGK-AktG/Wicke, Std.: 1.7.2020, § 130 Rn. 13). In der virtuellen Hauptversammlung nach § 1 Abs. 2 MaßnG-GesR (so im Folgenden abgekürzt das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, BGBl. I 2020, S. 570, dort Art. 2) tritt an die Stelle des Widerspruchs zur Niederschrift die vom Vorstand eingeräumte Möglichkeit zum Widerspruch gem. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 MaßnG-GesR.

Materiell wäre freilich ein Anfechtungsgrund erforderlich. Soweit sich der „substantiiert“ widersprechende Aktionär auf einen technischen Mangel der Videoübertragung beruft, sind die Anfechtungsausschlüsse in § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG und § 1 Abs. 7 MaßnG-GesR zu beachten. Starke Stimmen in der Literatur gehen davon aus, dass die Anfechtung letztlich nur auf vorsätzlich verursachte technische Störungen gestützt werden kann (Mayer/Jenne/Miller, BB 2020, 1282, 1286; Schäfer, NZG 2020, 481, 486; Stelmaszczyk/Forschner, Der Konzern 2020, 221, 235; tw. abw. Noack/Zetzsche, AG 2020, 265 Rn. 105 f.).

2. Anfechtbarkeit und Aussetzung der Eintragung
Die gestellten Fragen zur registergerichtlichen Handhabung im Prüfungsverfahren werden nur dann relevant, wenn die Eintragung – ungeachtet der Anfechtung – nicht bereits im Rahmen des Freigabeverfahrens (§ 246a AktG, § 16 Abs. 3 UmwG) durchgesetzt wurde (vgl. Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rn. 171b; MünchKommFamFG/ders., 3. Aufl. 2019, § 381 Rn. 4). Dafür enthält der Sachverhalt keine Anhaltspunkte.

a) Grds.: anfechtbare Beschlüsse eintragungsfähig
Im Grundsatz gilt, dass anfechtbare Beschlüsse in das Handelsregister eingetragen werden können, wenn das Gesetz nicht ausnahmsweise eine Registersperre anordnet (BeckOGK-AktG/Drescher, Std.: 1.7.2020, § 241 Rn. 141).

b) Aussetzung gem. § 21 FamFG
Gem. § 21 Abs. 1 S. 1 FamFG kann das Gericht das Eintragungsverfahren jedoch aus wichtigem Grund aussetzen, insbesondere wenn die Entscheidung ganz oder teilweise vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Verfahrens bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Einen solchen Aussetzungsgrund bildet die erhobene Anfechtungsklage, wenn sie nicht offensichtlich unbegründet ist (Krafka, Rn. 1375).

c) Aussetzung gem. § 381 FamFG
Auch bei nicht erhobener Klage kann das Registergericht das Verfahren aussetzen, wenn die sonstigen Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 FamFG vorliegen, § 381 S. 1 FamFG. Es hat in diesem Fall gem. § 381 S. 2 FamFG einem der Beteiligten eine Frist zur Klageerhebung zu bestimmen.

Das Registergericht prüft die Aussetzung nach pflichtgemäßem Ermessen, § 26 FamFG. Dabei hat es das Für und Wider der Aussetzung abzuwägen, insbesondere die erkennbaren Erfolgsaussichten im Streitverfahren zu berücksichtigen (Krafka, Rn. 170a). Bei erkennbar aussichtslosen Klagen wird der Registerrichter eintragen müssen (Grigoleit/Ehmann, AktG, 2. Aufl. 2020, § 181 Rn. 8; BeckOGK-AktG/Drescher, § 241 Rn. 142; vgl. auch BGH NJW 1990, 2747, 2750). Grundsätzlich dürfte die Einlegung eines Widerspruchs wenigstens ein Anhaltspunkt für die Anfechtbarkeit (vgl. Grigoleit/Ehmann, § 243 Rn. 36) sein und als solcher für die Aussetzung sprechen. Das Abwarten der einmonatigen Anfechtungsfrist (§ 246 Abs. 1 AktG) wird meist nicht zu beanstanden sein (Grigoleit/Ehmann, § 181 Rn. 8). Hüffer/Koch (AktG, 14. Aufl. 2020, § 243 Rn. 52) halten das Abwarten sogar für regelmäßig empfehlenswert, weil es in aller Regel keine wesentliche Benachteiligung der Gesellschaft bedeute. Jedenfalls bei Anhaltspunkten für die Anfechtbarkeit sollte das Abwarten daher ermessensgerecht sein.

Hingegen erscheint ein längeres Zuwarten problematisch, weil der anfechtungsbegründende Mangel nach Ablauf der Monatsfrist nicht mehr geltend gemacht werden kann. Allein dies könnte schon dazu führen, dass der Beschluss nunmehr eingetragen werden muss. So sieht es tendenziell wohl die Rechtsprechung (OLG München DNotZ 2012, 874 zur GmbH; vgl. die weiteren Nachweise bei Hüffer/Koch, § 243 Rn. 56). Die Literatur betrachtet die Frage differenzierter: Sie gibt dem Registergericht dennoch ein Zurückweisungsrecht, wenn Interessen der Gläubiger, der künftigen Aktionäre oder der öffentlichen Ordnung des Aktienwesens „auch nur mitbetroffen sind“ (Hüffer/Koch, § 243 Rn. 56; MünchKommAktG/Hüffer/Schäfer, 4. Aufl. 2016, § 243 Rn. 138 f.; wohl auch BeckOGK-AktG/Drescher, § 243 Rn. 13). Selbst wenn man dieser Ansicht folgt, ist deshalb jedoch nicht ohne Weiteres ein längeres Zuwarten gerechtfertigt. Die von der Literatur benannten übergreifenden Zurückweisungsgründe dürften sich nämlich nur in seltenen Fällen durch einen Fristaufschlag erledigen.

Fraglich und wohl umstritten ist die Bedeutung der Fristsetzung nach § 381 S. 2 FamFG im Hinblick auf § 246 Abs. 1 AktG. Einerseits wird eine Fristsetzung auch dann für erforderlich gehalten, wenn das Gesetz eine Klagefrist vorsieht, wobei sogar eine kürzere Frist als die Klagefrist denkbar sei (BeckOK-FamFG/Otto, Std.: 1.7.2020, § 381 Rn. 28; MünchKommFamFG/Krafka, § 381 Rn. 7: kürzere Frist als in § 246 Abs. 1 AktG allerdings nur in seltenen Ausnahmefällen). Andererseits wird vertreten, dass eine Fristsetzung entbehrlich sei und dass es genüge, das Eintragungsverfahren auf Intervention des Aktionärs hin bis zum Ablauf der Frist des § 246 Abs. 1 AktG auszusetzen oder schlicht ruhen zu lassen (Nedden-Boeger, in: Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 6. Aufl. 2020, § 381 Rn. 18).

d) Negativerklärung
Die Erklärung des Vorstands über die Nichtanfechtung des angemeldeten Beschlusses (sog. Negativerklärung) ist in einigen – vorliegend nicht einschlägigen – Fällen gesetzlich vorgesehen (vgl. Hüffer/Koch, § 243 Rn. 57). Ob das Registergericht die Erklärung auch unabhängig von einer gesetzlichen Anordnung einfordern kann, scheint umstritten zu sein. Heinemann (in: Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 374 Rn. 49b mit Verw. auf OLG Frankfurt RNotZ 2011, 49, 52) billigt dies dem Registergericht nicht zu. Dagegen ist es laut Wicke (in: Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 4. Aufl. 2018, § 42 Rn. 25) nicht zu beanstanden, wenn das Registergericht auf förmliche Aussetzung und gleichzeitige Fristsetzung gem. § 381 S. 2 FamFG verzichtet und dem Vorstand stattdessen per Zwischenverfügung auferlegt, nach Ablauf der Frist des § 246 Abs. 1 AktG eine Negativerklärung abzugeben („Praxislösung“).

Auch u. E. bestehen keine kategorischen Bedenken gegen die Negativerklärung. Das Registergericht ermittelt im Eintragungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. § 26 FamFG). Welche Nachweise es im Einzelnen einholt, ist vom Gesetz nicht vorge­geben. Je nach Lage des Falls mag daher eine Negativerklärung durchaus angemessen sein.

e) Vorliegender Fall
Folgt man der unter lit. d vertretenen Ansicht, so kann das Registergericht auch in gesetzlich ungeregelten Fällen eine Negativerklärung über die Beschlussanfechtung verlangen. Damit ist dem Registergericht freilich kein Mittel an die Hand gegeben, die Eintragung über Gebühr hinauszuzögern. Evtl. darf es auf die Monatsfrist gem. § 246 Abs. 1 AktG eine kleine Sicherheitsfrist aufschlagen, damit der Vorstand die Erklärung in sicherer Kenntnis der tatsächlichen Umstände abgeben kann. Ob es allerdings vom pflichtgemäßen Ermessen gedeckt ist, die Frist um 50 % oder mehr zu überschreiten, erscheint zweifelhaft.

Auch im Übrigen ist zu bedenken, dass das Registergericht sein Ermessen ausüben muss und dass nicht einmal die Erhebung der Anfechtungsklage für sich allein die Aussetzung rechtfertigt (vgl. KG FGPrax 2013, 32 f.; Grigoleit/Ehmann, § 243 Rn. 36; Wochner, in: Fleischhauer/Wochner, Handelsregisterrecht, 4. Aufl. 2019, A Rn. 175). Mithin müsste das Registergericht seine Zwischenverfügung u. E. zumindest auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten einer etwaigen Anfechtungsklage gestützt haben. Dabei wären im konkreten Fall die eingeschränkten Möglichkeiten einer Anfechtung wegen technischer Störungen zu berücksichtigen (s. Ziff. 1).

Gutachten/Abruf-Nr:

178686

Erscheinungsdatum:

25.09.2020

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Aktiengesellschaft (AG)

Erschienen in:

DNotI-Report 2020, 145-147

Normen in Titel:

AktG § 181; FamFG § 21 Abs. 1; AktG § 243; AktG § 245; FamFG § 381; AktG § 202; FamFG § 26