14. Februar 2011
BGB § 900; FamFG § 442; BGB § 927; GBO § 3; FamFG § 433; GBO § 116; BGB § 928

Eigentum an nicht gebuchtem Grundstück

Eigentum an nicht gebuchtem Grundstück - GBO §§ 3, 116; BGB §§ 900, 927, 928; FamFG §§ 433 ff., 442 ff.

I. Sachverhalt

Ein Straßengrundstück ist katastermäßig abgemarkt und mit einer Flurstücknummer versehen. Es hat sich herausgestellt, dass das Grundstück im Grundbuch nicht gebucht ist. Auch nach umfangreichen Recherchen des Grundbuchamtes unter Einschaltung des Vermessungsamtes konnte nicht festgestellt werden, ob dieses Grundstück zuvor an einer anderen Grundbuchstelle gebucht oder von einem anderen Grundstück weggemessen worden ist. Das Grundstück wurde bisher als eine Gemeindestraße behandelt. Eine öffentliche Widmung lässt sich nicht nachweisen.

II. Frage

1. Nach welchen Rechtsvorschriften bzw. Rechtsgrundsätzen klärt sich die Frage, wem ein Grundstück gehört, wenn dieses katastermäßig zwar erfasst, jedoch im Grundbuch nicht gebucht ist, und wenn sich auch nicht feststellen lässt, ob und wo dieses Grundstück bisher gebucht war?
2. Wer kann in einer derartigen Konstellation über die Bestellung von Geh- und Fahrtrechten zu Lasten des nicht gebuchten Grundstücks entscheiden?

III. Rechtslage

1. Eigentum am ungebuchten Grundstück

a) Bei dem ungebuchten Grundstück könnte es sich zunächst um einen Anliegerweg handeln. Der Anliegerweg ist katastermäßig ein selbständiges Flurstück, sachenrechtlich sind jedoch die einzelnen realen Teilflächen des Anliegerweges Bestandteile der jeweils angrenzenden Grundstücke (vgl. BayObLG Rpfleger 1977, 103; MittBayNot 1994, 42 = Rpfleger 1993, 104; Demharter, GBO, 27. Aufl. 2010, § 3 Rn. 5; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 14. Aufl. 2008, Rn. 563). Ein Anliegerweg kann allenfalls im Bestandsverzeichnisbuch des Hauptgrundstücks vermerkt werden („hierzu die zum Wegflurstück … gezogene Teilfläche“, vgl. Internet-Gutachten Nr. 43335 unter www.dnoti-online-plus.de). Dies dürfte nach dem mitgeteilten Sachverhalt aber ausgeschlossen sein, da die bereits angestoßenen Entwicklungen einen solchen Vermerk wohl zu Tage gebracht hätten (Überblick bei Demharter, § 3 Rn. 13 ff.; Schöner/Stöber, Rn. 608 ff.; Meikel/Nowak, GBO, 10. Aufl. 2009, § 3 Rn. 25 ff.). Auf die Eigentumsverhältnisse käme es insoweit nicht an (Hügel/Holzer, GBO, 2. Aufl. 2010, § 3 Rn. 22).

b) Möglich ist ferner, dass das Grundstück nach § 3 Abs. 2 GBO buchungsfrei ist, da es bereits jetzt im Eigentum des Bundes, des Landes oder der Gemeinde oder anderer Kommunalverbände steht (Var. 1). In diesem Fall könnte sich die Gemeinde auf § 3 Abs. 2 Var. 1 GBO berufen und als Eigentümer den Antrag auf Anlegung eines Grundbuchblattes stellen. Buchungsfreiheit würde gem. § 3 Abs. 2 Var. 3 GBO auch bestehen aufgrund Widmung des Grundstücks als öffentlicher Weg. Besonderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften, die dieses Grundstück der Gemeinde zuweisen würden, bedürfte es dann nicht (Überblick bei Demharter, § 3 Rn. 13 ff.; Schöner/Stöber, Rn. 608 ff.; Meikel/Nowak, § 3 Rn. 25 ff.). Die Gemeinde geht nach dem mitgeteilten Sachverhalt offenbar nicht davon aus, dass es sich um ein nach § 3 Abs. 2 GBO buchungsfreies Grundstück handelt.

c) Das Grundstück könnte danach auch herrenlos sein.

2. Ersitzung oder Aneignung des Grundstücks

a) An Grundstücken ist eine Ersitzung nach § 900 BGB nur als Buchersitzung möglich. Sie setzt die bereits bestehende Eintragung des Ersitzenden im Grundbuch voraus. Daran fehlt es hier.
Ebenso wenig kommt eine Aneignung nach § 928 Abs. 2 BGB in Betracht. Der dort geregelte Verzicht auf das Eigentum setzt nach § 928 Abs. 1 BGB voraus, dass die Verzichtserklärung in das Grundbuch eingetragen wird. Damit muss das Grundstück zunächst im Grundbuch gebucht sein, was hier gerade nicht der Fall ist. Im Übrigen steht bei der Aufgabe des Eigentums nach § 928 Abs. 1 BGB ein Aneignungsrecht nach § 928 Abs. 2 BGB zunächst dem Fiskus des Bundeslandes zu, in dessen Gebiet das betreffende Grundstück liegt. Erst wenn der Fiskus auf sein Aneignungsrecht verzichtet und diese Verzichtserklärung ebenfalls im Grundbuch eingetragen ist, kann jeder Dritte (auch eine Gemeinde) sich das Grundstück aneignen – und zwar ohne das Verfahren nach § 927 BGB betreiben zu müssen (BGHZ 108, 278 ff.; Palandt/Bassenge, BGB, 70. Aufl. 2011, § 928 Rn. 4).

b) In Frage kommt jedoch eine Aneignung des Grundstücks nach Durchführung eines Aufgebotsverfahrens.
aa) Rechtsgrundlage hierfür könnte § 927 BGB sein. Voraussetzung ist zum einen der 30-jährige Eigenbesitz des Aneignenden (§ 927 Abs. 1 S. 1 BGB). Eigenbesitz ist nach § 872 BGB die tatsächliche Gewalt über die Sache, verbunden mit dem Willen, diese als Eigentümer zu besitzen („als ihm gehörend“). Dies könnte vorliegend zu bejahen sein, da das Grundstück bislang „als eine Gemeindestraße“ behandelt wurde. Zum Beleg des Eigenbesitzes stellt die Praxis ganz wesentlich auf die Zahlung der Grundsteuer durch den Eigenbesitzer ab. Wurde vorliegend keine Grundsteuer gezahlt, könnte dies als Indiz für den Eigenbesitz der Gemeinde herangezogen werden, da Gemeinden hinsichtlich des für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch benutzten Grundbesitzes nicht grundsteuerpflichtig sind (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 GrStG).
Die Aneignung nach § 927 Abs. 1 S. 1 BGB erfordert ferner ein Aufgebotsverfahren nach §§ 433 ff., 442 ff. FamFG (vgl. Schöner/Stöber, Rn. 1018 ff. zu den Vorgängervorschriften §§ 946 ff., 977 ff. ZPO). Nach Erlass des rechtskräftigen Ausschließungsbeschlusses (§ 439 Abs. 2 FamFG) kann der diesen Beschluss Erwirkende seine Eintragung im Grundbuch als Eigentümer betreiben. Damit erwirbt er das Grundstückseigentum (§ 927 Abs. 2 BGB).
Für den Eigentumserwerb nach § 927 BGB ist also die Eintragung im Grundbuch konstitutiv (§ 927 Abs. 2 BGB). Dies setzt wiederum die Buchung des Grundstücks im Grundbuch voraus.

bb) Daher müsste zunächst die Einleitung eines Verfahrens zur Anlegung des Grundbuchblattes nach den §§ 116 ff. GBO angeregt werden (hierzu Schöner/Stöber, Rn. 1003 ff.). Das Grundbuchblatt muss vom Grundbuchamt zwar grundsätzlich von Amts wegen angelegt werden, sobald das Grundbuchamt davon Kenntnis erlangt, dass für ein Grundstück ein Grundbuchblatt nicht angelegt ist; Dritte können die Einleitung dieses Verfahrens nur anregen. Eine Verpflichtung zur Einleitung trifft das Grundbuchamt aber ausnahmsweise dann nicht, wenn es sich um ein nach § 3 Abs. 2 GBO buchungsfreies Grundstück handelt, für das ein Grundbuchblatt nur auf Antrag des Eigentümers oder eines Berechtigten angelegt wird (Demharter, § 116 Rn. 5). Begehrt vorliegend die Gemeinde mit dem Buchungsantrag ihre Eintragung als Eigentümerin, so ist sie i. S. d. § 3 Abs. 2 GBO antragsberechtigt, wenn sie dartut, dass sie zu einer der in § 123 GBO genannten Personengruppen gehört. Erforderlich und ausreichend ist der formlose Nachweis von Tatsachen, die das Eigentum des Antragstellers zumindest wahrscheinlich machen (BayObLGZ 1965, 400, 403 ff.; Demharter, § 3 Rn. 18).

cc) Wird das Verfahren eingeleitet, kann das Grundbuchamt sodann ein Aufgebotsverfahren nach den §§ 119 ff. GBO veranlassen. Dieser Weg stellt den Beteiligten gegenüber dem Verfahren nach § 927 BGB insoweit schlechter, als die Glaubhaftmachung 30-jährigen Eigenbesitzes für sich allein nicht ausreicht, um die Eintragung als Eigentümer herbeizuführen. Zusätzlich muss hier vielmehr dem Grundbuchamt das Eigentum des Beteiligten oder hilfsweise glaubhaft gemacht werden, dass das Eigentum des Beteiligten nach Lage der Sache am wahrscheinlichsten erscheint (§ 123 Nr. 2, 3 GBO; hierzu Demharter, § 123 Rn. 4; § 121 Rn. 6). Eine Zurückweisung des Antrags wegen Unaufklärbarkeit der Eigentumsfrage kommt nicht in Betracht. Vielmehr muss grundsätzlich als Eigentümer eine der in § 123 GBO genannten Personen eingetragen werden (Schöner/Stöber, Rn. 1011 m. w. N. in Fn. 6). Da die erstmalige Buchung im Amtsverfahren erfolgt, stellt sich die Nachweisproblematik primär für das Grundbuchamt.
Die materielle Wirkung eines Eigentumserwerbs kommt der Eintragung im Wege des Aufgebotsverfahrens nach §§ 119 ff. GBO allerdings nicht zu (Staudinger/Pfeifer, BGB, 2004, § 927 Rn. 10; § 928 BGB Rn. 4); sie vermag nur bestimmte Buchwirkungen zu erzeugen.

dd) Daher könnte sich hier – ungeachtet der Möglichkeit, eine Eintragung aufgrund der §§ 119 ff. GBO zu erreichen – das Beschreiten eines Aufgebotsverfahrens und eine Eintragung aufgrund des zu erwirkenden Ausschließungsbeschlusses gem. § 927 Abs. 2 BGB empfehlen. Mit der Ausübung des Aneignungsrechts nach § 927 Abs. 2 BGB durch Eintragung im Grundbuch erwirbt der Eingetragene originär Eigentum am Grundstück. Dem dürfte nicht entgegenstehen, dass sich vorliegend letztverbindlich wohl nicht mehr aufklären lässt, ob das Grundstück hier trotz bestehenden Buchungszwangs oder gerade infolge Buchungsfreiheit gem. § 3 Abs. 2 GBO nicht gebucht worden ist.
Zwar ist in der Literatur umstritten, inwieweit § 927 BGB auch auf nicht gebuchte Grundstücke Anwendung findet. Zum Teil wird danach unterschieden, ob das Grundstück trotz Buchungszwangs oder gerade wegen Buchungsfreiheit gem. § 3 Abs. 2 GBO nicht gebucht ist. So bedarf nach Pfeifer der Eigenbesitzer in den Fällen der Nichtbuchung trotz Buchungszwangs eines Ausschließungsbeschlusses, weil seine Eintragung im Anlegungsverfahren die materielle Wirkung des Eigentumserwerbs nicht hätte; dagegen soll § 927 BGB auf buchungsfreie Grundstücke nicht anwendbar sein (Staudinger/Pfeifer, § 927 Rn. 10).
Nach der wohl überwiegenden Ansicht erfasst § 927 BGB dagegen ebenso den Fall, dass das Grundstück wegen Buchungsfreiheit nach § 3 Abs. 2 GBO nicht gebucht ist (Erman/A. Lorenz, BGB, 12. Aufl. 2008, § 927 Rn. 4; Benning, in: jurisPK-BGB, 5. Aufl. 2010, § 927 Rn. 3). Das LG Mönchengladbach sieht in seinem Beschluss vom 27. August 2007 (5 T 120/07, Rpfleger 2007, 616) ausdrücklich auch buchungsfreie Grundstücke als vom Anwendungsbereich des § 927 BGB erfasst an (Rz. 9).

ee) Unseres Erachtens dürfte es sich daher im vorliegenden Fall empfehlen, beim Grundbuchamt die Einleitung eines Verfahrens nach §§ 116 ff. GBO anzuregen. Hierzu könnte der Auszug aus dem Liegenschaftskataster, den das Grundbuchamt nach § 117 GBO ohnehin anzufordern hätte, mitübersandt werden. Sodann kann die Gemeinde ein Aufgebotsverfahren veranlassen.


3. Pflegschaft?

Fraglich ist, ob die Entscheidung über die Bestellung von Geh- und Fahrtrechten einem Pfleger übertragen werden kann. In Betracht kommt eine Pflegschaft für unbekannte Beteiligte gem. § 1913 BGB. Jedoch setzt eine Pflegschaft gem. § 1913 BGB jedenfalls auch ein Interesse des Unbekannten an der Vornahme des Geschäfts voraus, sodass das Fürsorgebedürfnis fehlt, wenn die Angelegenheit ausschließlich im Interesse eines Dritten liegt (KGJ 49, 41; Erman/Roth, § 1913 Rn. 13; Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Aufl. 2003, § 1913 Rn. 5; Palandt/Diederichsen, § 1913 Rn. 3). Im vorliegenden Sachverhalt dürfte aber ein Fürsorgebedürfnis für den unbekannten Eigentümer, zu Lasten des betreffenden Grundstücks Geh- und Fahrtrechte einzuräumen, wohl kaum zu begründen sein. Folglich kommt uE eine Pflegschaft gem. § 1913 BGB mit dem Ziel der Bestellung von Geh- und Fahrtrechten nicht in Betracht.
Damit kommt es vorliegend auf die Streitfrage, ob § 1913 BGB überhaupt auf herrenlose Sachen anwendbar ist, nicht an (dafür: KGJ 50, 50; dagegen: Erman/Roth, § 1913 Rn. 3; Palandt/Diederichsen, § 1913 Rn. 2; Soergel/Zimmermann, § 1913 Rn. 2 m. w. N.) .
In einem Zwangsvollstreckungsverfahren, welches ein Recht an einem herrenlosen Grundstück betrifft, ist hingegen die Bestellung eines Vertreters gem. § 787 Abs. 1 ZPO möglich.

Gutachten/Abruf-Nr:

103012

Erscheinungsdatum:

14.02.2011

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Grundbuchrecht

Erschienen in:

DNotI-Report 2011, 26-28

Normen in Titel:

BGB § 900; FamFG § 442; BGB § 927; GBO § 3; FamFG § 433; GBO § 116; BGB § 928