20. Oktober 2023
BGB § 181; AktG § 112

Selbstbestellung des AG-Vorstands zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH; Befreiung des einzigen Vorstands vom Verbot des Selbstkontrahierens durch den Aufsichtsrat; Entscheidung des BGH v. 17.1.2023 – II ZB 6/22

BGB § 181 Var. 1; AktG § 112
Selbstbestellung des AG-Vorstands zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH; Befreiung des einzigen Vorstands vom Verbot des Selbstkontrahierens durch den Aufsichtsrat; Entscheidung des BGH v. 17.1.2023 – II ZB 6/22

I. Sachverhalt
Eine Aktiengesellschaft hat nur ein Vorstandsmitglied, Herrn B. Die AG will eine hundertprozentige Tochter-GmbH gründen. Deren alleiniger und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Geschäftsführer soll B werden. Der Aufsichtsrat der AG „bevollmächtigt“ B, die GmbH zu gründen und sich dort selbst zum Geschäftsführer zu bestellen. Das Handelsregister hält die Bestellung des Geschäftsführers unter Berufung auf den Beschluss des BGH v. 17.1.2023 (Az.: II ZB 6/22) für unwirksam.

II. Frage
Hat das Registergericht Recht?

III. Zur Rechtslage
1. Skizze der Entscheidung des BGH v. 17.1.2023 – II ZB 6/22
Mit Beschluss v. 17.1.2023 (Az.: II ZB 6/22, DNotZ 2023, 376; alleinstehende Rn.-Angaben im Folgenden beziehen sich stets auf diese Entscheidung) hat der BGH entschieden, dass auf die „Selbstbestellung“ des AG-Vorstands zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH der § 112 AktG nicht anzuwenden sei; er hat damit die h. M. bestätigt, die in der „Selbstbestellung“ keine Vertretung der AG gegenüber dem zu bestellenden Vorstandsmitglied verwirklicht sieht, sondern lediglich ein Geschäft in der Sphäre der Tochter-GmbH (Rn. 47, 46: „Organakt der Untergesellschaft“; so bereits die Vorinstanz OLG Frankfurt DNotZ 2022, 304 m. krit. Anm. Blath).

Da der BGH im Selbstbestellungsakt dennoch einen Interessenkonflikt erkennt (vgl. Rn. 22, 24, 25), ist er auf § 181 BGB als Interessenkollisionsnorm ausgewichen. Die Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds sei „bei der Beschlussfassung über seine Bestellung als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft nach § 181 Fall 1 BGB beschränkt“. Genau betrachtet hat der BGH den Bestellungsbeschluss im Innenverhältnis und die Bestellungserklärung im Außenverhältnis zu einem einheitlichen Rechtsgeschäft zusammengefasst (vgl. Rn. 20 f.), die Beschränkung des § 181 Var. 1 BGB aber bereits auf die Stimmabgabe angewandt.

Die Frage, ob der Abstimmende zusätzlich einem Stimmverbot gem. § 47 Abs. 4 S. 2 Var. 1 GmbHG unterliegt, meinte der BGH offenlassen zu können (Rn. 51). Interessanterweise trifft der BGH in diesem Zusammenhang eine deutliche Aussage zum fehlerhaft gefassten Einpersonen-Beschluss (Rn. 52): Die fehlerhafte Berücksichtigung einer wegen § 47 Abs. 4 GmbHG nichtigen Stimme führe bei Feststellung des Beschlussergebnisses lediglich zur Anfechtbarkeit (also anders gesagt zur vorläufigen Wirksamkeit des Beschlusses). Die notarielle Beurkundung des Beschlusses stehe der Beschlussfeststellung in diesem Sinne gleich und auch auf die völlige „Stimmlosigkeit“ des Beschlusses komme es nicht an. In der Praxis wird sich künftig insbesondere die Frage nach dem Umgang mit nichtbeurkundeten Beschlüssen stellen: Notar und Registergericht werden sorgsam zu überprüfen haben, ob bei einem solchen Beschluss eine Bestellungsfeststellung durch einen Versammlungsleiter bzw. im Umlaufverfahren durch den Initiator desselben erkennbar ist.

Im entschiedenen Sachverhalt war die Folge der Anwendung des § 181 BGB die schwebende Unwirksamkeit der Geschäftsführerbestellung (Rn. 33). Zuständig für die Genehmigung soll laut BGH nicht der Aufsichtsrat, sondern jedes vertretungsberechtigte und nicht durch § 181 BGB beschränkte Vorstandsmitglied sein (Rn. 34). Ob der Aufsichtsrat die Genehmigung zumindest subsidiär erklären kann oder die Bestellung eines stellvertretenden Vorstandsmitglieds gem. § 105 Abs. 2 AktG in Betracht kommt, lässt der BGH offen (Rn. 42; s. auch Meyer/Trapp, DB 2023, 1081, 1082). Implizit scheint der BGH jedoch einen weiteren interessanten Punkt zu klären; er verlangt nämlich für die Genehmigung eines Selbstkontrahierens keine eigene Befreiung der genehmigenden Person (s. Backhaus, jurisPR-HaGesR 5/2023 Anm. 1, lit. D).

2. Zuständigkeit für die vorgängige Befreiung
Offengelassen hat der BGH wiederum die Frage, wer eine vorgängige Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB aussprechen kann (Rn. 34 a. E.; s. auch Wicke, GmbHR 2023, 477 Rn. 7). Wir gehen davon aus, dass das Registergericht darin das Problem der „Vollmacht“ zur (Gründung und) Selbstbestellung sieht. Ob die Vollmacht eine Befreiung – für den Einzelfall – enthält, ist bei fehlender ausdrücklicher Erwähnung durch Auslegung zu ermitteln. Der Vollmacht zur „Selbstbestellung“ sollte sich per Auslegung aber unschwer eine implizite Befreiung entnehmen lassen. Neben der Frage nach der grundsätzlichen Zuständigkeit ist damit die Frage betroffen, ob eine Befreiung auch ohne Satzungsgrundlage ausgesprochen werden kann.

Nach herkömmlicher Ansicht zu § 181 Var. 2 BGB (Mehrfachvertretungsverbot) wäre für eine Befreiung der Aufsichtsrat zuständig, wobei dieser für eine Gestattung im Einzelfall evtl. keiner Satzungsermächtigung bedarf (speziell zu Letzterem Koch, AktG, 17. Aufl. 2023, § 78 Rn. 7; Grigoleit, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 78 Rn. 8; MünchKommAktG/Spindler, 6. Aufl. 2023, § 78 Rn. 131; bei einer generellen Gestattung wird man hingegen auf eine Satzungsgrundlage nicht verzichten können, vgl. BeckOGK-AktG/Fleischer, Std.: 1.7.2023, § 78 Rn. 12). Anders als nach GmbH-Recht kann nach Aktienrecht nicht die Gesellschafterversammlung bzw. Hauptversammlung zuständig sein (s. nur BeckOGK-AktG/Fleischer, § 78 Rn. 12; Blath, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 9, 6. Aufl. 2021, § 9 Rn. 81). Dies dürfte bereits deshalb einleuchten, weil die Hauptversammlung der AG für die Bestellung des Vorstands nicht zuständig ist.

Unseres Erachtens ist die Zuständigkeit des Aufsichtsrats gleichermaßen dann plausibel, wenn es um eine Befreiung von § 181 Var. 1 BGB geht (ebenso Wicke, GmbHR 2023, 477 Rn. 7; wohl auch Backhaus, jurisPR-HaGesR 5/2023 Anm. 1, lit. D; Wagner/Bärnreuther, NotBZ 2023, 241, 242 f.) und diese nicht bereits als Direktbefreiung in der Satzung enthalten ist (Letzteres wird derzeit praktisch nicht vorkommen). Die primäre Zuständigkeit eines weiteren Vorstands für die Genehmigung steht auf einem anderen Blatt (nicht unterscheidend offenbar Hippeli, jurisPR-Compl 2/2023 Anm. 2, lit. D). Die Genehmigung bezieht sich auf das schwebend unwirksame Rechtsgeschäft und nicht auf die Vertretungsbefugnis des Vorstands. Sie hilft nicht dem Vertretungsmangel in der Person des Vorstandsmitglieds ab, sondern verhilft dem in mangelhafter Vertretung abgeschlossenen Rechtsgeschäft zur Wirkung. Das erfordert eine „gewöhnliche“ Erklärung der AG im Außenverhältnis und damit grds. ein Handeln des Vorstands. (Interessant wäre insoweit eine Äußerung des BGH zu § 177 BGB gewesen, der eine Erklärung sowohl gegenüber dem Vertreter als auch gegenüber dem Vertragspartner erlaubt. Fraglich wäre nämlich, ob auch die Genehmigung gegenüber dem Vorstand von einem Vorstandsmitglied erklärt werden könnte oder nicht etwa – wegen § 112 AktG – vom Aufsichtsrat erklärt werden müsste. Diese Frage spielt vorliegend aber keine Rolle.) Bei einer vorgängigen Befreiung verhält sich die Sache anders: Die Befreiung betrifft den Status des Vertreters, nämlich seine Befugnis zum Selbstkontrahieren. Es lässt sich dogmatisch nur schwer begründen, dass für eine solche Erklärung der (personenverschiedene) Vorstand zuständig sein könnte; ein Unterschied zur Befreiung von der Beschränkung des § 181 Var. 2 BGB ist nicht einsichtig (anders grds. Bulgrin/Wolf, NJW 2023, 1325 Rn. 17; Meyer/Trapp, DB 2023, 1081, 1082; schon vor der BGH-Entscheidung in diesem Sinne grds. Hopt/Roth in: GroßkommAktG, 5. Aufl. 2018, § 112 Rn. 73). Vielmehr dürfte wegen der Vertretung der AG gegenüber dem Vorstandsmitglied § 112 AktG einschlägig sein. Eine gegenteilige Aussage findet sich auch in der BGH-Entscheidung nicht; der BGH hält die Frage nach der Befreiungszuständigkeit ausdrücklich für eine von der Genehmigungszuständigkeit „zu unterscheidende Frage“ (Rn. 34 a. E.).

Wenn sich das Registergericht von der Zuständigkeit des Aufsichtsrats im Ausgangspunkt nicht überzeugen lässt, müsste es zumindest den Fall des einzig vorhandenen Vorstands gesondert würdigen. Vor dem Hintergrund der Aussage des BGH zur Genehmigung erscheint zumindest eine subsidiäre Zuständigkeit des Aufsichtsrats plausibel (so auch Hopt/Roth, § 112 Rn. 73; wohl ebenso Meyer/Trapp, DB 2023, 1081, 1082).

3. Stimmverbot gem. § 47 Abs. 4 S. 2 Var. 1 GmbHG
Die Frage nach einem Stimmverbot gem. § 47 Abs. 4 S. 2 Var. 1 GmbHG hat der BGH in seiner Entscheidung offengelassen (s. Ziff. 1). Selbst wenn man ein Stimmverbot für die reine Selbstbestellung ablehnt, könnte es für den Fall der gleichzeitigen „Selbstbefreiung“ zu bejahen sein. Umfasst diese die Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 Var. 1 BGB), so ist der Geschäftsführer ohne Weiteres imstande, Geschäfte mit der GmbH abzuschließen – Geschäfte also, über deren Zulässigkeit er gem. § 47 Abs. 4 S. 2 Var. 1 GmbHG als Stimmrechtsvertreter bei einem Gesellschafterbeschluss (im Innenverhältnis) nicht entscheiden dürfte (vgl. MünchKommGmbHG/Drescher, 4. Aufl. 2023, § 47 Rn. 184; Lohr, NZG 2002, 551, 558). Weil der BGH aber die Beschlussfeststellung für maßgeblich hält, wäre der Verstoß gegen das Stimmverbot im Ergebnis irrelevant.

4. Fazit
Unseres Erachtens sollte jedenfalls bei Fehlen weiterer Vorstandsmitglieder der Aufsichtsrat eine Befreiung von § 181 Var. 1 BGB aussprechen können. Die „Bevollmächtigung“ des B seitens des Aufsichtsrats, die Gründung und Bestellung seiner Person zum Geschäftsführer bei der neu zu gründenden GmbH vorzunehmen, dürfte eine solche Befreiung enthalten. Folgt man einer verbreiteten Ansicht, wäre dafür im Einzelfall keine Satzungsermächtigung erforderlich. Ein Stimmverbot gem. § 47 Abs. 4 S. 2 Var. 1 GmbHG wäre von vornherein ausgeschlossen. Das Registergericht hätte demnach keinen Grund, die Bestellung für unwirksam zu halten.

Am Ende bleibt festzustellen, dass die Entscheidung des BGH vom 17.1.2023 etliche Folgefragen aufgeworfen hat, die einer abschließenden Klärung erst bedürfen. Die vorgelegte Frage gehört dazu. Um etwaigen Unsicherheiten zu begegnen, kann die AG zumindest für eine ausdrückliche Befreiungsermächtigung auch hinsichtlich des Selbstkontrahierens – § 181 Var. 1 BGB – sorgen (weitergehende Überlegungen bei Wagner/Bärnreuther, NotBZ 2023, 241). Dadurch lässt sich wenigstens der Vorwurf entkräften, die Befreiung entbehre der statutarischen Grundlage.

Gutachten/Abruf-Nr:

200383

Erscheinungsdatum:

20.10.2023

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

In-sich-Geschäft
Aktiengesellschaft (AG)

Erschienen in:

DNotI-Report 2023, 153-155

Normen in Titel:

BGB § 181; AktG § 112