Schweiz: Erb- und Pflichtteilsverzicht nach schweizerischem Recht
BGB §§ 2346 ff.; EGBGB Art. 26
Erb- und Pflichtteilsverzicht nach schweizerischem Recht
I. Sachverhalt
Die Frau B. ist deutsche Staatsangehörige und Kind des in der Schweiz lebenden deutschen
Staatsangehörigen L. B. beabsichtigt, für sich und ihre Nachkommen auf jeden Erb- und Pflichtteilsanspruch
am Nachlaß ihres Vaters zu verzichten. Der Pflichtteilsverzicht soll vor einem Schweizer Notar beurkundet
werden, wobei sich die B. durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen will. L. wird in naher Zukunft ggf. die
schweizerische Staatsbürgerschaft erhalten.
II. Frage
1. Ist ein Erb- und Pflichtteilsverzicht eines deutschen Staatsbürgers mit ständigem Wohnsitz in der Schweiz
möglich und hält ein solcher Vertrag ggf. vor einem deutschen oder Schweizer Gericht?
2. Kann eine Familienunterstützung in diesem Fall als ausgeschlossen angenommen werden?
3. Welche Form ist für die Vollmacht erforderlich?
III. Rechtslage
1. Der Pflichtteilsverzicht
a) Das auf die Form anwendbare Recht
aa) Staatsverträge
Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz findet das Haager Übereinkommen über das auf
die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht Anwendung (Jayme/Hausmann, Internationales
Privat- und Verfahrensrecht, 6. Aufl. 1992, 100). Da der Erbverzicht aber keine Verfügung von Todes wegen
darstellt, fällt er nicht unter das Haager Testamentsübereinkommen (MünchKomm-Birk, 2. Aufl. 1990, Art. 26
Rn. 139).
bb) Die Form des Erbverzichts aus deutscher Sicht
Nicht unter das Haager Testamentsabkommen, wohl aber unter Art. 26 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 bis 3 EGBGB
fällt ein Erbverzicht. Die Absätze 1 bis 3 sind dem Haager Testamentsabkommen weitgehend nachgebildet,
so daß wahlweise die Einhaltung der Ortsform oder die Wahrung der Form des Rechtes des Heimatlandes
ausreicht.
cc) Aus Schweizer Sicht
Art. 93 des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht vom 18.12.1987 bestimmt:
DNotI
Deutsches Notarinstitut
DNotI-Report - Gutachten
DNotI-Report 5/1994 März 1994 1
"Für die Form der letztwilligen Verfügung gilt das Haager Übereinkommen vom 05.10.1961 über das auf die
Form der letztwilligen Verfügung anwendbare Recht.
(2) Dieses Übereinkommen gilt sinngemäß auch für die Form anderer Verfügungen von Todes wegen."
Da es sich bei dem Erbverzicht um eine andere Verfügung im Sinne von Art. 93 Abs. 2 IPRG handeln dürfte,
ist somit die Wahrung der im Haager Testamtsübereinkommen eröffneten Möglichkeiten ausreichend. Die
Wahrung der schweizerischen Formvorschriften ist demnach aus deutscher als auch schweizerischer Sicht
genügend.
b) Das auf den Pflichtteilsverzicht anwendbare Recht
aa) Aus deutscher Sicht
Da Staatsverträge das materielle Erbrecht zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz nicht
regeln, finden die allgemeinen Kollisionsregeln Anwendung. Der Erbverzicht, der zur Ausschaltung des
Verzichtenden als gesetzlichen Erben führt, richtet sich nach dem Erbstatut (
Erman/Hohloch, 9. Aufl. 1993, Art. 24, 25 Rn. 34; MünchKomm-Birk, a.a.O., Art. 26 Rn. 138). Anders als beim
Erbvertrag beurteilt sich der Verzicht aber nicht nach den Erbstatuten der beiden Vertragspartner, sondern
allein nach dem Erbstatut des Erblassers, da es nur um dessen Erbfolge geht (MünchKomm-Birk, a.a.O.).
Somit richtet sich der Pflichtteilsverzicht aus deutscher Sicht grundsätzlich nach dem Heimatrecht des
Erblassers, somit nach deutschem Recht.
Umstritten ist, wie sich ein Statutenwechsel nach Abschluß des Erbverzichts auswirkt. Diese Frage ist
indessen nur zu problematisieren, wenn das neue Erbstatut ihn verbietet bzw. wenn der Erblasser einen
zunächst unwirksamen Erbverzicht abgeschlossen hat und nunmehr die Staatsangehörigkeit eines Landes
annimmt, in dem ein Erbverzicht möglich ist (vgl. MünchKomm-Birk, a.a.O., Art. 26 Rn. 141;
Staudinger/Firsching, vor Art. 24 bis 26 Rn. 140; Scheuermann, Statutenwechsel im Internationalen Erbrecht,
S. 110). Das somit zur Anwendung berufene Recht der Bundesrepublik Deutschland läßt entsprechend den
Schweiz kennt gemäß Artt. 495 ff. ZGB die Möglichkeit eines Erbverzichts.
bb) Der Erbverzicht aus schweizerischer Sicht
a ) Das zur Anwendung berufene Recht
Art. 95 IPRG bestimmt:
"Der Erbvertrag untersteht dem Recht am Wohnsitz des Erblassers zur Zeit des Vertragsabschlusses.
(2) Unterstellt ein Erblasser im Vertrag den ganzen Nachlaß seinem Heimatrecht, so tritt dieses an die Stelle
des Wohnsitzrechts.
(3) Gegenseitige Verfügungen von Todes wegen müssen dem Wohnsitzrecht jedes Verfügenden oder dem
von ihnen gewählten gemeinsamen Heimatrecht entsprechen.
(4) Vorbehalten bleiben die Bestimmungen dieses Gesetzes über die Form und die Verfügungsfähigkeit (Art.
93 und 94)."
Die Schweiz ordnet in Art. 95 Abs. 1 IPRG die Anknüpfung an das Recht am Wohnsitz des Erblassers an;
Abs. 1 regelt auch denjenigen Erbvertrag, welcher nur die Stellung einer Partei tangiert (IPRG-Heini, Zürich
1993, Art. 95 Rn. 2), so daß auch der Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht hierunter fallen dürfte. Anders als im
deutschen Recht wäre somit das schweizerische Recht berufen. Aus Gründen der Verkehrssicherheit und im
Interesse der Aufrechterhaltung der im Vertrag getroffenen Anordnungen bleibt auch ein späterer
Statutenwechsel ohne Einfluß auf die Rechtsanwendung (Schnyder, Das neue IPR-Gesetz, 2. Aufl. Zürich
1990, S. 87).
b ) Der Erbverzicht im schweizerischen Recht
DNotI-Report 5/1994 März 1994 2
Der Erbverzicht ist entsprechend den Art. 495 ff. ZGB aber auch nach dem durch die schweizerischen
Kollisionsnormen berufenen Recht möglich. Die einschlägigen Vorschriften bestimmen:
Art. 495,
"(1) Der Erblasser kann mit einem Erben einen Erbverzichtsvertrag oder Erbauskauf abschließen.
(2) Der Verzichtende fällt beim Erbgang als Erbe außer Betracht.
(3) Wo der Vertrag nicht etwas anderes anordnet, wirkt der Erbverzicht auch gegenüber den Nachkommen
des Verzichtenden."
cc) Ergebnis
Ein Pflichtteilsverzicht in der Schweiz wird mithin sowohl vor deutschen also auch vor Schweizer Gerichten
Bestand haben.
2. Familienunterstützung
Unterhaltsrechtliche Konsequenzen hat der Pflichtteilsverzicht nicht.
3. Form der Vollmacht
Unter einer Vollmacht versteht man die Vertretungsmacht des gewillkürten Stellvertreters. Es ist ein
einseitiges Rechtsgeschäft welches vom Grundsatz der Formfreiheit beherrscht wird, sofern das Gesetz nicht
ausnahmsweise etwas anderes vorsieht (Gauck/Schlüpp, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner
Teil Band 1 1991). Dieser Grundsatz der Formfreiheit ergibt sich allgemein aus Art. 11 OR:
"(1) Verträge bedürfen zu ihrer Gültigkeit nur dann eine besondere Form, wenn das Gesetz eine solche
vorschreibt.
(2) Ist über Bedeutung und Wirkung einer gesetzlich vorgeschriebenen Form nicht etwas anderes bestimmt,
so hängt von deren Beobachtung die Gültigkeit des Vertrages ab."
Besondere Formvorschriften sind etwa in Art. 493 Abs. 6 OR für die Erteilung einer besonderen Vollmacht zur
Eingehung einer Bürgschaft vorgesehen. In den Art. 495 ff. ZGB ist eine vergleichbare Bestimmung nicht
ersichtlich. Die vom Schweizer Notar geforderte schriftliche Vollmacht wird den Anforderungen damit
genügen.
© Deutsches Notarinstitut (Herausgeber)
- eine Einrichtung der Bundesnotarkammer, Berlin -
Gerberstraße 19, 97070 Würzburg.
Telefon: 09 31/3 55 76-0 - Telefax: 09 31/3 55 76-225
e-mail: dnoti@dnoti.de internet: www.dnoti.de
Verantwortlicher Schriftleiter: Notar a.D. Christian Hertel
Hinweis: Die im DNotI-Report veröffentlichten Gutachten und
Stellungnahmen geben die Meinung der Gutachter des Deutschen
Notarinstituts und nicht die der Bundesnotarkammer wieder.
31.12.1994
RechtsbezugInternational
Erschienen in: Normen in Titel:BGB § 2346; EGBGB Art. 26