BGB § 1772
Volljährigenadoption mit Wirkung einer Minderjährigenadoption; Auswirkungen auf die Verwandtschaftsverhältnisse der Tochter
I. Sachverhalt
Es soll eine Volljährigenadoption mit den Wirkungen einer Minderjährigenadoption durchgeführt werden. Der Annehmende ist seit 2021 mit der Mutter der volljährigen Anzunehmenden verheiratet. Die Anzunehmende ist unverheiratet und hat eine minderjährige Tochter.
II. Fragen
1. Erlöschen mit der Annahme als Kind die bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse der Tochter der Anzunehmenden ebenfalls oder bleiben diese weiterhin bestehen?
2. Sofern sich auch die Verwandtschaftsverhältnisse der Tochter der Anzunehmenden ändern: Muss der leibliche Vater der Tochter der Anzunehmenden der Adoption bezüglich der Anzunehmenden zustimmen?
III. Zur Rechtslage
1. Rechtsfolgen der Volljährigenadoption
Im vorliegenden Fall soll das volljährige Kind der Ehefrau adoptiert werden (Stiefkindadoption). In Betracht kommt daher die Durchführung einer normalen Volljährigenadoption i. S. d. §§ 1767 ff. BGB oder die Durchführung einer Volljährigenadoption mit den Wirkungen einer Minderjährigenadoption (§ 1772 BGB). Die normale Volljährigenadoption führt dazu, dass zum Adoptierenden (nicht aber zu dessen Verwandten, § 1770 Abs. 1 BGB) ein rechtliches Eltern-Kind-Verhältnis hergestellt wird. Zu den leiblichen Verwandten bleiben die Verwandtschaftsverhältnisse hingegen bestehen, § 1770 Abs. 2 BGB.
Würde dagegen – bei Vorliegen eines dahingehenden Antrags und der Voraussetzungen der Norm – eine Volljährigenadoption mit starken Wirkungen i. S. v. § 1772 BGB ausgesprochen, würde die Angenommene wie im Falle der Minderjährigenadoption vollständig in die Verwandtschaft des Annehmenden integriert und andererseits vollständig aus den Verwandtschaftsbeziehungen zu den leiblichen Verwandten gelöst. Dies ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 1755 Abs. 1 S. 1 BGB. Im Normalfall führt die Volljährigenadoption mit starken Wirkungen daher dazu, dass das Verwandtschaftsverhältnis des Angenommenen zu den leiblichen Verwandten erlöschen würde.
Da es sich vorliegend um einen Fall der Stiefkindadoption handelt, greift jedoch auch § 1755 Abs. 2 BGB ein. Dieser sieht vor, dass im Falle der Stiefkindadoption das Erlöschen nur im Verhältnis zu dem anderen Elternteil und dessen Verwandten eintritt (hier in Bezug auf den Vater der Anzunehmenden und dessen Verwandte).
2. Rechtsfolgen der Adoption in Bezug auf die Abkömmlinge des Adoptierten
Was die Wirkungen der Adoption in Bezug auf die Abkömmlinge der Anzunehmenden anbelangt, so ist insoweit ebenfalls § 1755 Abs. 1 S. 1 BGB einschlägig. Dieser sieht ausdrücklich vor, dass mit der Annahme das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den bisherigen Verwandten und die sich aus ihm ergebenden Rechte und Pflichten erlöschen. Die Abkömmlinge des Anzunehmenden sind daher grundsätzlich in die Wirkungen der Adoption eingeschlossen.
Gleichwohl ist der Wortlaut des § 1755 Abs. 1 S. 1 BGB nicht ganz eindeutig. Aus dem Wortlaut selbst ergibt sich etwa nicht, dass infolge der Adoption das Verwandtschaftsverhältnis des Angenommenen zu seinen eigenen Kindern nicht erlischt, genauso wenig wie das Geschwisterverhältnis mehrerer Kinder des Angenommenen zueinander, was jedoch ohne Weiteres der Fall ist. Die leibliche Tochter der Angenommenen bleibt also rechtlich die Tochter der Angenommen und ebenso bliebe ein (hinzugedachtes) weiteres Kind der Angenommenen rechtlich Bruder bzw. Schwester der Tochter (vgl. nur BeckOGK-BGB/Löhnig, Std.: 1.2.2024, § 1755 Rn. 7; BeckOK-BGB/Pöcker, Std.: 1.11.2023, § 1755 Rn. 3).
Außerdem bezieht sich das Erlöschen bestehender Verwandtschaftsbeziehungen, das § 1755 Abs. 1 S. 1 BGB anordnet, unstreitig nur auf die Verwandtschaftsbeziehungen, die über den Angenommenen (hier die anzunehmende Tochter) vermittelt wurden (BeckOGK-BGB/Pöcker, § 1755 Rn. 2; BeckOGK-BGB/Löhnig, § 1755 Rn. 8). Dies betrifft etwa die Verwandtschaftsverhältnisse zu Onkel/Tante (hier also die Geschwister der Anzunehmenden) oder zu den Großeltern (im hier vorliegenden Fall der Stiefkindadoption zum etwaigen rechtlichen Vater der Anzunehmenden nebst Ehefrau; vgl. zum Ganzen BeckOGK-BGB/Löhnig, § 1755 Rn. 8).
Es tritt also gerade nicht – wie hier befürchtet – ein Erlöschen der Verwandtschaftsbeziehungen des Abkömmlings des Angenommenen zu seinem zweiten Elternteil (und dessen Verwandten) ein (vgl. nur BeckOGK-BGB/Löhnig, § 1755 Rn. 8: „Soweit die Kinder des Angenommenen einen zweiten Elternteil von Rechts wegen haben, werden die Verwandtschaftsbeziehungen zu diesem und dessen Verwandten durch die Annahme nicht berührt.“). So führt auch Maurer (in: MünchKommBGB, 9. Aufl. 2024, § 1754 Rn. 20) erläuternd Folgendes aus [Hervorhebung durch das DNotI]:
„Auch die verwandtschaftlichen Beziehungen der Abkömmlinge des Angenommenen erlöschen mit der Annahme, soweit auch der Angenommene mit diesen verwandt ist. Zu seinem angenommenen Elternteil bleibt die Verwandtschaft erhalten. Zudem dauert die Verwandtschaft mit dem anderen Elternteil und dessen Verwandten fort, andernfalls mit der Einwilligung in die Annahme (§ 1749 Abs. 2) über Elternteile verfügt würde, was den Beteiligten fernliegt und zudem verfassungsrechtlich unzulässig wäre.“
3. Ergebnis
Infolge der Adoption der Anzunehmenden nach § 1772 BGB würde zwar das Verwandtschaftsverhältnis der Anzunehmenden und ihrer Abkömmlinge zum Vater der Anzunehmenden und den väterlichen Verwandten der Anzunehmenden beendet (insb. Großvater, Großonkel, -tante), nicht aber das Verwandtschaftsverhältnis der Tochter der Anzunehmenden zum eigenen rechtlichen Vater. Diese Verwandtschaftsbeziehung bestünde trotz der Adoption der Anzunehmenden (Mutter der Tochter) mit den Wirkungen der Minderjährigenadoption (§ 1772 BGB) fort, auch wenn der Wortlaut des § 1755 Abs. 1 S. 1 BGB insoweit missverstanden werden könnte. Die Frage nach einer etwaigen Einwilligung des rechtlichen Vaters der minderjährigen Tochter der Anzunehmenden stellt sich daher nicht, da dessen Recht von der Adoption unberührt bleibt.