Schonvermögen im Rahmen des Elternunterhalts; selbst genutzte Immobilie; angemessener Wohnbedarf
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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 172979
letzte Aktualisierung: 25. September 2020
Schonvermögen im Rahmen des Elternunterhalts; selbst genutzte Immobilie;
angemessener Wohnbedarf
I. Sachverhalt
Die Beteiligte hat eine 89-jährige Mutter, zu der seit Jahrzehnten kein Kontakt mehr besteht.
Nun ist die Mutter ins Pflegeheim gekommen und die Beteiligte ist sich sicher, dass ihre Mutter
nicht in der Lage sein wird, auf Dauer alleine für diese Kosten aufzukommen. Bisher ist das
Sozialamt jedoch noch nicht an sie herangetreten. Die Beteiligte möchte das ihr gehörende
Reihenhaus vor dem Zugriff des Staates schützen. Da sie es alleine bewohnt und es eine
Wohnfläche von rund 150 m² hat, stellt sich zunächst die Frage, ob es den angemessenen
Wohnbedarf übersteigt. Notfalls möchte sie das Haus unter Nießbrauchsvorbehalt auf ihren
volljährigen Sohn überschreiben, der jedoch nicht vorhat, mit seiner Familie in das Haus
einzuziehen. Schließlich hat die Beteiligte aus dem Verkauf einer kleineren Wohnung noch ein
verbliebendes Sparvermögen i. H. v. rund 30.000,00 €, von dem sie wissen möchte, ob es dem
staatlichen Zugriff unterliegt.
II. Fragen
1. Ist im Rahmen des Elternunterhaltes das von der Tochter allein eigengenutzte Einfamilienhaus
Schonvermögen, wenn es eine Wohnfläche von rund 150 m² hat?
2. Wenn die unterhaltspflichtige Tochter das Haus vor Inanspruchnahme durch das Sozialamt
auf ihren volljährigen Sohn unter Nießbrauchsvorbehalt überträgt, könnte das Sozialamt
diese Schenkung anfechten und dennoch Rückgriff auf das Haus nehmen?
3. Wie hoch ist derzeit der Freibetrag für den Unterhaltspflichtigen im Rahmen des Elternunterhaltes,
wenn er eine eigengenutzte Immobilie besitzt und diese ggfs. als Schonvermögen
anzusehen wäre?
III. Zur Rechtslage
1. Einsatzgrenzen hinsichtlich Vermögensverwertung beim Elternunterhalt; speziell:
selbstgenutzte Immobilie des Kindes
Im Rahmen des Elternunterhaltes ist von der Grundregel auszugehen, dass unterhaltspflichtige
Kinder zur Befriedigung von Unterhaltsansprüchen der Eltern
prinzipiell auch den Stamm ihres Vermögens einsetzen müssen, zumal – wie
allgemein im Verwandtenunterhalt – keine gesetzliche Billigkeitsgrenze für den Einsatz wie
beim Geschiedenenunterhalt (
1554 Rn. 24; BGH
Unterhaltsrecht in der familienrechtlichen Praxis, 10. Aufl. 2019, Rn. 998).
Abweichend von dieser Grundregel hat die Rechtsprechung jedoch im Rahmen des Elternunterhaltes
Einsatzgrenzen für die Verwertungsobliegenheit von Vermögen
herausgearbeitet. Hierbei sind nach der Rechtsprechung des BGH (
Erg. ebenso OLG Düsseldorf
- die selbst genutzte Immobilie des Unterhaltspflichtigen,
- sein Altersvorsorgevermögen (sonstiges Vermögen) und
- der sog. „Notgroschen“ (instruktiver Überblick bei Seiler, in: Gerhardt/v. Heintschel-
Heinegg/Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 11. Aufl. 2018, Kap. 6 Rn.
479 ff.; Heiß/Born, Unterhaltsrecht, Std.: Januar 2018, 1. Teil, 3. Kap. Rn. 488a ff.
(Stichwort: „Schonvermögen“)).
Zur selbstgenutzten Immobilie hat der BGH allgemein ausgeführt (BGH FamRZ 2013,
1554, 1557): Der Wert einer selbstgenutzten Immobilie bleibe bei der Bemessung des Altersvorsorgevermögens
eines auf Elternunterhalt in Anspruch genommen Unterhaltspflichtigen
grundsätzlich unberücksichtigt, soweit es sich um ein angemessenes
Wohneigentum handele. Selbstgenutztes Immobilieneigentum habe zwar im Rahmen der
Vermögensbewertung nicht insgesamt unberücksichtigt zu bleiben. Es bestehe aber
jedenfalls dann keine Verwertungspflicht, wenn es sich um den jeweiligen Verhältnissen
angemessenes Wohneigentum handele. Denn der Unterhaltspflichtige brauche bei der
Inanspruchnahme auf Elternunterhalt keine spürbare und dauerhafte Senkung seines
berufs- und einkommenstypischen Unterhaltsniveaus hinzunehmen. In die Beurteilung sei
zwar einzubeziehen, dass der Unterhaltspflichtige im Alter keine Mietkosten zu bestreiten
habe, und seinen Lebensstandard dann mit geringeren Einkünften aus Einkommen und
Vermögen sichern könne. Soweit weiteres Vermögen der zusätzlichen Altersvorsorge
dienen solle, träte der Verwendungszweck aber erst mit Beginn des Rentenbezuges ein.
Obwohl die Grenzziehung hinsichtlich eines in diesem Sinne „angemessenen“ Wohneigentums
entscheidend von seiner Wohnfläche abhängt, sind hierzu nur wenig konkrete Äußerungen
in der Rechtsprechung ausfindig zu machen. Ein unlängst ergangener Beschluss des
BGH (XII ZB 364/18 =
Personen – einem Ehepaar – zur Verfügung stand, im unterhaltsrechtlichen Sinne als
Schonvermögen angesehen. Klar äußert sich zur Angemessenheit eines Hausgrundstückes
i. S. d. sozialrechtlichen Verwertungsgrenzen (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII) nach unseren Recherchen
vor allem das OLG Celle (
Unterhaltsrecht, Stand: Januar 2018, 1. Teil 3. Kapitel Rn 488a): Sozialhilferechtliches
Schonvermögen lag bei einem Familienheim, das zur Unterbringung von vier Personen
bestimmt war, demnach nach Ansicht des OLG Celle bei ca. 130 m2. Bei einer geringeren
Personenzahl war eine Reduzierung um jeweils 20 m2 pro Person vorzunehmen (so bereits
OVG Lüneburg
Wohnraumförderung in Niedersachsen vom 27.6.2003 sollen für einen Haushalt von drei
bis fünf Personen Wohnflächen bis zu 130 m2 noch als angemessen gelten (OLG Celle
wir leider nicht ausfindig machen können.
Insgesamt deutet die genannte, konkret werdende Stellungnahme aber darauf hin, dass ggf.
lediglich eine Wohnfläche von ca. 70 m2 für eine Einzelperson noch als Schonvermögen
im sozialrechtlichen Sinne angesehen werden könnte. Explizit abweichende Stellungnahmen
zur Bestimmung der familienrechtlichen (unterhaltsrechtlichen) Schonvermögensgrenze
sind nicht zu unserer Kenntnis gelangt. Andererseits dürften die Vermögensverhältnisse der
Beteiligten in ihrer Gesamtheit in den Blick zu nehmen sein. Wie bereits ausgeführt, steht
beim Elternunterhalt auch das Altersvorsorgevermögen (sonstiges Vermögen) sowie der
sog. Notgroschen dem Verpflichteten als Schonvermögen unter Ausschluss des Zugriffs
von Unterhaltsgläubigern zu.
Der „Notgroschen“ wird dem Unterhaltspflichtigen zur Absicherung und Befriedigung
unerwarteten Bedarfs aufgrund unvorhergesehener Wechselfälle des Lebens zugestanden.
Die hierfür genannten Beträge sind eher bescheiden und bewegen sich zwischen 10.000 €
und 26.000 € (BGH
Heinegg/Klein, Kap. 6 Rn. 485).
Jenseits des „Notgroschens“ ist darüber hinaus die weitere Vermögensreserve
(Altersvorsorgevermögen) von Interesse, die dem Unterhaltspflichtigen insbes. auch zur
Absicherung seiner eigenen Altersvorsorge verbleiben darf. Der deutsche Verein für
öffentliche und private Fürsorge hat es im Jahre 2005, falls der Pflichtige beim
Elternunterhalt über kein selbstgenutztes Wohneigentum verfüge, für angemessen gehalten,
ihm eine Vermögensreserve von 75.000 € zuzugestehen (
darauf hat der BGH (
dass dem Unterhaltspflichtigen ein zum Aufbau einer ergänzenden Altersvorsorge
bestimmter Betrag i. H. v. annähernd 100.000 € verbliebe.
Letztlich lassen sich der vorhandenen Judikatur naturgemäß keine starren Grenzen entnehmen.
Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Persönlich scheint es uns
aber naheliegend, dass die für eine unterhaltsrechtliche Schonvermögenseigenschaft deutlich
zu großzügig bemessene Wohnfläche des Einfamilienhauses der Beteiligten (150 m2 statt ca.
70 m2) in einer Gesamtbetrachtung durch ihre ansonsten sehr bescheidenen
Vermögensreserven ausgeglichen werden könnte. Im vorliegenden Sachverhalt verfügt die
Beteiligte ansonsten nur noch über ein Sparvermögen in Höhe von 30.000 €. In einer
Gesamtbetrachtung könnte daher das von der Wohnfläche her großzügige Reihenhaus
durch die geringeren Geldreserven ausgeglichen und beides als Schonvermögen angesehen
werden. Dafür könnte auch sprechen, dass der Verkehrswert eines Reihenhauses allgemein
geringer anzusetzen sein dürfte als derjenige eines freistehenden Hauses mit gleicher
Wohnfläche. Durch Rechtsprechung abgesichert ist diese Einschätzung der hier konkret
unterbreiteten Vermögenszusammensetzung jedoch nicht. Es handelt sich daher lediglich
um eine persönliche Einschätzung durch den Linksunterzeichner.
2. Schenkungsrückforderung bei lebzeitiger Überlassung des Reihenhauses durch die
Tochter
Unter dem Gesichtspunkt eines überleitbaren Rückforderungsanspruches nach § 528
Abs. 1 BGB (§ 93 SGB XII) hat sich mit einer ähnlichen Sachverhaltskonstellation jüngst
der BGH beschäftigt (BGH
2019, 1439 ff.). Es ging ebenfalls um eine unter Nießbrauchsvorbehalt überlassene
Immobilie. Der BGH führte hierzu aus: Dem Gesetzeszweck, die Erfüllung bestehender
Unterhaltspflichten durch die Rückforderung nach
können diese nur dienen, wenn durch die Rückgewähr des geschenkten
Vermögensgegenstandes die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit hergestellt oder
gesteigert werden würde. Dies setze aber grundsätzlich voraus, dass der Unterhaltspflichtige
aus dem verschenkten Gegenstand entweder (weitere) unterhaltsrelevante Erträge ziehen
könnte, oder ihn insoweit eine unterhaltsrechtliche Verwertungsobliegenheit treffen würde.
Ergäbe sich aus der Rückgewähr dagegen keine Verbesserung der unterhaltsrechtlichen
Leistungsfähigkeit des Schenkers, könnte ein Rückforderungsanspruch seinen Zweck nicht
erfüllen und scheidet daher aus (BGH
ebenfalls die Rückforderung der Schenkung einer Immobilie durch einen zum
Elternunterhalt Verpflichteten wegen Nichterfüllung seiner gesetzlichen
Unterhaltspflichten gem.
Wieder anders stellt sich nach der Rechtsprechung des BGH (
die Rechtslage dar, wenn es um die Rückforderung nach
zur Sicherung des eigenen angemessenen Unterhaltsbedarfs des Schenkers geht. Für
diesen steht der zurückgeforderte Vermögensgegenstand stets zur Verfügung, auch wenn er
auf Seiten des Schenkers sozialhilferechtliches Schonvermögen darstellt. Deswegen wird in
diesem Fall der Rückforderungsanspruch wegen Verarmung des Schenkers nicht dadurch
gehindert, dass das Geschenk, wenn es beim Schenker verblieben wäre, zu dessen
Schonvermögen gehört hätte (so ausdrücklich differenzierend: BGH
18 in Abgrenzung zu BGH
Bei der hier gegebenen Konstellation der Rückforderung zwecks Befriedigung von Elternunterhalt
wird man nach u. E. deswegen ebenfalls annehmen können, dass sich die
unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit der Tochter durch diese Rückforderung
nicht erhöht und
vorgeschlagenen Gesamtbetrachtung folgt. In diesem Fall kann die Rückforderung auch
nicht mit dem Ziel einer Beleihung der Immobilie mit Hilfe eines zinslosen und erst im
Todesfall durch die Erben der Unterhaltspflichtigen rückzahlbaren Darlehens des
Sozialhilfeträgers verlangt werden (hierzu BGH
2013, 1022 Rn. 15 ff.). Denn nimmt man an, dass die Immobilie als Schonvermögen nicht
einsetzbar ist, so dass sie auch nicht über diesen Kunstgriff der Beleihung für den
Elternunterhalt einsetzbar gemacht werden. Würde sich ein unabhängiges Gericht für die
hier gegebene spezielle Vermögenszusammensetzung dagegen der vorgeschlagenen
Gesamtbetrachtung nicht anschließen, so müsste andernfalls u. E. damit gerechnet werden,
dass der Sozialhilfeträger die Rückforderung mit dem Ziel einer Beleihung der
Immobilie verlangen könnte.
3. Altersvorsorgevermögen und Notgroschen des Pflichtigen beim Elternunterhalt
Der sonstige Vermögensfreibetrag beim Elternunterhalt setzt sich – wie eingangs bereits
ausgeführt – aus dem sonstigen Vermögen (Altersvorsorgevermögen) sowie dem sog.
Notgroschen zusammen. Als Altersvorsorgevermögen ist einmal (BGH FamRZ 2006,
1511, 1516) ein Betrag von annähernd 100.000 € unbeanstandet geblieben. Die Beträge für
den Notgroschen bewegen sich im Bereich bis 26.000 €. Das Sparvermögen der Beteiligten
i. H. v. 30.000 € hält sich deutlich unterhalb dieser Gesamtsumme und wird deshalb nach
u. E. nicht einsetzbar sein.
4. Bedeutung der sozialhilferechtlichen Rückgriffssperre nach § 94 Abs. 1a SGB XII
Sollte der Sozialhilfeträger für einen Unterhaltsbedarf der Mutter zunächst einmal in
Vorlage treten, dann würde die Frage des sozialhilferechtlichen Rückgriffs auf die
Tochter mittels des auf den Sozialhilfeträger nach Maßgabe des § 94 SGB XII
übergegangenen Unterhaltsanspruch relevant. Hier wäre die seit dem 1.1.2020 auf alle
Leistungen nach dem SGB XII ausgedehnte Rückgriffssperre des § 94 Abs. 1a SGB XII
zu beachten (dazu etwa Doering-Striening, ZErb 2020, 161 ff., 203 ff.; Schramm, NJWSpezial
2020, 452 f; Hauß,
Strategien, 6. Aufl. 2020, Rn. 26 ff.). Die zuvor referierten allgemeinen Maßstäbe zum
bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch eines Elternteils gegen das Kind nach §§ 1601 ff.
BGB, insbesondere zum Schonvermögen, bleiben durch diese Rückgriffssperre zwar
unverändert (s. nur Doering-Striening, ZErb 2020, 161; Hauß,
Anspruchsübergang nach § 94 SGB XII auf den Sozialhilfeträger erfolgt gleichwohl nur,
wenn das jährliche Gesamteinkommen des betreffenden Kindes i. S. v. § 16 Abs. 8 SGB IV
mehr als 100.000 € beträgt (§ 94 Abs. 1a SGB XII). Dies hat der Rückgriffsgläubiger zu
beweisen, da das Gegenteil gesetzlich vermutet wird (§ 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII).
Überschreitet das betreffende Einkommen der Tochter die genannte Grenze nicht
nachweislich, wäre also ein Rückgriff des Sozialhilfeträgers gesperrt. Dies würde unabhängig
davon gelten, dass die Immobilie der Tochter – jedenfalls für sich alleine betrachtet –
flächenmäßig die Schonvermögensgrenze nach dem familienrechtlichen Unterhaltsrecht
überschreitet, da die Jahreseinkommensgrenze allein auf das Einkommen des
Unterhaltspflichtigen abstellt, nicht auf dessen Vermögen. Eine fehlende
Schonvermögenseigenschaft wird für den Rückgriff erst dann wieder relevant, wenn die
Jahreseinkommensgrenze überschritten ist (ausdrücklich Hauß,
172979
Erscheinungsdatum:25.09.2020
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:Kindes- und Verwandtenunterhalt
Normen in Titel:BGB § 1601