01. Juni 2012
KSÜ Art. 16

Brasilien: Gesetzliche Vertretung eines minderjährigen Kindes mit Wohnsitz in Brasilien; Erfordernis gerichtlicher Genehmigung

Brasilien: Gesetzliche Vertretung eines minderjährigen Kindes mit Wohnsitz in Brasilien; Erfordernis gerichtlicher Genehmigung - KSÜ Art. 16

I. Sachverhalt

Im Wohnungsgrundbuch ist als Eigentümer eine Erbengemeinschaft aus vier Personen eingetragen. Ein Mitglied dieser Erbengemeinschaft ist minderjährig (geb. 1997) und wohnt in Brasilien. Die Staatsangehörigkeit des Minderjährigen ist derzeit nicht bekannt.
Das im Eigentum der Erbengemeinschaft stehende Wohnungseigentum soll nunmehr veräußert werden. Dabei wird der Minderjährige von seiner Mutter vertreten, die die brasilianische Staatsangehörigkeit besitzt und mit dem Kind in Brasilien lebt. Der Vater des Minderjährigen ist verstorben. Die Mutter ist nicht Mitglied der Erbengemeinschaft.

II. Frage

1. Welches Recht gilt für die gesetzliche Vertretung des Minderjährigen und das Erfordernis einer familiengerichtlichen Genehmigung?
2. Wer ist gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Kindes nach dem ggf. anzuwendenden brasilianischen Recht? Bedarf das Rechtsgeschäft nach brasilianischem Recht der familiengerichtlichen Genehmigung?
3. Welches Familiengericht ist ggf. zur Erteilung der Genehmigung zuständig?

III. Rechtslage

1. Anwendbares Recht

Welches Recht auf die Vertretungsmacht der Eltern bzw. das Erfordernis einer gerichtlichen oder behördlichen Genehmigung anwendbar ist, bestimmt sich nach dem autonomen deutschen Recht gem. Art. 21 EGBGB, der das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern regelt. Allerdings gilt in Deutschland seit dem 1.1.2010 das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 (Kinderschutzübereinkommen, kurz: KSÜ; vgl. hierzu das deutsche Ratifikationsgesetz in BGBl. 2009 II, S. 602). Als Staatsvertrag geht das KSÜ den Vorschriften des autonomen deutschen Kollisionsrechts im Rahmen seines Anwendungsbereichs vor (vgl. Art. 3 Nr. 2 EGBGB). Im Vergleich zum bisher geltenden Minderjährigenschutzabkommen (MSA) hat das KSÜ einen erheblich weiteren Anwendungsbereich. Dieser erfasst sowohl Fragen der gesetzlichen Vertretung Minderjähriger und des Ausschlusses der elterlichen Vertretungsmacht (Art. 3 lit. d KSÜ) als auch die Frage der Notwendigkeit einer gerichtlichen Genehmigung des Vertreterhandelns (Art. 3 lit. g KSÜ; vgl. auch Krah, Das Haager Kinderschutzübereinkommen, 2003, S. 51 ff.; Staudinger/Pirrung, BGB, Neubearb. 2009, Vor Art. 19 EGBGB Rn. G 26 ff.; Palandt/Thorn, BGB, 71. Aufl. 2012, Anh. Art. 24 EGBGB Rn. 11). Das KSÜ verdrängt insoweit also Art. 21 EGBGB. Unerheblich ist dabei, dass Brasilien nicht Vertragsstaat des KSÜ ist, da nach Art. 20 KSÜ die Bestimmungen des KSÜ über das anwendbare Recht auch gegenüber Nichtvertragsstaaten gelten (vgl. auch Staudinger/Pirrung, Vor Art. 19 EGBGB, Rn. G 106, 118). Ebenso wenig kommt es darauf an, welche Staatsangehörigkeit der Minderjährige besitzt.
Nach Art. 17 KSÜ ist auf die Frage der gesetzlichen Vertretung das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes anzuwenden, konkret also das brasilianische Recht. Zwar werden im Rahmen des KSÜ grundsätzlich Sachnormverweisungen ausgesprochen (vgl. Art. 21 Abs. 1 KSÜ), sodass eine Rück- oder Weiterverweisung ausscheidet; wird allerdings – wie vorliegend – das Recht eines Nichtvertragsstaates berufen, ist gem. Art. 21 Abs. 2 KSÜ ein renvoi ausnahmsweise dann zu beachten, wenn das Kollisionsrecht dieses Nichtvertragsstaates auf das Recht eines anderen Nichtvertragsstaates verweist und dieses die Verweisung annimmt (Staudinger/Pirrung, Vor Art. 19 EGBGB, Rn. G 120). Das Internationale Privatrecht Brasiliens ist im Einführungsgesetz zum Código Civil (L.I. 1943) geregelt. Hiernach unterliegen die Eltern-Kind-Beziehungen dem jeweiligen Wohnsitzrecht der Eltern (Weishaupt, in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderbericht Brasilien, Stand: 30.4.2008, S. 17). Da vorliegend die Mutter mit ihrem Kind in Brasilien lebt, nimmt das brasilianische Kollisionsrecht die Verweisung an.

2. Gesetzliche Vertretung des minderjährigen Kindes und Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung nach brasilianischem Recht

Nach Art. 1630 bras. Código Civil (CC) unterstehen Kinder, solange sie minderjährig sind, dem elterlichen Sorgerecht. Dieses wird regelmäßig von beiden Elternteilen gemeinsam ausgeübt, bei Fehlen oder Verhinderung eines Elternteils jedoch von dem anderen allein (Art. 1631 CC). Da vorliegend der leibliche Vater der Kinder bereits verstorben ist, übt die Mutter die elterliche Sorge allein aus. Im Rahmen der elterlichen Sorge ist es Aufgabe der Eltern bzw. des allein sorgeberechtigten Elternteils, die Kinder bei zivilrechtlichen Handlungen bis zur Erreichung des 16. Lebensjahres zu vertreten und ihnen danach bei Rechtshandlungen, an denen sie beteiligt sind, behilflich zu sein und an ihrer Stelle einzuwilligen (Art. 1634 Ziff. 5 CC). Die Verwaltung des Kindesvermögens ist in Art. 1689 ff. CC geregelt: Nach Art. 1691 CC dürfen die Eltern bzw. der allein vertretungsberechtigte Elternteil Immobilien der Kinder weder veräußern noch dinglich belasten und auch nicht im Namen der Kinder Verträge abschließen, welche die Grenzen der normalen Verwaltung überschreiten, es sei denn bei Notwendigkeit oder eindeutigem Interesse der Kinder. Stets erforderlich ist insoweit eine vorherige richterliche Erlaubnis.
Auch vorliegend bedarf daher die Veräußerung durch die Mutter als gesetzliche Vertreterin der richterlichen Erlaubnis. Zu beachten ist weiterhin, dass nach Art. 1693 Ziff. 4 CC die Mutter von der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossen ist, wenn sie hinsichtlich des in Deutschland belegenen Grundbesitzes von der Erbfolge ausgeschlossen wurde.

3. Zuständiges Gericht

Im Bereich der EU richtet sich die internationale Zuständigkeit für Entscheidungen über die elterliche Verantwortung seit dem 1.3.2005 nach der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel-IIa-Verordnung). Nach Art. 8 der Brüssel-IIa-Verordnung bestimmt sich die internationale Zuständigkeit für Verfahren, die die elterliche Verantwortung betreffen, grundsätzlich und mit einzigem Anknüpfungspunkt nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in einem Mitgliedsstaat.
Vorliegend hat das Kind allerdings seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Brasilien, sodass sich aus der Brüssel-IIa-Verordnung keine Zuständigkeit eines EU-Mitgliedsstaates ergibt. Da Brasilien auch kein Vertragsstaat des KSÜ ist (zu den Vertragsstaaten des KSÜ vgl. www.bundesjustizamt.de) und die Zuständigkeitsbestimmungen des KSÜ daher hier ebenfalls nicht einschlägig sind, ist die internationale Zuständigkeit nach den autonomen deutschen Verfahrensregeln zu bestimmen. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Familiengerichte für Kindschaftssachen (zur Definition vgl. § 151 FamFG) ist in § 99 FamFG geregelt. Nach § 99 Abs. 1 S. 2 FamFG sind die deutschen Gerichte zuständig, wenn das Kind der Fürsorge durch ein deutsches Gericht bedarf. Diese Fürsorgebedürfniszuständigkeit wird jedenfalls dann bejaht, wenn der Schutzbedürftige sich im Inland aufhält oder dort – wie im vorliegenden Fall – Vermögen belegen ist (Keidel/Engelhardt, FamFG, 17. Aufl. 2011, § 99 Rn. 33). Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist daher gegeben.
Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 152 Abs. 3 FamFG. Danach ist – sofern nicht die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts nach § 152 Abs. 1 u. 2 FamFG besteht – das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Bedürfnis der Fürsorge bekannt wird.
Daneben besteht weiterhin die Möglichkeit, die richterliche Erlaubnis in Brasilien einzuholen. Zur Verwendung in Deutschland müsste diese von der zuständigen deutschen Auslandsvertretung in Brasilien legalisiert werden, § 438 Abs. 2 ZPO.

Gutachten/Abruf-Nr:

118430

Erscheinungsdatum:

01.06.2012

Rechtsbezug

International

Erschienen in:

DNotI-Report 2012, 87-88

Normen in Titel:

KSÜ Art. 16