14. Februar 2019
VwVfG § 48; BauGB § 28 Abs. 1; VwVfG § 49

Möglichkeit zur nachträglichen Aufhebung eines Negativattests

BauGB § 28 Abs. 1 S. 2 u. 4; VwVfG §§ 48, 49
Möglichkeit zur nachträglichen Aufhebung eines Negativattests

I. Sachverhalt
Die zuständige Gemeinde hat das Negativattest zu einem Grundstückskaufvertrag erteilt. Nunmehr soll der Vertrag vollzogen werden. Allerdings hat es sich die Gemeinde mittlerweile anders überlegt und möchte ihr Vorkaufsrecht nun doch ausüben.

II. Frage
Kann die Gemeinde das Negativattest aufheben oder ist sie daran gebunden?

III. Zur Rechtslage
1. Möglichkeit der Aufhebung nach §§ 48, 49 VwVfG
Dem Negativattest kommt die Verzichtswirkung des § 28 Abs. 1 S. 4 BauGB zu. Diese Wirkung könnte einer Aufhebung entgegenstehen.

a) Meinungsstand
Die baurechtliche Literatur hält es aus Gründen der Rechtssicherheit nicht für möglich, ein von der Gemeinde einmal ausgestelltes Negativattest später zu widerrufen bzw. zurückzunehmen. Grziwotz (BeckOK-BauGB, Std.: 1.11.2018, § 28 Rn. 9) etwa führt aus, dass eine Aufhebung wegen der privatrechtsgestaltenden Wirkung des Negativattests ausgeschlossen sei. Dies dürfte der herrschenden Literaturmeinung entsprechen (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Std.: EL 8/2018, § 28 Rn. 18a; Brügelmann/Kronisch, BauGB, Std.: EL 1/2017, § 28 Rn. 62). Auch das VG Schwerin (BeckRS 2013, 199651) hat sich ihr in einer Entscheidung aus dem Jahr 2013 angeschlossen.

Aus der verwaltungsverfahrensrechtlichen Rechtsprechung und Literatur geht hingegen hervor, dass auch privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte nicht per se unaufhebbar sind (BVerwG NJW 1978, 338, 339; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 48 Rn. 39 und § 49 Rn. 18a; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 48 Rn. 92; Steiner, DVBl. 1970, 34, 38; Zacharias, NVwZ 2002, 1306). Das BVerwG (NJW 1978, 338, 339) führt aus, dass allein eine Abwägung der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen im Einzelfall eine Entscheidung über die Aufhebung des jeweils in Rede stehenden Verwaltungsakts erlaube. Eine pauschale Bevorzugung privater Interessen des Verwaltungsaktsadressaten vor ggf. gewichtigen öffentlichen Interessen sei nicht sachgerecht. Konkret zur Aufhebung eines Negativattests lassen sich jedoch – soweit ersichtlich – keine Stimmen ausmachen.

b) Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG
Hält man die Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG grundsätzlich für anwendbar, so würde die Aufhebung gem. § 43 Abs. 2 VwVfG zur Unwirksamkeit des Negativattests führen. Fraglich ist allerdings, ob die Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG überhaupt gegeben sind:

(1) Zunächst müsste das Negativattest Verwaltungsakt sein. Davon kann man ohne Weiteres ausgehen.

(2) Weiter kommt es insbesondere darauf an, ob der aufzuhebende Bescheid begünstigend oder belastend für den Betroffenen ist. Die Erteilung eines Negativattests gem. § 28 Abs. 1 S. 3 BauGB stellt für die Beteiligten einen begünstigenden Verwaltungsakt dar, da darin gem. § 28 Abs. 1 S. 4 BauGB zugleich der Verzicht auf die Ausübung des Vorkaufsrechts enthalten ist und das Negativattest gem. § 28 Abs. 1 S. 2 BauGB Voraussetzung für die Eigentumsumschreibung auf den Erwerber ist. Eine Rücknahme wäre folglich an § 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 2-4 VwVfG zu messen, ein Widerruf insbesondere an § 49 Abs. 2 VwVfG.

(3) Schließlich ist maßgeblich, ob das erteilte Negativattest rechtmäßig (dann Widerruf nach § 49 VwVfG) oder rechtswidrig ist (dann Rücknahme nach § 48 VwVfG). Nach § 28 Abs. 1 S. 3 BauGB ist die Gemeinde verpflichtet („hat“), ein Negativattest auszustellen, wenn ein Vorkaufsrecht nicht besteht oder nicht ausgeübt wird. Im zweiten Fall geht der Erteilung zwar eine Ermessensentscheidung der Gemeinde über die Ausübung des Vorkaufsrechts voraus. Voraussetzung ist allerdings, dass überhaupt ein solches Vorkaufsrecht besteht. Dies richtet sich nach den §§ 24 ff. BauGB, insbesondere nach § 24 Abs. 1 BauGB. Ob die Voraussetzungen eines Vorkaufsrechts gegeben sind, vermögen wir im konkreten Fall mangels näherer Sachverhaltsangaben nicht zu prüfen. Im Regelfall wird es sich um einen rechtmäßigen Verwaltungsakt handeln, weil die Gemeinde trotz bestehenden Vorkaufsrechts rechtmäßigerweise auf dessen Ausübung verzichten kann.

Aber auch wenn der Gemeinde im konkreten Fall überhaupt kein Vorkaufsrecht zugestanden hätte, wäre das Negativattest rechtmäßig erteilt worden.

c) Stellungnahme
aa) Ausgangspunkt
Entscheidender dogmatischer Ausgangspunkt der baurechtlichen Literatur ist die Einordnung des Negativattests als privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt. Zusätzlich könnte man gegen die Aufhebbarkeit des Negativattests anführen, dass es gem. § 28 Abs. 1 S. 4 BauGB wie ein Verzicht wirkt. Ein Verzicht ist zumindest nach dem Schuldrecht nur im Vertragswege möglich (BeckOGK-BGB/Paffenholz, Std.: 15.11.2018, § 397 Rn. 6, 21), sodass es vorliegend der Zustimmung des Verzichtsempfängers bedürfte, um die Wirkung des Negativattests zu beenden. Schließlich könnte man einwenden, dass auch ein Verzicht nach § 28 Abs. 5 BauGB nur für die Zukunft möglich ist (BeckOK-BauGB/Grziwotz, § 28 Rn. 19) und dies a maiore ad minus erst recht für den Einzelverzicht gelten muss.

bb) Privatrechtsgestaltender Charakter    
Namentlich in der Vergangenheit wurde angenommen, dass auf privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte die §§ 48, 49 VwVfG nicht anzuwenden sind, solche Verwaltungsakte also weder zurückgenommen noch widerrufen werden können, sobald ihre Gestaltungswirkung eingetreten ist (BVerwG, Urt. v. 28.2.1975 – IV C 77.74, Tz. 26 [juris]; Urt. v. 12.8.1977 – IV C 48.75, Tz. 23 [juris]; s. dazu auch die weiteren Nachweise bei Ramsauer, § 48 Rn. 39 und § 49 Rn. 18a). Daran hält man heute nicht mehr uneingeschränkt fest (vgl. bereits lit. a zu BVerwG NJW 1978, 338, 339; Ramsauer, § 48 Rn. 39 und § 49 Rn. 18a; Sachs, § 48 Rn. 92; Steiner, DVBl. 1970, 34, 38; Zacharias, NVwZ 2002, 1306, 1307 ff.). Anerkannt ist freilich, dass der Gestaltungswirkung besondere Bedeutung im Hinblick auf den Vertrauensschutz (§ 48 Abs. 2 VwVfG) zukommt (Zacharias, NVwZ 2002, 1306, 1307; Ramsauer, § 48 Rn. 39). Der Vertrauensschutz ist auch im Rahmen des § 49 VwVfG für den Fall des Widerrufs zu berücksichtigen (Ramsauer, § 49 Rn. 18a; Zacharias, NVwZ 2002, 1306, 1307 ff.). Die bloße Argumentation mit der privatrechtsgestaltenden Wirkung des Verwaltungsakts greift dennoch zu kurz.

cc) Einseitiger Verzicht
Auch ist im öffentlichen Recht ebenso wie im Sachen- und Zivilprozessrecht und anders als im Schuldrecht ein einseitiger Verzicht möglich (BeckOGK-BGB/Paffenholz, § 397 Rn. 22 f.). Aus der Einseitigkeit lässt sich mithin kein Argument gegen die Aufhebung herleiten.

dd) Arg. e § 28 Abs. 5 S. 2 BauGB
Jedoch kann man u. E. aus § 28 Abs. 5 S. 2 BauGB schließen, dass der Widerruf oder die Rücknahme eines Negativattests mit Blick auf einen bereits abgeschlossenen Kaufvertrag von vornherein ausgeschlossen ist. § 28 Abs. 5 BauGB dürfte insoweit als lex specialis fungieren. Nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 5 S. 2 BauGB kann die Gemeinde den Verzicht nur für künftig abzuschließende Verträge widerrufen. Die sich daraus ergebende Wertung wird man auf den Verzicht bzgl. eines konkreten Kaufvertrags übertragen müssen, sodass er bzgl. eines bereits abgeschlossenen Kaufvertrags unwiderruflich wäre.
    
Zum einen kann es formal keinen Unterschied machen, ob die Gemeinde die Handlungsform der Allgemeinverfügung i. S. d. § 28 Abs. 5 BauGB oder – wie vorliegend – einen konkret-individuellen Verwaltungsakt wählt. In beiden Fällen werden durch einen Rechtsakt die Verzichtswirkung und das diesbezügliche Vertrauen bei den Adressaten begründet. Zum anderen ist derjenige, dessen Vertrag von einem konkreten Verzicht betroffen ist, noch schutzwürdiger als die von der Allgemeinverfügung betroffenen Adressaten. Denn die Gemeinde konnte sich die konkreten Vertragskonditionen ansehen – und sie hat dennoch ein Negativattest ausgestellt. Dies begründet einen konkreten Vertrauenstatbestand, während im Rahmen der Allgemeinverfügung ohne Ansehung konkreter Verträge oder Grundstücke ein Verzicht erklärt wird und lediglich abstraktes Vertrauen entsteht. Erfasst bereits der Verzicht durch Allgemeinverfügung wegen des abstrakten Vertrauens nur zukünftig abzuschließende Verträge, so muss dies erst recht für einen konkreten Verzicht bzgl. eines bereits abgeschlossenen und lediglich nicht wirksamen Vertrags gelten. Ein Widerruf des Negativattests ist daher bei systematisch-teleologischer Betrachtung des § 28 Abs. 5 BauGB nicht möglich.

ee) Ermessensausübung
Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Meinung die Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG gegeben sähe, dürfte eine Aufhebung im Regelfall nicht ermessensgerecht sein.

Im Rahmen des Ermessens kann es zum einen darauf ankommen, ob auf Grundlage des Negativattests schon ein Grundbuchvollzug stattgefunden hat oder nicht. Insbesondere wird man aber bedenken müssen, dass mit der Aufhebung zumindest nicht unmittelbar der Schutz privater Dritter, sondern der Gemeinde selbst bezweckt ist. Das BVerwG deutet an, dass die Frage der Aufhebbarkeit eines privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakts unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen des Begünstigten und von Dritten zu beantworten ist (NJW 1978, 338, 339). Nach der Interessenlage dürfte daher der Vertrauensschutz der Vertragsbeteiligten höher zu gewichten sein als das Interesse der sich ihres Vorkaufsrechts begebenden Gemeinde. Damit wäre eine Aufhebung im Regelfall nicht ermessensgerecht.

2. Ergebnis
Hinsichtlich der Aufhebungsmöglichkeit ist u. E. im Ergebnis dem VG Schwerin und der baurechtlichen Literatur zu folgen, nicht aber in der Begründung. Als Begründung lässt sich anführen, dass bei systematisch-teleologischer Betrachtung des § 28 Abs. 5 BauGB ein Widerruf des Verzichts nur zukünftig abzuschließende Verträge erfassen darf. Zudem dürfte selbst bei Anwendbarkeit der §§ 48, 49 VwVfG im Rahmen der Ermessensausübung das Interesse der am Erstkaufvertrag Beteiligten regelmäßig höher zu gewichten sein als das Interesse der sich ihres Vorkaufsrechts begebenden Gemeinde.

Gutachten/Abruf-Nr:

164895

Erscheinungsdatum:

14.02.2019

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Öffentliches Baurecht

Erschienen in:

DNotI-Report 2019, 21-23

Normen in Titel:

VwVfG § 48; BauGB § 28 Abs. 1; VwVfG § 49