Stimmrechtslose Geschäftsanteile, Mehrstimmrecht, Abspaltungsverbot - GmbHG §§ 47, 53
I. Sachverhalt
Es besteht eine GmbH mit einem Stammkapital von DM 50.000,--. In der Satzung ist geregelt, daß pro DM 1.000,-- des Stammkapitals jedem Gesellschafter eine Stimme zusteht. Diese Stimmrechtsregelung soll wie folgt geändert werden: Die Anteile des Gesellschafters A, der zwei Geschäftsanteile zu DM 10.000.-- und DM 2.000,-- besitzt, sollen stimmrechtslos gestellt werden. Der Geschäftsanteil des Gesellschafters B zu DM 4.000,-- soll vierfache Stimmrechtskraft erhalten.
II. Frage
Ist eine derartige Stimmrechtsgestaltung in der Satzung zulässig?
Kann das gewünschte Ergebnis auch durch eine vertragliche "Stimmrechtsübertragung" zwischen A und B erreicht werden?
III. Rechtslage
Zu Frage 1: Stimmrechtsausschluß und Mehrstimmrecht
1. Geschäftsanteile des Gesellschafters A
Aufgrund der das GmbH-Recht beherrschenden Satzungsautonomie ist es nach h. M. zulässig, Geschäftsanteile ohne Stimmrecht zu bilden (Hachenburg/Hüffer, GmbHG, 8. Aufl. 1991, § 47 Rn. 56; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 8. Aufl. 1995, § 47 Rn. 11). Der Ausschluß vom Stimmrecht kann für bestimmte Beschlüsse oder alle Beschlüsse vorgesehen werden (Scholz/K. Schmidt, a.a.O.). Der Stimmrechtsausschluß kann bereits in der Gründungssatzung enthalten sein (Hachenburg/Hüffer, a.a.O., § 47 Rn. 56). Soll der Stimmrechtsausschluß erst nachträglich eingeführt werden, so bedarf es hierzu einer Satzungsänderung (Hachenburg/Hüffer, a.a.O.). Die Satzungsänderung kann nur mit der in § 53 Abs. 2 GmbHG vorgesehenen Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden und bedarf der Zustimmung des vom Stimmrechtsausschluß betroffenen Gesellschafters (Hachenburg/Hüffer, a.a.O.; Scholz/Winter,
GmbHG, 8. Aufl. 1993, § 14 Rn. 37; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl. 1991, § 53 Rn. 59).
Grenzen für die Zulässigkeit eines solchen Stimmrechtsausschlusses werden jedenfalls für die personalistische GmbH, d. h. die auf einen kleineren und beständigen Gesellschafterkreis zugeschnittene GmbH, tendenziell nicht aufgestellt. Allerdings vertreten Lutter/Hommelhoff (GmbHG, 14. Aufl. 1995, § 47 Rn. 4) die Auffassung, daß die Bildung von Mehrstimmrechts-Anteilen nicht dazu führen dürfe, der Gesellschafterminderheit das Entscheidungsübergewicht über die Gesellschaftermehrheit zu geben. Für die Erzielung eines Stimmenübergewichts sind u. E. ein Stimmrechtsausschluß beim Mehrheitsgesellschafter und ein Mehrstimmrecht beim Minderheitsgesellschafter jedoch austauschbar, so daß in der Konsequenz der von Lutter/Hommelhoff vertretenen Auffassung auch die Vereinbarung eines Stimmrechtsausschlusses nicht dazu führen darf, der Gesellschafterminderheit das Stimmenübergewicht über die Gesellschaftermehrheit zu geben. Allerdings begründen Lutter/Hommelhoff ihre Auffassung nicht. Nach einem Urteil des OLG Frankfurt a. M. v. 18.1.1989 (GmbHR 1990, 79, 80) steht die inhaltliche Ausgestaltung von mit Mehrstimmrechten versehenen Geschäftsanteilen "grundsätzlich im Belieben der Gesellschafter, soweit nicht zwingende Regelungen des GmbHG entgegenstehen". Deshalb hat Hüffer (Hachenburg, a.a.O., § 47 Rn. 89) keine Bedenken, wenn ein Geschäftsanteil derart mit einem Mehrstimmrecht ausgestattet wird, daß auf den Anteil dreimal soviel Stimmen entfallen, wie sich aus seiner Kapitalbeteiligung ergeben. Zwar führt Hüffer (Hachenburg, a.a.O., § 47 Rn. 56) umgekehrt zur Zulässigkeit stimmrechtsloser Geschäftsanteile aus, daß die Begründung solcher Anteile nicht schrankenlos möglich sei, weil stimmrechtslose Geschäftsanteile zu einem Souveränitätsverlust auf seiten der Kapitalgeber führten und zu einer überproportionalen Stimmrechtsmacht der Inhaber anderer, entsprechend ausgestatteter Anteile. Daß die Schranken zulässiger Gestaltung aber schon bei der Majorisierung der Kapitalmehrheit erreicht seien, folgt hieraus u. E. noch nicht. Ohnehin kann eine solche Majorisierung im Wege eines schuldrechtlichen Stimmbindungsvertrages zulässigerweise erreicht werden (vgl. Scholz/K. Schmidt, a.a.O., § 47 Rn. 39 f., 44, 47).
Nach dem mitgeteilten Sachverhalt ist A mit zwei Geschäftsanteilen im Nennbetrag von insgesamt DM 12.000,-- an der mit einem Stammkapital von DM 50.000,-- ausgestatteten GmbH beteiligt. Würden seine Anteile als stimmrechtslose Geschäftsanteile ausgestaltet werden, so wäre hiermit noch keine Majorisierung der Kapitalmehrheit verbunden. Im Ergebnis können die Geschäftsanteile des A daher u. E. zulässigerweise durch Satzungsänderung mit Zustimmung des A als stimmrechtslose Geschäftsanteile ausgestaltet werden.
2. Geschäftsanteil des Gesellschafters B
Die Satzung kann zulässigerweise mit bestimmten Geschäftsanteilen Mehrstimmrechte verbinden (OLG Frankfurt a. M. GmbHR 1990, 79, 80; BayObLG DNotZ 1986, 373, 375 f.; Scholz/K. Schmidt, a.a.O., § 47 Rn. 11). Die Einführung von Mehrstimmrechten im Wege der Satzungsänderung bedarf nach Maßgabe des Gleichheitsgrundsatzes der Zustimmung aller nicht bevorrechtigten übrigen Gesellschafter (OLG Frankfurt a. M., a.a.O.; Scholz/Winter, a.a.O., § 14 Rn. 20). Darüber hinaus wird man u. E. annehmen müssen, daß sich derjenige Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil mit einem Mehrstimmrecht verbunden werden soll, die Begünstigung nicht aufdrängen lassen muß und daher ein Vetorecht hat. Ist das Mehrstimmrecht einmal wirksam eingeräumt worden (bei Gründung der GmbH oder bei späterer Satzungsänderung), so kann es dem bevorzugten Gesellschafter analog § 35 BGB nicht mehr ohne dessen Zustimmung entzogen werden (BGH NJW-RR 1989, 542, 543; Scholz/Priester, a.a.O., § 53 Rn. 48). Nach dem mitgeteilten Sachverhalt würde B die übrigen Gesellschafter infolge seines Mehrstimmrechtes nicht majorisieren können. Seinen insgesamt 16 Stimmen würden immer noch 34 Stimmen aus insgesamt DM 34.000,-- Stammkapital gegenüberstehen, wenn die Geschäftsanteile des A kein Stimmrecht mehr gewähren. Soweit in der Literatur (Lutter/Hommelhoff, a.a.O., § 47 Rn. 4) gefordert wird, ein Mehrstimmrecht dürfe nicht zu einer Majorisierung der Kapitalmehrheit führen, betreffen diese Bedenken die vorliegende Konstellation nicht.
Zu Frage 2: "Stimmrechtsübertragung"
Nach dem mitgeteilten Sachverhalt besteht das gewünschte Ergebnis darin, dem A die bisher mit seinen Geschäftsanteilen verbundenen 12 Stimmen zu entziehen und dem B zusätzliche 12 Stimmen einzuräumen.
Dieses Ergebnis läßt sich nicht durch eine "Stimmrechts-
übertragung" von A auf B erreichen. Die Mitgliedschaft in einer GmbH unterliegt dem in § 717 S. 1 BGB normierten Abspaltungsverbot. Danach ist es nicht zulässig, aus der einheitlichen Mitgliedschaft einzelne Verwaltungsrechte wie z. B. das Stimmrecht durch von der Mitgliedschaft losgelöste Übertragung abzuspalten (BGHZ 43, 261, 267; OLG Frankfurt a. M. GmbHR 1990, 79, 81; Scholz/K. Schmidt, a.a.O., § 47 Rn. 20; Hachenburg/Hüffer, a.a.O., § 47 Rn. 53).
Denkbar wäre ein schuldrechtlicher Stimmbindungsvertrag zwischen A und B, nach dessen Inhalt A seine Stimmrechte nach Weisung des B ausüben wird. Derartige Stimmbindungsverträge sind jedoch nicht schrankenlos zulässig. Insbesondere verstößt eine ausbeuterische Stimmbindung gegen § 138 BGB (Scholz/K. Schmidt, a.a.O., § 47 Rn. 44). Auch darf ein Gesellschafter, der nach § 47 Abs. 4 GmbHG vom Stimmrecht ausgeschlossen ist, nicht über den Umweg der Stimmbindung Einfluß auf die Willensbildung gewinnen (Scholz/K. Schmidt, a.a.O., § 47 Rn. 47). Die Zulässigkeit eines Stimmbindungsvertrages zwischen A und B kann auf der Grundlage des mitgeteilten Sachverhalts jedoch nicht abschließend gewürdigt werden, sondern müßte ggf. einer gesonderten gutachtlichen Stellungnahme vorbehalten bleiben. Ob A den B im Wege einer Legitimationszession gem. § 185 Abs. 1 BGB ermächtigen könnte, seine, des A, Stimmrechte im eigenen, des B, Namen auszuüben, erscheint zweifelhaft. Eine höchstrichterliche Stellungnahme liegt - soweit ersichtlich - nicht vor. Im Schrifttum läßt sich eine herrschende Meinung u. E. nicht feststellen (befürwortend: Hachenburg/Hüffer, a.a.O., § 47 Rn. 54 f. m. w. N. in Fn. 115; ablehnend: Scholz/K. Schmidt, a.a.O., § 47 Rn. 21). Allerdings wird die Frage ausdrücklich nur für eine Legitimationszession zugunsten eines Nichtgesellschafters erörtert. Wenn jedoch auf die Möglichkeit einer Stimmrechtsvollmacht verwiesen wird (so Scholz/K. Schmidt, a.a.O., § 47 Rn. 21), so dürfte dieser Einwand auch gegenüber einer Legitimationszession zugunsten eines Mitgesellschafters durchgreifen.