BGB § 472
Vorkaufsrechte mit mehreren Berechtigten; Verkauf an einen der Berechtigten
I. Sachverhalt
Das Grundstück des Herrn A ist mit einem subjektiv-persönlichen Vorkaufsrecht für den ersten Verkaufsfall für Herrn X und Frau Y als Berechtigte gem. § 472 BGB belastet. Herr A schließt nun mit Herrn X als alleinigem Käufer einen notariellen Kaufvertrag über das mit dem Vorkaufsrecht belastete Grundstück ab. Frau Y will nun ihr Vorkaufsrecht ausüben. Es bestehen Unklarheiten darüber, welche Wirkungen die Ausübung des Vorkaufsrechts durch Frau Y hat, nämlich, ob sie dann das Grundstück allein erwerben kann oder nur zu einem Bruchteil von ½.
II. Frage
Welche Wirkungen hat die Ausübung eines Vorkaufsrechtes durch einen von mehreren Berechtigten im Sinne des § 472 BGB, wenn der Vorkaufsfall durch einen Verkauf an einen anderen Vorkaufsberechtigten ausgelöst wird?
III. Zur Rechtslage
1. Vorliegen eines Vorkaufsfalls
Damit das Vorkaufsrecht Wirkungen entfalten kann, muss es zunächst wirksam ausgeübt werden können.
Für ein subjektiv-persönliches Vorkaufsrecht bestimmt sich das Rechtsverhältnis zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten gem. § 1098 Abs. 1 BGB nach den Vorschriften der §§ 463 bis 473 BGB. Somit ist für eine wirksame Ausübung eines Vorkaufsrechts zunächst ein Vorkaufsfall i. S. d. § 463 BGB, also der Abschluss eines Kaufvertrages über den Gegenstand mit einem Dritten, nötig.
Nach überwiegender Auffassung liegt ein solcher Vorkaufsfall im Falle mehrerer Vorkaufsberechtigter für alle anderen Berechtigten auch dann vor, wenn einer der Berechtigten einen Kaufvertrag unmittelbar mit dem Vorkaufsverpflichteten schließt (Mader/Schermaier, in: Staudinger, BGB, 2013, § 463 Rn. 51; BeckOGK-BGB/Daum, Std.: 1.4.2024, § 463 Rn. 67; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 16. Aufl. 2020, Rn. 1411).
Dies überzeugt, da der direkt kaufende Vorkaufsberechtigte zwar einerseits nicht im Lager des Verkäufers steht. Andererseits könnte so jedoch, würde man für die anderen Berechtigten einen Vorkaufsfall verneinen, deren Vorkaufsrecht durch den Abschluss des Kaufvertrags zu leicht ausgeschaltet werden.
Dies gilt u. E. aber im vorliegenden Fall auch für X als Teil der Gesamtberechtigten nach § 472 BGB. Das gemeinschaftlich zustehende Vorkaufsrecht kann nämlich grundsätzlich nur gemeinschaftlich ausgeübt werden. Um eine solche gemeinschaftliche Ausübung mit den entsprechenden Folgen herbeiführen zu können, muss der Abschluss des Kaufvertrages auch für X als Teil dieser Gemeinschaft als Vorkaufsfall behandelt werden. Der vorliegende Fall ist auch nicht mit jener Situation gleichzusetzen, in der der Vorkaufsberechtigte einen Dritten zum Schein mit dem Vorkaufsverpflichteten einen Vertrag schließen lässt, um sich einen Vorkaufsfall zu schaffen (dazu Erman/Grunewald, BGB, 17. Aufl. 2023, § 463 Rn. 16 und BeckOGK-BGB/Daum, § 463 Rn. 63). Schließlich tritt der X hier in offene Verhandlungen mit dem A über einen freihändigen Verkauf.
Somit stellt nach unserem Dafürhalten der Kaufvertrag zwischen A und X einen Vorkaufsfall für X und Y als nach § 472 BGB gemeinschaftlich Berechtigte dar.
2. Ausübung des Vorkaufsrechts unter den Voraussetzungen des § 472 BGB
Um die Wirkung des § 464 Abs. 2 BGB zu entfalten, muss das Vorkaufsrecht außerdem gemäß § 464 Abs. 1 BGB ausgeübt werden. Eine weitere Voraussetzung der wirksamen Ausübung des Vorkaufsrechts ergibt sich vorliegend aus § 472 BGB. Dieser findet Anwendung, da das Vorkaufsrecht mehreren Personen, hier X und Y, als gemeinschaftlich Berechtigten i. S. d. § 472 BGB zusteht. § 472 S. 1 BGB sieht vor, dass das Vorkaufsrecht nur „im Ganzen“ ausgeübt werden kann.
Daraus schloss das Reichsgericht (RGZ 158, 57) ursprünglich, dass dieses auch „gemeinschaftlich“ im Sinne eines bewussten und gewollten Zusammenwirkens ausgeübt werden müsse. Um die Anforderungen in der Praxis nicht zu überspannen, fordern große Teile der Literatur indes lediglich, dass die Ausübungen der einzelnen Berechtigten inhaltlich übereinstimmen, also nicht widersprüchlich zueinander sind (instruktiv: Mayer, DNotZ 2022, 173, 183; BeckOGK-BGB/Daum, Std.: 1.4.2024, § 472 Rn. 9; BeckOK-BGB/Faust, Std.: 1.5.2024, § 472 Rn. 3).
Daher ist nun zu prüfen, inwieweit die Berechtigten X und Y ihr Vorkaufsrecht ausgeübt haben bzw. ausüben können.
a) Kaufvertrag zwischen A und X als Ausübungserklärung durch X?
In dem Abschluss des Kaufvertrages durch X ist nach einer Entscheidung des OLG Hamm (DNotZ 1989, 786) auch die Ausübung des Vorkaufsrechts zu sehen. Dies wird auch in Teilen der Literatur unter Bezugnahme auf diese Entscheidung vertreten (Gutachten DNotI-Report 2000, 21, 23; BeckOGK-BGB/Daum, § 463 Rn. 67; Schöner/Stöber, Rn. 1411; Falkner, MittBayNot 2016, 378, 385).
Fraglich ist aber, ob diese Wertung des Gerichts sachgerecht ist und dogmatisch zu überzeugen vermag. Rechtsfolge der Ausübung des Vorkaufsrechts ist gem. § 464 Abs. 2 BGB, dass ein inhaltsgleicher Kaufvertrag zwischen dem Vorkaufsverpflichteten und den Vorkaufsberechtigten zustandekommt. Insofern ist es unstimmig, wenn Teile der Literatur von einem Eintrittsrecht der anderen Vorkaufsrechtsberechtigten in den Kaufvertrag zwischen A und X sprechen (in diese Richtung Falkner, MittBayNot 2016, 378, 385). Legt man den Kauf durch X als Ausübung seines Vorkaufsrechts aus und würde auch Y das Vorkaufsrecht ausüben, würde dies aber dazu führen, dass X ohne erneute Willensbekundung das Grundstück gemeinsam mit Y und schlussendlich in einer Bruchteilsgemeinschaft gem. §§ 741 ff. BGB erwerben würde. Der Erwerb eines Grundstücks in Alleineigentum (= Ziel des Kaufvertrages zwischen A und X) ist indes etwas gänzlich anderes als der Erwerb eines Grundstücks in Bruchteilsgemeinschaft mit einem Dritten (hier: Y), sodass eine auf letzteres gerichtete Willensbekundung des X nicht im Abschluss des Kaufvertrags mit A gesehen werden kann. Somit ist u. E. eine erneute Willensbekundung des X (gerichtet auf den Erwerb des Grundstücks gemeinsam mit Y) erforderlich. Außerdem kann in dem Kaufvertrag zwischen A und X schon deshalb nicht die Ausübung des Vorkaufsrechts durch X gesehen werden, weil ein Erwerb des Grundstücks zu Alleineigentum (= Ziel des Kaufvertrages zwischen A und X) nur unter den Voraussetzungen des § 472 S. 2 BGB möglich wäre. Hat aber Y auf die Ausübung ihres Vorkaufsrechts noch nicht verzichtet, so ist eine Ausübungserklärung durch X, gerichtet auf den Erwerb des Grundstücks in Gänze, schlichtweg unwirksam (vgl. BeckOGK-BGB/Daum, § 472 Rn. 13 m. w. N.).
Im Ergebnis ist der Kauf durch X damit u. E. – im Einklang mit dem OLG Hamm (DNotZ 1989, 786) – zwar als Verwirklichung des Vorkaufsfalls, aber – entgegen dem OLG Hamm – nicht als gleichzeitige Ausübung des Vorkaufsrechts durch X zu bewerten.
b) Konsequenz und Ergebnis
Konsequenterweise ist daher davon auszugehen, dass nun X und Y ihr Vorkaufsrecht gemeinschaftlich nach § 472 S. 1 BGB ausüben können bzw. – solange die Voraussetzungen des § 472 S. 2 BGB nicht vorliegen – auch gemeinschaftlich ausüben müssten. Hierzu bedarf es inhaltlich kongruenter Ausübungserklärungen, d. h. weder X noch Y können das Grundstück jeweils alleine in Gänze erwerben, solange nicht der andere zu erkennen gegeben hat, dass er (X oder Y) zu einem gemeinschaftlichen Erwerb nicht bereit ist.
3. Ergebnis
Nach unserem Dafürhalten ist der Kauf durch X zwar als Verwirklichung des Vorkaufsfalls, aber – entgegen dem OLG Hamm (DNotZ 1989, 78) – nicht als gleichzeitige Ausübung des Vorkaufsrechts durch X zu bewerten. Die Ausübung richtet sich nun vielmehr ganz „normal“ nach § 472 BGB.