Kanada: Auswirkungen des Inkrafttretens der Europäischen Ehegüterrechtsverordnung
Kanada: Auswirkungen des Inkrafttretens der Europäischen Ehegüterrechtsverordnung
I. Sachverhalt
Die Beteiligten werden im März 2019 heiraten. Der Verlobte ist deutscher Staatsangehöriger, die Verlobte ist Kanadierin. Derzeit leben die Verlobten nicht zusammen. Der Verlobte lebt in Deutschland, die Verlobte in Alberta (Kanada). Sie beabsichtigen, nach der Eheschließung zusammen zu ziehen. Es ist allerdings noch nicht ganz klar, ob sie in Deutschland oder in Kanada ihre erste eheliche Wohnung begründen werden.
Der künftige Ehemann hat Immobilien und bewegliches Vermögen in Deutschland. Die künftige Ehefrau hat Immobilien in Kanada und auch bewegliches Vermögen in Deutschland.
Durch Ehe- und Erbvertrag soll entweder die Gütertrennung vereinbart werden oder aber die Zugewinngemeinschaft deutschen Rechts unter Ausschluss der Immobilien des Ehemanns vom Zugewinnausgleich.
II. Fragen
1. Welches Recht würde für die güterrechtlichen Folgen der Ehe gelten, wenn die Beteiligten im Januar 2019 heiraten?
2. Welches Recht gilt, wenn sie erst im März 2019 heiraten?
3. Können die Eheleute aus deutscher Sicht deutsches Recht wählen?
4. Sind bei Geltung kanadischen Rechts güterrechtliche Vereinbarungen möglich?
III. Zur Rechtslage
1. Bestimmung des Güterstatuts bei Eheschließung vor dem 29.1.2019
Der Rat der Europäischen Union hat am 24.6.2016 die Ehegüterrechtsverordnung (Verordnung [EU] 2016/1103 des Rates vom 24.6.2018 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands) verabschiedet (Amtsblatt EU L 183/1). An der verstärkten Zusammenarbeit nehmen 18 Mitgliedstaaten der Europäischen Union teil, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland. Folgende Mitgliedstaaten nehmen hieran nicht teil: Großbritannien, Irland, Dänemark, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, die Slowakei und Ungarn.
Die EuGüVO gilt gem. Art. 70 EuGüVO ab dem 29.1.2019. Dabei bestimmt Art. 69 Abs. 3 EuGüVO, dass die Kollisionsnormen in Kapitel III der Verordnung nur für Ehegatten gelten, die am 29.1.2019 oder danach die Ehe eingegangen sind oder aber am 29.1.2019 oder danach eine Wahl des auf ihren Güterstand anzuwendenden Rechts getroffen haben (vgl. dazu die Korrektur von Art. 69 Abs. 3 EuGüVO vom 29.1.2017, ABl. L 113/62).
Folglich gilt für die Ehegatten im vorliegenden Fall auch nach dem 29.1.2019 die EuGüVO nicht, wenn sie noch vor dem 29.1.2019 heiraten und den Ehevertrag mit der güterrechtlichen Rechtswahl vor der Eheschließung, jedenfalls aber vor dem 29.1.2019 beurkunden lassen. Vielmehr bestimmt sich in diesen Fällen das auf die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe anwendbare Recht aus Sicht des deutschen IPR auch über den 29.1.2019 hinaus weiterhin nach
Gem.
Die Formwirksamkeit einer Rechtswahlvereinbarung bestimmt Art. 15 Abs. 3 i. V. m.
Treffen die Eheleute keine Rechtswahl, so gilt gem. Art. 15 Abs. 1 i. V. m.
Sollte daher die Verlobte schon vor der Eheschließung nach Deutschland zu ihrem Verlobten ziehen, um hier dauerhaft mit ihm zu leben, haben beide Eheleute zum Zeitpunkt der Eheschließung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Es gilt dann deutsches Recht.
Sollte dagegen noch vor der Eheschließung der Verlobte zu seiner Verlobten nach Alberta ziehen, so werden sie zum Zeitpunkt der Eheschließung beide dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. In diesem Fall käme das in Alberta geltende Recht zur Anwendung (vorbehaltlich einer Rückverweisung, dazu unten).
Sollten schließlich die Eheleute noch zum Zeitpunkt der Eheschließung getrennt leben und erst nach der Eheschließung beide gemeinsam in Deutschland bzw. in Alberta ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründen, so greift auch diese Stufe der Anknüpfung nicht ein. Es wäre dann gem. Art. 15 Abs. 1 i. V. m.
Sollte auf diese Weise das kanadische Recht anwendbar sein, ist zu berücksichtigen, dass in Kanada kein einheitliches Recht gilt. Vielmehr ist in Kanada das Familienrecht in jeder Provinz partikular geregelt. In diesem Fall ist gem.
Diese Verweisung auf das Recht von Alberta erfasst gem.
Das auf die güterrechtlichen Folgen einer Ehe anwendbare Recht ist neuerdings in einigen kanadischen Provinzen (z. B. Ontario und British Columbia) gesetzlich geregelt worden. Danach ist regelmäßig das Recht der Provinz anwendbar, in der die Ehegatten ihre „most recent common habitual residence“, also ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt während der Ehe hatten. In den meisten übrigen Provinzen ergibt sich aus den Gesetzen ausschließlich die internationale Zuständigkeit der Gerichte. So bestimmt Sec. 3 (1) Alberta Matrimonial Property Act, dass ein Ehegatte vor den Gerichten der Provinz Alberta einen Beschluss in Bezug auf die güterrechtlichen Angelegenheiten beantragen kann, wenn (a) der gewöhnliche Aufenthalt beider Eheleute sich in Alberta befindet, unabhängig davon, ob sie noch zusammen leben, (b) der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Eheleute sich in Alberta befand oder aber (c) die Eheleute zwar keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (joint habitual residence) nach der Eheschließung begründet hatten, aber der gewöhnliche Aufenthalt beider (habitual residence of each of them) zum Zeitpunkt der Eheschließung sich in Alberta befand. Ist danach die Zuständigkeit der Gerichte in Alberta gegeben, so wenden diese immer ihr eigenes Recht an (lex fori; vgl. Pitel/Rafferty, Conflict of Laws, 2. Aufl. 2016, S. 506).
Dabei wird aus deutscher Sicht aus dieser Regelung, die für die Fälle der internationalen Zuständigkeit der inländischen Gerichte die Anwendbarkeit des in Alberta geltenden materiellen Güterrechts vorsieht, für alle Fälle, in denen sich eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte (hypothetisch) ergäbe, eine sog. versteckte Rückverweisung auf das deutsche Recht abgeleitet (KG
2. Auf die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe anwendbares Recht bei Eheschließung am 29.1.2019 oder danach
Heiraten die Eheleute nach dem 28.1.2019 oder schließen sie nach diesem Zeitpunkt einen Ehevertrag mit einer ehevertraglichen Rechtswahl ab, so ist gem. Art. 69 Abs. 3 EuGüVO das auf den Güterstand anwendbare Recht auf Basis der EuGüVO zu bestimmen. Diese stellt – wie
Für die Formwirksamkeit einer Rechtwahlvereinbarung enthält die Güterrechtsverordnung ebenfalls eine Sondervorschrift. Die Rechtswahl ist gem. Art. 23 Abs. 1 EuGüVO jedenfalls in Schriftform zu vereinbaren, zu datieren und von beiden Ehegatten zu unterzeichnen (Mindestform).
Haben die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt beide im selben Mitgliedstaat, so sind zusätzliche Vorschriften für Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand dieses Mitgliedstaats anzuwenden (Art. 23 Abs. 2 EuGüVO.)
Hat zum Zeitpunkt der Rechtswahl nur einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat und sind in diesem Staat zusätzliche Formvorschriften für Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand vorgesehen, so sind dieses Formvorschriften anzuwenden (Art. 23 Abs. 4 EuGüVO). Da im vorliegenden Fall allein der künftige Ehemann seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Mitgliedstaaten i. S. d. EuGüVO hat und das deutsche Recht mit der in
Treffen die Eheleute keine Rechtswahl, so gilt das gem. Art. 26 Abs. 1 EuGüVO bestimmte Recht. Danach unterliegt der eheliche Güterstand vorrangig dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO). Anders als
Insoweit ist unklar, wie viel Zeit nach der Eheschließung bis zur Begründung des ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts verstreichen darf. Ausweislich von Erwägungsgrund 49 S. 2 EuGüVO kann hierbei nur der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten „kurz nach der Eheschließung“ berücksichtigt werden. Welche Vorgaben hieraus für die Auslegung des Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO folgen, ist unklar. Nach einer Ansicht ist eine zeitliche Grenze zu ziehen. Vorgeschlagen wird ein Zeitraum von drei Monaten (Coester-Waltjen, in: Dutta/Weber, Die Europäischen Güterrechtsverordnungen, 2017, S. 47 Rn. 21; Weber,
Noch nicht abschließend geklärt ist, ob die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt nur zum Tragen kommt, wenn die Ehegatten in einer gemeinsamen Wohnung leben. Die h. M. im deutschsprachigen Schrifttum geht davon aus, dass die Ehegatten ihren Aufenthalt nur in ein und demselben Staat haben müssen. Es ist nicht erforderlich, dass die Ehegatten an demselben Ort oder in derselben Wohnung leben (Coester-Waltjen, S. 47 Rn. 21; Döbereiner,
3. Wirksamkeit der Rechtswahl aus der Sicht von Alberta
Eine gesetzliche Regelung zur Rechtsanwendung auf güterrechtliche Vereinbarungen enthält das Gesetzesrecht von Alberta nicht. Nach allgemeiner Lehre in Kanada soll für die Wirksamkeit eines marriage contract das allgemeine Vertragsstatut (proper law of contract) gelten. Dies bedeutet, dass grundsätzlich vorrangig eine Rechtswahlvereinbarung der Eheleute zu beachten ist (Pitel/Rafferty, S. 508). Unklar ist insoweit, ob bei Scheidung in Alberta die Wirksamkeit des Vertrags auch dann davon abhängt, dass die in Sec. 37, 38 Alberta Matrimonial Property Act vorgesehenen besonderen Formerfordernisse eingehalten wurden, wenn das Recht eines anderen Staates als proper law of contract vereinbart worden ist. Diese Frage ist offenbar umstritten (Pitel/Rafferty, S. 509). Insoweit würde sich u. E. empfehlen, zusätzlich zu den Erfordernissen der Beurkundung nach
4. Zum Güterrecht in Alberta
Das materielle Güterrecht von Alberta entspricht dem der anderen kanadischen Provinzen. Dort besteht während der Dauer der Ehe der sog. common-law-Güterstand der Gütertrennung. Im Rahmen einer Scheidung der Ehe oder nach Trennung der Eheleute kann jeder der Ehegatten bei Gericht einen Antrag darauf stellen, dass das Gericht das Vermögen der Eheleute teilt. Bei der Teilung wird gem. Sec. 7 Abs. 2 Alberta Matrimonial Property Act der Marktwert des Vermögens, welches die Eheleute durch Schenkung oder Erbfolge erworben haben oder das sie in die Ehe eingebracht haben, zum Zeitpunkt der Eheschließung bzw. des Erwerbs von der Teilung ausgenommen. Damit läuft die Teilung des Vermögens durch das Gericht im Wesentlichen auf einen Zugewinnausgleich i. S. d. deutschen Rechts hinaus. Anders als im deutschen Recht hat das Gericht allerdings erheblich mehr Rücksicht auf die finanziellen Verhältnisse der Eheleute zu nehmen. Das Gericht kann gem. Art. 9 Alberta Matrimonial Property Act anordnen, dass statt einer Ausgleichszahlung Vermögenswerte übertragen oder verkauft werden. Dabei können die Eheleute gem. Sec. 37 Alberta Matrimonial Property Act diese gerichtliche Teilung in Bezug auf das Vermögen eines von ihnen oder beider ausschließen, indem sie eine schriftliche Vereinbarung treffen, die den Formerfordernissen des Sec. 38 Alberta Matrimonial Property Act (dazu oben) entspricht.
04.01.2019
RechtsbezugInternational
Erschienen in: Normen in Titel:EuGüVO Art. 22