HGB § 49 Abs. 2; BauO NRW § 85
Umfang einer Prokura; Begründung von Baulasten
I. Sachverhalt
Grundstückseigentümerin ist eine OHG. Diese will eine Baulast gemäß § 85 BauO NRW begründen. Die OHG wird durch zwei Prokuristen (Gesamtprokura) vertreten. Eine besondere Befugnis nach § 49 Abs. 2 HGB zur Belastung von Grundstücken ist den Prokuristen nicht erteilt. Die Gesellschafter selbst leben in der Schweiz und sind nicht ohne Aufwand zu erreichen.
II. Frage
Kann ein Prokurist, der nicht zur Belastung von Grundstücken befugt ist (§ 49 Abs. 2 HGB), die Erklärung zur Begründung einer Baulast abgeben?
III. Zur Rechtslage
1. Umfang der Vertretungsmacht eines Prokuristen
§ 49 HGB bestimmt den gesetzlichen Umfang der Prokura. Nach § 49 Abs. 1 HGB ermächtigt die Prokura zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb (irgend-)eines Handelsgewerbes mit sich bringt. Der Umfang der Prokura hängt also nicht von dem konkreten Zuschnitt des Handelsgewerbes ab (Staub/Fischinger, HGB, 6. Aufl. 2023, § 49 Rn. 6; Teichmann, in: Horn/Balzer/Borges/Harald, HGB, 3. Aufl. 2019, § 49 Rn. 2, 6). Die hier geplante Begründung einer Baulast ist bei einem grundbesitzhaltenden Unternehmen eine Rechtshandlung, die im Betrieb eines Handelsgewerbes vorkommen kann.
2. Ausnahme bei Grundstücksgeschäften, § 49 Abs. 2 HGB
Der (Regel-)Umfang einer Prokura umfasst nach § 49 Abs. 2 HGB jedoch nicht die Veräußerung und Belastung von Grundstücken des Kaufmanns; hierzu bedarf es vielmehr einer ausdrücklichen Erweiterung der Prokura (MünchKommHGB/Krebs, 6. Aufl. 2025, § 49 Rn. 10). Unter Belastung eines Grundstücks ist unzweifelhaft die Einräumung eines dinglichen Rechts am Grundstück wie z. B. einer Hypothek, Grundschuld, Reallast oder Dienstbarkeit zu verstehen (Staub/Fischinger, § 49 Rn. 34; MünchKommHGB/Krebs, § 49 Rn. 45; BeckOK-HGB/Meyer, Std.: 1.10.2024, § 49 Rn. 44). Nach einhelliger Auffassung in der Literatur wird auch das solchen dinglichen Belastungen zugrunde liegende schuldrechtliche Grundgeschäft vom Anwendungsbereich des § 49 Abs. 2 HGB umfasst (Oetker/Schubert, HGB, 8. Aufl. 2024, § 49 Rn. 28; Weber, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 5. Aufl. 2024, § 49 Rn. 17). Mietverträge, Pachtverträge und andere auf Nutzung gerichtete schuldrechtliche Verträge fallen nach überwiegender Meinung in der Literatur hingegen nicht unter § 49 HGB (Roth/Stelmaszcyk, in: Koller/Kindler/Drüen, HGB, 10. Aufl. 2023, § 49 Rn. 7; krit. BeckOGK-HGB/Schärtl, Std.: 15.10.2024, § 49 Rn. 28; MünchKommHGB/Krebs, § 49 Rn. 46).
3. Anwendung der vorgenannten Grundsätze auf die Erklärung zur Begründung einer Baulast nach § 85 BauO NRW
Bei einer Baulast handelt es sich nach § 85 Abs. 1 S. 1 BauO NRW um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zu einem baurechtsrelevanten Tun, Dulden oder Unterlassen, welches sich nicht schon aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergibt. Die Baulasten sind in einem speziellen Baulastenverzeichnis eingetragen, vgl. § 85 Abs. 1 S. 3 BauO NRW. Berechtigter der Baulast ist die Bauaufsichtsbehörde und Begünstigter ein Dritter. Die Baulast wirkt nach Eintragung im Baulastenverzeichnis auch zulasten etwaiger Rechtsnachfolger des Grundstückseigentümers, § 85 Abs. 1 S. 3 BauO NRW. Gängige Bespiele einer Baulast sind insbesondere eine Abstandsflächenbaulast, eine Grenzbebauungsverpflichtung oder eine Stellplatzflächenbaulast (Wenzel, in: Gädtke/Johlen/Wenzel/Hanne/Kaiser/Koch/Plum, BauO NRW, 15. Aufl. 2024, § 85 Rn. 33 f.; Tyczewski/Schröder, in: Spannowsky/Saurenhaus, BauO NRW, 2020, § 85 Rn. 41–53).
Zu untersuchen ist, ob ein Prokurist in Vertretung des Grundstückseigentümers eine Erklärung zur Begründung einer Baulast ohne ausdrückliche Erweiterung der Prokura i. S. d. § 49 Abs. 2 HGB gegenüber der Bauaufsichtsbehörde nach § 85 Abs. 1 S. 1 BauO NRW abgeben kann. Literatur oder Rechtsprechung zu dieser Frage existiert – soweit ersichtlich – nicht.
Zwar wirkt die Abgabe der (einseitigen) Erklärung zur Begründung einer Baulast gegenüber der Bauaufsichtsbehörde zunächst lediglich schuldrechtlich. Mit der (konstitutiv wirkenden) Eintragung der Baulast (durch Verwaltungsakt der Bauaufsichtsbehörde) entsteht nach h. M. jedoch eine dinglich wirkende verwaltungsrechtliche Verpflichtung des Grundstückseigentümers zu einem grundstücksbezogenen Tun, Dulden oder Unterlassen (Burbulla, ZfIR 2018, 717, 719 m. w. N.; BeckOK-GBO/Wilsch, Std.: 9.12.2024, § 54 Rn. 21). Unseres Erachtens gebietet der Schutzzweck von § 49 Abs. 2 HGB die Einbeziehung derartiger Fallgestaltungen in den Anwendungsbereich der Norm. § 49 Abs. 2 HGB misst Grundstücken eine besondere Bedeutung zu, da sie typischerweise einen beträchtlichen Wert aufweisen und § 49 Abs. 2 HGB vor diesem Hintergrund der besonderen Schutzbedürftigkeit des Kaufmanns Rechnung trägt (BeckOGK-HGB/Schärtl, § 49 Rn. 26; BeckOK-HGB/Meyer, § 49 Rn. 40; Staub/Fischinger, § 49 Rn. 28). Durch die Abgabe der Erklärung zur Begründung einer Baulast und deren spätere Eintragung im Baulastenverzeichnis wird eine nicht einseitig widerrufliche, gegenüber dem Rechtsnachfolger öffentlich-rechtlich wirkende Belastung des Grundstücks des Kaufmanns begründet. Dieses kann mit den Mitteln des öffentlichen Zwangs durch die Bauaufsichtsbehörde durchgesetzt werden. Auch sind Baulasten gerade mit den (ohnehin in den Anwendungsbereich des § 49 Abs. 2 HGB fallenden) (Grund-)Dienstbarkeiten vergleichbar. Mit anderen Worten könnte die Baulast typischerweise auch durch eine (Grund-)Dienstbarkeit ersetzt werden, welche unstreitig in den Anwendungsbereich des § 49 Abs. 2 HGB fallen würde (so etwa in Bundesländern wie Bayern, in denen Baulasten nicht existieren; eingehend zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten vgl. BeckOGK-BGB/Kazele, Std.: 1.2.2025, § 1018 Rn. 100–105).
Da die Rechtslage als nicht geklärt anzusehen ist, ist bereits aus notarieller Vorsicht von der Geltung des § 49 Abs. 2 HGB auszugehen, sodass den Prokuristen zumindest (Einzel)Vollmacht nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB zur Erklärung der Baulast gegenüber der Bauaufsichtsbehörde im Namen der Gesellschaft zu erteilen wäre.