BGB § 892
Voraussetzungen des gutgläubigen Grundstückserwerbs
I. Sachverhalt
A und B in Erbengemeinschaft haben Grundbesitz an C veräußert. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages war noch die verstorbene Mutter M von A und B im Grundbuch eingetragen. Das Grundbuch ist einige Wochen nach Abschluss des Kaufvertrages auf A und B in Erbengemeinschaft als Eigentümer berichtigt worden, und zwar aufgrund notariellen Testaments, wonach A und B als Alleinerben eingesetzt waren. Ein Erbschein existiert nicht. Der Kaufvertrag wurde sodann vollzogen und C als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Nach Eigentumsumschreibung meldet sich X bei C. X ist aufgrund (dem notariellen Testament zeitlich nachfolgenden und daher dies wirksam abändernden) handschriftlichen Testaments der M Alleinerbe von M geworden, allerdings nur als Vorerbe und mit einer Dauertestamentsvollstreckung belastet.
II. Frage
Hat C den Grundbesitz gutgläubig von A und B erworben?
III. Zur Rechtslage
1. Gutgläubiger Erwerb des Eigentums
Der gutgläubige Erwerb des Eigentums an einem Grundstück hängt nach § 892 BGB vom Vorliegen mehrerer Voraussetzungen ab (Überblick etwa bei Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl. 2009, § 23 Rn. 1 ff.; Staudinger/Gursky, BGB, 2013, § 892 Rn. 125 ff.).
a) Rechtsgeschäftlicher Erwerb
Zunächst muss es sich um den rechtsgeschäftlichen Erwerb eines Rechts an einem Grundstück oder eines Rechts an einem solchen Recht handeln. Ausgeschlossen ist damit etwa der Erwerb kraft Gesetzes oder der Erwerb im Wege der Zwangsvollstreckung. Ausgeschlossen ist damit beispielsweise das wirksame Entstehen einer Zwangshypothek (§ 867 ZPO) aufgrund eines Titels gegen den bloß Buchberechtigten (BGH WM 1963, 219; NJW 1975, 1282). Wird eine Willenserklärung durch richterliches Urteil ersetzt (§ 894 ZPO), findet allerdings in der Sache rechtsgeschäftlicher Erwerb in den Formen der Zwangsvollstreckung statt, und ein gutgläubiger Erwerb ist möglich (§§ 898 ZPO, 892 BGB; zur Auflassung aufgrund Urteils etwa Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 745 ff; Baur/Stürner, § 23 Rn. 22). Erwirbt der Ersteigerer in der Zwangsvollstreckung durch Zuschlag schuldnerfremdes Vermögen, führt dagegen § 90 ZVG zu einem Eigentumserwerb von Bestand, und der Schuldner kann sich nur über § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB (Eingriffskondiktion) an den Vollstreckungsgläubiger halten, da an schuldnerfremdem Vermögen kein Pfändungspfandrecht begründet wurde (s. etwa BGH NJW 1960, 1461 f.; 1987, 1880 ff.).
b) Verkehrsgeschäft
Bei dem Rechtsgeschäft muss es sich um ein Verkehrsgeschäft handeln, das auf die konstitutive oder translative Rechtsnachfolge eines Dritten abzielt. Verneint wird das Vorliegen eines solchen Verkehrsgeschäfts insbesondere dann, wenn der Buchberechtigte sich selbst ein Recht bestellt – wie etwa eine Eigentümergrundschuld nach § 1196 BGB –, oder sonst in Fällen, in denen auf Erwerberseite nur Personen stehen, die wirtschaftlich auch Veräußerer sind. Weiterhin wird das Vorliegen eines Verkehrsgeschäfts beim Erwerb im Wege der vorweggenommenen Erbfolge verneint, weil der damit vorweggenommene Erwerb kraft Erbrechts (§ 1922 BGB) aufgrund Gesetzes erfolgen und damit nicht unter dem Schutz des § 892 BGB stehen würde (vgl. etwa BayObLG DNotZ 1988, 781; OLG Zweibrücken FGPrax 1999, 208; LG Bielefeld Rpfleger 2002, 200; offen BGH NJW 1982, 761).
c) Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts
Das Verfügungsgeschäft selbst muss im Übrigen wirksam sein. Es dürfen also keine sonstigen gesetzlichen Tatbestandsmerkmale oder Wirksamkeitsvoraussetzungen fehlen, von der fehlenden Rechtsmacht des Verfügenden abgesehen.
d) Rechtschein und Guter Glaube
Aufgrund der (unrichtigen) Grundbuchlage als objektive Rechtscheinsbasis muss der Verfügungsbegünstigte den wirksamen Erwerb des Rechts nach Maßgabe des Grundbuchinhalts erwarten können. Der Erwerber darf keine positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuchs haben (§ 892 Abs. 2 BGB). Es darf überdies kein Widerspruch gegen die Richtigkeit des Grundbuchs eingetragen worden sein (§ 892 Abs. 1 S. 1 BGB).
2. Vorliegen der Voraussetzungen im geschilderten Fall
Unter diesen Voraussetzungen erscheinen zwei Punkte in dem geschilderten Fall problematisch.
a) Guter Glaube
C darf keine Kenntnis davon gehabt haben, dass A und B wegen des nachfolgenden handschriftlichen Testaments der M nicht Grundstückseigentümer geworden sind. Für diese Kenntnis ist nach § 892 Abs. 2 BGB der Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Eintragung im Grundbuch maßgebend. Zu diesem Zeitpunkt war C in diesem Sinne aber noch gutgläubig. Dass sich X nach Eigentumsumschreibung bei C meldete, vermag dessen Gutgläubigkeit nicht mehr zu zerstören.
b) Rechtscheinsbasis
Problematisch ist noch die Grundbuchlage als objektive Rechtscheinsbasis. Das Reichsgericht (RGZ 74, 416, 420; 92, 254, 255) hat dazu zunächst angenommen, die dem Erwerber günstige unrichtige Buchlage müsse schon im Zeitpunkt des „den Erwerb vermittelnden Rechtsgeschäfts“ gegeben gewesen sein. Nach dem Grundgedanken des Gesetzes könne der öffentliche Glaube des Grundbuchs nämlich demjenigen nicht zur Seite stehen, der das Erwerbsgeschäft gar nicht im Vertrauen auf die Richtigkeit des Grundbuchs abgeschlossen haben könne, weil das Grundbuch zur Zeit dieses Rechtsgeschäfts noch gegen das Bestehen des vom Erwerb betroffenen Rechts gesprochen habe. Hier war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags noch M als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. A und B waren auch nicht durch einen Erbschein legitimiert, der einen gutgläubigen Erwerb nach Maßgabe des § 2366 BGB ermöglicht hätte.
Diese Rechtsprechung ist später aber noch vom Reichsgericht selbst aufgegeben worden (RGZ 116, 351, 354; 116, 356, 361 f.; Überblick zur Rechtsentwicklung: Staudinger/Gursky, § 892 Rn. 184 ff.). Im Anschluss daran steht auch die heutige höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH NJW 1980, 2413 f.; NJW 2003, 202 ff.; BayObLG NJW 2003, 3785) auf dem Standpunkt, für den gutgläubigen Erwerb genüge es, dass der diesen Erwerb ermöglichende Grundbuchstand zu dem Zeitpunkt bestehe, in dem sich der Rechtserwerb vollende. Ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb sei beispielsweise möglich, wenn zugleich mit der Eintragung des Erwerbers eines Grundstücks ein dingliches Recht versehentlich nicht mitübertragen wird.
Streitig ist in dem auch hier gegebenen Fall einer nach Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags eintretenden Grundbuchunrichtigkeit lediglich, ob es für die Kenntnis des Erwerbers auf den Zeitpunkt der unrichtigen Eintragung oder auf denjenigen der Vollendung des Rechtserwerbs ankommt (s. bereits BGH NJW 1980, 2413, 2414). Diese Frage kann hier aber dahinstehen, da C sowohl bei Grundbuchberichtigung auf A und B in Erbengemeinschaft als auch bei seiner späteren eigenen Eintragung als Grundstückseigentümer im Grundbuch noch gutgläubig gewesen ist. Eine Kenntnis des Erwerbers vom Grundbuchstand, ein positiv festgestelltes Vertrauen auf den Grundbuchstand oder eine Kausalität zwischen Grundbuchstand und dem Entschluss zum Grundstückserwerb zählt nicht zu den von § 892 BGB aufgestellten gesetzlichen Voraussetzungen eines gutgläubigen Erwerbs (vgl. bereits BGH NJW 1980, 2413, 2414; so auch die einhellige Meinung im Übrigen: s. nur BeckOGK-BGB/Hertel, Std.: 1.12.2018, § 892 Rn. 59 ff.; Palandt/Herrler, BGB, 78. Aufl. 2019, § 892 Rn. 9). Dergleichen ist also auch nicht von C als Voraussetzung seines gutgläubigen Erwerbs zu verlangen.
Für die Praxis relevant ist darüber hinaus, dass in den Fällen des gutgläubigen Erwerbs einer Vormerkung nach § 883 BGB bei späterem Erwerb des vorgemerkten Rechts die Rechtszuständigkeit des Vormerkungsschuldners oder die diese ersetzenden Voraussetzungen des Rechtscheinserwerbs nach § 892 BGB nach h. M. nur im Zeitpunkt des Entstehens der Vormerkung vorliegen müssen (etwa BGH NJW 1981, 446, 447; BGH BeckRS 2007, 13424 Rn. 21; weitere Nachweise bei Staudinger/Gursky, § 892 Rn. 187). Späteres Bösgläubigwerden des Erwerbers oder eine spätere Grundbuchberichtigung schadet diesem also nicht mehr.
3. Fazit
Im Ergebnis hat C somit im vorliegenden Fall das Eigentum an dem Grundbesitz gutgläubig von A und B nach § 892 BGB erworben. Die zu Lasten von X im nachfolgenden Testament angeordneten Verfügungsbeschränkungen durch die Einsetzung eines Nacherben sowie die Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung berühren den Grundstückserwerb des C nicht mehr.
Da C das Grundstück entgeltlich aufgrund eines Kaufvertrags erworben hat, ist sein Erwerb darüber hinaus auch bereicherungsrechtlich von Bestand: C muss den Grundbesitz nicht nach § 816 Abs. 1 S. 2 BGB an X übereignen. Im Verhältnis zu A und B ist C gleichfalls vor einer Kondiktion geschützt, da er den Grundbesitz mit dem Rechtsgrund des wirksam abgeschlossenen Kaufvertrages erworben hat (§ 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB greift also nicht ein).