Empfangs- und Zustellungsvollmacht im Rahmen einer Grundschuldbestellung
Empfangs- und Zustellungsvollmacht im Rahmen einer Grundschuldbestellung
I. Sachverhalt
Eine Genossenschaftsbank bittet den Notar im Zuge eines Grundschuldbestellungsauftrags für die Käufer einer Eigentumswohnung um Verwendung des üblichen Formulars des Genossenschaftsverlages für die Grundschuldbestellung. Im konkreten Fall wünscht die Bank jedoch die Ergänzung des Formulars. Unter Ziff. 5.1 soll zusätzlich zur dort üblicherweise geregelten Zustellungsvollmacht jedes einzelnen Grundstückseigentümers für alle anderen Miteigentümer folgende Regelung aufgenommen werden:
„Als weiterer Zustellungsbevollmächtigter z.B. für Zustellungen gemäß ZPO, Grundschuldkündigungen, Kreditkündigungen oder anderen empfangsbedürftigen Willenserklärungen im Zusammenhang mit dem Kreditverhältnis wird benannt: Herr X (…).“
Herr X ist ein freier, selbständiger Finanzierungsvermittler und kein angestellter Mitarbeiter der Genossenschaftsbank. Über ihn ist das Kreditverhältnis zwischen der Bank und den Käufern der Eigentumswohnung zustande gekommen.
Auf Nachfrage gibt die Bank an, diese zusätzliche Regelung sei nur bei ausländischen Staatsangehörigen gewünscht. Im konkreten Fall würden die Darlehensnehmer zwar momentan in Deutschland leben. Aufgrund entsprechender Erfahrungen in der Vergangenheit sei aber zu befürchten, dass sich die Darlehensnehmer bei Zahlungsschwierigkeiten ins Ausland „absetzen“ könnten. Eine Rechtsverfolgung sei dann erheblich erschwert. Konkrete Anhaltspunkte hierfür bestünden allerdings nicht.
II. Fragen
1. Kann sich eine Bank im Rahmen einer Grundschuldbestellung über eine von ihr vorformulierte Klausel eine dritte Person als Zustellungsbevollmächtigten benennen lassen?
2. Welche Anforderungen sind an die Person des Zustellungsbevollmächtigten zu stellen?
III. Zur Rechtslage
Nach der hier in Rede stehenden Klausel soll sowohl für Zustellungen nach der ZPO als auch für empfangsbedürftige (Willens-)Erklärungen materiell-rechtlicher wie prozessualer Natur ein Zustellungs- bzw. Empfangsbevollmächtigter der Darlehensnehmer benannt werden. Eine solche Klausel könnte als unangemessene Benachteiligung der Darlehensnehmer unwirksam sein, §§ 307 Abs. 1 und 2, 308 Nr. 6 BGB.
1. Anwendbarkeit der §§ 307 ff. BGB
Die Vorschriften über die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle gem. §§ 307 ff. BGB sind vorliegend anwendbar. Bei der Vollmachtsklausel handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung i. S. d. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB.
Dem steht nicht entgegen, dass § 305 Abs. 1 S. 1 BGB seinem Wortlaut nach Vertragsbedingungen voraussetzt, es sich bei der Vollmacht aber um ein einseitiges Rechtsgeschäft handelt. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, die in der Literatur allgemein anerkannt ist, sind die §§ 305 ff. BGB mit Rücksicht auf ihren Schutzzweck auch auf eine vom Verwender, hier der Bank, vorformulierte einseitige Erklärung des anderen Teils anzuwenden, jedenfalls wenn diese – wie hier – im Zusammenhang mit einer Sonderverbindung steht. Dies zeigt sich insbesondere an den §§ 308 Nr. 1 und 309 Nr. 12 lit. b BGB (BGH,
2. Vorliegen einer unangemessenen Benachteiligung
a) Einschlägige Vorschrift: § 307 Abs. 1 und 2 oder § 308 Nr. 6 BGB?
Bei formularmäßigen Empfangs- oder Zustellungsvollmachten ist umstritten, ob diese am Maßstab des § 307 Abs. 1, 2 BGB oder des § 308 Nr. 6 BGB zu messen sind. Seinem Wortlaut nach sind gem. § 308 Nr. 6 BGB Bestimmungen unwirksam, die vorsehen, dass eine Erklärung des Verwenders von besonderer Bedeutung dem anderen Vertragsteil als zugegangen gilt. Diese Norm betrifft also – wie ihre Überschrift klarstellt – Zugangsfiktionen. Teilweise wird sie dennoch auch bei Empfangsvollmachten für einschlägig gehalten, weil diese auch dazu führen können, dass Willenserklärungen und prozessrechtliche Erklärungen wirksam werden, die dem Erklärungsempfänger selbst rein tatsächlich nicht zugegangen sind. Die herrschende Meinung ist jedoch der Ansicht, dass § 308 Nr. 6 BGB bei einer reinen Empfangs- oder Zustellungsvollmacht nicht eingreife, da eine Bevollmächtigung zur Entgegennahme von Zustellungen oder Willenserklärungen gegenüber der Fiktion des Zugangs oder der Zustellung ein aliud darstelle (BGH
Zur Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit ist allerdings im Ergebnis nicht entscheidend, ob Maßstab für die Klauselkontrolle die Generalnorm des § 307 Abs. 1, 2 BGB oder die speziellere Vorschrift des § 308 Nr. 6 BGB ist. Auch die Ansicht, die den Anwendungsbereich von § 308 Nr. 6 BGB als nicht eröffnet ansieht, berücksichtigt dessen Wertung im Rahmen des § 307 BGB (vgl. zum Ganzen Dammann, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 7. Aufl. 2020, § 308 Nr. 6 Rn. 27a).
b) Rechtliche Ausgangspunkte
Für die Beurteilung, ob eine Bestimmung eine unangemessene Benachteiligung darstellt, ist zunächst in den Blick zu nehmen, inwieweit durch die fragliche Bestimmung von gesetzlichen Regelungen abgewichen wird.
Hinsichtlich der Vollmacht für Zustellungen nach der ZPO bildet § 750 ZPO den Ausgangspunkt. Die Vorschrift sieht vor, dass vor Durchführung der Zwangsvollstreckung die Vollstreckungsklausel dem Schuldner zugestellt werden muss. Zumindest ist eine gleichzeitige Zustellung erforderlich (vgl. hierzu Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl. 2023, § 750 Rn. 20). Dies gilt auch bei einer vollstreckbaren Urkunde gem. § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Im Grundsatz wird die Erteilung einer Zustellungsvollmacht für zulässig erachtet (Vogt-Beheim, in: Anders/Gehle, ZPO, § 184 Rn. 5).
Für empfangsbedürftige Willenserklärungen ergibt sich das Zugangserfordernis aus § 130 Abs. 1 BGB. Soweit Erklärungen gegenüber Gesamtschuldnern abgegeben werden, ist zudem der Grundsatz der Einzelwirkung (§ 425 BGB) zu beachten.
Ausgehend von diesem unstreitigen Ausgangspunkt ist in Rechtsprechung und Literatur nicht abschließend geklärt, inwieweit AGB-mäßige Empfangs- und Zustellungsvollmachten zulässig sind.
c) Rechtsprechung zu Empfangsvollmachten in AGB
Die bestehende Unsicherheit rührt in erster Linie daher, dass für den Bereich der Wirksamkeit von Empfangsvollmachten in AGB zwei Entscheidungen des BGH vorliegen, aus denen sich keine klaren Kriterien ableiten lassen, inwieweit derartige Klauseln zulässig sein können. In einem Urteil vom 22.6.1989 (Az. III ZR 72/88 =
Demgegenüber hat der BGH mit Entscheidung vom 10.9.1997 (Az. VIII ARZ 1/97 =
Nach einer Entscheidung des KG (
d) Rezeption dieser Entscheidungen im Schrifttum
Für Empfangsvollmachten zieht die Literatur aus den beiden divergierenden Entscheidungen des BGH unterschiedliche Schlussfolgerungen. Ein Teil ist der Auffassung, dass aus diesen Entscheidungen gefolgert werden müsse, eine Bevollmächtigung sei unbedenklich, soweit sie nur die Ebene unterhalb der Beendigung eines Vertragsverhältnisses berühre, es also nicht um die Beendigung des Vertragsverhältnisses selbst gehe (vgl. BeckOGK-BGB/Quantz, Std.: 1.11.2022, § 307 Vollmachtsklausel Rn. 15; ähnlich Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2022, § 73 Rn. 256 f.). Diese Ansicht kann für sich den Wortlaut des § 308 Nr. 6 BGB in Anspruch nehmen, der von „Erklärungen des Verwenders von besonderer Bedeutung“ spricht.
Die Gegenauffassung hält Empfangsvollmachten bis auf in Ausnahmeverhältnissen in aller Regel für unzulässig, da diese in ihrer Auswirkung einer Zugangsfiktion gleichkommen. Allenfalls bei einem Näheverhältnis zum Bevollmächtigten sei eine Bevollmächtigung zur Entgegennahme von Erklärungen (und damit wohl auch zur Entgegennahme von Zustellungen) unbedenklich (MünchKommBGB/Wurmnest, 9. Aufl. 2022, § 308 Nr. 6 Rn. 5; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Dammann, 5. Teil, Rn. V 484).
Eine weitere, der vorgenannten Ansicht ähnliche Auffassung stellt im Ausgangspunkt auf den Schutzgedanken des § 308 Nr. 6 BGB ab. Dieser sei jedenfalls verletzt, wenn nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden könne, dass der Bevollmächtigte die Informationen an den Darlehensnehmer weiterleite. Dies dürfte insbesondere der Fall sein, soweit der Bevollmächtigte im Lager der kreditgebenden Bank steht oder von dieser ausgewählt wird (vgl. Voran,
e) Anwendung auf den vorliegenden Fall
Nach unserer Auffassung ist vorliegend von einer Unwirksamkeit der Empfangs- und Zustellungsvollmacht auszugehen. Dabei kann dahinstehen, welcher der vorgenannten Ansichten zu folgen ist, da nach allen Ansichten eine unangemessene Benachteiligung des Vollmachtgebers vorliegen dürfte.
Die vorliegende Vollmacht beschränkt sich nicht auf solche Erklärungen, die „unterhalb“ der Beendigung des Vertragsverhältnisses anzusehen sind; sie soll ausweislich ihres eindeutigen Wortlauts gerade auch Kündigungen umfassen. Ebenso wenig wird der Kreditvermittler als Vertrauensperson anzusehen sein. Ein derart enges Vertrauensverhältnis, wie es unter Mitmietern einer Wohnung üblicherweise vorliegt, ist bei einem rein geschäftlichen Kontakt zu einem Kreditvermittler kaum vorstellbar.
Selbst nach der Auffassung, die danach differenziert, in wessen „Lager“ der Empfangsbevollmächtigte steht, wird eine unangemessene Benachteiligung vorliegen. Im vorliegenden Fall mag man zwar einwenden, der Vermittler sei weder der Sphäre der Bank noch der des Darlehensnehmers zuzuordnen. Es ist jedoch bereits fraglich, ob der Vermittler, der ein ureigenes Interesse am Zustandekommen der Finanzierung hat, wirklich als derart neutral angesehen werden kann. Aus Sicht des Darlehensnehmers dürfte der Vermittler in allen Fragen des beabsichtigten Darlehensvertrags der Ansprechpartner sein. Damit kann es vom Standpunkt des Darlehensnehmers betrachtet nicht darauf ankommen, in welcher Art von vertraglicher Beziehung der Vermittler zur kreditgebenden Bank steht. Für den Darlehensnehmer stellt sich der vorliegende Fall nicht anders dar, als wenn das Darlehen durch Beratung eines Angestellten der Bank zustande gekommen wäre.
f) Besonderheiten bei Zustellungsvollmachten
Die vorstehenden Erwägungen in Rechtsprechung und Literatur befassen sich ausschließlich mit Vollmachten für den Empfang rechtsgeschäftlicher Erklärungen und nicht mit prozessualen Vollmachten für Zustellungen i. S. d ZPO. Sie berücksichtigen daher nicht die Besonderheiten des Zwangsvollstreckungsverfahrensrechts.
Dennoch lassen sich die vorstehend dargestellten Überlegungen auch insoweit auf den vorliegenden Fall übertragen, als die Klausel eine Vollmacht für Zustellungen nach der ZPO enthält. Mit Blick auf den Schutzzweck des § 798 ZPO dürfte es sich als unangemessene Benachteiligung i. S. d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB darstellen, wenn eine Zustellungsvollmacht die Möglichkeit begründet, dass nicht der Schuldner selbst, sondern nur ein Bevollmächtigter, der in keinem Näheverhältnis zum Vollstreckungsschuldner steht, also ein fremder Dritter ist, Kenntnis von der Einleitung der Zwangsvollstreckung erlangt. In einem solchen Fall ist regelmäßig nicht damit zu rechnen, dass der Bevollmächtigte die erhaltene Erklärung an den Vollmachtgeber weiterleiten wird. Eine solche Zustellungsvollmacht würde dazu führen, dass die verfassungsrechtlich gebotene Anhörung der Beteiligten (Art. 103 Abs. 1 GG) zur reinen Fiktion wird (Voran,
Zur Zulässigkeit einer Zustellungsvollmacht mag man allenfalls gelangen, wenn ein aufgrund besonderer Umstände gerechtfertigtes Interesse der Gläubigerin vorliegt, einen Empfangs- und Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Dies könnte beispielsweise dann gegeben sein, wenn der Sicherungsgeber seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat und daher konkret zu befürchten ist, dass die Durchführung von Zustellungen deutlich erschwert und der Zugang von Willenserklärungen kaum beweisbar ist. Die abstrakte Möglichkeit, der Darlehensnehmer könne sich einer Inanspruchnahme dadurch entziehen, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in das Ausland verlagert, besteht bei jeder Kreditgewährung. Selbst eine eventuelle ausländische Staatsangehörigkeit dürfte noch kein ausreichender Anhaltspunkt für eine besondere Unzuverlässigkeit oder zu besorgende Zustellungsprobleme sein.
3. Ergebnis
Nach unserer Auffassung ist die vorliegende Klausel als unangemessene Benachteiligung der Käufer unwirksam. Diese könnte allenfalls als wirksam angesehen werden, wenn ein anerkennenswertes Interesse auf Seiten des Darlehensgebers an deren Verwendung besteht und es sich bei dem Bevollmächtigten um eine Vertrauensperson des Schuldners handelt.
Dies gilt sowohl, soweit die Vollmacht den Empfang von Willenserklärungen umfasst, als auch soweit sie sich auf Zustellungen im Sinne der ZPO erstreckt.
194210
Erscheinungsdatum:31.03.2023
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)
AGB, Verbraucherschutz
BGB § 307; BGB § 308; ZPO § 750