GmbHG § 74 Abs. 2; FamFG § 375 Nr. 6
Austausch des Verwahrers der Bücher und Schriften
I. Sachverhalt
Eine GmbH wurde liquidiert und im Handelsregister gelöscht. Bei der Anmeldung wurde mitgeteilt, dass der bisherige Liquidator die Bücher und Schriften der Gesellschaft verwahrt. Die Person des „Verwahrers“ soll nun ausgetauscht werden.
II. Fragen
1. Kann die Person, welche die Bücher und Schriften einer voll beendeten GmbH aufbewahrt, nachträglich geändert werden?
2. Wenn ja: Wer wäre für die Benennung dieser Person zuständig (bisheriger Verwahrer, Versammlung der letzten Gesellschafter oder Gericht) und wäre dies dem Registergericht mitzuteilen oder anzumelden?
III. Zur Rechtslage
1. Meinungsbild
Rechtsfragen rund um den Verwahrer der Bücher und Schriften (§ 74 Abs. 2 GmbHG) werden im Schrifttum wenig beleuchtet. Die Literatur zu § 74 Abs. 2 GmbHG und zu vergleichbaren Normen beschränkt sich im Wesentlichen auf grundlegende Aussagen.
Grundsätzlich wird der Verwahrer durch den Gesellschaftsvertrag oder einen Beschluss der Gesellschafter bestimmt (§ 74 Abs. 2 S. 2 GmbHG). Ein nachträglicher Beschluss scheidet jedoch dann aus, wenn die GmbH – nach der Lehre vom (erweiterten) Doppeltatbestand der Vollbeendigung (vgl. dazu Bernert, MittBayNot 2021, 309, 313 f.; Herrler/Blath, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 2. Aufl. 2021, § 6 Rn. 1774 f. m. w. N.) – sowohl gelöscht als auch vermögenslos ist. Sie existiert dann in keiner Form mehr, sodass auch die ehemaligen Gesellschafter keinen Beschluss mehr hinsichtlich der Änderung in der Person des Verwahrers fassen können.
Im Schrifttum heißt es mitunter gleichwohl, ein entsprechender Beschluss i. S. d. § 74 Abs. 2 S. 2 GmbHG könne auch nach der Löschung gefasst werden (so M. F. Müller in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 74 Rn. 19; MünchKommGmbHG/H.-F. Müller, GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 74 Rn. 17 unter alleinigem Verweis auf die jeweils andere Kommentarstelle; ggf. auch Scholz/K. Schmidt/Scheller, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 74 Rn. 47 [„auch nachträglich noch“]).
2. Stellungnahme
Unseres Erachtens kann die Bestimmung des neuen Verwahrers allein durch das Registergericht erfolgen.
§ 74 Abs. 2 S. 2 Var. 3 GmbHG sieht subsidiär die Bestimmung des Verwahrers durch das Gericht vor. Dieses gerichtliche Verfahren richtet sich nach den §§ 375 Nr. 6, 376, 377 FamFG (dazu Herrler/Blath, § 6 Rn. 1772). Zwar geht das Gesetz davon aus, dass die gerichtliche Bestimmung des Verwahrers nach § 74 Abs. 2 S. 2 GmbHG i. V. m. § 375 Nr. 6 FamFG im Rahmen der Liquidation erfolgt und nicht einem späteren Wechsel in der Person des Verwahrers dient. Gleichwohl scheiden alle anderen Optionen aufgrund der (im Rahmen dieses Gutachtens unterstellten) Vollbeendigung der GmbH aus. Zudem ist es anerkannt, dass eine an den Gesellschaftern „vorbei organisierte“ Verwahrung durch gerichtlichen Beschluss bestätigt werden kann (vgl. Scholz/K. Schmidt/Scheller, § 74 Rn. 47; GroßkommGmbHG/Paura, 3. Aufl. 2021, § 74 Rn. 20). Dafür spricht, dass die gerichtliche Bestellung den Beschluss der Gesellschafterversammlung ersetzt (Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 21. Aufl. 2023, § 74 Rn. 14) – diese Ersetzung ist insbesondere erforderlich (ggf. sogar unumgänglich), wenn aufgrund der Vollbeendigung der Gesellschaft keine Möglichkeit mehr besteht, einen solchen Beschluss zu fassen.
Unseres Erachtens ist eine gerichtliche Neubestellung des Verwahrers auf Basis des § 74 GmbHG (analog) und damit im Verfahren nach den §§ 375 Nr. 6, 376, 377 FamFG der einzig denkbare dogmatische Weg. Der im Schrifttum mitunter befürwortete Beschluss (s. Ziff. 1) kann u. E. nicht mehr wirksam und mit konstitutiver Wirkung gefasst werden, wenn die Gesellschaft vollbeendet ist und die Gesellschafterversammlung als Organ nicht mehr existiert. Würde man dies anders sehen, so müsste man entweder davon ausgehen, dass die GmbH nicht vor dem Ablauf von zehn Jahren (§ 74 Abs. 2 S. 1 GmbHG) nach der Löschung aus dem Handelsregister vollbeendet ist – dies widerspräche aber der ganz herrschenden Lehre vom erweiterten Doppeltatbestand der Vollbeendigung. Eine solch lange „Nachwirkung“ bis zur Vollbeendigung wird auch, soweit ersichtlich, (zu Recht) nicht vertreten. Alternativ könnte man nur die Existenz einer Art „Nachgesellschaft“ annehmen, welche allein dem Zweck dient, über einen etwaigen Austausch des Verwahrers der Bücher und Schriften zu entscheiden. Dies hätte jedoch zur Konsequenz, dass eine nachwirkende Verantwortung der (dann ehemaligen) Gesellschafter über die Vollbeendigung hinaus besteht. Eine solche „Gemeinschaft“ wäre auch mit gegenseitigen Rechten und Pflichten verbunden, was angesichts der Vollbeendigung der Gesellschaft – die ein solches Verhältnis gerade terminiert – dogmatisch nicht zu rechtfertigen ist. Der Verwahrer der Bücher und Schriften ist kein Organ der Gesellschaft mehr. Hintergrund seiner Tätigkeit ist vielmehr, dass ein Kaufmann nach § 257 HGB gewisse Unterlagen wie insbesondere Handelsbücher, Bilanzen oder Buchungsbelege aufzubewahren hat. Nachdem die Gesellschaft aber beendet wird, muss diese Pflicht von einer anderen Person, dem Verwahrer, ausgeübt werden (MünchKommHGB/K. Schmidt, 5. Aufl. 2022, § 157 Rn. 16). Daher erscheint es unseres Erachtens systemkohärent, das Gericht als zuständig anzusehen, unabhängig davon, ob die ehemaligen Gesellschafter einen Beschluss fassen können oder wollen. Praktisch mag sich ein solcher „Beschluss“ zwar anbieten (dazu unten); rechtlich ist er u. E. jedoch weder erforderlich noch könnte er überhaupt mit konstitutiver Wirkung gefasst werden.
3. Praktische Durchführung
Antragsberechtigt in Bezug auf die gerichtliche Bestellung eines Verwahrers sind neben den Liquidatoren auch die Gesellschafter, die Gläubiger sowie ein etwaiger Insolvenzverwalter (vgl. Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, § 74 Rn. 14; MünchKommGmbHG/H.-F. Müller, § 74 Rn. 18; GroßkommGmbHG/Paura, § 74 Rn. 20). Dies dürfte u. E. – was jedoch nicht durch Literatur oder Rechtsprechung abgesichert ist – ebenso für eine Abberufung und Neubestellung des Verwahrers gelten. Zudem gehen wir davon aus, dass der Verwahrer selbst antragsbefugt wäre.
In dem vorliegenden Fall, in dem sich alle ehemaligen Gesellschafter einig sind, ergeben sich auch keine Probleme hinsichtlich etwaiger Anhörungspflichten und der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens des Gerichts (man wird bzgl. des pflichtgemäßen Ermessens sowie der Substantiierungspflicht auf die Grundsätze bei der Bestellung eines Nachtragsliquidators zurückgreifen können, vgl. hierzu etwa Passarge/Torwegge/Passarge, Die GmbH in der Liquidation, 3. Aufl. 2020, § 11 Rn. 773 ff.; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rn. 1153; Haas, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 60 Rn. 106).
Angesichts der ungeklärten Rechtslage mag es sich rein praktisch – sofern dies ohne großen Aufwand möglich sein sollte – empfehlen, einen „Beschluss“ herbeizuführen, mit dem die ehemaligen Gesellschafter einen Wechsel des Verwahrers „beschließen“, und diesen „Beschluss“ gerichtlich bestätigen zu lassen. Rechtlich dürfte dieser Beschluss im Falle der (hier unterstellten) Vollbeendigung der GmbH zwar ein Nullum darstellen. Jedoch könnte ein solches Vorgehen die Akzeptanz seitens des Registergerichts erhöhen; zugleich würde man damit die vereinzelt vertretene Literaturansicht (s. Ziff. 1) berücksichtigen.
Im Handelsregister wird lediglich verlautbart, dass die Liquidation beendet ist und dass die Gesellschaft sowie die Firma erloschen sind (§ 43 Nr. 6 lit. b sublit. ff. HRV; vgl. Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rn. 1151). Gleichwohl dürfte es u. E. sinnvoll sein, den gerichtlichen Beschluss über die Abberufung und Neuberufung des Verwahrers der Bücher und Schriften zum Registerordner zu nehmen, damit die Einsicht in das Handelsregister (§ 9 Abs. 1 S. 1 HGB) auch dieses Dokument umfasst.
Es sind keinerlei Stellungnahmen dazu ersichtlich, wie vorgegangen werden kann, wenn das Gericht einen Beschluss zur Auswechslung des Verwahrers der Bücher und Schriften ablehnt. Nach unserem Dafürhalten dürfte die Rechtslage weitgehend derjenigen bei der Bestellung eines Nachtragsliquidators entsprechen, sodass, wie dort, analog § 273 Abs. 5 AktG (so Haas, § 60 Rn. 106 m.N. in Fn. 566), oder – u. E. jedenfalls hier überzeugender – gem. §§ 402, 375 Nr. 6, 58 ff. FamFG (so M. F. Müller, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, § 66 Rn. 98; Rowedder/Pentz/Gesell, GmbHG, 7. Aufl. 2022, § 74 Rn. 27) gegen die ablehnende Entscheidung die Beschwerde zulässig wäre.
4. Ergebnis
Die Frage, auf welche Weise der Verwahrer der Bücher und Schriften nachträglich ausgetauscht werden kann, wird bisher kaum erörtert. Unseres Erachtens kann ein Gesellschafterbeschluss nach der Vollbeendigung der GmbH nicht mehr gefasst werden, vielmehr dürfte allein das Registergericht für den Austausch der Person des Verwahrers zuständig sein.