27. Juni 2019
ESÜ Art. 5; ESÜ Art. 22; ESÜ Art. 13

Frankreich: Grundstücksverkauf durch eine Erbengemeinschaft bei Beteiligung eines unter Vormundschaft stehenden französischen Staatsangehörigen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Frankreich

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 170078
letzte Aktualisierung: 27. Juni 2019

ESÜ Artt. 5 ff., 13, 22
Frankreich: Grundstücksverkauf durch eine Erbengemeinschaft bei Beteiligung eines
unter Vormundschaft stehenden französischen Staatsangehörigen mit gewöhnlichem
Aufenthalt in Frankreich

I. Sachverhalt

Ein französischer Staatsbürger, für den ein Vormundschaftsverfahren nach französischem Recht
angeordnet ist, ist Mitglied einer Erbengemeinschaft. Die Vormundschaft wurde angeordnet, um
„das Vermögen (des Mündels) zu verwalten und seine Person zu betreuen“. Die Erbengemeinschaft
und der Vormund beabsichtigen nun, ein Grundstück zu verkaufen. Der Vormund
will zum Termin nicht selbst erscheinen und hat deshalb einem Dritten formgemäße
Vollmacht erteilt, ihn beim Termin zu vertreten. Der Vormund weist seine Bestellung durch
eine beglaubigte und übersetzte, aber nicht apostillierte Abschrift des Vormundschaftsurteils
nach.

II. Fragen

1. Kann der Kaufvertrag (wie dargestellt) abgeschlossen werden?

2. Ist der Vertretungsnachweis des Vormunds ausreichend bzw. welche Vertretungsnachweise
müssen vorgelegt werden?

3. Bestehen Besonderheiten im Rahmen der Gestaltung des Kaufvertrages aufgrund französischen
Vormundschaftsverfahrens?

4. Muss bspw. eine gerichtliche Genehmigung eingeholt werden oder sollte klargestellt
werden, dass das Rechtsgeschäft vollentgeltlich erfolgt?

5. Kann sich der Vormund – wie beabsichtigt – vertreten lassen?

III. Zur Rechtslage

1. Anerkennung des in Frankreich bestellten tuteur in Deutschland

Bevor die Befugnisse des französischen tuteur näher untersucht werden, ist zu klären, ob
dieser als Vormund überhaupt in Deutschland anerkannt wird. Hier kommt eine Anerkennung
kraft Gesetzes nach Art. 22 Abs. 1 ESÜ in Betracht, da das Haager Über-
einkommen vom 13.10.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen (ESÜ)
sowohl für Deutschland als auch für Frankreich am 1.1.2009 in Kraft getreten ist und dieses
Übereinkommen nach Art. 50 Abs. 2 ESÜ auf die Anerkennung solcher Maßnahmen anzuwenden
ist, die in einem Staat getroffen worden sind, nachdem das Übereinkommen auch
für diesen Staat in Kraft getreten ist. Da – wovon wir ausgehen – der tuteur nach dem
1.1.2009 bestellt worden ist, ist das ESÜ und damit Art. 22 Abs. 1 ESÜ hier einschlägig.
Nach Art. 22 Abs. 1 ESÜ werden die von den Behörden eines Vertragsstaates getroffenen
Maßnahmen grundsätzlich kraft Gesetzes in den anderen Vertragsstaaten anerkannt. Die
Anerkennung kann nur aus den in Art. 22 Abs. 2 ESÜ genannten Gründen versagt werden,
also dann, wenn

– die Maßnahme von einer unzuständigen Behörde getroffen wurde,
– gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen worden ist,
– die Anerkennung dem ordre public des ersuchten Staates widerspricht,
– die Maßnahme mit einer später in einem Nichtvertragsstaat, der nach Art. 5-9 zuständig
gewesen wäre, getroffenen Maßnahme unvereinbar ist, sofern die spätere Maßnahme
die für ihre Anerkennung im ersuchten Staat erforderlichen Voraussetzungen erfüllt,
– das Verfahren nach Art. 33 ESÜ nicht eingehalten wurde (Verfahren der Unterbringung).
Wir gehen davon aus, dass einer dieser Gründe, die zur Nichtanerkennung der tutelle führen
könnten, hier nicht vorliegt.

2. Befugnisse des in Frankreich bestellten tuteur

a) Anwendbares Recht

Grundsätzlich ist im autonomen deutschen Recht das auf die Vormundschaft, Betreuung
und Pflegschaft anwendbare Recht in Art. 24 EGBGB geregelt. Allerdings
gehen den autonomen kollisionsrechtlichen Bestimmungen nach Art. 3 Nr. 2 EGBGB
Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen vor, soweit sie unmittelbar anwendbares
innerstaatliches Recht geworden sind. Zu beachten wäre hier also wiederum
das oben bereits erwähnte ESÜ, welches sowohl für Deutschland als auch für
Frankreich in Kraft getreten ist. Nach Art. 50 Abs. 1 ESÜ ist dieses Übereinkommen
auf Maßnahmen anzuwenden, die in einem Staat getroffen werden, nachdem das Übereinkommen
für diesen Staat in Kraft getreten ist. Für eine hier möglicherweise erforderlich
werdende gerichtliche Genehmigung ist also in jedem Fall der zeitliche Anwendungsbereich
des ESÜ eröffnet.

Nach Art. 1 Abs. 1 ESÜ ist das Abkommen bei internationalen Sachverhalten auf den
Schutz von Erwachsenen anzuwenden, die aufgrund einer Beeinträchtigung oder der
Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, ihre Interessen
zu schützen. Schutzmaßnahmen, die nicht gerade einer solchen Hilfsbedürftigkeit begegnen
wollen, werden nicht erfasst (Staudinger/v. Hein, BGB, Neubearb. 2019, Art. 1
ErwSü Rn. 2 ff.). Die Anordnung einer tutelle nach Art. 473 Abs. 1 Code Civil (c. c.)
eröffnet in jedem Fall den sachlichen Anwendungsbereich des ESÜ.

Das von den Behörden bei Ausübung ihrer Zuständigkeit anzuwendende Recht bestimmt
Art. 13 ESÜ. Danach wenden die Behörden der Vertragsstaaten bei Ausübung
ihrer Zuständigkeit nach Kap. 2 des ESÜ ihr eigenes Recht an. Zuständig sind nach
Art. 5 Abs. 1 ESÜ grundsätzlich die Behörden des Vertragsstaates, in dem der Erwach-
sene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Damit sind hier aufgrund des gewöhnlichen
Aufenthalts der unter tutelle gestellten Person die französischen Behörden zuständig.
Die Frage, ob der tuteur für sein Handeln eine betreuungsgerichtliche Genehmigung
braucht, beurteilt sich mithin nach französischem Recht.

b) Zur tutelle nach französischem Recht

Das französische Erwachsenenschutzrecht kennt auch nach den im Jahr 2009 und 2016
in Kraft getretenen Reformen drei Formen des Schutzes für hilfebedürftige Erwachsene,
nämlich die sauvegarde de justice (Beistandschaft), die curatelle de majeur (Betreuung)
und die tutelle de majeur (Vormundschaft über einen Erwachsenen). Nach Ihren
Angaben gehen wir davon aus, dass es sich im vorliegenden Fall um eine tutelle de majeur
handelt.

Für die weitest reichende Reform des staatlichen Eingriffs in die Selbstbestimmung und
die Geschäftsfähigkeit einer schutzbedürftigen erwachsenen Person legt die grundlegende
Vorschrift des Art. 473 Abs. 1 c. c. fest, dass mangels ausdrücklicher gesetzlicher
Bestimmung oder gewohnheitsrechtlicher Vorgaben, nach denen eine Person unter
tutelle Handlungen selbst vornehmen kann, sämtliche Rechtsgeschäfte anstelle des unter
tutelle gestellten Erwachsenen von dessen Vormund (tuteur) vorgenommen werden.
Aber auch hier sieht das neue französische Erwachsenenschutzrecht weitergehende
Flexibilität vor, indem es anordnet, dass der Richter in dem die tutelle anordnenden
Beschluss oder in einem späteren Beschluss festlegen kann, dass bestimmte, genau aufzuzählende
Rechtsakte von der unter Vormundschaft gestellten Person selbst oder
unter bloßer Mitwirkung des Vormundes vorgenommen werden können. Folglich ist
als für die tutelle festzuhalten, dass in diesem Fall praktisch eine „gesetzliche Vermutung“
dahin geht, dass der unter Vormundschaft gestellte keine Handlung selbst
vornehmen kann, sondern nur noch durch seinen Vormund.

Darüber hinaus ist jedoch noch eine weitere Unterscheidung vorzunehmen, nämlich
hinsichtlich der Rechtsgeschäfte, die der Vormund alleine vornehmen kann, und solchen,
zu denen er entweder der Zustimmung des Gerichtes oder des sog. conseil de famille
(Familienrat, näheres ist geregelt in Art. 456 f. c. c.) bedarf. Die gesetzliche Neufassung
nach der Reform 2007/2009 hat (und zwar sowohl für das Recht der Vormundschaft
über Minderjährige als auch für das Recht der Vormundschaft für Erwachsene) eine
übersichtlichere Neuregelung der Befugnisse des Vormundes in vermögensrechtlichen
Angelegenheiten gebracht. In den Art. 503 ff. c. c. wird dargestellt, welche Rechtshandlungen
der Vormund alleine vornehmen kann, für welche Rechthandlungen er eine
Genehmigung (autorisation) des Vormundschaftsrichters oder des conseil de famille benötigt
und welche Maßnahmen er selbst mit einer Genehmigung des Richters oder des
conseil de famille in keiner Weise vornehmen darf. Maßgebend ist insoweit immer noch
die auch im früheren französischen Erwachsenenschutzrecht gebräuchliche Unterscheidung
zwischen Geschäften der ordentlichen Verwaltung (actes d’administration
nécessaire à la gestion du patrimoine de la personne protégée) und den „Verfügungsgeschäften“
(actes de disposition). Während Art. 504 Abs. 1 c. c. die Geschäfte der ordentlichen Verwaltung
in den Bereich einordnet, den der Vormund ohne Mitwirkung des Gerichtes
oder des Familienrates vornehmen kann, legt Art. 505 Abs. 1 c. c. ausdrücklich fest,
dass der Vormund für „actes de disposition“ die Genehmigung des Familienrates oder –
sollte dieser nicht gebildet worden sein – des Vormundschaftsrichters benötigt.

Insbesondere aus Art. 505 c. c. ergibt sich klar, dass jede Verfügung über dingliche
Rechte durch den Vormund (tuteur) einer gerichtlichen Genehmigung bzw. ggf. der Ge-
nehmigung durch den conseil de famille bedarf. Im Ergebnis ist hier also eine gerichtliche
Genehmigung erforderlich.

Entsprechend der Praxis der französischen Notare, welche auf eine Genehmigung
vollmachtlosen Handelns vollständig verzichten und allfällige Zustimmungen stets vor
der Beurkundung des Rechtsgeschäfts einholen, geht auch das französische Vormundschaftsgericht
davon aus, dass gerichtliche Genehmigungen zum Handeln des
Vormunds bereits vorab eingeholt werden müssen. Inwieweit nach französischem
Vormundschaftsrecht eine nachgeholte Genehmigung überhaupt zulässig ist, entzieht
sich allerdings unserer positiven Kenntnis.

Im Übrigen bestehen keine Bedenken dagegen, dass sich der Vormund bei Abschluss
des Kaufvertragsrechts rechtsgeschäftlich vertreten lässt.

3. Zuständiges Gericht

International zuständig zur Erteilung der Genehmigung sind – wie bereits oben ausgeführt
– die französischen Gerichte, da die unter Vormundschaft gestellte Person ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in Frankreich hat (Art. 5 Abs. 1 ESÜ).

Daneben stellt das ESÜ in seinem Kap. II weitere Zuständigkeiten zur Verfügung. Allerdings
stehen die von Art. 5 ff. ESÜ zur Verfügung gestellten Zuständigkeiten nicht gleichberechtigt
nebeneinander (Helms, Reform des internationalen Betreuungsrechts durch das
Haager Erwachsenenschutzabkommen, FamRZ 2008, 1995, 1996). Vielmehr sind primär
die Behörden des Staates zuständig, in dem der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hat (Art. 5 ESÜ). Nach Art. 5 Abs. 1 ESÜ wären hier also – wie ausgeführt – die
französischen Gerichte zur Erteilung der Genehmigung berufen, ohne dass es auf die Belegenheit
des Grundstücks ankommt. Nach Art. 8 ESÜ hätte allerdings die Aufenthaltsbehörde
bzw. das Aufenthaltsgericht die Möglichkeit, soweit dies dem Wohl des Erwachsenen
dienlich ist, von Amts wegen oder auf Antrag ihre Zuständigkeit ganz oder teilweise auf
die Behörden/Gerichte bestimmter anderer Vertragsstaaten zu übertragen. Eine Zuständigkeit
der Behörden des ersuchten Staats/Gerichte des ersuchten Staates wird allerdings nur
dann begründet, wenn die beauftragte Behörde/das beauftragte Gericht die Zuständigkeit
annimmt (Art. 8 Abs. 3 ESÜ). Inwieweit von dieser Möglichkeit in der Praxis Gebrauch
gemacht wird, vermögen wir leider nicht zu beurteilen.

Eine konkurrierende, subsidiäre Zuständigkeit der deutschen Gerichte könnte sich vorliegend
jedoch möglicherweise aus Art. 9 ESÜ ergeben. Danach können die Behörden/
Gerichte des Staates, in dem sich Vermögen des Betroffenen befindet, eine Belegenheitszuständigkeit
geltend machen, um Schutzmaßnahmen für das im Inland befindliche
Vermögen zu treffen, soweit diese nicht in Widerspruch zu den Maßnahmen
stehen, die von den vorrangig zuständigen Behörden getroffen wurden (Helms,
FamRZ 2008, 1997). Nach Helms (FamRZ 2008, 1997) wird es sich dabei häufig um die
Genehmigung von Verfügungsgeschäften handeln, die ein im Aufenthaltsstaat bestellter Betreuer
in Bezug auf das Vermögen vornehmen will, das sich im Ausland befindet.

Insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 14 ESÜ (Art. 14: Wird eine in einem Vertragsstaat
getroffene Maßnahme in einem anderen Vertragsstaat durchgeführt, so bestimmt das Recht dieses anderen
Staates die Bedingungen, unter denen sie durchgeführt wird) kann es sich anbieten, eine gerichtliche
Genehmigung (etwa für Grundstücksgeschäfte wie hier), welche das Recht des gewöhnlichen
Aufenthalts nicht kennt, im Belegenheitsstaat einzuholen (so auch Lagarde, erläuternder
Bericht, Nr. 75).

Im Ergebnis sind hier also aber in erster Linie die französischen Gerichte international zuständig.

4. Zum Nachweis

Gem. Art. 38 ESÜ können die Behörden des Vertragsstaates, in dem eine Schutzmaßnahme
getroffen wurde, jedem, dem der Schutz der Person des Vermögens des Erwachsenen anvertraut
wurde, auf dessen Antrag eine Bescheinigung über seine Berechtigung und die ihm
übertragenen Befugnisse ausstellen. Sollte in Frankreich eine entsprechende Bescheinigung
für den Vormund ausgestellt worden sein, so wäre diese dann in Deutschland
auf der Basis des ESÜ anzuerkennen, ohne dass es weiterer Maßnahmen (Exequatur
bzw. Apostille) bedarf. In gleicher Weise ist auch die gerichtliche Genehmigung in Deutschland
als öffentliche Urkunde i. S. v. § 29 GBO unmittelbar wirksam anzuerkennen und als
grundbuchtauglicher Nachweis anzusehen. Die Anbringung einer Apostille oder die Durchführung
einer Legalisation ist nicht erforderlich, da aufgrund des Abkommens mit der Französischen
Republik vom 13.9.1971 eine von einem französischem Gericht ausgestellte Urkunde
in Deutschland von jedem weiteren Nachweis der Echtheit befreit ist. Das gleiche
folgt aus Art. 41 ESÜ, wonach die nach dem ESÜ übermittelten oder ausgestellten Schriftstücke
von jeder Legalisation der entsprechenden Förmlichkeit befreit sind. Demgemäß
muss auch der die Vormundschaft anordnende Beschluss des französischen Gerichts in
deutscher Übersetzung und ohne Apostille hier zum Nachweis ausreichen.

Gutachten/Abruf-Nr:

170078

Erscheinungsdatum:

27.06.2019

Rechtsbezug

International

Normen in Titel:

ESÜ Art. 5; ESÜ Art. 22; ESÜ Art. 13