BGB §§ 1004, 1018, 1027, 1028
Grunddienstbarkeit; Bauverbot; Verjährung des Beseitigungsanspruchs; Erlöschen der Grunddienstbarkeit
I. Sachverhalt
Im Grundbuch ist eine Grunddienstbarkeit eingetragen, welche nach der Bewilligung folgenden Inhalt aufweist:
„Das Kaufgrundstück darf vereinbarungsgemäß nur mit einem Einfamilienhaus oder einem Zweifamilienhaus bebaut werden.“
Die Grunddienstbarkeit wurde im Jahre 1925 eingetragen. Kurz danach wurde das Grundstück mit einem Mehrfamilienhaus bebaut.
II. Frage
Welche Rechte könnte der Berechtigte aus der vorgenannten Grunddienstbarkeit heute noch herleiten?
III. Zur Rechtslage
1. Anspruch auf Beseitigung des Gebäudes
In Betracht kommt ein Anspruch des Berechtigten der Grunddienstbarkeit auf Beseitigung des Mehrfamilienhauses aus § 1027 BGB i. V. m. § 1004 BGB.
Wird eine Grunddienstbarkeit beeinträchtigt, so stehen dem Berechtigten gem. § 1027 BGB die in § 1004 BGB bestimmten Rechte zu. Er kann also auch die Beseitigung der Störung verlangen.
Grundvoraussetzung hierfür ist, dass eine Beeinträchtigung der Grunddienstbarkeit erfolgt. Beeinträchtigung in diesem Sinn ist jede Störung oder Behinderung der rechtmäßigen Ausübung der Dienstbarkeit (BGH BeckRS 2023, 4049 Rn. 7). Die Rechtsprechung hat dies insbesondere in Fällen angenommen, in denen der Ausbau eines Hauses entgegen den in einer Grunddienstbarkeit festgelegten Baubeschränkungen erfolgt ist (vgl. BeckOGK-BGB/Kazele, Std.: 1.5.2023, § 1027 Rn. 18; BGH BeckRS 1967, 31174471). Daher ist auch vorliegend davon auszugehen, dass durch die Überschreitung der in der Dienstbarkeit festgelegten Baugrenzen eine Beeinträchtigung erfolgt ist, so dass der Berechtigte die Beseitigung verlangen kann. Der Beseitigungsanspruch dürfte dabei in dem Moment entstanden sein, als die Bebauung tatsächlich den gestatteten Rahmen überschritten hat.
Allerdings könnte der Beseitigungsanspruch verjährt sein.
Für Beseitigungsansprüche aus §§ 1027, 1004 BGB stellt sich mit Blick auf die Unverjährbarkeit eingetragener Rechte (§ 902 Abs. 1 S. 1 BGB) die grundsätzliche Frage, ob diese der Verjährung unterliegen. Der BGH differenziert wie folgt: Geht es um die Verwirklichung der Dienstbarkeit selbst, ist der Anspruch unverjährbar. Steht hingegen nur die Ausübung der Dienstbarkeit in Frage, unterliegt der Anspruch aus §§ 1027, 1004 BGB der regelmäßigen Verjährungsfrist (BGH NJW 2011, 518 Rn. 18 ff.; krit. Staudinger/Weber, BGB, 2017, § 1027 Rn. 26a). Im vorliegenden Fall ist diese Frage aber nicht entscheidungserheblich, da die Beeinträchtigung der Grunddienstbarkeit durch eine Anlage auf dem dienenden Grundstück verursacht wird. Für diesen Fall bestimmt § 1028 Abs. 1 S. 1 BGB, dass der Anspruch des Berechtigten auf Beseitigung auch dann der Verjährung unterliegt, wenn die Grunddienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist (vgl. BGH NJW 2011, 518 Rn. 23).
Strittig, aber vorliegend angesichts der Errichtung des Mehrfamilienhauses vor bereits rund 100 Jahren wiederum nicht entscheidungserheblich ist die Frage, welche Verjährungsfrist im Fall des § 1028 Abs. 1 S. 1 BGB Anwendung findet. Da das Gesetz hierzu keine Regelung trifft, läge es auf den ersten Blick nahe, die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) heranzuziehen. Der BGH hingegen differenziert hier ebenfalls zwischen der Verwirklichung der Dienstbarkeit selbst und deren Ausübung. Geht es um die Verwirklichung der Grunddienstbarkeit selbst und nicht nur um eine Störung in der Ausübung, so soll der Anspruch auf Beseitigung einer Beeinträchtigung, die durch eine Anlage verursacht wird, in entsprechender Anwendung von § 197 Nr. 2 BGB in 30 Jahren verjähren. Hierzu der BGH wörtlich (NJW 2014, 3780 Rn. 25-29):
„Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Gesetzgeber bei der Überarbeitung des Verjährungsrecht die Folgen der Anwendung der neuen regelmäßigen Verjährungsfrist im Rahmen des § 1028 Abs. 1 BGB bewusst waren und er gleichwohl deren Geltung auch in diesem Regelungszusammenhang anordnen wollte. […] Die mit der Verkürzung der regelmäßigen Verjährungsfrist von dreißig auf drei Jahre einhergehenden Folgen sind in diesem Zusammenhang derart gravierend, dass eine Begründung zu erwarten gewesen wäre, wenn der Gesetzgeber auch diese gewollt hätte. […] Vor diesem Hintergrund ist von einer durch die Überarbeitung des Verjährungsrechts nachträglich entstandenen verdeckten Lücke auszugehen […] Sie ist in der Weise zu schließen, dass der Anspruch auf Beseitigung einer Beeinträchtigung der Grunddienstbarkeit, die durch eine Anlage auf dem dienenden Grundstück verursacht wird, in entsprechender Anwendung von § 197 Nr. 2 BGB in 30 Jahren verjährt, wenn es um die Verwirklichung des Rechts selbst und nicht nur um eine Störung in der Ausübung geht.“
Als Zwischenergebnis lässt sich somit festhalten, dass der entstandende Beseitigungsanspruch aus §§ 1027, 1004 BGB nunmehr verjährt ist.
2. Erlöschen der Grunddienstbarkeit wegen Verjährung des Beseitigungsanspruchs
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Grunddienstbarkeit gem. § 1028 Abs. 1 S. 2 BGB erloschen ist. Nach dieser Vorschrift erlischt die Dienstbarkeit mit der Verjährung des Beseitigungsanspruchs, soweit der Bestand der Anlage mit der Dienstbarkeit in Widerspruch steht. Ein Erlöschen hätte zur Folge, dass der Eigentümer des dienenden Grundstücks gegen den Eigentümer des herrschenden Grundstücks einen Anspruch aus § 894 BGB auf Zustimmung zur Löschung der Grunddienstbarkeit im Grundbuch hätte (BGH BeckRS 2023, 4049 Rn. 7).
Gegen ein (vollständiges) Erlöschen der Grunddienstbarkeit spricht, dass § 1028 Abs. 1 S. 2 BGB ein Erlöschen mit Verjährung des Beseitigungsanspruchs nur vorsieht, „soweit“ die auf dem dienenden Grundstück errichtete Anlage mit ihr in Widerspruch steht. Soweit also die Anlage die Grunddienstbarkeit nicht beeinträchtigt, bleibt diese bestehen (BayObLGZ 1959, 478, 489 f.).
Im Fall einer Grunddienstbarkeit, die ein Bauverbot oder eine Baubeschränkung zum Inhalt hat, liegt es deshalb zunächst nahe, danach zu differenzieren, ob die Bebauung des dienenden Grundstücks vollständig untersagt oder lediglich der Art oder Größe nach beschränkt ist. Soweit – anders als vorliegend – Ersteres der Fall ist, kann der Berechtigte gem. §§ 1027, 1004 BGB die Beseitigung des gesamten Bauwerks verlangen. Der Beseitigungsanspruch unterliegt dann also keinen Schranken, insbesondere nicht in Hinblick auf ein bestimmtes Bebauungsmaß. Folglich könnte man sich auf den Standpunkt stellen, es gebe bei einem umfassenden Bebauungsverbot keinen abtrennbaren „überschießenden Teil“ der Grunddienstbarkeit, der von einer Bebauung nicht beeinträchtigt wäre. Bei einer Verjährung des Beseitigungsanspruchs komme es daher zu einem vollständigen Erlöschen der Dienstbarkeit (so OLG Schleswig Urt. v. 22.3.2022 – 7 U 75/21, BeckRS 2022, 5543 Rn. 33, als Vorinstanz zur nachfolgend besprochenen BGH-Entscheidung).
Einer solchen Differenzierung zwischen umfassendem Bauverbot und bloßer Baubeschränkung ist der BGH allerdings jüngst entgegengetreten. Selbst bei einem umfassenden Bauverbot komme es mit Eintritt der Verjährung des Beseitigungsanspruchs nicht unbedingt zu einem vollständigen Erlöschen der Dienstbarkeit. Es treffe nicht zu, dass es bei einem Bauverbot keinen abgrenzbaren Teil der Grunddienstbarkeit gebe, der durch eine Bebauung nicht beeinträchtigt sei. Selbst in dem Fall, dass eine bauliche Anlage in Gänze mit der Grunddienstbarkeit nicht vereinbar sei, könne sie möglicherweise zu ihr nur teilweise i. S. v. § 1028 Abs. 1 S. 2 BGB in Widerspruch stehen, wenn ein Grundstücksbereich verbleibe, der weiter genutzt werden könne, auf dem also die Grunddienstbarkeit dem herrschenden Grundstück nach wie vor einen Vorteil biete. Räumlich könne daher ein abgrenzbarer Teil des Bauverbots verbleiben, wenn das errichtete Gebäude den von dem Bauverbot erfassten Bereich des Grundstücks nicht ausschöpfe. Selbst wenn das gesamte Grundstück oder die gesamte, von der Grunddienstbarkeit erfasste Grundstücksfläche bebaut werde, könne räumlich noch ein nicht beeinträchtigter Bereich verbleiben, nämlich insoweit, als es um die Höhe der Bebauung gehe. Außerdem bleibe durch die in § 1028 Abs. 1 S. 2 BGB angeordnete Begrenzung des Erlöschens dem Eigentümer des herrschenden Grundstücks die Möglichkeit, eine entgegen dem Bauverbot errichtete Anlage, die ihn aus seiner Sicht nicht, nur teilweise oder nur geringfügig beeinträchtigt, zu dulden, ohne Gefahr zu laufen, dass die Grunddienstbarkeit hierdurch insgesamt erlöschen würde. Die Gegenauffassung hätte hingegen zur Folge, dass der Berechtigte seinen Beseitigungsanspruch auch gegen kleinste bauliche Anlagen – notfalls auch gerichtlich – durchsetzen müsse, um sein Recht nicht insgesamt zu verlieren (BGH Urt. v. 20.1.2023 – V ZR 65/22, BeckRS 2023, 4049 Rn. 20 ff. = DNotI-Report 2023, 62; vgl. Berger, ZfIR 2022, 334, 335; MünchKommBGB/Mohr, 9. Aufl. 2023, § 1028 Rn. 9 Fn. 43).
Ein vollständiges Erlöschen und damit ein Anspruch des Eigentümers des dienenden Grundstücks auf Erteilung einer Löschungsbewilligung (§ 894 BGB) sind daher vorliegend nicht gegeben. Die Grunddienstbarkeit ist lediglich insoweit erloschen, als das errichtete Mehrfamilienhaus mit ihr im Widerspruch steht, § 1028 Abs. 1 S. 2 BGB.
3. Abschließende Zusammenfassung
Der Berechtigte der Grunddienstbarkeit hatte zwar einen Anspruch auf Beseitigung des Mehrfamilienhauses aus §§ 1027, 1004 BGB, soweit dieses mit dem Inhalt der Dienstbarkeit im Widerspruch stand. Dieser Anspruch ist aufgrund Verjährung allerdings mit der Dienstbarkeit erloschen, § 1028 Abs. 1 BGB. Der Verjährungseintritt führt zwar nicht zu einem vollständigen, aber doch zu einem teilweisen Erlöschen der Dienstbarkeit, § 1028 Abs. 1 S. 2 BGB, so dass dem Berechtigten nun kein Anspruch auf Beseitigung mehr zusteht.