05. Dezember 2024
BGB § 1820; BGB § 168

Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch weitere Bevollmächtigte

BGB §§ 168, 1820
Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch weitere Bevollmächtigte

I. Sachverhalt
Vor einigen Jahren hat der Ehemann eine notarielle Vorsorgevollmacht errichtet. Bevollmächtigt sind seine Ehefrau und sein einseitiger Sohn, und zwar jeweils einzeln. Der Ehemann ist mittlerweile aufgrund einer Demenz geschäftsunfähig. Die Ehefrau teilte mit, dass das Verhältnis zwischen ihr und dem Stiefsohn mittlerweile zerrüttet sei. Sie möchte gerne in ihrer Eigenschaft als Bevollmächtigte des Ehemannes die von dem Ehemann dem Sohn erteilte Vollmacht widerrufen. In der Vollmachtsurkunde ist keine Regelung zu der Frage enthalten, ob ein Bevollmächtigter die Vollmacht des anderen Bevollmächtigten widerrufen kann.
II. Fragen
1. Kann die Ehefrau die Vollmacht, die der Ehemann seinem einseitigen Sohn erteilt hat, widerrufen?

2. Gilt hier das Prinzip, wer am schnellsten den Widerruf erklärt, hat Erfolg?

III. Zur Rechtslage
1. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfragen auch von der Auslegung der konkret erteilten Vorsorgevollmacht abhängt. Die Beantwortung dieser Auslegungsfrage kann hier nicht abschließend erfolgen, da dazu bekanntlich stets alle Umstände des Einzelfalls, auch solche außerhalb der Urkunde, heranzuziehen sind (s. hierzu nur Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 133 Rn. 14 ff.).

2. Das Gesetz enthält in § 1820 Abs. 5 BGB seit dem 1.1.2023 eine eigene Regelung für den Widerruf einer Vorsorgevollmacht. Der Widerruf wird dort an bestimmte inhaltliche Voraussetzungen geknüpft und unter Genehmigungsvorbehalt seitens des Betreuungsgerichts gestellt. Die gesetzliche Regelung gilt jedoch nur für den Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch einen Betreuer. Für den Widerruf einer Vollmacht durch einen von mehreren Bevollmächtigten ist § 1820 Abs. 5 BGB dagegen nicht einschlägig (s. Müller-Engels, FamRZ 2021, 645, 648; Münch, FamRZ 2020, 1513, 1517; BeckOK-BGB/Müller-Engels, Std.: 1.5.2024, § 1820 Rn. 52).

3. Daher ist zur Beantwortung der Frage auf die bereits bisher anerkannten Grundsätze zurückzugreifen. In der Rechtsprechung hat sich das OLG Karlsruhe erstmals mit Beschluss vom 3.2.2010 (FamRZ 2010, 1762) mit der Problematik befasst. Das OLG entschied, dass bei einer gleichrangigen Generalvollmacht für mehrere Personen mangels abweichender Bestimmung des Vollmachtgebers keiner der Bevollmächtigten befugt sei, die Vollmacht des anderen zu widerrufen. Dies gelte auch dann, wenn der Vollmachtgeber wegen Geschäftsunfähigkeit nicht mehr in der Lage sei, selbst über den Widerruf der Vollmacht zu befinden. In einem solchen Fall sei ggf. ein Vollmachtsüberwachungsbetreuer zu bestellen (s. zum Problem auch bereits Gutachten DNotI-Report 2014, 3 f.). Allerdings war die Entscheidung des OLG Karlsruhe stark einzelfallbezogen, da sich das Gericht wesentlich auf die Auslegung der vorliegenden Vollmachtsurkunde gestützt hatte.

Nachfolgend hat das OLG Karlsruhe (NJW-RR 2022, 436 Rn. 9; aktuelle Problemübersicht auch bei Renner/Braun, in: Müller-Engels/Braun, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen in der Praxis, 6. Aufl. 2022, Kap. 2 Rn. 523 ff.) seinen bereits im Jahre 2010 eingenommenen Standpunkt nochmals bekräftigt: Mit der Erteilung einer Vorsorgevollmacht an eine Person ist aus Sicht des OLG Karlsruhe (NJW-RR 2022, 436, 437 Rn. 9) regelmäßig nicht die Bevollmächtigung zum Widerruf einer gleichzeitig einer weiteren Person erteilten Vorsorgevollmacht verbunden. Denn anderenfalls wäre der Wunsch des Vollmachtgebers, mehreren Personen eine Einzelvertretungsmacht einzuräumen, ständig der Gefahr ausgesetzt, nach dem „Windhundprinzip“ konterkariert zu werden, indem jeder Einzelbevollmächtigte fortlaufend befürchten müsste, seine Vollmacht werde durch einen anderen Bevollmächtigten widerrufen. Jeder Bevollmächtigte könnte sich so die Position eines ausschließlich Bevollmächtigten verschaffen. Dies habe der Vollmachtgeber jedoch ersichtlich nicht gewollt, als er sich dafür entschied, mehreren Personen Vollmacht mit Einzelvertretungsbefugnis zu erteilen, weshalb nach Auffassung des OLG Karlsruhe im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) im Regelfall eine entsprechende konkludente Beschränkung der Vertretungsmacht jedes Einzelbevollmächtigten zu ermitteln sei.

Die Auslegungstendenz des OLG Karlsruhe wird in einer aktuellen Entscheidung auch durch den BGH zustimmend referiert (BGH, Beschl. v. 8.5.2024 – XII ZB 577/23, DNotZ 2024, 865). Der BGH führt dort aus (Rn. 11 der Entscheidungsgründe), dass es eine Frage der Auslegung der konkreten Vorsorgevollmacht sei, ob die anderen Einzelbevollmächtigten zum Teilwiderruf der Vorsorgevollmacht zugunsten eines Bevollmächtigten befugt seien. Diese dürfte in vielen Fällen dahingehend zu beantworten sein, dass dem Bevollmächtigten jedenfalls nicht die Möglichkeit zum Widerruf der gleichrangigen Vollmacht eines anderen Bevollmächtigten eingeräumt sein solle (mit Hinweis auf die Rspr. des OLG Karlsruhe sowie auf Spernath, MittBayNot 2021, 425, 429 f., 436 f.; Stascheit, RNotZ 2020, 61, 83 f.) Dann könne die gerichtliche Bestellung eines Kontrollbetreuers nach §§ 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 BGB geboten sein, dessen Tätigkeit sich auch auf einen von mehreren Bevollmächtigten beziehen könne.

Im Schrifttum haben sich Renner/Braun (Kap. 2 Rn. 536 ff.) kritisch zu der Argumentation des OLG Karlsruhe geäußert. Sie resümieren, für den Widerruf könne es schlechte wie gute Gründe geben. Der Ausschluss des Widerrufsrechts führe nicht unbedingt zu gerechteren Ergebnissen. Allerdings bezieht sich die Stellungnahme aus kautelarjuristischer Sicht eher auf eine vorsorgende explizite Regelung des Widerrufsproblems. Wo eine solche – wie auch im unterbreiteten Sachverhalt – fehlt, sprechen die Erwägungen von Renner/Braun nach Einschätzung des DNotI eher für den Standpunkt des OLG Karlsruhe: In Ermangelung einer konkreten Regelung sollte die Widerrufskompetenz zu Lasten eines anderen Bevollmächtigten nicht gleichsam automatisch jedem Mitbevollmächtigten zugestanden werden. Vielmehr ist in einem solchen Fall u. E. gerade die vom Reformgesetzgeber in § 1820 Abs. 5 BGB für den Betreuer gefundene Lösung die sinnvollste: Der Widerruf greift hiernach nur dann durch, wenn er durch bestimmte inhaltliche Gründe gerechtfertigt ist. Dies wird im Genehmigungsverfahren präventiv durch das Betreuungsgericht überprüft.

Auch der hier konkret unterbreitete Sachverhalt bietet wohl keine besonderen Anhaltspunkte für eine Auslegung in dem Sinne, dass – abweichend von dem durch das OLG Karlsruhe und mittlerweile auch den BGH vertretenen Grundsatz – der Ehefrau doch eine Widerrufskompetenz zu Lasten des ebenfalls bevollmächtigten Sohnes zustehen sollte. Der Umstand, dass das Verhältnis zwischen Ehefrau und Stiefsohn mittlerweile zerrüttet ist, mag zwar zu Konflikten und Reibungsmöglichkeiten bei der Ausübung der Vollmacht führen, die zuvor so nicht gegeben waren. Ob es aber in der konkret eingetretenen Situation dem Interesse des Vollmachtgebers – also nicht gerade „nur“ demjenigen der Ehefrau – entsprochen hätte, nunmehr bei der Ausübung der Vollmacht seiner Ehefrau den Vorzug gegenüber dem Sohn einzuräumen, bleibt nach dem Sachverhalt ganz offen.

4. Im Ergebnis wird man deswegen u. E. im Zweifel annehmen müssen, dass mangels eines nachweisbaren Willens des Vollmachtgebers der Widerruf der Vollmacht zu Lasten des einseitigen Sohnes durch die Ehefrau in ihrer Position als Bevollmächtigte nicht vom Vollmachtsumfang gedeckt ist (§ 133 BGB). Will die Ehefrau den Vollmachtswiderruf gleichwohl durchsetzen, so müsste sie beim Betreuungsgericht ihre eigene Bestellung als Betreuerin gem. §§ 1814 ff. BGB anregen, wobei zunächst die inhaltlichen Voraussetzungen einer Betreuerbestellung trotz der vorliegenden Vorsorgevollmachten zu begründen wären. Sollte die Ehefrau daraufhin tatsächlich zur Betreuerin ihres Mannes bestellt werden, könnte sie die dem Stiefsohn erteilte Vorsorgevollmacht unter den Voraussetzungen des § 1820 Abs. 5 BGB widerrufen. Hierfür müssten zum einen die vom Gesetz verlangten inhaltlichen Voraussetzungen vorliegen; eine Zerrüttung des Verhältnisses zwischen ihr und dem Stiefsohn wäre insoweit also irrelevant. Zum anderen müsste das Betreuungsgericht den Widerruf genehmigen (§ 1820 Abs. 5 S. 2 BGB).

Gutachten/Abruf-Nr:

208800

Erscheinungsdatum:

05.12.2024

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)

Erschienen in:

DNotI-Report 2024, 178-180

Normen in Titel:

BGB § 1820; BGB § 168