Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch weitere Bevollmächtigte
BGB §§ 168, 1820
Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch weitere Bevollmächtigte
I. Sachverhalt
Vor einigen Jahren hat der Ehemann eine notarielle Vorsorgevollmacht errichtet. Bevollmächtigt sind seine Ehefrau und sein einseitiger Sohn, und zwar jeweils einzeln. Der Ehemann ist mittlerweile aufgrund einer Demenz geschäftsunfähig. Die Ehefrau teilte mit, dass das Verhältnis zwischen ihr und dem Stiefsohn mittlerweile zerrüttet sei. Sie möchte gerne in ihrer Eigenschaft als Bevollmächtigte des Ehemannes die von dem Ehemann dem Sohn erteilte Vollmacht widerrufen. In der Vollmachtsurkunde ist keine Regelung zu der Frage enthalten, ob ein Bevollmächtigter die Vollmacht des anderen Bevollmächtigten widerrufen kann.
II. Fragen
1. Kann die Ehefrau die Vollmacht, die der Ehemann seinem einseitigen Sohn erteilt hat, widerrufen?
2. Gilt hier das Prinzip, wer am schnellsten den Widerruf erklärt, hat Erfolg?
III. Zur Rechtslage
1. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfragen auch von der Auslegung der konkret erteilten Vorsorgevollmacht abhängt. Die Beantwortung dieser Auslegungsfrage kann hier nicht abschließend erfolgen, da dazu bekanntlich stets alle Umstände des Einzelfalls, auch solche außerhalb der Urkunde, heranzuziehen sind (s. hierzu nur Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 133 Rn. 14 ff.).
2. Das Gesetz enthält in
3. Daher ist zur Beantwortung der Frage auf die bereits bisher anerkannten Grundsätze zurückzugreifen. In der Rechtsprechung hat sich das OLG Karlsruhe erstmals mit Beschluss vom 3.2.2010 (
Nachfolgend hat das OLG Karlsruhe (
Die Auslegungstendenz des OLG Karlsruhe wird in einer aktuellen Entscheidung auch durch den BGH zustimmend referiert (BGH, Beschl. v. 8.5.2024 – XII ZB 577/23,
Im Schrifttum haben sich Renner/Braun (Kap. 2 Rn. 536 ff.) kritisch zu der Argumentation des OLG Karlsruhe geäußert. Sie resümieren, für den Widerruf könne es schlechte wie gute Gründe geben. Der Ausschluss des Widerrufsrechts führe nicht unbedingt zu gerechteren Ergebnissen. Allerdings bezieht sich die Stellungnahme aus kautelarjuristischer Sicht eher auf eine vorsorgende explizite Regelung des Widerrufsproblems. Wo eine solche – wie auch im unterbreiteten Sachverhalt – fehlt, sprechen die Erwägungen von Renner/Braun nach Einschätzung des DNotI eher für den Standpunkt des OLG Karlsruhe: In Ermangelung einer konkreten Regelung sollte die Widerrufskompetenz zu Lasten eines anderen Bevollmächtigten nicht gleichsam automatisch jedem Mitbevollmächtigten zugestanden werden. Vielmehr ist in einem solchen Fall u. E. gerade die vom Reformgesetzgeber in
Auch der hier konkret unterbreitete Sachverhalt bietet wohl keine besonderen Anhaltspunkte für eine Auslegung in dem Sinne, dass – abweichend von dem durch das OLG Karlsruhe und mittlerweile auch den BGH vertretenen Grundsatz – der Ehefrau doch eine Widerrufskompetenz zu Lasten des ebenfalls bevollmächtigten Sohnes zustehen sollte. Der Umstand, dass das Verhältnis zwischen Ehefrau und Stiefsohn mittlerweile zerrüttet ist, mag zwar zu Konflikten und Reibungsmöglichkeiten bei der Ausübung der Vollmacht führen, die zuvor so nicht gegeben waren. Ob es aber in der konkret eingetretenen Situation dem Interesse des Vollmachtgebers – also nicht gerade „nur“ demjenigen der Ehefrau – entsprochen hätte, nunmehr bei der Ausübung der Vollmacht seiner Ehefrau den Vorzug gegenüber dem Sohn einzuräumen, bleibt nach dem Sachverhalt ganz offen.
4. Im Ergebnis wird man deswegen u. E. im Zweifel annehmen müssen, dass mangels eines nachweisbaren Willens des Vollmachtgebers der Widerruf der Vollmacht zu Lasten des einseitigen Sohnes durch die Ehefrau in ihrer Position als Bevollmächtigte nicht vom Vollmachtsumfang gedeckt ist (
208800
Erscheinungsdatum:05.12.2024
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
BGB § 1820; BGB § 168