19. März 2021
DONot § 20

Rückgabe eines Erbvertrages aus der notariellen Verwahrung; Verfahrensfragen bei behinderten Beteiligten

BeurkG §§ 2300, 36 ff.; DONot § 20
Rückgabe eines Erbvertrages aus der notariellen Verwahrung; Verfahrensfragen bei behinderten Beteiligten

I. Sachverhalt
Ein Ehepaar will einen Erbvertrag aus der amtlichen Verwahrung nehmen, da die Ehegatten die darin enthaltenen Verfügungen widerrufen wollen. Dabei ist es ihnen wichtig, zu vermeiden, dass der Erbvertrag später eröffnet wird und so die darin enthaltenen Verfügungen bekannt werden. Die Ehefrau ist fast blind und kann nichts mehr lesen. Der Ehemann ist sehr schwer­hörig und versteht andere Personen sehr schlecht bis gar nicht. Zweifel an der Geschäfts- oder Testierfähigkeit bestehen aber bei beiden nicht. Eine Aufhebung des Erbvertrags durch eine neue Urkunde möchte das Ehepaar nicht. Denn es kommt ihnen insbesondere auf das „Vernichten“ des damaligen Erbvertrages an, so dass nun die gesetzliche Erbfolge gelten soll.

II. Fragen
1. Kann einem Erblasser, der nichts lesen und somit auch nicht überprüfen kann, was ihm ausgehändigt wird, ein Erbvertrag aus der amtlichen Verwahrung zurückgegeben werden?

2. Falls dies zu bejahen ist, welche besonderen Vorschriften bzw. Verfahren sind dann für eine wirksame Rückgabe einzuhalten?

3. Welche Besonderheiten ergeben sich daraus, dass der Ehemann den Notar akustisch nicht versteht und somit eine Verständigung mit ihm sehr schwierig ist?

III. Zur Rechtslage
1. Rechtsnatur der Erbvertragsrückgabe nach § 2300 Abs. 2 BGB
Nach § 2300 Abs. 2 BGB kann ein Erbvertrag, der nur Verfügungen von Todes wegen enthält, aus der notariellen Verwahrung zurückgenommen und den Vertragsschließenden zurückgegeben werden. Die Rückgabe kann nur an alle Vertragsschließenden gemeinschaftlich erfolgen. Wird der Erbvertrag derart an alle Vertragsschließenden zurückgegeben, so gilt er als widerrufen. Der Notar als zurückgebende Stelle soll hierbei die Erblasser über diese Folge der Rückgabe belehren, die Rückgabe auf der Urkunde vermerken und aktenkundig machen, dass beides geschehen ist (§§ 2300 Abs. 2 S. 3, 2256 Abs. 1 BGB).

Die h. M. sieht in der Rückgabe sowohl ein Rechtsgeschäft unter Lebenden als auch – wegen der Widerrufswirkung – eine Verfügung von Todes wegen. Ebenso wie beim Erbvertrag nach § 2275 BGB ist daher notwendige Voraussetzung für die Rückgabe die Ge­schäftsfähigkeit beider Erblasser (BeckOGK-BGB/Müller-Engels, Std.: 1.1.2021, § 2300 Rn. 26; J. Mayer/Röhl, in: Reimann/Bengel/Dietz, Testament und Erbvertrag, BGB, 7. Aufl. 2020, § 2300 Rn. 16). Weidlich (in: Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, § 2300 Rn. 4) verlangt wohl zusätzlich die Testierfähigkeit beider Erblasser als Rückgabevoraussetzung (vgl. § 2229 Abs. 4 BGB). Wesentliche Unterschiede zwischen beiden Auffassungen bestehen im praktischen Ergebnis nicht.

2. Einordnung der Rückgabe in das Beurkundungsverfahrensrecht; Folgerungen bei Beteiligung behinderter Personen
Weitere Einzelheiten für das Verfahren, das der Notar bei der Rückgabe zu beachten hat, regelt § 20 Abs. 3 DONot (s. hierzu etwa BeckOK-BGB/Litzenburger, Std.: 1.2.2021, § 2300 Rn. 12; Eickelberg, in: Armbrüster/Preuß/Renner, BeurkG/DONot, 8. Aufl. 2020, § 20 DONot Rn. 17 ff.; J. Mayer/Röhl, in: Reimann/Bengel/Dietz, § 2300 Rn. 20 ff.). Nach § 20 Abs. 3 S. 3 DONot ist die Anfertigung eines Vermerkblatts über die Rückgabe entbehrlich, wenn hierüber eine Urkunde in der gesetzlich vorgeschriebenen Form errichtet wird. Dies wird meist als vorzugswürdiger Weg empfohlen. Eingeordnet wird eine solche Urkunde als eine Beurkun­dung „sonstiger Tatsachen oder Vorgänge“ i. S. v. §§ 36, 37 BeurkG (so insbes. J. Mayer/Röhl, in: Reimann/Bengel/Dietz, § 2300 Rn. 23). Teilweise wird stattdessen die Aufnahme eines einfachen Vermerks i. S. v. § 39 BeurkG vorgeschlagen (so etwa BeckOGK-BGB/Müller-Engels, § 2300 Rn. 42; Keim, ZEV 2003, 55, 57; ebenso ders. in: Keim/Lehmann, Beck'sches Formularbuch Erbrecht, 4. Aufl. 2019, A. III. 4.). Um eine Beurkundung von Willenserklärungen nach Maßgabe der §§ 6 ff., 8 ff. BeurkG, für die verfahrensmäßig die Vorschriften über die Beteiligung behinderter Personen nach §§ 22 ff., 32 BeurkG Anwendung finden, handelt es sich jedenfalls nicht (vgl. J. Mayer/Röhl, in: Reimann/Bengel/Dietz, § 2300 Rn. 23).

Detailliertere, speziell auf das Verfahren bei der Errichtung einer Urkunde über die Rückgabe eines Erbvertrags bezogene Äußerungen in Recht­sprechung und Literatur existieren – soweit für uns ersichtlich – nicht. Einen Unterfall der Anfertigung eines Vermerks nach den §§ 39 ff. BeurkG bildet aber die Unterschriftsbeglaubigung nach § 40 BeurkG. Für diese gelten die Vor­schriften über die Beurkundung der Erklärungen seh-, hör-, sprachbehinderter oder fremdsprachiger Personen (§§ 22 ff., 32 BeurkG) nicht. Vielmehr ist es in solchen Fällen dem pflichtgemäßen Ermessen des Notars überlassen, Maßnahmen zu treffen, die Zweifel und Missverständnisse auszuschließen (Malzer, DNotZ 2000, 169, 176; Preuß, in: Armbrüster/Preuß/Renner, § 40 Rn. 21; Winkler, BeurkG, 19. Aufl. 2019, § 40 Rn. 37 ff.). Nach unserer Einschätzung lässt sich dies auf die Verfahrensgestaltung bei § 2300 Abs. 2 BGB übertragen.

Für die Beteiligung eines Leseunfähigen bemerkt Schuller (in: BeckOGK-BGB, Std.: 1.2.2021, § 22 BeurkG Rn. 15) – allerdings für das Verfahren bei Beurkundung von Willenserklärungen –, dass dieser nicht als sehunfähig i. S. v. § 25 BeurkG anzusehen sei. Die Leseun­fähigkeit eines Beteiligten habe nur zur Folge, dass er ein Testament nicht durch Übergabe einer Schrift, sondern nach § 2233 Abs. 2 BGB lediglich durch eine Erklärung gegenüber dem Notar er­richten könne. In der Tat wird bei Beurkundung von Willenserklärungen nach §§ 6 ff., 13 BeurkG die Leseunfähigkeit eines Beteiligten dadurch ausgeglichen, dass der Notar selbst den Urkundeninhalt vorliest (§ 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG). Dementsprechend könnte man auch bei der hier eröffneten freieren Verfahrensgestaltung daran denken, die Urkunde über den Vermerk der sehbehinderten Ehefrau vorzulesen.

Was den sehr schwerhörigen Ehemann anbetrifft, könnte man in Anlehnung an § 23 S. 1 BeurkG daran denken, die Vermerkurkunde stattdessen dem Ehemann zur Durchsicht vor­zulegen. Eine Anlehnunge an das für die Beurkundung von Willenserklärungen gelten­de Verfahren ist jedoch – wie oben ausgeführt – nicht zwingend vorgeschrieben. Insbesondere existiert bei sonstigen Beurkundungen nach §§ 36 ff., 39 ff. BeurkG keine Pflicht zur Vorlesung, Genehmigung und Unterzeichnung nach § 13 BeurkG und – abgesehen von der spezialgesetzlich geregelten Belehrungspflicht nach §§ 2300 Abs. 2 S. 3, 2256 Abs. 1 S. 2 BGB – keine allgemeine Belehrungspflicht nach § 17 BeurkG (s. nur Winkler, Vor § 36 BeurkG Rn. 14; verneinend zu § 17 BeurkG: BGH DNotZ 2015, 207, 211).

3. Ergebnis
Ein Erbvertrag kann ungeachtet körperlicher Behinderungen an die Erblasser zurückgegeben werden, sofern beide geschäftsfähig (nach anderer Ansicht: zusätzlich testierfähig) sind. Das Verfahren zur Rückgabe des Erbvertrags muss dabei dem Ziel gerecht werden, Zweifel und Missverständ­nisse der Beteiligten auszuschließen. Zwingende Vorschriften für die Gestaltung des Verfahrens existieren aber nicht, so dass die Auswahl der verfahrensrechtlichen Mittel zur Erreichung dieses Ziels dem pflichtgemäßen Ermessen des Notars überlassen ist.

Gutachten/Abruf-Nr:

180306

Erscheinungsdatum:

19.03.2021

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Beurkundungsverfahren

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 44-46

Normen in Titel:

DONot § 20