16. Mai 2025
BGB § 177 Abs. 1; BGB § 2346 Abs. 2; BGB § 139

Gesamtnichtigkeit eines Pflichtteilsverzichtsvertrages mit mehreren Abkömmlingen

BGB §§ 139, 177 Abs. 1, 2346 Abs. 2
Gesamtnichtigkeit eines Pflichtteilsverzichtsvertrages mit mehreren Abkömmlingen

I. Sachverhalt
Die Erblasserin hat einen Sohn und zwei Töchter, mit denen sie jeweils einen Pflichtteilsverzichtsvertrag in einer notariellen Urkunde schloss. Der Sohn war bei der Beurkundung mit der Erblasserin anwesend. Es vertrat seine beiden Schwester vollmachtlos. Die Schwestern verweigerten jedoch endgültig die Genehmigung. Die Urkunde enthält keine Regelung für den Fall des Ausbleibens einer erwarteten Genehmigung.

II. Frage
Ist der Pflichtteilsverzichtsvertrag mit dem Sohn der Erblasserin wirksam zustande gekommen?

III. Zur Rechtslage
1. Vollmachtlose Vertretung bei einem Pflichtteilsverzicht; Folgen der Verweigerung der Genehmigung
Gem. § 2346 Abs. 2 BGB kann ein Pflichtteilsberechtigter durch gem. § 2348 BGB notariell zu beurkundenden Vertrag auf sein Pflichtteilsrecht gegenüber dem Erblasser verzichten. Der Pflichtteilsverzicht ist ein abstraktes, dinglich wirkendes Rechtsgeschäft (BeckOGK-BGB/Everts, Std.: 1.3.2025, § 2346 Rn. 3). Gem. § 2347 S. 1 BGB muss der Erblasser höchstpersönlich an dem Vertragsschluss mitwirken; eine (vollmachtlose) Vertretung ist grds. nicht möglich (zum Ganzen jüngst BGH NJW 2025, 53 Rn. 23; s. auch BGH NJW-RR 2012, 332 Rn. 14).

Dagegen kann sich der Verzichtende durch einen (vollmachtlosen) Vertreter bei Abschluss des Pflichtteilsverzichtsvertrages vertreten lassen (MünchKommBGB/Wegerhoff, 9. Aufl. 2022, § 2347 Rn. 3; Staudinger/Schotten, 2022, § 2347 Rn. 11). Verweigert der vollmachtlos Vertretene jedoch seine gem. § 177 Abs. 1 BGB erforderliche Genehmigung, so wird der Vertrag endgültig (ex tunc) unwirksam (MünchKommBGB/Schubert, 10. Aufl. 2025, § 177 Rn. 60). Da die beiden Schwestern ihre Genehmigungen (§ 184 Abs. 1 BGB) verweigerten, sind die Pflichtteilsverzichtsverträge zwischen ihnen und der Erblasserin endgültig unwirksam.

2. Anwendung von § 139 BGB
Darüber hinaus könnte allerdings auch der mit dem Sohn abgeschlossene Pflichtteilsverzichtsvertrag gem. § 139 BGB unwirksam sein.

a) Seinem Wortlaut nach betrifft § 139 BGB ein Rechtsgeschäft, bei dem eine einzelne Klausel nichtig ist. Die Vorschrift gilt aber auch, wenn die Parteien mehrere Verträge in einer einzigen Urkunde zusammenfassen und diese Verträge ein sog. einheitliches Rechtsgeschäft bilden (vgl. BGH NJW 2014, 1101 Rn. 50 zu einer Trennungs- und Scheidungsvereinbarung). § 139 BGB kann auch zur Nichtigkeit mehrerer dinglich wirkender Verträge führen (vgl. OLG Köln ZWE 2015, 318 Rn. 29). Erklären mehrere Personen gegenüber einem Erblasser in einer Urkunde jeweils einen Verzicht, so handelt es sich dogmatisch um mehrere Verzichtsverträge, nicht hingegen um einen (mehrseitigen) Vertrag (Staudinger/Schotten, 2022, § 2346 Rn. 16; BeckOGK-BGB/Everts, § 2346 Rn. 56 m. w. N.). Folglich sind im hier zu beurteilenden Fall drei Verzichtsverträge abgeschlossen worden.

b) Voraussetzung für die Anwendung von § 139 BGB ist, dass es sich bei den Verzichtsverträgen mit den einzelnen Abkömmlingen insgesamt um ein einheitliches Rechtsgeschäft handelt (vgl. BGH NJW 2014, 1101 Rn. 50). Dies hängt davon ab, ob die Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages einen Willen zur einheitlichen Behandlung aller Verträge hatten (BGH NJW 2016, 3525 Rn. 16; WM 2023, 1218 Rn. 25; ausführlich Opgenhoff, RNotZ 2006, 257, 258 ff.). Laut einer vielfach verwendeten Formel des BGH müssen sie das eine Rechtsgeschäft nicht ohne das andere wollen; die Rechtsgeschäfte müssen miteinander stehen und fallen sollen (BGH NJW 2016, 3525 Rn. 16). Dazu reicht es aus, wenn nur eine Vertragspartei einen Einheitlichkeitswillen erkennen lässt und die andere Vertragspartei ihn anerkennt oder zumindest hinnimmt (BGH NJW 1987, 1069). Schließen die Parteien die Verträge in einer einzigen Urkunde ab, ist ein Einheitlichkeitswille zu vermuten (BGH DNotZ 1975, 87). Allerdings kann diese Vermutung widerlegt werden (ausführlich dazu BGH NJW 2012, 224 Rn. 14 ff.; s. bereits BGH NJW 1970, 1414, 1415; DNotZ 1975, 87). Dabei handelt es sich um eine Tatfrage, die das DNotI mangels Kenntnis aller Einzelfallumstände nicht beantworten kann. Insbesondere könnte es darauf ankommen, aus welchem konkreten Anlass die Kinder der Erblasserin die Verzichtserklärungen abgegeben haben:

aa) Übertragen Eltern das Eigentum an einer Immobilie auf eines von mehreren Kindern, verzichtet häufig das erwerbende Kind vollständig auf seinen Pflichtteil gegenüber dem Erstversterbenden der Eltern. Die weiteren Kinder verzichten gegenständlich beschränkt auf den Zuwendungsgegenstand auf ihren Pflichtteil nach dem Erstversterbenden. In einem solchen Fall könnte es den schenkenden Eltern vor allem auf den Pflichtteilsverzicht des erwerbenden Kindes ankommen, nicht aber auf die weiteren Verzichte der anderen Kinder. Außerdem könnte ein Kind, das gegenständlich beschränkt verzichtet, sich gut mit dem Übernehmer verstehen und deswegen die Genehmigung für seinen Verzichtsvertrag erklären. Ein anderes Kind könnte hingegen die Genehmigung verweigern, weil es kein gutes Verhältnis zum Erwerber hat. In solchen Fällen dürfte ein unwirksamer gegenständlich beschränkter Pflichtteilsverzicht nicht zur Unwirksamkeit eines anderen in derselben Urkunde enthaltenen Pflichtteilsverzichtsvertrages führen.

bb) Wenn ein Kind auf seinen Pflichtteil gegen Zahlung einer Abfindung verzichtet, könnte es diesem vor allem auf den Erhalt dieser Zahlung ankommen. Ob die anderen Kinder ebenfalls einen Verzicht erklären und eine Abfindung erhalten, dürfte dann aus Sicht des Verzichtenden und des Verzichtsempfängers zweitrangig sein. Daher tendieren wir dazu, in einem solchen Fall von getrennten Verzichtsverträgen auszugehen, die kein einheitliches Rechtsgeschäft bilden.

c) Selbst wenn ein einheitliches Rechtsgeschäft vorläge, tritt Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB nicht ein, wenn die Vertragsparteien den wirksamen Pflichtteilsverzichtsvertrag auch ohne den anderen Verzichtsvertrag geschlossen hätten. Der Erblasser dürfte einen Pflichtteilsverzichtsvertrag mit einem Kind tendenziell auch dann schließen wollen, wenn die Verzichtsverträge mit anderen Kindern nicht zustande kommen oder unwirksam sind. Denn aus Sicht des Erblassers hat jeder einzelne Verzichtsvertrag seinen „Wert“, weil er den Nachlass von einer künftigen Forderung befreit. Allerdings dürfte ein verzichtendes Kind seine eigene Verzichtserklärung eher davon abhängig machen, dass auch die weiteren pflichtteilsberechtigten Geschwister jeweils eine Verzichtserklärung abgeben. Akzeptiert der Erblasser eine solche Verknüpfung, so greift § 139 BGB ein, wenn der Verzichtsvertrag mit einem anderen Kind unwirksam ist oder nicht zustande kommt. Es handelt sich insoweit jedoch abermals um eine Tatfrage, die wir mangels Kenntnis aller Sachverhaltsumstände nicht beantworten können.

3. Ergebnis
Die Verweigerung der Genehmigungen der Schwestern führt zur Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichtsvertrags des Sohnes, wenn die in einer Urkunde zusammengefassten Verträge ein einheitliches Rechtsgeschäft darstellen und die Voraussetzungen der in § 139 BGB vorgesehenen Ausnahme (Selbständigkeit der einzelnen Verzichte) nicht vorliegen. In vertragsgestalterischer Hinsicht empfiehlt sich bei Zusammenfassung mehrerer Verträge in einer Urkunde eine Regelung zu den Konsequenzen der Unwirksamkeit eines oder mehrerer dieser Verträge.

Gutachten/Abruf-Nr:

211242

Erscheinungsdatum:

16.05.2025

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Erbverzicht

Erschienen in:

DNotI-Report 2025, 73-74

Normen in Titel:

BGB § 177 Abs. 1; BGB § 2346 Abs. 2; BGB § 139