25. Juni 2018
BGB § 1896; BGB § 168

Einschränkung der Widerruflichkeit der Vorsorgevollmacht; Bindung an Urkundsform und Zugangserfordernis

Aus der Gutachtenpraxis des DNotI
BGB §§ 168, 1896
Einschränkung der Widerruflichkeit der Vorsorgevollmacht; Bindung an Urkundsform und Zugangserfordernis

I. Sachverhalt
Es soll eine Vorsorgevollmacht beurkundet werden. Der Vollmachtgeber ist geschäftsfähig, hat aber zeitweise psychotische Phasen, in denen er geschäftsunfähig ist und unter Verfolgungswahn leidet. In der Vergangenheit hat er bereits einmal eine schriftliche Vorsorgevollmacht errichtet, diese aber in einer psychotischen Phase widerrufen.

II. Frage
Ist es möglich, im Grundverhältnis der Vollmacht zu vereinbaren, dass die Vollmacht nur durch notariell beurkundete Erklärung, die dem Bevollmächtigten zugehen muss, widerrufen werden kann?

III. Zur Rechtslage
1. Ausschluss der Widerruflichkeit einer Vollmacht
Nach § 168 S. 1 BGB bestimmt sich das Erlöschen der Vollmacht nach dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Selbst wenn das zugrunde liegende Rechtsverhältnis fortbesteht, kann der Vollmachtgeber die Vollmacht jederzeit widerrufen, sofern sich nicht aus dem Grundverhältnis etwas anderes ergibt (§ 168 S. 2 BGB). Prinzipiell lässt sich die Widerruflichkeit der Vollmacht zwar (nach h. A.) nicht durch einseitigen Verzicht des Vollmachtgebers ausschließen, wohl aber durch Vertrag zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem (Palandt/Ellenberger, BGB, 77. Aufl. 2018, § 168 Rn. 6 m. w. N.). Die Unwiderruflichkeit kann sich allerdings auch aus den Umständen ergeben, insbesondere dann, wenn die Vollmacht im Interesse des Bevollmächtigten erteilt worden ist (vgl. BGH NJW-RR 1991, 439, 441).

Der Ausschluss der Widerruflichkeit ist jedoch nicht uneingeschränkt möglich; er stößt vielmehr an rechtliche Grenzen, da sich der Vollmachtgeber mit der Erteilung einer unwiderruflichen Vollmacht endgültig der Fremdbestimmung unterwirft (vgl. Staudinger/Schilken, BGB, 2014, § 168 Rn. 8).

Demzufolge hält man bspw. eine isolierte Vollmacht (Vollmacht ohne Grundverhältnis) für zwingend widerruflich (vgl. BGH DNotZ 1989, 84, 85; Staudinger/Schilken, § 168 Rn. 17 m. w. N.). Gleiches gilt für eine Vollmacht, die ausschließlich im Interesse des Vollmachtgebers erteilt worden ist oder bei der der zugrunde liegende Auftrag dem alleinigen Interesse des Vollmachtgebers dient (vgl. BGH DNotZ 1972, 229; Staudinger/Schilken, § 168 Rn. 8 m. w. N.).

Schließlich kann nach h. A. auch die Widerruflichkeit einer Generalvollmacht nicht ausgeschlossen werden (BGH NJW 2011, 66 Tz. 16; Palandt/Ellenberger, § 168 Rn. 6; BeckOK-BGB/Schäfer, Std.: 1.11.2017, § 168 Rn. 25), denn eine unwiderrufliche Ge­neralvollmacht wäre als unzulässige Beschränkung der Privatautonomie anzusehen. Ein Ausschluss der Widerruflichkeit wird daher als sittenwidrig und unwirksam erachtet (vgl. Zimmermann, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung, 3. Aufl. 2017, Rn. 229; Renner, in: Müller/Renner, Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen in der Praxis, 5. Aufl. 2018, Rn. 689).

2. Grds. keine unwiderrufliche Vorsorgevollmacht
Beurteilt man die vorliegend gewollte Vorsorgevollmacht nach den eben skizzierten Grundsätzen, so spricht zweierlei gegen den Ausschluss der Widerruflichkeit: Zum einen wird die „Standardvorsorgevollmacht“ regelmäßig als Generalvollmacht erteilt, zum anderen dient deren Erteilung zusätzlich (in der Regel) dem alleinigen Interesse des Vollmachtgebers.

Demgemäß geht die einschlägige Literatur davon aus, dass die Vorsorgevollmacht grundsätzlich nicht unwiderruflich erteilt werden kann (Bühler, FamRZ 2001, 1585, 1589; Langenfeld, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patiententestament nach dem neuen Betreuungsrecht, 1994, S. 55; Walter, Die Vorsorgevollmacht, 1997, S. 174 ff.; Renner, Rn. 688 ff.).
    
3. Einschränkung des Widerrufsrechts
Eine andere Frage ist, ob sich die Widerruflichkeit zulässigerweise einschränken lässt, etwa durch Vereinbarung einer Frist oder eines besonderen Formerfordernisses. In der Literatur ist vereinzelt vorgeschlagen worden, für den Widerruf die Schrift­form (vgl. Papenmeier, Transmortale und postmortale Vollmachten als Ge­staltungsmittel, 2013, S. 110) oder eine bestimmte Frist (vgl. Zimmermann, Rn. 229) zu vereinbaren. Zur Zulässigkeit solcher Gestaltungen gibt es allerdings bisher keine Rechtsprechung und nur wenig Literatur. Die Rechtslage ist daher nicht hinreichend geklärt.

Wenn man allerdings den Ausschluss der Widerruflichkeit allgemein für problematisch hält, dann wird man auch Einschränkungen des Widerrufsrechts – und seien sie formeller Art – problematisieren müssen. Denn solche Anforderungen kann man evtl. als „Teilausschluss“ qualifizieren – mit der Folge, dass sie ebenfalls als unzulässige Einschränkung der Privatautonomie des Vollmachtgebers zu gelten hätten.

In der bisher erschienenen Literatur finden sich dazu nur kritische Äußerungen. So führt etwa Kurze aus (in: Kurze, Vorsorgerecht, 2017, § 168 BGB Rn. 18):

„Es wird vorgeschlagen, dass für den Widerruf die Schriftform vereinbart wird oder eine (ggf. sehr kurze 24-Stunden-)Frist. Verständlich ist das Bedürfnis zu einem Selbstschutz des Vollmachtgebers vor späteren Erklärungen in einem Zustand, bei dem die Geschäftsfähigkeit zweifelhaft, aber nicht widerlegt ist, die zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung als unvernünftig angese­hen werden (Widerruf „im Affekt“). Zu beachten ist aber, dass dies eine erhebliche Einschränkung der Widerruflichkeit in einem Bereich darstellt, in dem Unwiderruflichkeit unzulässig ist. Eine AGB-gleiche Formulierung in Mustern macht dem Vollmachtgeber die besondere Bedeutung nicht bewusst. Ein gewisser Schutz existiert, da auch bei einer erschwerten Widerrufsmöglichkeit keine verdrängende Vollmacht besteht, der Vollmachtgeber also immer noch entgegen dem Bevollmächtigten handeln kann. Nach hier vertretener Ansicht ist eine Vorsorgevollmacht auch bei vereinbarter Schriftform oder Frist münd­lich und fristlos aus wichtigem Grund widerruflich. Zudem ist die Schriftform entbehrlich, wenn deren Einhaltung dem Vollmachtgeber nicht ohne weiteres möglich ist, etwa aus gesundheitlichen Gründen.“

Auch in der Literatur werden also Beschränkungen der Widerruflichkeit durch Formerfordernisse für bedenklich gehalten. Berücksichtigt man zudem das Fehlen einschlägiger Rechtsprechung, so kann man eine beschränkende Vereinbarung u. E. nicht empfehlen.

4. Schlussbemerkung
Im Übrigen bleibt anzumerken, dass eine Einschränkung des Widerrufsrechts durch Bindung an die Urkundsform aus unserer Sicht nur bedingt geeignet wäre, das befürchtete Problem zu lösen. Nach dem Sachverhalt besteht das Problem darin, dass der Mandant in psychotischen Phasen die erteilte Vollmacht widerrufen könnte. Sofern der Mandant in diesen Phasen geschäftsunfähig ist, bleibt der Widerruf jedoch unwirksam, sodass die Vollmacht weiterhin Bestand hat.

Problematisch dürfte also nicht das Widerrufsrecht an sich sein (das der Vollmachtgeber nur im Zustand der Geschäftsfähigkeit wirksam ausüben kann), sondern der Umstand, dass sich nicht sicher beurteilen lässt, ob der Mandant zum Zeitpunkt des Widerrufs geschäftsfähig und damit zu einem wirksamen Widerruf imstande war oder nicht. Dies könnte der Notar zwar vor der Beurkundung des Widerrufs prüfen (vgl. § 11 BeurkG). Der Notar hat bzgl. der Geschäftsfähigkeit aber keine Letztentscheidungskompetenz; er ist insoweit nicht als Sachverständiger anzusehen, sondern agiert als Urkundsperson nur als „Zeuge des Geschehens“. Eine definitive Entscheidung über die Geschäftsunfähigkeit und damit über die Wirksamkeit des Widerrufs wäre vielmehr im Zivilprozess durch das Gericht unter Einholung von psychiatrischen Sachverständigengutachten zu treffen.

Trotz notarieller Beurkundung des Widerrufs wäre damit nicht sichergestellt, dass der Widerruf wirksam ist, und es würde nicht effektiv verhindert, dass der Vollmachtgeber trotz Geschäftsunfähigkeit widerriefe (zumal ein medizinischer Laie Psychosen und deren Auswirkung auf die Geschäftsfähigkeit des Beteiligten regelmäßig nur schlecht einschätzen kann). Der Bevollmächtigte wüsste also dennoch nicht sicher, ob er auf Basis einer wirksamen, nicht widerrufenen Vorsorgevollmacht für den Betroffenen handeln könnte oder nicht.

Im Ergebnis lässt sich u. E. das Problem des Widerrufs in psychotischen Phasen nur schwer lösen, sodass die Vorsorgevollmacht für die betroffenen Personen wohl kein geeignetes Vorsorgeinstrument darstellt. Stattdessen dürfte die Einrichtung einer Betreuung i. S. d. §§ 1896 ff. BGB (ggf. mit Einwilligungsvorbehalt) erforderlich sein. Denn eine Vorsorgevollmacht macht eine Betreuung nach § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB nur insoweit entbehrlich, als durch sie die Angelegenheiten des Betreuten ebenso gut wie durch einen Be­treuer besorgt werden können. Und dies ist gerade nicht der Fall, wenn fortlaufend Zweifel an der wirksamen Erteilung und am Widerruf der Vollmacht bestehen (vgl. BGH NJW 2016, 159 f. = DNotZ 2016, 193). Davon abgesehen setzt sich der Bevollmächtigte einem großen Haftungsrisiko aus, wenn er auf Basis einer solchen Vollmacht für den Vollmachtgeber handelt.

Gutachten/Abruf-Nr:

162999

Erscheinungsdatum:

25.06.2018

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung

Erschienen in:

DNotI-Report 2018, 89-91

Normen in Titel:

BGB § 1896; BGB § 168