04. Juli 2017
EUErbVO Art. 4

Internationale Zuständigkeit für die Erteilung eines Erbscheins; Vertretung eines Minderjährigen bei Stellung eines Erbscheinsantrags

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 155178
letzte Aktualisierung: 4. Juli 2017

EuErbVO Art. 4
Internationale Zuständigkeit für die Erteilung eines Erbscheins; Vertretung eines Minderjährigen
bei Stellung eines Erbscheinsantrags

I. Sachverhalt
Ein kasachischer Staatsangehöriger ist am 5.2.2017 in D., seinem letzten Wohnsitz, verstorben.
Der Erblasser ist in Kasachstan geboren und hat in Russland geheiratet. Die Ehe wurde vor dem
Amtsgericht Oldenburg geschieden. Aus der Ehe des Erblassers ist ein Sohn hervorgegangen,
der derzeit noch minderjährig ist. Der Erblasser hat kein Vermögen oder Grundbesitz in
Kasachstan. In Deutschland hat er lediglich einen Betrag auf einem Bankkonto, Grundbesitz ist
nur in Deutschland vorhanden.

II. Fragen
Die Mutter des minderjährigen Sohnes (und Ex-Frau des Erblassers) möchte für ihren Sohn
einen Erbschein beantragen, hinsichtlich des auf dem Bankkonto befindlichen Geldbetrages.
Kann hier insoweit ein Erbschein nach deutschem Recht beantragt werden? Oder wie ist hier zu
verfahren, damit dem Sohn das Bankguthaben ausgezahlt wird?

III. Zur Rechtslage
1. Zuständigkeit für Erteilung des Erbscheins
Da der Erblasser nach dem 16.8.2015 verstorben ist, richtet sich die gerichtliche Zuständigkeit
nach den Bestimmungen der EuErbVO (vgl. Art. 83 Abs. 1 EuErbVO) bzw. den neuen
Zuständigkeitsvorschriften des FamFG (vgl. Art. 22 Abs. 2 des Gesetzes zum
internationalen Erbrecht, BGBl. 2015 I, S. 1042).
Die deutschen Nachlassgerichte sind nach Art. 4 EuErbVO bzw. nach §§ 105, 343 Abs. 1
FamFG international zuständig. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der
Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 343 Abs. 1 FamFG).

2. Vertretung des Minderjährigen
Da der minderjährige Sohn einen Erbscheinsantrag stellen soll, fragt sich, wie der Sohn vertreten
wird. Nach Art. 16 Abs. 1 KSÜ wird auf die Frage der Zuweisung der gesetzlichen
Vertretung das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes angewendet, wobei diese
Verweisung gem. Art. 21 Abs. 1 KSÜ grundsätzlich eine Sachnormverweisung darstellt.
Nach Art. 21 Abs. 2 KSÜ wird jedoch von diesem Grundsatz dann eine Ausnahme gemacht,
wenn das nach Art. 16 Abs. 1 KSÜ anzuwendende Recht das eines Nichtvertragsstaates ist
und das Kollisionsrecht dieses Staates auf das Recht eines anderen Nichtvertragsstaates
verweist, der sein eigenes Recht anwenden würde.
Mangels näherer Angaben im Sachverhalt gehen wir davon aus, dass sich der gewöhnliche
Aufenthalt des Kindes ebenfalls in Deutschland befindet und somit deutsches Recht zur
Anwendung gelangt.
Nach dem Tod des Vaters wird das Kind von seiner Mutter alleine vertreten (§ 1629 Abs. 1
S. 2 BGB i. V. m. § 9 Abs. 2 FamFG), es sei denn, dass der Erblasser ihr die Verwaltung
durch Verfügung von Todes wegen entzogen haben sollte (vgl. Firsching/Graf, Nachlassrecht,
10. Aufl. 2014, Rn. 4.159). Die nach § 352 Abs. 3 S. 4 FamFG erforderliche eidesstattliche
Versicherung ist bei gesetzlicher Vertretung des Antragstellers vom gesetzlichen
Vertreter abzugeben (vgl. Firsching/Graf, Rn. 4.188).

3. Anwendbares Erbrecht
In den Rechtsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kasachstan ist
zunächst als vorrangiges völkerrechtliches Abkommen der zwischen Deutschland und
Kasachstan fortgeltende deutsch-sowjetische Konsularvertrag vom 25.4.1958 zu
berücksichtigen (Bekanntmachung zur Fortgeltung vom 22.9.1992, BGBl. 1992 II, 1120).
Dieser genießt gem. Art. 75 Abs. 1 EuErbVO Anwendungsvorrang vor den Vorschriften der
EuErbVO.
Nach Art. 28 Abs. 3 des Konsularvertrages finden hinsichtlich der unbeweglichen Nachlassgegenstände
die Rechtsvorschriften des Staates Anwendung, in dessen Gebiet diese Gegenstände
belegen sind. Dies bedeutet, dass für die Rechtsnachfolge von Todes wegen
bezüglich des unbeweglichen Nachlasses in Deutschland das deutsche Erbrecht Anwendung
findet, unabhängig von dem gewöhnlichen Aufenthalt eines Erblassers.
Bezüglich des beweglichen Vermögens gilt das Abkommen nicht. Insoweit kommt nach
Art. 21 EuErbVO ebenfalls deutsches Erbrecht zur Anwendung.
Die Erbfolge richtet sich für das in Deutschland belegene Grundstück und das bewegliche
Vermögen nach deutschem Recht. Unbewegliches Vermögen außerhalb Deutschlands ist
nicht vorhanden. Es kann somit ein Erbschein nach deutschem Erbrecht beantragt werden.

Gutachten/Abruf-Nr:

155178

Erscheinungsdatum:

04.07.2017

Rechtsbezug

International

Normen in Titel:

EUErbVO Art. 4