01. September 2003
BGB § 1018; GBO § 2; EGBGB Art. 184

Benutzung von Anliegerwegen

Benutzung von Anliegerwegen - EGBGB Art. 184, 181; GBO § 2; BGB § 1018; BayStrWG; ThStrG

I. Sachverhalt

Im nördlichen Bayern und südlichen Thüringen sind häufig sog. Anliegerwege bzw. Angrenzerwege vorhanden. Es handelt sich hierbei um Wegflächen, für die zwar im Liegenschaftskataster eine separate Flurnummer besteht, die jedoch im Grundbuch bei den jeweils angrenzenden Grundstücken als "zum Weg gezogene Teilfläche" gebucht sind.

Der Eigentümer eines an den Anliegerweg grenzenden Grundstücks verweigert dem Käufer eines Hinteranliegergrundstückes das Zufahrtsrecht über den Anliegerweg mit der Begründung, die Hälfte des Weges stünde in seinem Eigentum und dürfe von niemandem sonst befahren werden. Soweit ersichtlich, ist keine öffentliche Widmung erfolgt.

II. Fragen

1. Besteht bei Anliegerwegen ein gesichertes Durchgangs- und Durchfahrtsrecht, insbesondere für

- sämtliche Miteigentümer (oder besser Teileigentümer) des Weges über dessen gesamte Wegstrecke,

- sowie für Nutzer dieser Grundstücke,

- für Eigentümer von hinteranliegenden, nicht unmittelbar an den Weg angrenzenden Grundstücken,

- oder auch für die Allgemeinheit?

2. Welche Regelungen gelten hinsichtlich der Unterhaltungspflicht sowie der Verkehrssicherungspflicht für derartige Wege?

3. Bestehen insoweit landesrechtliche Unterschiede zwischen der Situation in Bayern und in Thüringen?

III. Rechtslage

1. Zu den Eigentumsverhältnissen am Anliegerweg

a) Anliegerwege oder Angrenzerwege stellen katastertechnisch ein einheitliches Flurstück dar (= ganzer Weg hat eine Flurnummer, ursprünglich aus grundsteuerlichen Gründen), die aber wegen der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zu den anliegenden Grundstücken sachenrechtlich und grundbuchrechtlich nach § 2 GBO als Teilfläche zu den Anliegergrundstücken "gezogen" wurden (BayObLG Rpfleger 1977, 103, 104; BayObLG Rpfleger 1994, 205; BayObLG DNotZ 1993, 389, 390; Demharter, GBO, 24. Aufl. 2002, § 2 Rn. 18; Bengel/Simmerding, Grundbuch, Grundstück, Grenze, 5. Aufl. 2000, Rn. 21; Waldner, in: Bauer/von Oefele, GBO, 1999, § 2 Rn. 16).

Nach ständiger Rechtsprechung des BayObLG ist in materieller Hinsicht jeder Anlieger Alleineigentümer der zu seinem Grundstück gezogenen und vor diesem Grundstück liegenden Wegteilfläche (BayObLG Rpfleger 1977, 103, 104; BayObLG DNotZ 1993, 389, 390; BayObLGZ 1993, 363 = DNotZ 1995, 54; BayObLGZ 1997, 367, 369; Meisner/Ring, Nachbarrecht in Bayern, 7. Aufl. 1986, § 7 Rn. 8). Räumlich reicht das Alleineigentum i. d. R. bis zur Mitte des Weges (BayObLG DNotZ 1993, 389, 390; Meisner/Ring, Nachbarrecht in Bayern, § 7 Rn. 8). Der Anliegerweg steht also nicht im Miteigentum der angrenzenden Eigentümer (BayObLG MittBayNot 1983, 63, 64 für ein Ufergrundstück; Meisner/Ring, Nachbarrecht in Bayern, § 7 Rn. 8; Sprau, Justizgesetze in Bayern, 1988, vor Art. 57 AGBGB Rn. 55).

b) Der Anliegerweg ist ein unselbständiger Bestandteil des angrenzenden Grundstücks, er kann ein von diesem Grundstück verschiedenes rechtliches Schicksal nur dann haben, wenn er vorher vermessen wurde, eine eigene Flurnummer und ein eigenes Grundbuchblatt gebildet wurden (BayObLG DNotZ 1993, 389, 390; BayObLG Rpfleger 1977, 103, 104; BayObLGZ 1997, 367, 369; BayObLG Rpfleger 1994, 205; Waldner, in: Bauer/von Oefele, GBO, § 2 Rn. 16). Eine Veräußerung des Anliegergrundstücks erfasst daher grundsätzlich auch den Anliegerweg, selbst wenn sich die Auflassung nicht ausdrücklich auf diesen bezieht (BayObLG DNotZ 1993, 389, 390; vgl. ferner Bay-
ObLG DNotZ 1998, 820, 822). Gleiches gilt entsprechend für eine Belastung des Anliegergrundstücks (vgl. BayObLG MittBayNot 1983, 63, 64 für ein Ufergrund-stück).

c) Ob Anliegerwege im Grundbuch "verlautbart" werden können, soll sich nach Landesrecht richten (so Waldner, in: Bauer/von Oefele, GBO, § 2 Rn. 16). Wie die oben angeführten Entscheidungen des BayObLG zeigen, ist eine derartige "Verlautbarung" in Bayern möglich, wobei neue Anliegerwege freilich nicht mehr gebildet werden können (vgl. Bengel/Simmerding, Grundbuch, Grundstück, Grenze, §§ 3, 4 Rn. 22).

Rechtsprechung und Literatur zu der Frage, ob die Buchung von Anliegerwegen auch in Thüringen möglich war, ist uns nicht bekannt. Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts gehen wir jedoch davon aus, dass auch in Thüringen die Buchung von Anliegerwegen in der oben beschriebenen Weise erfolgt ist.

2. Zur Nutzung von Anliegerwegen durch Eigentümer

a) Benutzung aufgrund Dienstbarkeit

Die herrschende Meinung geht davon aus, dass die jeweilige Wegteilfläche "regelmäßig mit einer Grunddienstbarkeit zugunsten der Grundstücke derjenigen belastet ist, die den Weg nach seiner Zweckbestimmung zu Geh- und Fahrtzwecken nutzen dürfen, üblicherweise der anderen Anlieger und zwar bezogen auf die Teilfläche des Grundstücks, die zum Weg gehört" (BayObLGZ 1997, 367, 369; ebenso BayObLG Rpfleger 1977, 103, 104; Sprau, Justizgesetze in Bayern, vor Art. 57 AGBGB Rn. 50).

Bengel/Simmerding (Grundbuch, Grundstück, Grenze, §§ 3, 4 Rn. 21) schreiben ebenfalls, dass auch bei reinen Privatwegen der Eigentümer einer Wegfläche den Weg nicht gegen den Willen derjenigen, die ihn nach Herkommen benützen, durch irgendwelche Maßnahmen sperren oder unbenutzbar machen dürfe. Ob dieses Verbot als Dienstbarkeit aufzufassen ist, kann nach ihrer Ansicht aber dahingestellt bleiben.

b) Zur Rechtslage in Bayern

aa) In Bayern dürfte Entstehungsgrund für die Dienstbarkeiten nicht Art. 43 des Bayerischen Übergangsgesetzes zum BGB gewesen sein. Diese durch das AGBGB aufgehobene, in ihren Wirkungen aber fortbestehende Norm (vgl. Art. 78 AGBGB) hatte folgenden Wortlaut: "Ist nach den bisherigen Vorschriften die Teilung eines Grundstücks, das im Miteigentume der Eigentümer anderer Grundstücke steht und diesen dadurch zu bestimmten wirtschaftlichen Zwecken dient, wegen dieser Zweckbestimmung ausgeschlossen, so gilt das Grundstück von dem Inkrafttreten des BGB an als zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines jeden der anderen Grundstücke mit einer Grunddienstbarkeit des Inhalts belastet, dass er es zu den bestimmten Zwecken benutzen darf."

Gegen eine Anwendung dieser Vorschrift auf Anliegerwege spricht der Umstand, dass diese im Alleineigentum der jeweiligen Angrenzer stehen und gerade nicht im Miteigentum, wie es Art. 43 des Übergangsgesetzes erfordert (Henle/Schneider, Die Bayerischen Ausführungsgesetze zum BGB, 3. Aufl. 1931, Art. 43 Übergangsgesetz Rn. 1; a. A. möglicherweise Just, BayVBl. 1985, 289, 290).

bb) Jedenfalls nach Ansicht des BayObLG handelt es sich bei der Dienstbarkeit um eine altrechtliche Dienstbarkeit im Sinne des Art. 184 EGBGB, für die die allgemeinen Entstehungsgründe gelten (BayObLGZ 1997, 367, 370 ff.). In der genannten Entscheidung prüft das Gericht nämlich eine Entstehung der Diensbarkeit am Anliegerweg durch Ersitzung.

In den meisten Bereichen Frankens galt zumindest subsidiär gemeines Recht (vgl. Deutsche Rechts- und Gerichtskarte, 1869). Nach gemeinem Recht konnten Dienstbarkeiten durch Vertrag, Ersitzung oder unvordenkliche Verjährung begründet werden. Die Ersitzungsdauer betrug bei Anwesenden 10 Jahre und bei Abwesenden 20 Jahre (vgl. BayObLGZ 59, 378, 370; BayObLGZ 96, 286, 292). Dabei ist auch eine Ersitzung durch nicht unmittelbar angrenzende Eigentümer (hier den Hinteranlieger) möglich, da das gemeine Recht Grunddienstbarkeiten auch zugunsten nicht unmittelbar benachbarter Grundstücke gestattete (Baron, Pandekten, 5. Aufl. 1885, S. 269).

c) Zur Rechtslage in Thüringen

aa) In den meisten Landesteilen Thüringens (insbesondere mit Ausnahme des preußischen Teiles = preußischer Regierungsbezirk Erfurt) galt hauptsächlich sächsisches Recht, und zwar nicht das sächsische BGB, sondern gemeines Sachsenrecht (Deutsche Rechts- und Gerichtskarte 1896; vgl. auch Dehner, DtZ 1996, 298; Ebel, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, 1998, S. 1248, Stichwort sächsisches Recht). Das gemeine Sachsenrecht beruhte auf dem corpus iuris civile, dem Sachsenspiegel und den kursächsischen Konstitutionen (Dehner, DtZ, 1996, 298; Schmidt-Recla, ZOV, 1999, 408; Ebel, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, 1248).

Rechtsprechung und Literatur speziell zu Anliegerwegen in Thüringen und den auf diesen lastenden Dienstbarkeiten ist uns nicht bekannt. Wir gehen jedoch davon aus, dass sich die Entstehung der Dienstbarkeit - wie in Bayern - auch hier nach allgemeinen Grundsätzen richtete.

Auch nach dem gemeinen Sachsenrecht konnten Dienstbarkeiten durch schlichten Vertrag, Ersitzung und unvordenkliche Verjährung entstehen. Die Ersitzungsfrist betrug allerdings 31 Jahre 6 Wochen und 3 Tage (LG Meiningen OLG-NL 1994, 115; AG Dresden DtZ, 1996, 153; Dehner, DtZ, 1996, 298; Schmidt-Recla, ZOV, 1999, 408 f.). Abgesehen von der (längeren) Ersitzungsfrist dürften jedoch die Entstehungsvoraussetzungen für Dienstbarkeiten denen des gemeinen Rechts gleichen (vgl. Schmidt-Recla, ZOV 1999, 408 f.).

bb) Das Inkrafttreten des ZGB in der ehemaligen DDR änderte nichts am Fortbestand altrechtlicher Dienstbarkeiten. Nach § 6 Abs. 1 EGZGB war auf Rechte, die als Grundstücksbelastungen vor Inkrafttreten des ZGB begründet wurden, das vor Inkrafttreten des ZGB geltende Recht anzuwenden (vgl. Schmidt-Recla, ZOV 1999, 408, 410).

cc) Jedoch muss im vorliegenden Zusammenhang § 8 GBBerG beachten werden. Nach dieser Vorschrift erlöschen nicht im Grundbuch eingetragene beschränkt dingliche Rechte, die zur Erhaltung der Wirksamkeit gegenüber dem öffentlichen Glauben des Grundbuchs nicht der Eintragung bedürfen, mit Ablauf des 31.12.1999 (zu diesem Stichtag vgl. Maaß, in: Bauer/von Oefele, GBO, § 8 GBBerG Rn. 17).

§ 8 GBBerG betrifft auch altrechtliche Dienstbarkeiten (Maaß, in: Bauer/von Oefele, GBO, § 8 GBBerG Rn. 11; Schmidt-Recla, ZOV 1999, 407, 410; Böhringer, in: Eickmann, Sachenrechtsbereinigung, Stand: September 2002, § 8 Rn. 39). Demnach wären die Dienstbarkeiten an den Wegeteilflächen erloschen; es sei denn eine Eintragung, eine Anerkennung und Bewilligung der Rechte durch den Eigentümer oder ein Verlangen dieser Erklärungen in verjährungsunterbrechender Weise durch den Berechtigtigten wären vor dem Stichtag erfolgt.

Dies stellt ein kaum angemessenes Ergebnis dar, da die Teilflächen ausschließlich in ihrer gesamten Breite als Weg ordnungsgemäß benutzbar sind. Das Erlöschen der Dienstbarkeiten würde freilich nicht eintreten, wenn man mit einer Mindermeinung § 8 GBBerG für verfassungswidrig hält (so Schmidt-Recla, ZOV 1999, 407, 410 ff.).

dd) Denkbar wäre es auch, in den Anliegerwegen eine altrechtliche Form des Eigentums nach Art. 181 Abs. 2 EGBGB zu erblicken, wobei trotz des bestehenden Alleineigentums ein Gemeinschaftsverhältnis der Eigentümer besteht, welches ein Nutzungsrecht zugunsten des jeweils anderen beinhaltet. Diese Ansicht wird jedoch - soweit ersichtlich - in Rechtsprechung und Literatur nicht vertreten.

Andererseits deuten auch die Ausführungen von Bengel/Simmerding (Grundbuch, Grundstück, Grenze, §§ 3, 4 Rn. 21), wonach dahingestellt bleiben könne, ob das Nutzungsrecht eine Dienstbarkeit darstellt, darauf hin, dass die Benutzungsbefugnis einen anderen Rechtsgrund - etwa eine Art Gemeinschaftsverhältnis der Eigentümer - haben könnte. Weiterführende Rechtsprechung und Literatur zu diesem Problem ist uns allerdings trotz intensiver Suche nicht bekannt. Die Rechtslage in Thüringen muss daher als unsicher bezeichnet werden.

d) Straßenrechtliche Widmung

Zulässig ist die Nutzung durch Anlieger wie Dritte, wenn der Anliegerweg straßenrechtlich entsprechend gewidmet wurde.

3. Zur Nutzung von Anliegerwegen durch Dritte

a) Nach Art. 184 EGBGB bleiben altrechtliche Dienstbarkeiten grundsätzlich mit dem sich aus den bisherigen Gesetzen ergebenden Inhalt bestehen. Die Frage, ob eine Nutzung durch Mieter, Pächter, Besucher, Betriebsangehörige etc. möglich ist, richtet sich somit für die betreffenden Teile Bayerns nach gemeinem Recht, für die betreffenden Teile Thüringens nach gemeinem Sachsenrecht.

Zum gemeinen Recht wurde vertreten, die Ausübung von Wegegerechtigkeiten dürfte anderen nicht willkürlich überlassen werden, "ausgenommen Kinder, Domestiken, Gefährten und andere mit ihm [dem Berechtigten] zu tun habende Personen, welche per Connexionem et Consequentiam daran participieren" (Roth, Bayerisches Zivilrecht, 2. Aufl. 1897, S. 111). Wegen der Verwandtschaft zwischen gemeinem Sachsenrecht und gemeinem Recht dürfte Ähnliches in Thüringen gegolten haben.

b) Nach § 903 BGB kann der Eigentümer einer Sache mit dieser nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen. Eine Benutzung durch die Allgemeinheit dürfte daher nur dann ausnahmsweise möglich sein, wenn der Anliegerweg nach dem jeweiligen Straßenrecht gewidmet wurde. Aufschluss hierüber könnte das straßenrechtliche Bestandsverzeichnis (Art. 3 Abs. 2 BayStrWG; § 4 ThStrG) geben.

Ferner bestehen nach den landesrechtlichen Naturschutzgesetzen Betretungsrechte für Privatwege in der freien Natur (vgl. Art. 23 BayNatSchG; § 34 ThüNatG).

4. Verkehrsicherungs- und Unterhaltungspflichten

Die einzelnen Teilflächen der Anliegerwege stehen im Alleineigentum des jeweils angrenzenden Grundstückseigentümers. Jeder Eigentümer dürfte daher für den in seinem Alleineigentum stehenden Teil des Wegs selbst verkehrssicherungspflichtig sein.

Die Unterhaltungspflicht für die Anlagen auf den belasteten Grundstücken richtet sich - sofern man eine (altrechtliche) Dienstbarkeit annimmt - nach den §§ 1021 ff. BGB (Art. 184 Satz 2 EGBGB).

5. Ergebnis

Katastertechnisch ist damit der Anliegerweg ein eigenes Flurstück. Sachenrechtlich besteht er aus Teilflächen verschiedener Grundstücke.

Die Nutzung zugunsten von Anliegern und Allgemeinheit ist jedenfalls insoweit zulässig, als der Anliegerweg straßenrechtlich entsprechend gewidmet wurde. Im Übrigen kommt jedenfalls im alten Bundesgebiet auch eine altrechtliche Dienstbarkeit in Betracht; im Beitrittsgebiet wäre eine altrechtliche Dienstbarkeit mangels Eintragung zwischenzeitlich erloschen (§ 8 GrBerG).

Erscheinungsdatum:

01.09.2003

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Dienstbarkeiten und Nießbrauch
Grundbuchrecht

Erschienen in:

DNotI-Report 2003, 139-141

Normen in Titel:

BGB § 1018; GBO § 2; EGBGB Art. 184