18. Oktober 2024
BGB § 1854

Familiengerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit der Bestellung eines Nießbrauchs zugunsten eines Minderjährigen

BGB § 1854 Nr. 4
Familiengerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit der Bestellung eines Nießbrauchs zugunsten eines Minderjährigen

I. Sachverhalt
Es wurde ein Nießbrauch zugunsten eines Minderjährigen (fünf Jahre alt) an einem Wohnungseigentum bestellt. Der Nießbrauchsberechtigte hat gemäß der Vereinbarung sämtliche Kosten und auch die außerordentlichen Lasten zu tragen. Hierbei wirkte ein Ergänzungspfleger als Vertreter des Minderjährigen mit. Der Grundbuchvollzug erfolgte ohne Beanstandung. Nun teilt das Familiengericht, das zufällig von dem Vorgang erfahren hat, mit, dass aus seiner Sicht eine familiengerichtliche Genehmigung für das Rechtsgeschäft erforderlich sei, da es sich um eine gem. §§ 1813 Abs. 1, 1799 Abs. 1, 1854 Nr. 4 BGB genehmigungspflichtige Übernahme einer fremden Verbindlichkeit handele.

II. Frage
Ist die Bestellung eines Nießbrauchs zugunsten eines Minderjährigen nach § 1854 Nr. 4 BGB genehmigungsbedürftig, sodass die Auffassung des Familiengerichts zutrifft?

III. Zur Rechtslage
1. Neufassung des Genehmigungstatbestandes des § 1854 Nr. 4 BGB zum 1.1.2023
Gem. §§ 1813 Abs. 1, 1799 Abs. 1, 1854 Nr. 4 BGB bedürfte die Bestellung des Nießbrauchs zugunsten des Minderjährigen durch den Ergänzungspfleger dann der familiengerichtlichen Genehmigung, wenn es sich hierbei um ein Rechtsgeschäft handelte, das auf Übernahme einer fremden Verbindlichkeit gerichtet ist. § 1854 Nr. 4 BGB enthält seit dem 1.1.2023 in modifizierter Form den Inhalt des bisherigen § 1822 Nr. 10 Var. 1 BGB a. F. (BT-Drucks. 19/24445, S. 289). Nach dem Gesetzeswortlaut des § 1822 Nr. 10 Var. 1 BGB a. F. war die Genehmigung des Familiengerichts zur Übernahme einer fremden Verbindlichkeit erforderlich.

2. Leitlinien zur Auslegung des neu gefassten Genehmigungstatbestandes
a) Der Gesetzgeber führt zu der Modifikation der bisherigen Rechtslage aufgrund des neuen § 1854 Nr. 4 BGB zunächst aus (BT-Drucks. 19/24445, S. 289), dass nunmehr die Haftung des Betreuten für eine Verbindlichkeit, die sich lediglich als Nebenfolge eines anderen Rechtsgeschäfts ergebe, ausgenommen werde. Dies diene der Klarstellung, da der Tatbestand sonst weit über seinen Zweck hinaus alle möglichen gesetzlichen Folgen erfasse. Gerade in den alltäglichen Fällen der gesamtschuldnerischen Verpflichtung liege kein besonders großes Schutzbedürfnis vor.

In der Sache liegt darin eine Abkehr von der bereits durch das RG zu § 1822 Nr. 10 BGB a. F. begonnenen „Sekundärfolgenrechtsprechung“, wonach auch gesetzliche Folgen eines anderen Rechtsgeschäfts zur „Übernahme einer Verbindlichkeit“ führen können (RGZ 133, 7, 13 f.; vgl. hierzu Eble, RNotZ 2021, 117, 125). Aus dieser Neuorientierung wird beispielsweise abgeleitet, dass der Erwerb von Bruchteilen eines Wohnungseigentums, der als weitere Folge gem. § 16 Abs. 2 WEG eine gesamtschuldnerische Haftung mit den anderen Bruchteilsinhabern für die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums sowie die Instandhaltungs-, Instandsetzungs- und Verwaltungskosten auslöst, nunmehr – anders als zu § 1822 Nr. 10 BGB a. F. – nicht mehr unter § 1854 Nr. 4 BGB n. F. subsumiert werden kann. Denn es handelt sich bei dieser Haftung lediglich um eine gesetzliche Nebenfolge eines anderen Rechtsgeschäfts (BeckOGK-BGB/Schöpflin, Std.: 15.5.2023, § 1854 Rn. 21). Allerdings ist nach der neuen Rechtslage der unentgeltliche Erwerb von Wohnungseigentum aufgrund eines eigenen Tatbestandes unter Genehmigungsvorbehalt gestellt (§ 1850 Nr. 4 BGB n. F.).

b) Im Übrigen gilt zur Auslegung des § 1854 Nr. 4 BGB n. F. dieselbe restriktive Grenzziehung wie bereits zu § 1822 Nr. 10 BGB a. F. (MünchKommBGB/Kroll-Ludwigs, 9. Aufl. 2024, § 1854 Rn. 17 m. w. N.; BT-Drucks. 19/24445, S. 289): § 1854 Nr. 4 BGB will – insoweit unverändert gegenüber der Vorgängervorschrift – den Betreuten davor schützen, dass seine Erwartungen, er werde nicht in Anspruch genommen oder könne beim Schuldner der Primärverbindlichkeit Regress nehmen, enttäuscht werden. Durch die Norm wird daher nur die Übernahme von Schulden erfasst, für die der Betreute nur subsidiär haftet und Regress nehmen kann. Folglich greift die Vorschrift nicht ein, wenn der Betreute die Schuld als eigene übernimmt und auch nicht bei einem Dritten Regress nehmen kann (BeckOGK-BGB/Schöpflin, § 1854 Rn. 18; BeckOK-BGB/Kadelbach, Std.: 1.8.2024, § 1854 Rn. 8). Dementsprechend ist beispielsweise eine befreiende Schuldübernahme dann nicht genehmigungsbedürftig, wenn keinerlei Rückgriff möglich ist. Soweit darin eine Schenkung liegt, sind allerdings die Schenkungsverbote nach §§ 1641, 1798 Abs. 3 BGB bzw. der Genehmigungsvorbehalt nach § 1854 Nr. 8 BGB zu beachten (BeckOGK-BGB/Schöpflin, § 1854 Rn. 19.2; BT-Drucks. 19/24445, S. 289 f.). Weiter werden durch die Beschränkung der Genehmigungsbedürftigkeit auf Fälle der Subsidiärhaftung etwa auch der Erbteilserwerb ausgeschieden, der die Haftungsquote im Innenverhältnis vergrößert, sowie die Beteiligung an einer GmbH, eG oder Personengesellschaft aufgrund Gründung der Gesellschaft oder Erwerb einer Beteiligung (BeckOGK-BGB/Schöpflin, § 1854 Rn. 19.2).

3. Folgerungen für den vorliegenden Sachverhalt
a) Als dinglicher Inhalt des Nießbrauchs wurde im Ausgangsfall bestimmt, dass der Nießbrauchsberechtigte sämtliche Kosten und Lasten (auch die außerordentlichen) zu tragen hat. Damit liegt eine Abweichung von den Regelungen in §§ 1041 S. 2, 1047 BGB vor. Diese Vorschriften sind zulässigerweise mit dinglicher Wirkung abdingbar (Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 16. Aufl. 2020, Rn. 1375 m. w. N.). Infolge dieser Ausgestaltung des Nießbrauchs hat aber der minderjährige Nießbraucher sämtliche Kosten und Lasten zu tragen, ohne hierfür beim Grundstückseigentümer Regress nehmen zu können. § 1854 Nr. 4 BGB ist daher bereits wegen der auch unter dem Regime des § 1822 Nr. 10 BGB a. F. geltenden Beschränkung des Genehmigungstatbestandes auf ein enttäuschtes Vertrauen des Mündels/Minderjährigen auf eine bestehende Regressmöglichkeit nicht einschlägig.

Wir neigen darüber hinaus zu der Einschätzung, dass sich die Übernahme der in der Bestellungsurkunde angesprochenen Kosten und Lasten lediglich als gesetzliche Nebenfolge des auf die Nießbrauchsbestellung gerichteten Rechtsgeschäfts ergibt und der Genehmigungstatbestand des § 1854 Nr. 4 BGB auch aus diesem Grunde ausscheidet. Die Haftungsübernahme ist gerade nicht unmittelbarer Inhalt des Geschäftswillens der Parteien (vgl. Eble, RNotZ 2021, 117, 125). Freilich ließe sich diese Einordnung u. U. deswegen bezweifeln, weil der Minderjährige im unterbreiteten Sachverhalt im Verhältnis zum Eigentümer noch über den gesetzlichen Regelfall der §§ 1041 S. 2, 1047 BGB hinaus belastet wird. Letztlich kann dieser Gesichtspunkt aber dahinstehen. Denn bereits der Umstand, dass der Minderjährige die betreffenden Verbindlichkeiten ohne Regressmöglichkeit beim Eigentümer zu begleichen hat, ist tragendes Argument für die Ablehnung einer Genehmigungsbedürftigkeit nach § 1854 Nr. 4 BGB.

b) Nach dem Gesagten könnte man allenfalls dann zu einem abweichenden Ergebnis kommen, wenn man § 1854 Nr. 4 BGB im unterbreiteten Sachverhalt analog anwenden wollte. Gegen die Zulassung einer solchen Analogie spricht freilich schon grundsätzlich, dass die gerichtlichen Genehmigungstatbestände jedenfalls nach der herrschenden Rechtsprechung und überwiegenden Literaturauffassung zum alten Betreuungs- und Vormundschaftsrecht wegen des in diesem Bereich besonders dringlichen Bedarfs an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit rein formal auszulegen sind. Daher wurde eine Ausdehnung der Genehmigungstatbestände durch Zulassung von Analogien grundsätzlich abgelehnt (BGH NJW 1983, 228; NJW 1985, 136, 138; BeckOGK-BGB/Eitzinger, Stand: 1.7.2024, § 1643 Rn. 11 m. w. N.). Die bisherige Rechtsprechung dürfte auch zum neuen Recht wegen des unveränderten Systems enumerativer Genehmigungstatbestände weiterhin gelten (so MünchKommBGB/Kroll-Ludwigs, § 1850 Rn. 3). Freilich ist diese Ansicht auch auf Kritik gestoßen: Es sei vorzugswürdig, sich von dem Gebot der formalen Auslegung der Genehmigungstatbestände zu verabschieden und die Problemlösung jeweils – wie bei jeder anderen Vorschrift auch – mithilfe der klassischen Auslegungsmethoden zu suchen (hierfür ausführlich plädierend Herberger, FamRZ 2023, 1927).

Auch wenn man mit der genannten Literaturkritik eine Gesetzesanalogie in diesem Bereich nicht a priori für ausgeschlossen hält, müssten doch deren allgemeine Bedingungen erfüllt sein. Voraussetzung für die analoge Anwendung einer Gesetzesvorschrift ist allgemein zum einen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. Zum anderen muss der im Gesetz unmittelbar geregelte Sachverhalt mit dem zur konkreten Beurteilung vorliegenden vergleichbar sein. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH NJW-RR 2022, 233 Rn. 29; NZM 2017, 847 Rn. 34; ausf. Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2019, § 6 Rn. 102 ff.).

Im unterbreiteten Sachverhalt fehlt es u. E. bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Die hier ausschlaggebende Beschränkung des Genehmigungstatbestandes auf Fälle der Subsidiärhaftung hat der Gesetzgeber – insoweit unverändert – aus der Vorgängervorschrift des § 1822 Nr. 10 BGB a. F. übernommen und dies in der Gesetzesbegründung ausdrücklich wiederholt (BT-Drucks. 19/24445, S. 289). Der Minderjährige kann kein schutzwürdiges Vertrauen auf eine Regressmöglichkeit beim Grundstückseigentümer haben, da ihm bekannt ist, dass er die in der Bestellungsurkunde angesprochenen Lasten und Kosten – über §§ 1041 S. 2, 1047 BGB hinaus – als wirtschaftlich eigene ohne Rückgriffsmöglichkeit tragen soll.

4. Ergebnis
Nach unserer Einschätzung ist die Auffassung des Familiengerichts unzutreffend. Die Bestellung des Nießbrauchs ist nicht nach § 1854 Nr. 4 BGB genehmigungsbedürftig. Auch wenn man eine Gesetzesanalogie im Bereich der Genehmigungstatbestände nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, liegen doch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Vorschrift in diesem Fall nicht vor.

Gutachten/Abruf-Nr:

201839

Erscheinungsdatum:

18.10.2024

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)

Erschienen in:

DNotI-Report 2024, 156-158

Normen in Titel:

BGB § 1854