07. Juni 2024
BeurkG § 44a Abs. 2

Verlust einer Seite der Urschrift; Ersetzung durch reproduzierte Seite

BeurkG §§ 44, 44a Abs. 2
Verlust einer Seite der Urschrift; Ersetzung durch reproduzierte Seite

I. Sachverhalt
Bei der Verbindung eines beurkundeten Vertrages ist beim Herstellen der Urschrift und der beglaubigten Abschriften (Ausfertigungen wurden nicht erteilt) der Fehler passiert, dass ein Blatt der Urkunde nicht mit eingebunden wurde. Dies blieb zunächst unbemerkt. Die Urkunde ist durchnummeriert, die Seite 5 fehlt, sie ist aber anhand des gespeicherten Entwurfs zweifelsfrei reproduzierbar.

II. Fragen
1. Muss die Urschrift entheftet und mit der bisher fehlenden Seite 5 neu zusammengeheftet werden oder kann die bisher bei der Urschrift fehlende Seite an die Urschrift angesiegelt werden? Ist ein entsprechender Vermerk anzubringen?

2. Wenn das fehlende Blatt angesiegelt wird, können dann trotzdem beglaubigte Abschriften in der Weise hergestellt werden, dass die Seiten fortlaufend nummeriert zusammengeheftet werden?

III. Zur Rechtslage
Ist die Urkunde vollständig, d. h. auch mit der nunmehr fehlenden Seite 5, gem. § 13 Abs. 1 S. 1 BeurkG in Gegenwart des Notars den Beteiligten vorgelesen, von diesen genehmigt und von den Beteiligten und wegen § 13 Abs. 3 BeurkG auch vom Notar eigenhändig unterschrieben worden, so ist diese ursprünglich wirksam errichtet worden.

Eine fehlerhafte Siegelung oder Heftung der einzelnen Seiten der Niederschrift macht diese nicht unwirksam; „lediglich“ der Beweiswert der Urkunde wird beeinträchtigt (BeckOGK-BeurkG/Regler, Std.: 1.3.2024, § 44 Rn. 22; Grziwotz/Heinemann, in: Grziwotz/Sauer/Heinemann, BeurkG, 4. Aufl. 2024, § 44 Rn. 14). Dabei ist der Notar – ebenso wie sein Amtsnachfolger – berechtigt und verpflichtet, eine nachträglich festgestellte fehlende bzw. fehlerhafte Heftung und Siegelung nachzuholen (BeckOGK-BeurkG/Regler, § 44 Rn. 23 f.). Ein solches Nachholen der fehlerhaften Heftung ist jedoch nur möglich, wenn tatsächlich die in der Beurkundung verlesene Seite 5 noch auffindbar ist. Ist die Originalseite nicht auffindbar, so ist eine nachträgliche korrekte Heftung bereits nicht mehr möglich.

Existiert – wie vorliegend – auch keine vollständige beglaubigte Abschrift oder Ausfertigung, scheidet auch das Verfahren der Ersetzung nach § 46 Abs. 1 BeurkG aus.

In Betracht kommt jedoch eine Berichtigung nach § 44a Abs. 2 S. 1 BeurkG. Nach dieser Vorschrift kann der Notar offensichtliche Unrichtigkeiten auch nach Abschluss der Niederschrift durch einen von ihm zu unterschreibenden Nachtragsvermerk richtigstellen. Nach Auffassung der Literatur ist § 44a Abs. 2 BeurkG – gerade im Unterschied zum früheren Wortlaut des § 30 Abs. 4 DONot a. F. – nicht nur auf Schreibfehler, sondern auch auf andere offensichtliche „Unrichtigkeiten“ anwendbar, sodass auch Versehen aufgrund anderer Fehlerquellen berichtigt werden können (Winkler, BeurkG, 21. Aufl. 2023, § 44a Rn. 18). Erfasst sind danach auch Auslassungen und Unvollständigkeiten, wenn sie versehentlich erfolgt sind und sich dies aus dem Gesamtzusammenhang der Beurkundung ergibt, wobei die Umstände auch außerhalb der Urkunde liegen können (Winkler, § 44a Rn. 18; Limmer, in: Frenz/Miermeister, BNotO, 5. Aufl. 2020, § 44a BeurkG Rn. 14; OLG München NJOZ 2018, 1046 Tz. 15). Dies wird etwa angenommen, wenn ein Teil der verlesenen Urkunde nicht vollständig abgedruckt wurde oder wenn eine Einfügung zwar vorgelesen, aber nicht schriftlich fixiert wurde (Winkler, § 44a Rn. 18; BayObLG MittBayNot 2001, 202, 203; Grziwotz/Heinemann, § 44a Rn. 25; BeckOGK-BeurkG/Regler, § 44a Rn. 35).

In diesem Sinne hat sich auch der BGH geäußert (DNotZ 2018, 382 Tz. 29; nachfolgende Hervorh. durch DNotI), wenn er feststellt:

„Gemäß § 44a Abs. 2 BeurkG können auch Auslassungen und Unvollständigkeiten berichtigt werden. Wahrnehmungen des Notars, die nicht in die Urkunde aufgenommen worden sind, können im Wege der Berichtigung als offensichtliche Unrichtigkeit i. S. des § 44a Abs. 2 Satz 1 BeurkG aufgenommen oder ergänzt werden (…).“

Die Entscheidung des BGH ist zwar zur Berichtigung eines Hauptversammlungsprotokolls i. S. v. § 130 AktG, also zu einem Beurkundungsvorgang i. S. v. §§ 36 ff. BeurkG ergangen. Die Möglichkeit zur Berichtigung (Ergänzung) des Inhalts der Niederschrift ist vorliegend dennoch zu bejahen, denn auch der Inhalt einer Niederschrift über die Beurkundung von Willenserklärungen gem. §§ 6 ff. BeurkG beruht auf der amtlichen Wahrnehmung des Notars. Sie unterscheidet sich von einer sog. Tatsachenbeurkundung gem. §§ 36 ff. BeurkG lediglich durch den Gegenstand der amtlichen Wahrnehmung. Im Falle einer Niederschrift gem. §§ 6 ff. BeurkG ist Gegenstand der amtlichen Wahrnehmung das von den Beteiligten vor ihm Erklärte (ausgenommen bspw. das Rubrum der Urkunde sowie der Schlussvermerk, die genau genommen eine Wahrnehmung von sonstigen Tatsachen i. S. v. §§ 36 ff. BeurkG darstellen).

Der BGH weist in seinen Entscheidungsgründen überdies auf Folgendes hin (Tz. 26):

§ 44a BeurkG ist schon aufgrund seiner systematischen Stellung eine Verfahrensnorm für alle Urkundenarten und beschränkt die Zulässigkeit einer Berichtigung nicht auf die Beurkundung von Willenserklärungen. Auch aus dem Zweck der Vorschrift, der Herstellung inhaltlich richtiger Urkunden (…), folgt keine Beschränkung auf bestimmte Urkundenarten. Der Notar ist von Amts wegen verpflichtet, eine Berichtigung vorzunehmen, damit unrichtige Urkunden vermieden werden (…).“

Mit Blick auf den vorliegenden Sachverhalt dürfte sich bereits aus der Nummerierung der Seiten sowie ggf. auch aus dem Fließtext ergeben, dass offensichtlich eine Textpassage bzw. Seite fehlt. Auf die Frage, ob die Auslassung für jedermann und nicht nur für die Urkundsperson erkennbar sein muss (in diesem Sinne OLG München MittBayNot 2012, 502), kommt es daher nicht an. Sofern der Notar den Inhalt der vorgelesenen, aber nunmehr in der Niederschrift nicht enthaltenen Textpassage bzw. fehlenden Seite zu seiner Gewissheit rekonstruieren kann, ist u. E. eine Berichtung gem. § 44a Abs. 2 BeurkG nicht nur zulässig, sondern auch von Amts wegen vorzunehmen. Der fehlerhafte (weil unvollständige) Inhalt der derzeitigen Niederschrift ist durch einen Vermerk gem. § 44a Abs. 2 BeurkG zu berichtigen, um auf diese Weise den Verlautbarungsmangel zu beheben und den Zweck der Errichtung einer öffentlichen Urkunde zu wahren.

Formulierungsvorschläge für einen Vermerk in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation finden sich in der Literatur – soweit ersichtlich – nicht. Der Nachtragsvermerk ist jedenfalls mit dem Datum der Richtigstellung zu versehen sowie am Schluss nach den Unterschriften oder auf einem besonderen, mit der Urschrift zu verbindenden Blatt niederzulegen, § 44a Abs. 2 S. 2 u. 3 BeurkG. Wird die elektronische Fassung der Urschrift zum Zeitpunkt der Richtigstellung bereits in der elektronischen Urkundensammlung verwahrt, darf der Nachtragsvermerk nur noch auf einem gesonderten, mit der Urkunde zu verbindenden Blatt niedergelegt werden, § 44a Abs. 2 S. 4 BeurkG.

Beglaubigte Abschriften sowie Ausfertigungen können für die Beteiligten oder den Rechtsverkehr (z.B. Grundbuchamt) auch als sog. „Reinschriften“ – also mit dem berichtigten Inhalt, hier also mit dem Inhalt der derzeit fehlenden Seite 5, und zwar in nunmehr fortlaufender Nummerierung – erstellt werden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass beglaubigte Abschriften und Ausfertigungen die inhaltliche, nicht aber die optische Übereinstimmung mit der Urschrift bezeugen (DNotI-Report 2015, 1; BeckOGK-BeurkG/Meier, Std.: 1.5.2024, § 42 Rn. 10).

Gutachten/Abruf-Nr:

204070

Erscheinungsdatum:

07.06.2024

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Beurkundungsverfahren

Erschienen in:

DNotI-Report 2024, 83-85

Normen in Titel:

BeurkG § 44a Abs. 2