04. Juli 2017
WEG § 30; BGB § 577

Mietervorkaufsrecht bei einem Wohnungserbbaurecht; zeitliche Reihenfolge: Beurkundung der Teilungserklärung; Abschluss eines Kaufvertrags; Überlassung der Räumlichkeiten an einen Mieter; Vollzug der Teilungserklärung und Eintragung des Erwerbers

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letzte Aktualisierung: 4. Juli 2017

WEG § 30; BGB § 577
Mietervorkaufsrecht bei einem Wohnungserbbaurecht; zeitliche Reihenfolge: Beurkundung
der Teilungserklärung; Abschluss eines Kaufvertrags; Überlassung der
Räumlichkeiten an einen Mieter; Vollzug der Teilungserklärung und Eintragung des
Erwerbers

I. Sachverhalt
Den Sachverhalt erlauben wir uns chronologisch wie folgt zusammenzufassen und zu ergänzen.
Sollten die folgenden Angaben nicht zutreffen, bitten wir um einen ergänzenden Hinweis.
Der Eigentümer E1 war Eigentümer eines Grundstücks. Er teilte dieses Grundstück in
Wohnungserbbaurechte auf. Die zeitliche Reihenfolge stellte sich wie folgt dar:
(1) Beurkundung der Teilungserklärung (27.9.1982)
(2) Abschluss eines Kaufvertrags zwischen E1 und E2 (28.9.1982)
(3) Abschluss eines Mietvertrags (24.3.1983) und Überlassung der Räumlichkeiten an den
Mieter (1.5.1983)
(4) Vollzug der Teilungserklärung und Eintragung von E2 als Wohnungserbbauberechtigter im
Grundbuch (18.2.1985).
E2 möchte nunmehr das Wohnungserbbaurecht verkaufen.

II. Frage
Besteht ein Mietervorkaufsrecht?

III. Zur Rechtslage
1. Intertemporaler Anwendungsbereich
§ 577 BGB wurde als § 570b BGB erst zum 21.7.1993 in das BGB eingefügt. Das wirft die
Frage auf, ob die Bestimmung überhaupt Anwendung findet, wenn – wie im vorliegenden
Fall – Aufteilung und Überlassung der Räumlichkeiten bereits vor diesem Zeitpunkt erfolgt
sind. Gemäß der Übergangsvorschrift in Art. 6 Abs. 4 MietRÄndG (BGBl. 1993 I S. 1257)
gilt das Mietervorkaufsrecht für alle Verkaufsfälle, die nach dem 31.8.1993 beurkundet
werden. Der Zeitpunkt der Umwandlung, der Begründung des Mietverhältnisses oder Übergabe
der Mietsache ist demgegenüber nach h. M. unbeachtlich (AG Berlin-Charlottenburg
NZM 1999, 22; BeckOGK-BGB/Klühs, Std. 1.4.2017: 1.4.2017, § 577 Rn. 6; Schmidt-
Futterer/Blank, Mietrecht, 12. Aufl. 2015, § 577 BGB Rn. 3; wohl anders KG Berlin – 12 U
5802/96 [zitiert nach BeckOGK-BGB/Klühs, § 577 Rn. 6 Fn. 19]). Diese Auffassung ist
überzeugend. Denn Art. 6 Abs. 4 MietRÄndG stellt nur auf den Abschluss des Kaufvertrags
und gerade nicht auf die Begründung von Wohnungseigentum ab.
Dass die Begründung des Wohnungserbbaurechts und Überlassung der Wohnung an den
Mieter vor dem Jahr 1993 erfolgt sind, steht der Anwendbarkeit des § 577 BGB daher nicht
entgegen.

2. Anwendbarkeit des § 577 BGB auf Wohnungserbbaurechte
Ob das Mietervorkaufsrecht auch beim Verkauf von Wohnungserbbaurechten (§ 30 WEG)
eingreift, ist umstritten:
Nach wohl h. M. gilt das Mietervorkaufsrecht auch für Wohnungserbbaurechte
(BeckOGK-BGB/Klühs, § 577 Rn. 10; BeckOK-MietR/Bruns, Std.: 15.2.2017, § 577 BGB
Rn. 17; Brambring, ZAP 1993, 965, 966; MünchKommBGB/Häublein, 7. Aufl. 2017, § 577
Rn. 7; Schmidt-Futterer/Blank, § 577 BGB Rn. 15; a. A. Staudinger/Rolfs, BGB, Neubearb.
2014, § 577 Rn. 27; Langhein, DNotZ 2008, 773, 774). Höchstrichterlich ist die Frage noch
nicht geklärt.
Gegen die analoge Anwendung von § 577 BGB lässt sich vor allem der Umstand ins Feld
führen, dass § 577 BGB nur von Wohnungseigentum spricht, sich aber nicht auf beschränkte
dingliche Rechte wie das Wohnungserbbaurecht bezieht. Der enge Wortlaut der Vorschrift
hat jedoch die Rechtsprechung davon nicht abgehalten, die Vorschrift extensiv auszulegen
und unter Berufung auf die Verdrängungsgefahr etwa auch auf die Realteilung von Grundstücken
anzuwenden (BGH NJW 2008, 2257 Rn. 8; NJW 2010, 3571 Rn. 14; NJW-RR
2016, 910 Rn. 19).
Für die Anwendbarkeit des § 577 BGB spricht vor allem, dass durch die Begründung von
Wohnungserbbaurechten die vom Mieter bewohnte Wohnung zu einer selbständigen
rechtlichen Einheit wird, die auch selbständig belastet und vor allem veräußert werden
kann.
§ 577 BGB schützt den Mieter davor, dass er im Zusammenhang mit einer Umwandlung aus
seiner Wohnung verdrängt wird. Nach der gesetzlichen Wertung ist derjenige schutzbedürftig,
der eine typische Mehrfamilienhaus-Mietwohnung als solche angemietet hat und deshalb
Eigenbedarf oder Veräußerung seiner Wohnung kaum befürchten musste (vgl. Langhein,
DNotZ 1993, 650, 652 f.). Die entscheidende Ursache für die Entstehung dieser Verdrängungsgefahr
ist aber die rechtliche Verselbstständigung der vom Mieter bewohnten
Einheit. Diese Gefahr ist bei der Aufteilung eines Erbbaurechts in Wohnungserbbaurechte in
gleicher Weise gegeben wie bei der Aufteilung eines Grundstücks in Wohnungseigentum.
Auch die vom Gesetz im Übrigen vorgenommene weitgehende Gleichstellung von Erbbaurecht
und Eigentum (vgl. § 11 Abs. 1 ErbbauRG) spricht dafür, das Wohnungserbbaurecht
dem Wohnungseigentum gleichzustellen und nicht anderen dinglichen Nutzungsrechten
(wie z. B. dem Dauerwohnrecht i. S. d. § 31 WEG).
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass andernfalls das Vorkaufsrecht des § 577 BGB leicht
dadurch umgangen werden könnte, dass anstatt der direkten Aufteilung des Grundstücks in
Wohnungseigentum zunächst ein Erbbaurecht bestellt und dieses anschließend in
Wohnungserbbaurechte aufgeteilt wird.
Es dürfte daher davon auszugehen sein, dass ein Mietervorkaufsrecht auch beim Verkauf
von Wohnungserbbaurechten besteht. Nach der bisherigen Rechtsprechung besteht
zumindest ein großes Risiko, dass der BGH eine analoge Anwendung des § 577 Abs. 1 BGB
auf Wohnungserbbaurechte bejahen wird.

3. Zeitliche Reihenfolge beim Mietervorkaufsrecht
Mit Blick auf die zeitliche Abfolge der einzelnen Schritte ist der genaue Wortlaut des § 577
Abs. 1 BGB zu beachten:
„Werden vermietete Wohnräume, an denen nach der Überlassung
an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist [Var. 1]
oder begründet werden soll [Var. 2], an einen Dritten verkauft, so
ist der Mieter zum Vorkauf berechtigt.“
Das Mietervorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB kommt zum Zuge, wenn nach
der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist. Maßgeblich für
die Begründung ist dabei nicht die Beurkundung der Teilungserklärung, sondern der Vollzug
der Teilungserklärung im Grundbuch (BGH NZM 2016, 540 Rn. 26). Denn erst in
diesem Zeitpunkt entsteht Wohnungseigentum (vgl. § 8 Abs. 2 S. 2 WEG). Für die Begründung
von Wohnungserbbaurechten kann nichts anderes gelten (vgl. § 30 Abs. 2 WEG
i. V. m. § 8 Abs. 2 S. 2 WEG). Für den vorliegenden Fall ergeben sich hieraus folgende
Schlussfolgerungen: Das Wohnungserbbaurecht wurde erst nach der Überlassung der
Räumlichkeiten an den Mieter begründet. Das Mietervorkaufsrecht ist demzufolge grundsätzlich
anwendbar, wenn man von einer analogen Anwendung des § 577 Abs. 1 BGB auf
Wohnungserbbaurechte ausgeht (hierzu oben unter 2.).

4. Erster Verkaufsfall
Fraglich ist jedoch, ob das Mietervorkaufsrecht nicht deswegen ausscheidet, weil der damalige
Eigentümer das Wohnungserbbaurecht an den jetzigen Eigentümer verkauft hat. Nach
h. M. besteht das Mietervorkaufsrecht nur für einen Verkaufsfall. Ist die Eigentumswohnung
bereits vor dem Inkrafttreten des § 570b BGB (nunmehr: § 577 BGB) vor dem
1.9.1993 veräußert worden, scheidet ein Mietervorkaufsrecht aus (BGH NJW 2006, 1869
Rn. 12).
Das Mietervorkaufsrecht wäre somit ausgeschlossen, wenn der Verkauf im Jahre 1982
bereits einen Verkaufsfall begründet haben sollte. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags
war das Wohnungserbbaurecht noch nicht begründet. Ein Vorkaufsrecht nach § 577
Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB bestand daher nicht (vgl. BGH NZM 2016, 540 Rn. 26). Der damalige
Verkauf des noch nicht im Wohnungserbbaugrundbuch eingetragenen Wohnungserbbaurechts
könnte allenfalls unter § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB fallen. Der BGH hat
entschieden, dass ein Mietervorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB immer dann
ausscheidet, wenn der Vermieter die Teilungserklärung vor Überlassung der Räumlichkeiten
an den Mieter beurkundet hat. Die Begründung der Aufteilungsabsicht müsse so wie die
Begründung von Wohnungseigentum der Überlassung der Räumlichkeiten an den Mieter
nachfolgen (BGH NZM 2016, 540 Rn. 32). Diese Entscheidung wird in der Literatur teilweise
stark kritisiert (BeckOK-MietR/Bruns, § 577 BGB Rn. 30).
Im Ergebnis dürfte es jedoch hier auf diese Auslegung des § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB
nicht ankommen. Denn im vorliegenden Fall wurde der Kaufvertrag bereits beurkundet,
bevor der Mietvertrag abgeschlossen und die Räumlichkeiten an den Mieter überlassen
wurden. Ein Verkaufsfall bestand daher nicht.
Mithin ist davon auszugehen, dass der anstehende Verkauf von E2 an einen Dritten den
ersten Verkaufsfall begründet und daher ein Mietervorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1
Var. 1 BGB auslöst.

5. Ausschluss des Mietervorkaufsrechts bei Kenntnis des Mieters von Beurkundung einer
Teilungserklärung
Sollte der Mieter im Zeitpunkt der Überlassung der Räumlichkeiten Kenntnis davon gehabt
haben, dass bereits eine Teilungserklärung beurkundet wurde, fragt sich, ob dieser Umstand
dem Bestehen eines Mietervorkaufsrechts entgegensteht. Man könnte argumentieren, dass
der Mieter nicht schutzwürdig ist, wenn ihm bekannt ist, dass eine Aufteilung des Grundbesitzes
in Wohnungseigentum bzw. Wohnungserbbaurechte ansteht (vgl. Wirth, NZM
1998, 390, 391). Der BGH hat sich dieser Argumentation jedoch nicht angeschlossen. Nach
seiner Auffassung steht die bei Mietvertragsabschluss bestehende Kenntnis des Mieters
von einer Umwandlungsabsicht der Anwendung dem Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1
Var. 1 BGB nicht entgegen. Er begründet dies damit, dass § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB
nur auf die Begründung von Wohnungseigentum abstellt (BGH NZM 2016, 540 Rn. 27).

6. Ergebnis
Nach h. M. ist § 577 BGB analog auch auf den Verkauf von Wohnungserbbaurechten anzuwenden.
Höchstrichterlich gesichert ist dies jedoch nicht. Befürwortet man eine solche
analoge Anwendung, dürfte in der vorliegenden Fallkonstellation ein Mietervorkaufsrecht
bestehen.

Gutachten/Abruf-Nr:

152273

Erscheinungsdatum:

04.07.2017

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Miete
WEG

Normen in Titel:

WEG § 30; BGB § 577