07. Juni 2024
AktG § 129; AktG § 130 Abs. 2

Feststellungen i. S. v. § 130 Abs. 2 S. 1 AktG bei der Einpersonengesellschaft; Erfordernis eines Versammlungsleiters bei der Ein-Personen-AG

AktG §§ 129, 130 Abs. 2 S. 1
Feststellungen i. S. v. § 130 Abs. 2 S. 1 AktG bei der Einpersonengesellschaft; Erfordernis eines Versammlungsleiters bei der Ein-Personen-AG

I. Sachverhalt
Eine Ein-Personen-AG hält eine außerordentliche Hauptversammlung ab, die der Notar in Form einer Niederschrift beurkundet. Einen Versammlungsleiter gibt es nicht. Nach Anmeldung der in der Hauptversammlung beschlossenen Kapitalerhöhung äußert das Handelsregister Bedenken an der Wirksamkeit des Beschlusses, weil dem Protokoll eine Feststellung des Vorsitzenden i. S. v. § 130 Abs. 2 S. 1 AktG nicht zu entnehmen sei. Es verweist auf das Urteil des OLG Köln v. 28.2.2008 – 18 U 3/08.

II. Fragen
1. Sind Feststellungen des Vorsitzenden nach § 130 Abs. 2 S. 1 AktG bei einer Ein-Personen-AG konstitutiv für das Zustandekommen eines Beschlusses, insbesondere wenn es überhaupt keinen Versammlungsleiter gibt?

2. Ergibt sich aus dem genannten Urteil des OLG Köln etwas anderes?

III. Zur Rechtslage
1. Erfordernis eines Versammlungsleiters
Die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft wird grundsätzlich von einem Versammlungsleiter geleitet. Das AktG regelt zwar die Stellung und die Befugnisse des „Versammlungsleiters“ oder „Vorsitzenden“ nicht ausdrücklich, setzt aber seine Position in einer Reihe von Vorschriften voraus (siehe etwa § 118 Abs. 4, § 118a Abs. 2 S. 3, § 122 Abs. 3 S. 2, § 130 Abs. 2, § 131 Abs. 1f, Abs. 2 S. 2 AktG). Die Bestellung eines Versammlungsleiters ist bei jeder beschließenden Hauptversammlung zwingend erforderlich (BeckOGK-AktG/Wicke, Std.: 1.2.2024, § 129 Rn. 42).

Die ganz überwiegende Meinung im Schrifttum geht daher davon aus, dass ein Versammlungsleiter selbst bei einer Vollversammlung der Aktiengesellschaft vorhanden sein muss. Eine Ausnahme wird nur im Falle einer Ein-Personen-AG anerkannt (MünchKommAktG/Kubis, 5. Aufl. 2022, § 119 Rn. 108; BeckOGK-AktG/Wicke, § 129 Rn. 42; Wicke, NZG 2007, 771; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516, 519; GroßkommAktG/Mülbert, 5. Aufl. 2017, § 129 Rn. 107; KölnKommAktG/Noack/Zetsche, 4. Aufl. 2023, Anh. § 129 Rn. 3; Koch, AktG, 18. Aufl. 2024, § 129 Rn. 18; Grigoleit/Herrler, AktG, 2. Aufl. 2020, § 129 Rn. 35; a. A. aber Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl. 2024, § 129 Rn. 62; einschränkend Ott, RNotZ 2014, 423, 425 f.: Versammlungsleiter jedenfalls dann erforderlich, wenn die Satzung der Gesellschaft dies vorschreibt; siehe auch Blasche, AG 2017, 16; Terbrack, RNotZ 2012, 221), weil es dort keine Beschlüsse, sondern lediglich Willenserklärungen des Alleinaktionärs gebe, die den Beschluss als solchen zustande bringen.

Das OLG Köln (Urt. v. 28.2.2008 – 18 U 3/08, DNotZ 2008, 789 m. Anm. Wicke) führt hierzu grundsätzlich aus:

„Die Auffassung der Beklagten, bei einer Ein-Personen-AG trete der Alleinaktionär an die Stelle des Aufsichtsratsvorsitzenden, da es keinen Sinn mache, bei dieser einen Versammlungsleiter der Hauptversammlung zu bestimmen und der Aufsichtsratsvorsitzende und sein Stellvertreter nicht notwendigerweise an der Hauptversammlung teilnehmen müssten (…), hat grundsätzlich einiges für sich. Die Niederschrift soll die Beschlussfassung für alle Beteiligten verbindlich dokumentieren. Dies kann am zuverlässigsten dadurch geschehen, dass der Alleinaktionär seinen Willen schriftlich niederlegt.“

Für den konkreten Fall, in dem eine Satzungsregelung über den Vorsitz in der Hauptversammlung bestand, führt das OLG weiter aus:

„Trotzdem kann im konkreten Fall der Auffassung, der Alleinaktionär trete an die Stelle des Aufsichtsratsvorsitzenden, nicht gefolgt werden, weil sie mit der Satzung der Antragsgegnerin unvereinbar ist. Diese sieht in § 20 vor, dass der Aufsichtsratsvorsitzende den Vorsitz in der Hauptversammlung führt. Wenn die Satzung aber eine so klare Regelung trifft, kann auch der Alleinaktionär nicht hiervon abweichen.“

Die Entscheidung des OLG Köln orientiert sich damit an einer Satzungsregelung über den Vorsitz in der Hauptversammlung und kann gerade nicht dahin verallgemeinert werden, dass bei einer Ein-Personen-AG stets ein Versammlungsleiter erforderlich wäre. Ferner weist Wicke (DNotZ 2008, 789, 793) u. E. zu Recht darauf hin, dass das OLG Köln in dieser Argumentation die Frage des organschaftlichen Teilnahmerechts von Aufsichtsratsmitgliedern an der Hauptversammlung und die Bedeutung der Versammlungsleitung unzulässig vermischt.

2. Erfordernis der Angabe der Feststellungen des Vorsitzenden gem. § 130 Abs. 2 S. 1 AktG
Neben dem Abstimmungsergebnis muss in der Niederschrift nach § 130 Abs. 2 AktG die Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung wiedergegeben werden, also die Verlautbarung des Versammlungsleiters, dass der Antrag angenommen oder abgelehnt wurde oder (gleichbedeutend), dass ein Beschluss bestimmten Inhalts gefasst worden oder nicht zustande gekommen ist (BeckOGK-AktG/Wicke, § 130 Rn. 82). Grundsätzlich sind Feststellung und Verlautbarung des Vorsitzenden ein konstitutives Merkmal für die Beschlussfassung. Im Fall des Unterbleibens ist der Beschluss nicht wirksam zustande gekommen (BeckOGK-AktG/Wicke, § 130 Rn. 82 m. w. N.).

Ausnahmen von diesem ausdrücklichen Feststellungserfordernis werden (im Wege einer teleologischen Reduktion) dann erwogen, wenn es sich um eine Förmlichkeit ohne Sinn handeln würde. Dies wird von der überwiegenden Meinung im Schrifttum im Falle einer Vollversammlung bei einer Ein-Personen-AG angenommen (BeckOGK-AktG/Wicke, § 130 Rn. 82; MünchKommAktG/Kubis, § 130 Rn. 67; Köln-KommAktG/Tröger, § 133 Rn. 181; GroßkommAktG/Mülbert, § 130 Rn. 106; KölnKommAktG/Noack/Zetzsche, § 130 Rn. 203; Koch, § 130 Rn. 22; Grigoleit/Herrler, § 130 Rn. 44; a. A. Ziemons, in: K. Schmidt/Lutter, § 130 Rn. 23; Blasche, AG 2017, 16). In diesen Fällen genügt die Erklärung des einzigen Aktionärs sowie deren Aufnahme in die Niederschrift (MünchKomm-AktG/Kubis, § 130 Rn. 67).

Ist nach Maßgabe der überwiegenden Ansicht in der Literatur (Ziff. 1) ein Versammlungsleiter nicht erforderlich, sind denklogisch auch die Feststellungen über die Beschlussfassung nach § 130 Abs. 2 S. 1 AktG bei der Vollversammlung der Ein-Personen-AG entbehrlich. Das Feststellungserfordernis dient der Rechtsklarheit und soll den Beteiligten eine sichere Grundlage für etwaige Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklagen bieten (Grigoleit/Herrler, § 130 Rn. 44). Dies erübrigt sich bei der Vollversammlung einer Ein-Personen-AG aus der Natur der Sache heraus.

Indes führt Ziemons (in: K. Schmidt/Lutter, § 130 Rn. 23 a. E.) aus:
„Sie [die Feststellung] muss auch dann erfolgen, wenn ein Beschluss einstimmig gefasst wurde (z.B. bei Einpersonengesellschaft). Eine teleologische Reduktion kann nicht mit dem Hinweis auf bloße Förmelei begründet werden, dann könnte auch in anderen Fällen eindeutiger Abstimmungsergebnisse (90, 95 oder 99 %?) auf eine Feststellung verzichtet werden.“

Dies überzeugt angesichts dessen, dass bei einer Vollversammlung der Ein-Personen-AG keine Beschlüsse, sondern lediglich Willenserklärungen des Alleinaktionärs existieren, die den Beschluss als solchen zustande bringen (Ziff. 1), nicht.

Blasche (AG 2017, 16, 22) kommt zu folgendem Ergebnis:

„Die vorstehende Analyse hat dabei gezeigt, dass entgegen der ganz herrschenden Meinung auch bei der Einpersonen-Aktiengesellschaft die Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung erforderlich ist, weil diese ein konstitutives Element des Beschlusses der Hauptversammlung darstellt. Ebenso entfällt bei der Hauptversammlung der Einpersonen-Aktiengesellschaft nicht die ungeschriebene Kompetenz und Aufgabe des Versammlungsleiters, in Zweifelsfällen über die Zulassung von Aktionären zur Hauptversammlung zu entscheiden, wobei hierzu die Prüfung der Identität der Aktionäre, des Bestehens von Vertretungsverhältnissen sowie der Einhaltung von Anmelde- und Hinterlegungserfordernissen gehört. Auch diese Aufgabe des Versammlungsleiters wird in der Hauptversammlung der Einpersonen-Aktiengesellschaft nicht entbehrlich.“

Angesichts dessen, dass es sich um eine Vollversammlung einer Ein-Personen-AG handelt, wirken die angeführten Funktionen allerdings in der Argumentation zirkulär. Dass die Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung erforderlich ist, weil diese ein konstitutives Element des Beschlusses der Hauptversammlung darstellt, ist bei näherer Betrachtung eine petitio principii und durch die vorzunehmende teleologische Reduktion des § 130 Abs. 2 S. 1 AktG gerade widerlegt. Die Aufgabe des Versammlungsleiters, in Zweifelsfällen über die Zulassung von Aktionären zur Hauptversammlung zu entscheiden, wobei hierzu die Prüfung der Identität der Aktionäre, des Bestehens von Vertretungsverhältnissen sowie der Einhaltung von Anmelde- und Hinterlegungserfordernissen gehört, wird bei der Vollversammlung einer Ein-Personen-AG u. E. nicht relevant.

3. Ergebnis
Zusammenfassend wird von der ganz überwiegenden Meinung anerkannt, dass bei einer Vollversammlung einer Ein-Personen-AG ein Versammlungsleiter entbehrlich ist. Die Entscheidung des OLG Köln (Urt. v. 28.2.2008 – 18 U 3/08, DNotZ 2008, 789 m. Anm. Wicke) widerspricht dieser Ansicht nicht, sondern neigt ihr u. E. eher zu, orientiert sich aber an einer Satzungsregelung über den Vorsitz in der Hauptversammlung und kann nicht dahin verallgemeinert werden, dass bei einer Ein-Personen-AG stets ein Versammlungsleiter erforderlich wäre. Folgerichtig wird von der überwiegenden Meinung im Schrifttum im Falle einer Vollversammlung bei einer Ein-Personen-AG das ausdrückliche Feststellungserfordernis nach § 130 Abs. 2 S. 1 AktG (im Wege einer teleologischen Reduktion) für entbehrlich erklärt, da es sich um eine Förmlichkeit ohne Sinn handeln würde. In diesen Fällen genügt die Erklärung des einzigen Aktionärs sowie deren Aufnahme in die Niederschrift.

Gutachten/Abruf-Nr:

203361

Erscheinungsdatum:

07.06.2024

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Aktiengesellschaft (AG)

Erschienen in:

DNotI-Report 2024, 81-83

Normen in Titel:

AktG § 129; AktG § 130 Abs. 2