07. Juni 2018
BGB § 2217

Freigabe des Nachlasses an den Vorerben bei Dauervollstreckung; Wirkung der Freigabe; Gestaltung durch den Erblasser; Rückgängigmachung der Freigabe

BGB § 2217
Freigabe des Nachlasses an den Vorerben bei Dauervollstreckung; Wirkung der Freigabe; Gestaltung durch den Erblasser; Rückgängigmachung der Freigabe

I. Sachverhalt
Es soll in einem Testament Verwaltungsvoll­streckung bis zum 30. Geburtstag des Erben angeordnet werden. Der Erbe soll bis zum 30. Geburtstag nur bedingter, aber befreiter Vorerbe sein. Der Erblasser wünscht eine Regelung, wo­nach der Testamentsvollstrecker unbeschadet der Fortdauer der bedingten Nacherbfolge (die Rechte der Nacherben soll der Testamentsvollstrecker auch bei einer Freigabe weiterhin wahrnehmen) den Nachlass ganz oder teilweise vorzeitig vor Erreichen des 30. Lebensjahres dem Erben freigeben und zur eigenständigen Verwaltung überlassen darf, wenn er denkt, dass der Erbe hierzu in der Lage ist.

Aus Sicht des anfragenden Notars ist eine derartige Regelung zulässig, zumal hierdurch auch Gläubigerinteressen nicht gefährdet seien. Der Erblasser könne ja auch ganz auf eine Testamentsvollstreckung verzichten, dann müsse a maiore ad minus auch die angedachte Regelung möglich sein.

II. Fragen
1. Begegnet die Gestaltung rechtlichen Bedenken?

2. Würde eine erteilte Freigabe auch einen etwaigen späteren Nachfolger-Testamentsvollstrecker binden?

III. Zur Rechtslage
1. Freigabe durch den Testamentsvollstrecker
Nach § 2217 Abs. 1 S. 1 BGB hat der Testamentsvollstrecker Nachlassgegenstände, deren er zur Erfüllung seiner Obliegenheiten offenbar nicht bedarf, dem Erben auf Verlangen zur freien Verfügung zu überlassen.

Die Freigabe ist nach mittlerweile h. M. ein einseitiges, abstraktes, dingliches Rechtsgeschäft, das durch empfangsbedürftige Willenserklärung zustande kommt und den Verzicht auf das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Testamentsvollstreckers hinsichtlich des betreffenden Gegenstandes enthält (OLG Frankfurt MittBayNot 2007, 511, 512, BeckOK-BGB/Lange, Std.: 1.11.2017, § 2217 Rn. 6 m. w. N.). Die Rechtswirkungen treten unabhängig vom Willen des Erblassers kraft Gesetzes ein; ein Irrtum des Testamentsvollstreckers ist unbeachtlich (Staudinger/Reimann, BGB, 2016, § 2217 Rn. 16). Die Freigabe kann grundsätzlich formlos erfolgen, gegenüber dem Grundbuchamt wäre sie allerdings in der Form des § 29 GBO nachzuweisen (BeckOK-BGB/Lange, § 2217 Rn. 6).

Keine Freigabe liegt nach herrschender Ansicht vor, wenn der Testamentsvollstrecker dem Erben nur die Verwaltung und Nutznießung eines Nachlassobjektes überlässt, sich aber die Verfügung vorbehält (Palandt/Weidlich, BGB, 77. Aufl. 2018, § 2217 Rn. 5; BeckOK-BGB/Lange, § 2217 Rn. 7).

Durch die Überlassung an die Erben im Sinne einer Freigabe verliert der Testamentsvollstrecker hinsichtlich der freigegebenen Objekte die Verwaltungs-, Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis, wie sich aus § 2217 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt. Damit erlischt auch der Pfändungsschutz gegen Eigengläubiger des Erben nach § 2214 BGB (BeckOK-BGB/Lange, § 2217 Rn. 8).

Dinglich wirksam ist die Freigabe auch dann, wenn die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen für den Freigabeanspruch nach § 2217 Abs. 1 BGB fehlen (BGHZ 56, 275, 284 = NJW 1971, 1805; BayObLGZ 1991, 390, 393). Auch der Familienrechtssenat des BGH hat unlängst im Rahmen seiner vielbeachteten Entscheidung vom 10.5.2017 zur Frage der Mittellosigkeit des behinderten Betreuten bestätigt, dass die Wirkungen der Freigabe nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 2217 Abs. 1 BGB abhängen, sondern diese beispielsweise auch eintreten, wenn der Testamentsvollstrecker pflichtwidrig gehandelt habe oder er sich im Irrtum über die Voraussetzungen seiner Überlassungspflicht befand (BGH DNotI-Report 2017, 110 f. = MittBayNot 2017, 591 ff. m. Anm. G. Müller = FamRZ 2017, 1259 ff. m. Anm. Reimann).

2. Rückgängigmachung einer erfolgten Freigabe
Ob eine Rückgängigmachung der Freigabe möglich ist, ist umstritten. Die h. M. hält dies für grundsätzlich möglich, und zwar in der Form, dass der Erbe dem Testamentsvollstrecker die Verfügungsgewalt an dem ihm überlassenen Nachlassobjekt freiwillig zurückgibt (Palandt/Weidlich, § 2217 Rn. 7; BeckOK-BGB/Lange, § 2217 Rn. 9; a. A. BayObLGZ 1992, 390). Für den Fall, dass die Freigabe rechtsgrundlos erfolgt sein sollte, weil die Voraussetzungen für eine Freigabe nicht vorlagen, soll der Testamentsvollstrecker ggf. nach Bereicherungsrecht (§ 812 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB) vom Erben die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands verlangen können (vgl. BeckOGK-BGB/Suttmann, Std.: 1.5.2018, § 2217 Rn. 23). Dieser Ansicht hat sich unlängst auch der BGH angeschlossen (BGH DNotI-Report 2017, 110).

Damit lässt sich feststellen, dass eine Freigabe nicht ohne Weiteres rückgängig gemacht werden kann, sondern diese grundsätzlich den freigebenden Testamentsvollstrecker (und von daher auch einen etwaigen Nachfolger) bindet. Anders ist dies nur, wenn die Freigabe rechtsgrundlos erfolgt ist oder der Erbe freiwillig mitwirkt.
    
Damit erscheint eine Freigabe im Bereich des Überschuldeten- oder Behindertentestaments äußerst problematisch, weil hierdurch die Schutzinstrumente des Testamentes (namentlich die Dauervollstreckung) entfallen und frei verwertbares Vermögen des Überschuldeten bzw. Behinderten geschaffen werden könnte (BGH DNotI-Report 2017, 110, wo die Voraussetzungen eines bereicherungsrechtlichen Rückgewähranspruchs allerdings großzügig bejaht und damit ein potenzieller Haftungsfall des Testamentsvollstreckers vermieden wurde). Eine ähnliche Gefahr besteht im Übrigen bei der fehlerhaften „Erbauseinandersetzung“ beim Überschuldeten- bzw. Behindertentestament durch Erbteilsübertragung (vgl. dazu LG Kassel ZEV 2014, 104 m. Anm. Wirich; Springmann, ZEV 2014, 293; Keim, DNotZ 2014, 895; G. Müller, NotBZ 2017, 81).

3. Voraussetzungen einer Freigabe; Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers
Eine etwaige Freigabepflicht des Testamentsvollstreckers nach § 2217 Abs. 1 S. 1 BGB wird nur bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen begründet. Neben einem Freigabe­verlangen des Erben setzt dies voraus, dass der Testamentsvollstrecker die Nachlassgegenstände, die freigegeben werden sollen, nicht mehr zur Erfüllung seiner Obliegenheiten bedarf. Wann dies der Fall ist, lässt sich nicht allgemein bestimmen, sondern ist am Zweck der Testamentsvollstreckung, also funktionsabhängig, zu beurteilen (vgl. BeckOK-BGB/Lange, § 2217 Rn. 2). Im Allgemeinen wird in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, dass im Falle einer Verwaltungs- oder Dauervollstreckung (vgl. § 2209 S. 1 BGB) eine Freigabe nach h. M. grundsätzlich ausgeschlossen ist (BGH NJW 1971, 1805; BeckOK-BGB/Lange, § 2217 Rn. 2). Dies gilt allerdings nicht ausnahmslos. Vielmehr kann sich auch in diesen Fällen aus den Anordnungen des Erblassers ergeben, dass gewisse Nachlassgegenstände nicht mehr zur Verwaltung erforderlich und daher freizugeben sind (OLG Köln ZEV 2000, 231, 232; BeckOK-BGB/Lange, § 2217 Rn. 2).

So weist z. B. auch Zimmermann (MünchKommBGB, 7. Aufl. 2017, § 2217 Rn. 3) darauf hin, dass eine Freigabepflicht bei der Verwaltungs- und Dauervollstreckung zu bejahen sei, soweit es gegenständlich nichts (mehr) i. S. d. Anordnung des Erblassers zu verwalten gebe. In diesem Zusammenhang nennt er als Beispiel die Entscheidung des OLG Frankfurt (ZEV 2011, 605), wonach ein Testamentsvollstrecker, dessen Aufgabe die Errichtung einer Stiftung von Todes wegen ist, trotz Anordnung einer Dauervollstreckung nach Erlangung der Rechtsfähigkeit den Nachlass zugunsten der als Alleinerbin eingesetzten Stiftung freigeben müsse. In dieser Allgemeinheit will Zimmermann (MünchKommBGB, § 2217 Rn. 3) dieser Rechtsansicht aller­dings nicht zustimmen (einschränkend auch Reimann, ZEV 2011, 605 in seiner Urteilsan­merkung).

Andererseits ist anerkannt, dass der Erblasser den Testamentsvollstrecker durch ausdrückliche Bestimmung in der letztwilligen Verfügung von der Pflicht zur Freigabe entbehrlicher Nachlassgegenstände befreien kann (vgl. § 2220 BGB; Staudinger/Reimann, § 2217 Rn. 2). Der Erblasser kann dem Testamentsvollstrecker sogar verbieten, Nachlassgegenstände an den Erben herauszugeben, selbst wenn er ihrer nicht mehr bedarf (Staudinger/Reimann, § 2217 Rn. 2).

Damit steht fest, dass die Herausgabepflicht des Testamentsvollstreckers vom Erblasser ganz abbedungen werden kann; ob diese auch dahingehend modifiziert werden kann, dass der Testamentsvollstrecker nach seinem freien Ermessen zur Herausgabe ermächtigt wird, ist aus unserer Sicht zweifelhaft. Insoweit führt beispielsweise Reimann (Staudinger, § 2217 Rn. 3) aus:

„§ 2217 regelt die Frage, wann der Testamentsvollstrecker zur Freigabe verpflichtet ist, nicht jedoch, ob und unter welchen Voraussetzungen er zu einer Freigabe berechtigt ist (BGHZ 56, 275, 284). Eine derartige vom Gesetz losgelöste, in das Ermessen des Testamentsvollstreckers gestellte, Berechtigung zur Freigabe von Nachlassgegenständen kann es grundsätzlich nicht geben. Be­rechtigung und Verpflichtung sind identisch, das Ermessen des Testamentsvollstreckers ist auf Null reduziert. Der Testaments­vollstrecker ist daher prinzipiell zur Freigabe nur berechtigt, wenn die Voraussetzungen des § 2217 vorliegen, er also zur Freigabe verpflichtet ist. Daneben kann ein Freigaberecht (außerhalb des § 2217) nur als Reflex anderer zwingender gesetzlicher Regelun­gen bestehen. Wurde z. B. aufgrund der zwingenden Normen des inzwischen aufgehobenen § 1683 eine Auseinandersetzung des Nachlasses vorgenommen, so müssen notwendigerweise Nachlassgegenstände freigegeben werden, auch wenn der Erblasser die Auseinandersetzung ausgeschlossen hatte (vgl. BayObLGZ 1967, 230). Gleiches gilt, wenn wegen § 137 S. 1 der Erblasserwillen von Erben und Testamentsvollstrecker einver­nehmlich geändert und eine Auseinandersetzung des Nachlasses (trotz letztwilligen Auseinandersetzungsverbotes!) vorgenommen wird; in einem derartigen Fall ist die Testamentsvollstreckung bezüglich des aus­einandergesetzten Gegenstandes ihres Inhalts beraubt und damit gegenstandslos, sodass – auch wenn das Gesamthandseigentum nur in Bruchteilseigentum umgewandelt wurde – die Freigabe zu erteilen und der Testamentsvollstreckervermerk im Grundbuch zu löschen ist (BGHZ 56, 275; BayObLG DNotZ 1993, 399).“

Auch Keim (ZEV 2012, 450, 455 f.) geht davon aus, dass eine Erweiterung der Freigabebefugnis durch den Erblasser in Betracht kommt, schränkt dies aber dahin gehend ein, dass der Ermessensspielraum, den der Erblasser dem Testamentsvollstrecker zusätzlich durch Verfügung von Todes wegen einräumt, nicht so weit gehen darf, dass dieser praktisch den gesamten Nachlass nach Belieben freigeben und so die Testamentsvollstreckung faktisch beenden kann.

Im Ergebnis lässt sich daher aus unserer Sicht nicht argumentieren, dass die Freigabepflicht jeglicher Modifikation zugänglich sein muss, da auch die Anordnung der Testamentsvollstreckung selbst allein vom Willen des Erblassers abhängt. Eine Modifikation der Freigabe scheint vielmehr nur in engen Grenzen zulässig zu sein, v. a., wenn es um eine angeordnete Verwaltungs- bzw. Dauervollstreckung geht. Ein Freigaberecht nach reinem Ermessen des Testamentsvollstreckers erscheint unzulässig, zulässig dagegen eine Konkretisierung der Freigabepflicht durch ausführliche Darlegung des Zweckes der angeordneten Testamentsvollstreckung (mit der Folge einer sich hieran anknüpfenden gesetzlichen Freigabeverpflichtung des Testamentsvollstreckers bei Wegfall des Zweckes).

Davon unberührt bleibt die Möglichkeit des Testamentsvollstreckers, dem Erben (wie oben ausgeführt) nur die Verwaltung (und Nutznießung) von einzelnen Nachlassobjekten zu überlassen, ohne die Verfügungsbefugnis hierüber aufzugeben.

Gutachten/Abruf-Nr:

155457

Erscheinungsdatum:

07.06.2018

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Testamentsvollstreckung

Erschienen in:

DNotI-Report 2018, 83-85

Normen in Titel:

BGB § 2217