15. Mai 2020
BGB § 32 Abs. 2; BGB § 40; BGB § 32 Abs. 1; UmwG § 13 Abs. 1

Verschmelzung zweier Vereine; Verschmelzungsbeschluss; virtuelle Mitgliederversammlung; präsenzlose Mitgliederversammlung; Beurkundungserfordernis; Versammlungszwang nach UmwG

UmwG § 13 Abs. 1 S. 2; BGB §§ 32 Abs. 1 u. 2, 40 S. 1; MaßnG-GesR § 5 Abs. 2 u. 3
Verschmelzung zweier Vereine; Verschmelzungsbeschluss; virtuelle Mitgliederversammlung; präsenzlose Mitgliederversammlung; Beurkundungserfordernis; Versammlungszwang nach UmwG

I. Sachverhalt
Zwei Vereine sollen verschmolzen werden. Für die Stimmabgabe in der Mitgliederversammlung sollen die Möglichkeiten des § 5 Abs. 2 oder Abs. 3 MaßnG-GesR genutzt werden.

II. Fragen
1. Bedarf die Stimmabgabe gem. § 5 Abs. 2 Nr. 2 MaßnG-GesR der notariellen Form, wenn der Beschluss der Mitgliederversammlung die Zustimmung zu einem Verschmelzungsvertrag betrifft?

2. Genügt eine Beschlussfassung nach § 5 Abs. 2 MaßnG-GesR den Anforderungen des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG?

III. Zur Rechtslage
1. Modifizierung des Versammlungs- und Beschlussrechts durch das MaßnG-GesR
Durch das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (BGBl. I 2020, S. 570; im Folgenden MaßnG-GesR) sind die präsenzlose Mitgliederversammlung und der versammlungslose Beschluss zeitweilig erleichtert worden (vgl. auch Rubrik „Aktuelles“ in DNotI-Report 7/2020, 52 und DNotI-Report 8/2020, 61). Gem. § 5 Abs. 2 MaßnG-GesR kann es der Vorstand den Vereinsmitgliedern abweichend von § 32 Abs. 1 S. 1 BGB auch ohne statutarische Ermächtigung ermöglichen, an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilzunehmen und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation auszuüben (Nr. 1) oder ohne Teilnahme an der Mitgliederversammlung ihre Stimmen vor der Versammlung schriftlich abzugeben (Nr. 2). Gem. § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR ist abweichend von § 32 Abs. 2 BGB (der das schriftliche Umlaufverfahren regelt) ein Beschluss ohne Mitgliederversammlung gültig, „wenn alle Mitglieder beteiligt wurden, bis zu dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform abgegeben haben und der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde“.

2. Beurkundung der präsenzlosen Mitgliederversammlung
§ 5 Abs. 2 MaßnG-GesR gestattet also die präsenzlose Mitgliederversammlung: Es findet zwar eine Versammlung an einem bestimmten Ort statt, physisch gegenwärtig sind dort jedoch nur diejenigen Personen, die zur (technischen) Durchführung der Versammlung notwendig sind (Versammlungsleiter, ggf. auch Vorstand und Urkundsnotar), nicht zwingend gegenwärtig sind die Vereinsmitglieder (differenzierend zwischen virtueller Versammlung und Online-Teilnahme an realer Versammlung mit physischem Versammlungsraum BeckOGK-BGB/Notz, Std.: 15.9.2018, § 32 Rn. 289). Diese üben ihr Stimmrecht elektronisch während der Versammlung oder durch Briefwahl vor der Versammlung aus. Die Präsenz des Notars am Versammlungsort ermöglicht es, dass er ein Wahrnehmungsprotokoll über die Handlungen des ebenfalls präsenten Versammlungsleiters erstellt. So kann der Notar etwa der Auszählung der schriftlich abgegebenen Stimmen und der Ergebnisfeststellung in einer solchen Versammlung genauso beiwohnen wie in einer Mitgliederpräsenzversammlung. Aber auch die Entgegennahme der elektronisch abgegebenen Stimmen durch den Versammlungsleiter ist denkbar (wenn z. B. der Notar die Auswertung elektronisch abgegebener Stimmen begleitet und die Handlungen des Versammlungsleiters protokolliert).

§ 5 Abs. 2 MaßnG-GesR stellt letztlich eine an § 118 Abs. 1 S. 2 AktG angelehnte Regelung dar. Auch im Aktienrecht ist anerkannt, dass der Notar die Protokollierung gem. § 130 Abs. 1 S. 1 AktG vornehmen kann, wenn einzelne oder alle Aktionäre elektronisch an der Versammlung teilnehmen und lediglich der Versammlungsleiter vor Ort das Beschlussergebnis feststellt (zum Ablauf und zur Prüfungspflicht des Notars bzgl. der technischen Voraussetzungen der Versammlung vgl. Reul, notar 2012, 76 und Noack, NJW 2018, 1345). Daher kann die Protokollierung u. E. analog zu einer aktienrechtlichen Hauptversammlung erfolgen, bei der Aktionäre ihr Stimmrecht im Wege der elektronischen Kommunikation wahrnehmen. Gegenstand der Beurkundung ist dementsprechend nicht die einzelne Stimmabgabe, sondern (regelmäßig) die Feststellung des Versammlungsleiters über das Beschlussergebnis (zum Wirksamwerden des Beschlusses vgl. MünchKommBGB/Leuschner, 8. Aufl. 2018, § 32 Rn. 49).

Beide Varianten von § 5 Abs. 2 MaßnG-GesR unterscheiden sich wiederum von § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR darin, dass sie eine ortsgebundene Versammlung (und sei es ohne physische Präsenz aller Vereinsmitglieder) voraussetzen. § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR knüpft dagegen an das bereits gesetzlich geregelte versammlungslose Umlaufverfahren (§ 32 Abs. 2 BGB) an und erleichtert dessen Voraussetzungen. Hier wäre Gegenstand der Beurkundung zwar die einzelne abgegebene Stimme. Ein Vorgehen nach dieser Norm wird im vorliegenden Fall allerdings schon wegen § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG ausscheiden (vgl. Widmann/Mayer/Heckschen, Umwandlungsrecht, Std.: 4/2013, § 13 UmwG Rn. 2).

§ 5 Abs. 2 Nr. 2 MaßnG-GesR regelt hingegen nicht die schriftliche Beschlussfassung im Umlaufverfahren (diese ist wie gesagt in § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR geregelt), sondern soll parallel zu § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 MaßnG-GesR die schriftliche Stimmabgabe im Sinne einer Briefwahl ermöglichen. Eine solche schriftliche Stimmabgabe im Vorfeld einer Versammlung, bei der die Stimme in der Versammlung gezählt und durch den Versammlungsleiter festgestellt wird, ist bei der AG bereits vor dem MaßnG-GesR möglich gewesen. Ebenso wenig wie im Fall der Nr. 1 wird dabei die einzelne Stimme beurkundet; vielmehr wird die Stimme bei der Beurkundung des Beschlusses (Tatsachenprotokoll) in der Versammlung berücksichtigt. Um dem Formerfordernis des § 13 Abs. 3 S. 1 UmwG zu genügen, müsste also jedenfalls – analog zur Protokollierung der Versammlung einer Aktiengesellschaft – ein notarielles Protokoll über die Versammlung erstellt werden (vgl. Winkler, BeurkG, 19. Aufl. 2019, § 37 Rn. 22).

3. Präsenzlose Versammlung und § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG
Bei alledem ist zu bedenken, dass der Beschluss gem. § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG unabdingbar in einer Versammlung der Anteilsinhaber oder Mitglieder der umwandlungsbeteiligten Rechtsträger gefasst werden muss (sog. Versammlungszwang, s. nur BeckOGK-UmwG/Rieckers/Cloppenburg, Std.: 1.7.2019, § 13 Rn. 40). Eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren durch Beurkundung sämtlicher Einzelstimmen gem. § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR scheidet schon aus diesem Grund aus.

Ob ein Vorgehen gem. § 5 Abs. 2 MaßnG-GesR den Erfordernissen des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG genügt, kann nicht als abschließend geklärt gelten. Dies liegt insbesondere daran, dass bereits vor Inkrafttreten des MaßnG-GesR umstritten war, ob eine physische Präsenz der Mitglieder in der Versammlung erforderlich ist (so obiter dictum das OLG Hamm NJW 2012, 940, 941; Lutter/Hoger, UmwG, 6. Aufl. 2019, § 193 Rn. 3) oder lediglich eine technische Möglichkeit zum Austausch mit der Verwaltung und den übrigen Mitgliedern geschaffen werden muss (Lutter/Drygala, § 13 Rn. 10; Semler/Stengel/Gehling, UmwG, 4. Aufl. 2017, § 13 Rn. 14; wohl auch Henssler/Strohn/Heidinger, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2019, § 13 UmwG Rn. 11). Die letztere Ansicht würde wohl eine Versammlung für genügend halten, die – über eine einseitige elektronische Übertragung für die Mitglieder hinaus – eine Teilnahme im Sinne einer Zwei-Wege-Kommunikation ermöglicht.

Der Wortlaut des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG fordert lediglich die Beschlussfassung „in einer Versammlung“. Die Möglichkeit der direkten Kommunikation mit der Verwaltung und den übrigen Mitgliedern wird nur (wenngleich durchaus zutreffend) aus dem Sinn und Zweck der Norm hergeleitet (Lutter/Drygala, § 13 Rn. 10). Der Wortlaut des § 5 Abs. 2 MaßnG-GesR bringt aber gerade zum Ausruck, dass eine solche Mitgliederversammlung stattfindet. Dass die Stimmen elektronisch oder per Briefwahl abgegeben werden, ändert u. E. nichts daran, dass der Beschluss in einer Versammlung gefasst wird.

Eine Intention des Gesetzgebers, § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG durch das MaßnG-GesR suspendieren zu wollen, ist zwar nicht ersichtlich. Allerdings hat der Gesetzgeber in den Gesetzgebungsmaterialien betont, dass auch Umwandlungsmaßnahmen erleichtert werden sollen (RegE BT-Drucks. 19/18110, S. 29). So vereint eine Auslegung des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG dahingehend, dass auch die Beschlussfassung in einer Versammlung ohne körperliche Präsenz möglich ist, den Wortlaut des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG ohne logischen Bruch mit dem Sinn und Zweck des MaßnG-GesR. Die teilweise vertretene Auffassung, dass § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG eine physische Präsenz fordere (OLG Hamm NJW 2012, 940, 941), ist u. E. angesichts der aktuellen gesetzgeberischen Maßnahmen (jedenfalls für die Geltungsdauer des MaßnG-GesR) nicht aufrechtzuerhalten. Das OLG Hamm hat sie ohnehin nur obiter dictum postuliert und konnte denknotwendig zum Zeitpunkt der Entscheidung kein öffentlich-rechtliches Verbot der physischen Zusammenkunft in Erwägung ziehen. Ebenso aber, wie für die AG anerkannt ist, dass die Abstimmung mittels Briefwahl bei gleichzeitiger Durchführung einer Versammlung nicht gegen § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG verstößt (vgl. BeckOGK-UmwG/Rieckers/Cloppenburg, § 13 Rn. 42; Semler/Stengel/Gehling, § 13 Rn. 14; Ghassemi-Tabar, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 8, 5. Aufl. 2018, § 11 Rn. 13; Schöne/Arens, WM 2012, 381, 387), muss dies bei entsprechender gesetzlicher Grundlage auch beim Verein gelten. Den Mitgliedern muss lediglich die Möglichkeit der Partizipation eingeräumt werden, ob sie hiervon Gebrauch machen, ist unerheblich (Semler/Stengel/Gehling, § 13 Rn. 14). Unstrittig ist dies aufgrund entsprechender europarechtlicher Vorgaben allerdings nur für die börsennotierte AG (insofern einschränkend Lutter/Drygala, § 13 Rn. 12 f.).

4. Ergebnis
Eine Beurkundung der einzelnen Stimmen der Vereinsmitglieder im Umlaufverfahren gem. § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR würde nicht den Anforderungen des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG genügen. Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber durch § 5 MaßnG-GesR den Versammlungszwang im UmwG durchbrechen wollte, fehlen in den Gesetzgebungsmaterialien. Ein Vorgehen gem. § 5 Abs. 2 MaßnG-GesR dürfte hingegen die Anforderungen des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG erfüllen – jedenfalls sofern den Mitgliedern eine elektronische Teilnahme ermöglicht wird. In diesem Fall findet gerade eine Beschlussfassung in der Versammlung statt. Mit dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG ist dies zu vereinbaren. Im Übrigen kann man den Normzweck im Lichte des MaßnG-GesR interpretieren. Bei Schaffung des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG ließ sich die künftige Tatsachen- und Rechtsentwicklung noch nicht absehen.

Wir möchten jedoch darauf hinweisen, dass zu dieser Frage weder Rechtsprechung noch ausführliche Literatur existiert. Man sollte also nach dem Prinzip des sichersten Weges abgewägen, ob man die Versammlung nach vorgenannten Grundsätzen abhält oder nach Möglichkeit verschiebt (ausdrücklich von der elektronischen Versammlung bei Umwandlungsbeschlüssen abratend Lieder, ZIP 2020 837, 842 f.). Soweit möglich und öffentlich-rechtlich zulässig, kann es sich empfehlen, mit einer Präsenzversammlung zu arbeiten – ggf. unter großzügiger Verwendung von Vollmachten (wenn dies die Satzung zulässt, vgl. dazu BeckOGK-BGB/Notz, § 32 Rn. 141; MünchKommBGB/Leuschner, § 32 Rn. 29 ff.). Ratsam ist zumindest eine vorherige Abstimmung mit dem Registergericht dahingehend, ob es die hier vertretene Rechtsauffassung teilt. Diese Abstimmung kann zwar nicht zu einer rechtlich verbindlichen Klärung führen, sie hilft jedoch, das praktische Risiko abzuschätzen (vgl. § 20 Abs. 2 UmwG).

Gutachten/Abruf-Nr:

177320

Erscheinungsdatum:

15.05.2020

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Umwandlungsrecht
Verein

Erschienen in:

DNotI-Report 2020, 73-75

Normen in Titel:

BGB § 32 Abs. 2; BGB § 40; BGB § 32 Abs. 1; UmwG § 13 Abs. 1