Notarielles Nachlassverzeichnis; Ermittlungen des Notars hinsichtlich des fiktiven Nachlasses; Überlassung von Kopien der Kontoauszüge an den Pflichtteilsberechtigten
Notarielles Nachlassverzeichnis; Ermittlungen des Notars hinsichtlich des fiktiven Nachlasses; Überlassung von Kopien der Kontoauszüge an den Pflichtteilsberechtigten
I. Sachverhalt
Der Notar wurde mit der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses beauftragt. Der Erbe legte dem Notar die Kontoauszüge der letzten zehn Jahre vor. Die Kontoauszüge wurden vom Notar gesichtet. Es ergaben sich daraus verschiedene Zahlungen, die auf pflichtteilsergänzungspflichtige Zuwendungen hindeuten könnten. Diese wurden im Nachlassverzeichnis aufgeführt. Es wurde dem anwaltlichen Vertreter des Pflichtteilsberechtigten angeboten, die Kontoauszüge in den Räumen des Notars einzusehen. Der anwaltliche Vertreter des Pflichtteilsberechtigten bittet um Übersendung von Kopien der Kontoauszüge gegen Übernahme der Kopierkosten. Der anwaltliche Vertreter des Erben widerspricht diesem Begehren.
II. Frage
Hat der Pflichtteilsberechtigte Anspruch auf Kopien der Kontoauszüge der letzten zehn Jahre bzw. ist der Notar berechtigt, dem Pflichtteilsberechtigten Kopien der Kontoauszüge der letzten zehn Jahre zu übersenden?
III. Zur Rechtslage
1. Umfang der Auskunftspflicht
Das notarielle Nachlassverzeichnis dient der Erfüllung des Auskunftsanspruchs nach
Da sich das Nachlassverzeichnis hinsichtlich fiktiver Nachlassgegenstände nur äußern muss, soweit dies vom Auskunftsberechtigten geltend gemacht wird, ist der Inhalt des Nachlassverzeichnisses mit dem geltend gemachten Auskunftsanspruch in Einklang zu bringen. Dies bedeutet, dass sich das Nachlassverzeichnis nicht zu solchen Nachlassgegenständen äußern muss, hinsichtlich derer der Auskunftsberechtigte keinen Auskunftsanspruch geltend gemacht hat bzw. seinen geltend gemachten Auskunftsanspruch eingeschränkt hat. Wird aber Auskunft hinsichtlich aller pflichtteilsergänzungsrelevanter Zuwendungen verlangt, so muss sich das Nachlassverzeichnis u. E. nicht nur auf die ergänzungspflichtigen Schenkungen innerhalb der zehn Jahre vor Eintritt des Erbfalls erstrecken, sondern auch ehebedingte Zuwendungen erfassen, selbst wenn diese länger als zehn Jahre vor Eintritt des Erbfalls erfolgt sind. Wird Auskunft dagegen nur hinsichtlich der ergänzungsrelevanten Zuwendungen innerhalb der letzten zehn Jahre vor Eintritt des Erbfalls verlangt, so können sich u. E. die Ermittlungen des Notars, wie auch der Inhalt des Nachlassverzeichnisses, auf den10-Jahreszeitraum beschränken.
2. Ermittlungen hinsichtlich des fiktiven Nachlasses; Durchsicht der Kontoauszüge
Im Hinblick auf den sog. fiktiven Nachlass ist des Weiteren zu berücksichtigen, dass nicht Voraussetzung für den Auskunftsanspruch ist, dass das Vorliegen einer ergänzungs- oder ausgleichungspflichtigen Schenkung feststeht. Zur Vermeidung einer unzulässigen Ausforschung ist aber erforderlich, dass Umstände vorliegen, die die Annahme nahelegen, es handle sich in Wirklichkeit – wenigstens zum Teil – um eine Schenkung (BGH
Wenn die neuere Rechtsprechung, wie bspw. das OLG Stuttgart (
Es dürfte daher übertrieben sein, in jedem Fall (unabhängig davon, welche und wie viele Konten des Erblassers vorhanden waren und wie sich die finanziellen Verhältnisse des Erblassers darstellten) eine Durchsicht aller Kontoauszüge der letzten zehn Jahre durch den Notar zu verlangen (vgl. dazu auch Hennig in seiner Anmerkung zur Entscheidung des OLG Stuttgart
Dieser einschränkende Standpunkt hat auch in der neueren Rechtsprechung wieder mehr Gewicht bekommen. So urteilt etwa das OLG Jena (
Weiter hat das OLG Düsseldorf (
Lange (
Wenn man den Notar im Einzelfall als verpflichtet ansieht, die Kontoauszüge der letzten zehn Jahre durchzusehen, dann wird man u. E. allenfalls erwarten können, dass er bei „verdächtigen“ Bewegungen wie bspw. Überweisungen, bei denen der Verwendungszweck auf eine Schenkung hindeutet, durch Befragen des Erben bzw. des Empfängers oder Durchsicht der sonstigen Unterlagen der Frage nach dem Vorliegen einer Schenkung näher nachgeht. Gleiches könnte evtl. hinsichtlich Barabhebungen gelten, die über den Rahmen des Üblichen (weit) hinaus gehen (vgl. zu den Ermittlungspflichten des Notars hinsichtlich eines vom Erblasser erzielten Verkaufserlöses LG Berlin
In das Nachlassverzeichnis aufzunehmen wäre eine solche „verdächtige“ Überweisung (bzw. sonstige Transaktion) u. E. auch nur dann, wenn sich bei der näheren Nachforschung tatsächlich Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Schenkung ergeben. Abschließend klären wird der Notar das Vorliegen einer Schenkung als Rechtsfrage ohnehin häufig nicht können; insoweit sollte die Position im Zweifel ins Nachlassverzeichnis aufgenommen und klargestellt werden, dass insoweit eine Schenkung vorliegen könnte. Aus unserer Sicht sollte daher mit solchen Positionen verfahren werden wie mit zwischen den Beteiligten strittigen Positionen, die ebenfalls im Zweifel aufzunehmen (und als strittig auszuzeichnen) wären.
3. Pflicht zur Vorlage der Belege?
Sehr umstritten ist, ob der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten darüber hinaus die Vorlage von Belegen (wie etwa Kontoauszügen) umfasst. Dies wird überwiegend abgelehnt, da dies mit der Natur des Anspruchs (vgl.
Kann der Erbe selbst damit im Regelfall im Rahmen der Auskunftserteilung nicht zur Vorlage der Kontoauszüge verpflichtet werden, so dürfte eine entsprechende Verpflichtung des Notars wohl erst Recht nicht anzunehmen sein. Vielmehr dürfte es hier bei der Geheimhaltungsverpflichtung des
Eine Befugnis des Pflichtteilsberechtigten, im Falle der amtlichen Aufnahme des Nachlassverzeichnisses dem Notar bei der Überprüfung der Angaben und Erstellung des Verzeichnisses „über die Schulter zu schauen“ und damit – indirekt – eine Einsicht in die Belege (wie z. B. Kontoauszüge) zu erhalten, lässt sich nach ganz h. A. auch nicht aus dem Hinzuziehungsrecht des Pflichtteilsberechtigten (vgl.
176139
Erscheinungsdatum:30.10.2020
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:Pflichtteil
Erschienen in: Normen in Titel:BGB § 2314