16. August 2013
BGB § 2311; VVG § 159; BGB § 2325

Bewertung eines unwiderruflichen bzw. widerruflichen Bezugsrechts bei einer Risikolebensversicherung im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs

Bewertung eines unwiderruflichen bzw. widerruflichen Bezugsrechts bei einer Risikolebensversicherung im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs - BGB §§ 2311, 2325; VVG § 159

I. Sachverhalt

Der Erblasser schloss eine Risikolebensversicherung auf sein eigenes Leben. Dabei bestimmte er einen Dritten
- unwiderruflich (1. Variante) bzw.
- widerruflich (2. Variante)
als Bezugsberechtigten.

II. Frage

1Wie ist das Bezugsrecht im Rahmen eines im Erbfall entstehenden Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu bewerten?

III. Rechtslage

1. Unentgeltliche Einräumung des Bezugsrechts als grds. ergänzungspflichtige Schenkung i. S. v. § 2325 Abs. 1 BGB

Schließt der Erblasser einen Vertrag zugunsten eines Dritten auf den Todesfall ab (z. B. eine Lebensversicherung), fällt der daraus resultierende Vermögenswert nicht in den Nachlass und erhöht auch dessen Wert (§ 2311 Abs. 1 S. 1 BGB) nicht, da der Auszahlungsanspruch kraft Bezugsrechts originär in der Person des Begünstigten entsteht (vgl. § 328 Abs. 1 BGB bzw. § 159 Abs. 2 u. 3 VVG). Allerdings stellt die unentgeltliche Einräumung des Bezugsrechts eine grds. ergänzungspflichtige Schenkung i. S. v. § 2325 Abs. 1 BGB dar.

2. Behandlung eines widerruflichen Bezugsrechts bei Kapitallebensversicherung

Zur Frage, wie eine Kapitallebensversicherung bei Zuwendung eines widerruflichen Bezugsrechts an einen Dritten durch Schenkung im Rahmen des Pflichtteilsergän zungsanspruchs gem. § 2325 Abs. 1 BGB zu bewerten ist, hat sich der BGH in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung in der Grundsatzentscheidung BGHZ 185, 252 (= DNotZ 2011, 129 = DNotI-Report 2010, 116) dahingehend festgelegt, dass weder die Versicherungsleistung noch die Summe der vom Erblasser gezahlten Prämien maßgeblich sei. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch richte sich vielmehr allein nach dem Wert, den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung in der letzten � juristischen � Sekunde seines Lebens nach objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können. In aller Regel sei dabei auf den Rückkaufswert abzustellen. Je nach Lage des Einzelfalls könne ggf. auch ein � objektiv belegter � höherer Veräußerungswert heranzuziehen sein. Damit hat der BGH die vom Reichsgericht begründete und von ihm selbst früher vertretene Auffassung aufgegeben, wonach es auf die Summe der gezahlten Prämien ankommt (RGZ 128, 187; BGHZ 7, 134; 130, 377 = DNotZ 1996, 465).
In der Literatur finden sich zu dieser Entscheidung überwiegend kritische Stellungnahmen (Herrler, ZEV 2010, 333, 335 ff.; J. Mayer, DNotZ 2011, 89; Papenmeier, ZErb 2011, 154; Progl, ZErb 2010, 194; Walker, FamRZ 2010, 1249; Wall, ZEV 2010, 311; Worm, RNotZ 2010, 412; Ruby/Schindler, ZEV 2010, 545, 547; MünchKommBGB/ Lange, 6. Aufl. 2013, § 2325 Rn. 38; dem BGH zustimmend dagegen Olzen/Metzmacher, JZ 2011, 322; Röthel, LMK 2010, 304941; grds. auch Kesseler, NJW 2010, 3238; zu offenen Fragen Rudy, VersR 2010, 1395).

3. Behandlung eines unwiderruflichen Bezugsrechts bei Kapitallebensversicherung

Wie die Einräumung eines unwiderruflichen Bezugsrechts zugunsten eines Dritten pflichtteilsrechtlich zu behandeln ist, hat der BGH in der angeführten Entscheidung nicht erörtert. Die Literatur geht davon aus, dass Zuwendungsgegenstand i. S. d. § 2325 Abs. 1 BGB in diesem Fall der Wert der Lebensversicherung im Zeitpunkt der Bezugsrechtseinräumung ist, da der Begünstigte bereits mit der Einräumung des unwiderruflichen Bezugsrechts gem. § 159 Abs. 3 VVG ein eigenes Leistungsrecht gegen den Versicherer erwirbt (Herrler, ZEV 2010, 333, 337; J. Mayer, DNotZ 2011, 89, 97; vgl. auch BGH NJW 2013, 232, 233 f.). Für die Bewertung wären dann wohl ebenso die vom BGH in der angeführten Entscheidung entwickelten Grundsätze heranzuziehen, wonach der Rückkaufswert oder ein etwaiger höherer objektivierter Veräußerungswert maßgeblich ist.
Diese Betrachtung erfasst jedoch nicht die Prämien, die nach Einräumung des unwiderruflichen Bezugsrechts vom Versicherungsnehmer gezahlt werden. Sie dürften konsequenterweise als selbständige mittelbare Schenkungen des Versicherungsnehmers an den Bezugsberechtigten zu behandeln sein, wobei sich nach den Grundsätzen des BGH eine Begrenzung auf die durch die jeweiligen Prämien bedingte Erhöhung des Werts der Lebensversicherung ergeben könnte (so Herrler, ZEV 2010, 333, 337; J. Mayer, DNotZ 2011, 89, 97; abwartend Röthel, LMK 2010, 304941; eingehend auch Rudy, ZErb 2010, 351, 355 ff.).

4. Übertragung der vorstehenden Grundsätze auf eine Risikolebensversicherung

Die dargelegten Grundsätze, die der BGH für die pflichtteilsrechtliche Behandlung von Bezugsrechten bei Kapitallebensversicherungen entwickelt hat, lassen sich nur mit Schwierigkeiten auf die Risikolebensversicherung übertragen.
a) Fehlen eines zurückzuerstattenden Rückkaufswerts

Einen zurückzuerstattenden Rückkaufswert gibt es bei der Risikolebensversicherung nicht; ein solcher ist nach § 169 Abs. 1 VVG nur zu zahlen, wenn die Versicherung Versicherungsschutz für ein Risiko bietet, bei dem der Eintritt der Verpflichtung des Versicherers gewiss ist. Hieran fehlt es bei der Risikolebensversicherung naturgemäß.

b) I. d. R. fehlender (am Markt realisierbarer) Veräußerungswert

Einen Veräußerungswert � auf den nach der Entscheidung des BGH abzustellen ist, wenn er höher als der Rückkaufswert ist � hat eine Risikolebensversicherung i. d. R. ebenfalls nicht. Dieser Wert setzt einen Zweitmarkt voraus, an dem sich ein entsprechender Marktwert bilden kann (so ausdrücklich BGH DNotZ 2011, 129, 133 Tz. 44). Einen solchen Zweitmarkt und damit eine Möglichkeit, den Veräußerungswert einer in Deutschland genommenen Risikolebensversicherung zu realisieren, gibt es � soweit bekannt � jedenfalls derzeit nicht.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei Risikolebensversicherungen nur in verhältnismäßig geringem Maße Deckungsrückstellungen gebildet werden, im Wesentlichen als Alterungsrückstellungen hinsichtlich der steigenden Sterbewahrscheinlichkeit. Ein Veräußerungswert einer bereits laufenden Versicherung könnte sich daraus theoretisch insoweit ergeben, als die Prämien aufgrund derartiger Rückstellungen geringer sind, als sie beim Neuabschluss einer entsprechenden Risikolebensversicherung wären (einen geringen objektiven Zeitwert der Ansprüche aus der Risikolebensversicherung annehmend Herrler, ZEV 2010, 333, 338). Doch sind uns im Hinblick auf diesen wohl zu geringen Mehrwert keine Veräußerungsmöglichkeiten bekannt.
Erst dann, wenn im Einzelfall die Wahrscheinlichkeit, dass der Versicherte alsbald sterben wird, insbesondere aufgrund einer diagnostizierten zum Tod führenden Krankheit, gegenüber dem statistischen Durchschnitt erheblich ansteigt, würde die Risikolebensversicherung einen erheblichen zusätzlichen Wert erlangen, der sich dem Wert der Todesfallleistung entsprechend der zunehmenden Sterbewahrscheinlichkeit annäherte. Für Risikolebensversicherungen gibt es jedoch auch in einer derartigen Situation des Versicherten zumindest in Deutschland � soweit ersichtlich � keinen Zweitmarkt. Ein solcher wäre freilich vorstellbar und existiert etwa in den USA (sog. viatical settlements, hierzu König, VersR 1996, 1328; ebenso besteht in dortigen Risikolebensversicherungspolicen zum Teil die Option, sich bei absehbar vorzeitig zum Tod führender Erkrankung eine lebzeitige Leistung auszahlen zu lassen � accelerated death benefit).
Selbst wenn eine solche Verwertungsmöglichkeit bestünde, könnte sie jedoch nach dem angeführten Urteil des BGH bei der Bemessung des Veräußerungswerts nicht berücksichtigt werden. Der BGH will die �schwindende persönliche Lebenserwartung des Erblassers aufgrund subjektiver, individueller Faktoren � wie insbesondere ein fortschreitender Kräfteverfall oder Krankheitsverlauf� bei der Wertermittlung nämlich außer Betracht lassen (DNotZ 2011, 129, 135 Tz. 52). Eine Begründung für diese Ausnahme bzgl. wertbeeinflussender Umstände, die nach dem Grundansatz des BGH an sich zu berücksichtigen wären, gibt das Gericht allerdings nicht (krit. insbesondere hierzu Kesseler, NJW 2010, 3238, 3239; Papenmeier, ZErb 2011, 154, 156).

c) Schlussfolgerungen

Aus diesem Befund ist unter Anwendung der Bewertungsgrundsätze des BGH an sich abzuleiten, dass ein zugewendetes Bezugsrecht bei einer Risikolebensversicherung im Rahmen des Pflichtteilsrechts mit Null zu bewerten ist (so � kritisch � auch: MünchKommBGB/ Lange, § 2325 Rn. 38; J. Mayer, DNotZ 2011, 89, 97; Ruby/Schindler, ZEV 2010, 545, 547; Papenmeier, ZErb 2011, 154, 156; Worm, RNotZ 2010, 412, 413). Eine solche Zuwendung würde somit keine Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche auslösen. Dies dürfte für widerrufliche und unwiderrufliche Bezugsrechte gleichermaßen gelten; im letzteren Falle könnten wohl auch die weiteren Prämienzahlungen nicht als mittelbare Schenkung zu weiteren Ergänzungsansprüchen führen, weil sie den Wert der Versicherung für den Bezugsberechtigten (d. h. die Todesfallleistung = Versicherungssumme) nicht erhöhen, sondern nur den Versicherungsschutz aufrechterhalten (vorbehaltlich etwa zu bildender Deckungsrückstellungen, s. o. Ziff. 4 b).
Teilweise bezweifelt die Literatur, dass dieses Ergebnis dem BGH bewusst und von ihm gewollt war. Jedenfalls im Ansatz wäre es denkbar, bei der Risikolebensversicherung weiterhin wenigstens die gezahlten Prämien als pflichtteilsrelevant anzusehen (so Worm, RNotZ 2010, 412, 413). Dies widerspräche dem Anliegen des IV. Zivilsenats zumindest insofern nicht, als darin eine Mindestentreicherung liegen könnte, die (nur) dann unbeachtlich ist, wenn ein Rückkaufs- oder Veräußerungswert existiert und höher ausfällt.
Angesichts der Entscheidung des BGH überzeugt ein derartiger Ansatz u. E. jedoch nicht, da der Senat die Berücksichtigung der Prämien im Rahmen von § 2325 BGB einer grundsätzlichen Kritik unterzieht: Sie trage dem Gesichtspunkt nicht hinreichend Rechnung, dass Teile der Prämien für die Zahlung von Versicherungsleistungen an andere Versicherungsnehmer in den tatsächlich vom Erblasser überlebten Versicherungsjahren sowie zur Deckung von Verwaltungskosten verbraucht würden (BGH NJW 2010, 3232, 3237 Tz. 42, in DNotZ 2011, 129 nicht abgedruckt). Darauf entfällt, wie Worm (RNotZ 2010, 412, 413) anmerkt, bei der Risikolebensversicherung der bei weitem größte Anteil der Prämien.

5. Ergebnis

Als Konsequenz der jüngeren Rechtsprechung des IV. Zivilsenats dürfte u. E. somit � trotz kritischer Stimmen in der Literatur � die Zuwendung eines unwiderruflichen oder widerruflichen Bezugsrechts an einer reinen Risikolebensversicherung im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht zu berücksichtigen sein. Ausdrücklich hat der BGH diese Frage allerdings noch nicht entschieden.

Gutachten/Abruf-Nr:

124973

Erscheinungsdatum:

16.08.2013

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Pflichtteil

Erschienen in:

DNotI-Report 2013, 130

Normen in Titel:

BGB § 2311; VVG § 159; BGB § 2325