21. März 2025
BGB § 2325; BGB § 2314

Behandlung strittiger Positionen im Nachlassverzeichnis; pflichtteilsrechtliche Behandlung einer Schenkung an den Ehegatten bei Vorversterben des beschenkten Ehegatten; Vermeidung einer doppelten Begünstigung

BGB §§ 2314, 2325
Behandlung strittiger Positionen im Nachlassverzeichnis; pflichtteilsrechtliche Behandlung einer Schenkung an den Ehegatten bei Vorversterben des beschenkten Ehegatten; Vermeidung einer doppelten Begünstigung

I. Sachverhalt
Der Notar wurde mit der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses nach den Ehegatten E und F, in dem auch der fiktive Nachlass zu verzeichnen ist, beauftragt. Er konnte folgenden Sachverhalt ermitteln:

Im März 2009 übertrug die Ehefrau F, die Alleineigentümerin mehrerer Grundstücke war, im Wege der Schenkung Miteigentumsanteile von jeweils 1/2 an diesen Grundstücken im Wert von insgesamt 75.000,00 € an ihren Ehemann E. Im Jahr 2020 haben die Eheleute diesen Grundbesitz an fremde Dritte verkauft. Für die zugewandten 1/2-Miteigentumsanteile konnte E 96.800,00 € erlösen. Im Jahr 2021 verstarb E; F wurde Alleinerbin. S, das einzige Kind der Eheleute, machte seinen Pflichtteil nach E geltend. Der Kaufpreis war noch im Nachlass des E vorhanden und erhöhte somit den Pflichtteilsanspruch.

Im Jahr 2023 verstarb F. Der enterbte S macht nunmehr auch seinen Pflichtteil nach F geltend. Der Notar will im Hinblick auf § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB die Zuwendung an den Ehegatten E erneut im Rahmen des fiktiven Nachlasses der F verzeichnen. Der Anwalt der Erben weist darauf hin, dass der Pflichtteilsberechtigte nach dem Tod seines Vaters an diesen Vermögenwerten bereits partizipiert habe, da der hälftige Verkaufserlös dieser Grundstücke noch im Nachlass vorhanden war und dies den Pflichtteilsanspruch des Sohnes bereits erhöht habe. Er ist der Rechtsauffassung, dass dieser Wert daher im Wege einer teleologische Reduktion zur Vermeidung einer doppelten Begünstigung nicht erneut im Rahmen der Pflichtteilsergänzung zu berücksichtigen sei.

II. Frage
Ist § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB im vorliegenden Fall teleologisch zu reduzieren, um eine Doppelbegünstigung des S zu vermeiden?

III. Zur Rechtslage
1. Behandlung strittiger Positionen im Nachlassverzeichnis
Im Hinblick auf streitige Positionen – wie hier die Berücksichtigung der im Jahre 2009 übertragenen Miteigentumsanteile im fiktiven Nachlass der 2023 verstorbenen Schenkerin F – gilt regelmäßig der Grundsatz, dass in das Nachlassverzeichnis nach § 2314 BGB grundsätzlich auch derartige unklare oder strittige Positionen aufzunehmen sind. Denn der Erbe hat ein vollständiges Verzeichnis vorzulegen. Es ist hierbei nicht Aufgabe des Notars, tatsächlich oder rechtlich umstrittene Punkte endgültig für die Beteiligten zu klären (s. nur Müller-Engels, in: Schlitt/Müller-Engels, Handbuch Pflichtteilsrecht, 3. Aufl. 2024, § 10 Rn. 171; Gutachten DNotI-Report 2007, 105, 106 f.; Braun, MittBayNot 2008, 351, 352; Staudinger/Herzog, 2021, § 2314 Rn. 178). Die strittigen Punkte sind entsprechend zu kennzeichnen (Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, 4. Aufl. 2022, § 2314 Rn. 56 m. w. N.). Im gleichen Sinn äußert sich zur Problematik ausführlich auch Schreinert (RNotZ 2008, 61, 72): Das Nachlassverzeichnis solle sich auch über Gegenstände verhalten, die möglicherweise gar nicht dem Pflichtteilsanspruch unterliegen, da der Pflichtteilsberechtigte selbst überprüfen können solle, ob insofern ein Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsanspruch bestehe. Dies gelte etwa für Anstandsschenkungen nach § 2330 BGB. Hier solle vermieden werden, dass der Pflichtteilsverpflichtete durch eigene Subsumtion unter die privilegierten Tatbestände verhindere, dass der Pflichtteilsberechtigte überhaupt von der Existenz dieser Gegenstände Kenntnis erlange und somit selbst den Umfang seiner Auskunftspflicht bestimme.

Auch im unterbreiteten Sachverhalt ist folglich die Zuwendung an E – wie vom Notar geplant – jedenfalls im Nachlassverzeichnis der F beim fiktiven Nachlass aufzuführen, gleich, wie man sich zu der durch den Anwalt aufgeworfenen Problematik positioniert. Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass das notarielle Nachlassverzeichnis, welches der Erfüllung des Auskunftsanspruchs gem. § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB, dagegen nicht des Wertermittlungsanspruchs gem. § 2314 Abs. 1 S. 2 Var. 2 BGB dient, Wertangaben anerkanntermaßen nicht enthalten muss (so u. a. OLG Düsseldorf ErbR 2020, 509 m. Anm. Horn; Staudinger/Herzog, § 2314 Rn. 250; Grüneberg/Weidlich, BGB, 84. Aufl. 2025, § 2314 Rn. 8).

2. Pflichtteilsergänzungsansprüche bei Ehegattenschenkungen
Lebzeitige Schenkungen lösen Pflichtteilsergänzungsansprüche gem. §§ 2325 ff. BGB aus. Regelmäßig sind derartige Schenkungen nicht mehr zu berücksichtigen, wenn zehn Jahre seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichen sind (§ 2325 Abs. 3 S. 2 BGB). Im vorhergehenden Zeitraum – während des Laufs der Zehn-Jahres-Frist – greift die Abschmelzungsregelung des § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB ein. Für Schenkungen an den Ehegatten enthält § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB jedoch eine Sonderregel: Ist die Schenkung an den Ehegatten erfolgt, so beginnt die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe.

§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB erweitert damit für Schenkungen unter Ehegatten den Umgehungsschutz zeitlich, weil der schenkende Ehegatte i. d. R. die Folgen der Zuwendung so lange noch nicht wirklich spürt, als er noch weiter die faktische Nutzungsmöglichkeit hat, und weil die Gefahr der Benachteiligung anderer Pflichtteilsberechtigter hier folglich besonders groß ist (vgl. BeckOK-BGB/Müller-Engels, Std.: 1.11.2024, § 2325 Rn. 62; BeckOGK-BGB/A. Schindler, Std.: 1.2.2025, § 2325 Rn. 301). Die Regelung ist rechtspolitisch umstritten, da durch sie Ehegatten gegenüber anderen Beschenkten benachteiligt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung allerdings zweimal verneint (BVerfG NJW 1991, 217; DNotZ 2019, 462 ff.).

3. Besonderheit des vorliegenden Sachverhalts: Vorableben des beschenkten Ehegatten
Besonderheit des vorliegenden Sachverhalts ist, dass die Auflösung der Ehe nicht durch den Tod der Schenkerin und nunmehrigen Erblasserin F im Jahre 2023 erfolgt ist, sondern bereits zuvor durch den Tod des beschenkten Ehegatten E im Jahre 2021. Die Handhabung des § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB bei einer derartigen Fallgestaltung wurde durch die Rechtsprechung, soweit ersichtlich, bislang nicht explizit entschieden. An sich lässt sich aber auch die hier vorliegende Fallkonstellation unter den Wortlaut des § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB subsumieren; entsprechend wird die Fallgestaltung auch von der wohl einhelligen Auffassung in der Literatur beurteilt:

Liegt also der Eheauflösungszeitpunkt beim Tod des Erblassers (hier: der F) durch Vorableben des beschenkten Ehegatten (hier: E) mehr als zehn Jahre zurück, dann bleiben die Schenkungen des Erblassers an den früheren Ehegatten unberücksichtigt (so etwa BeckOGK-BGB/A. Schindler, § 2325 Rn. 303; jurisPK-BGB/Birkenheier, 10. Aufl. 2023, § 2325 Rn. 213; MünchKommBGB/Lange, 9. Aufl. 2022, § 2325 Rn. 84; Grüneberg/Weidlich, § 2325 Rn. 29; Soergel/Beck, BGB, 14. Aufl. 2020, § 2325 Rn. 62). In dem Zeitraum dazwischen – während des Laufs der Zehn-Jahres-Frist – greift die jährliche Abschmelzung des Geschenks gem. § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB (de Leve, FPR 2011, 252, 255; BeckOGK-BGB/A. Schindler, § 2325 Rn. 303; implizit auch jurisPK-BGB/Birkenheier, § 2325 Rn. 213; Soergel/Beck, § 2325 Rn. 62).

Folgt man dementsprechend dem einhelligen Standpunkt der Literatur, dann wäre die Zuwendung der hälftigen Miteigentumsanteile aus dem Jahre 2009 durch die Erblasserin F an ihren Mann E nunmehr grundsätzlich gem. § 2325 Abs. 3 S. 2, 3 BGB mit 8/10 ihres Wertes anzusetzen; denn die Ehe wurde durch Tod des beschenkten Ehegatten E im Jahre 2021 aufgelöst. Seither sind bis zum Ableben der nunmehrigen Erblasserin F im Jahre 2023 zwei Jahre verstrichen, sodass dementsprechend gem. § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB 2/10 des Wertes „abgeschmolzen“ sind. Der maßgebliche Wert hinsichtlich der Grundstückshälfte wäre vorab noch nach den Grundsätzen des Niederstwertprinzips (§ 2325 Abs. 2 S. 2 BGB) zu ermitteln (dazu etwa BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 2325 Rn. 36 ff.).

4. Teleologische Reduktion des § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB zur Vermeidung einer doppelten Begünstigung?
Eine noch darüber hinausgehende teleologische Reduktion des § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB mit dem Ziel, den Wert der seinerzeitigen Ehegattenschenkung aus dem Jahre 2009 gänzlich aus der Bemessungsgrundlage eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu eliminieren, wird – soweit wir sehen – in Rechtsprechung und Literatur nirgends vertreten. Letztlich ist der Umstand, dass derselbe Vermögensgegenstand (im Falle von Ehegatten als Erblassern und Kindern als Pflichtteilsberechtigen) zweimal in die Bemessungsgrundlage eines Pflichtteilsanspruchs eingehen kann, keine Besonderheit des Pflichtteilsergänzungsrechts oder speziell der Regelung des § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB. Diese Eigenart des Pflichtteilsrechts tritt vielmehr auch schon dann zutage, wenn nur ordentliche Pflichtteilsansprüche gegeben sind, weil – unterstellt – die Eltern-Ehegatten jegliche lebzeitige Schenkung unterließen. Errichten sie nun ein klassisches Berliner Testament mit einfacher Pflichtteilsstrafklausel, dann erhalten anerkanntermaßen systembedingt die den Pflichtteil bereits nach dem erstversterbenden Elternteil fordernden Kinder den Pflichtteil aus dem Nachlass des Erstversterbenden wirtschaftlich doppelt. Diese Tatsache wird aber auch in diesem Zusammenhang, soweit wir sehen, nirgends als Anlass dazu verstanden, Vorschriften des Pflichtteilsrechts – wie insbesondere § 2311 BGB – teleologisch zu reduzieren. Bei entsprechendem Parteiwillen liegt darin vielmehr lediglich ein Auftrag an die vorsorgende Vertragsgestaltung, diesem Effekt der doppelten Begünstigung nach Möglichkeit entgegenzuwirken. Hierfür wären dann die Vor- und Nachteile der für diese Problematik empfohlenen Jastrow’schen Klausel zu erwägen (dazu etwa Müller-Engels, in: Schlitt/Müller-Engels, § 10 Rn. 217 ff.).

Zwar liegt eine weitere Eigenheit des unterbreiteten Sachverhalts darin, dass die schenkende Ehefrau Alleinerbin nach ihrem vorverstorbenen Ehemann wurde, sodass die verschenkten Miteigentumsanteile – wären sie im Eigentum des Ehemannes verblieben – durch Erbfolge wieder ins Eigenvermögen der Ehefrau gefallen wären. Die Miteigentumsanteile wären in diesem Fall also für die Bemessungsgrundlage des Pflichtteilsanspruchs beim ersten Erbfall (Ehemann) im realen Nachlass als Eigentum des Ehemannes, beim zweiten Erbfall (Ehefrau) ebenda als Eigentum der Ehefrau und zugleich nach Maßgabe der in Ziff. 3 geschilderten Abschmelzung in deren fiktiven Nachlass (wegen der vorangegangenen Schenkung an den Ehemann) zu berücksichtigen gewesen. Für das Postulat, im Hinblick auf diese Überlegung nun erbfallübergreifend das weitere Schicksal des als Surrogat zunächst vorhandenen Kaufpreises bis zum Jahr 2023 (Ableben der Ehefrau) zu verfolgen und damit ggfs. eine Ergebniskorrektur zu begründen, bieten die gesetzlichen Vorschriften u. E. auch bei teleologischer Auslegung keine belastbare Grundlage.


Gutachten/Abruf-Nr:

209372

Erscheinungsdatum:

21.03.2025

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Pflichtteil

Erschienen in:

DNotI-Report 2025, 45-47

Normen in Titel:

BGB § 2325; BGB § 2314