28. Mai 2019
BGB § 517; BGB § 2310; BGB § 516; BGB § 2325; BGB § 2351

Pflichtteilsrechtliche Auswirkungen der Aufhebung eines Erbverzichts

BGB §§ 2351, 2310, 2325, 516, 517

Pflichtteilsrechtliche Auswirkungen der Aufhebung eines Erbverzichts

I. Sachverhalt
Ehegatten haben gegenseitig auf den Erb- und Pflichtteil verzichtet. Weitere erbrechtliche Regelungen sind bisher nicht getroffen worden. Der Ehemann möchte nun ein Testament errichten und darin seinen Sohn (einziges Kind) enterben. Der Pflichtteil des Kindes soll möglichst gering ausfallen.

II. Fragen
Wenn die Ehegatten den Erbverzicht – unter Beibehaltung des Pflichtteilsverzichts – aufheben, führt dies zur Verringerung des Pflichtteils des Sohnes? Falls ja: Kann der Sohn wegen der Aufhebung des Erbverzichts Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen?

III. Zur Rechtslage

1. § 2310 S. 2 BGB gilt nicht für Pflichtteilsverzicht
Heben die Eheleute den zwischen ihnen vereinbarten Erbverzicht nach § 2351 BGB auf, so bleibt nach ihrem ausdrücklichen Willen der zwischen ihnen außerdem vereinbarte reine Pflichtteilsverzicht (§ 2346 Abs. 2 BGB) bestehen. Für diesen fortbestehenden reinen Pflichtteilsverzicht gilt aber nach fast einhelliger Meinung die pflichtteilserhöhende Wirkung des § 2310 S. 2 BGB hinsichtlich des Erbverzichts nicht. Dies hat insbesondere der BGH einmal – wenn auch ohne weitere Begründung – angenommen (NJW 1982, 2497) und entspricht fast allgemeiner Meinung in der Literatur (s. etwa BeckOK-BGB/Müller-Engels, Std.: 1.2.2019, § 2310 Rn. 9 f.; Staudinger/Schotten, BGB, 2016, § 2346 Rn. 77; BeckOGK-BGB/Szalai, Std.: 1.5.2019, § 2310 Rn. 16; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 2310 BGB Rn. 17; a. A. vor allem Staudinger/Otte, 2015, § 2310 Rn. 21). Für die h. M. spricht bereits der Wortlaut des § 2310 S. 2 BGB, da ein reiner Pflichtteilsverzicht nicht zu dem von § 2310 S. 2 BGB verlangten Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge führt. Ferner dient die Regelung des § 2310 S. 2 BGB der logischen Umsetzung der in § 2346 Abs. 1 S. 2 BGB angeordneten Vorversterbensfiktion, die nur bei einem Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht eingreift. Insgesamt kann man daher u. E. zum gegen­wärtigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass der fortbestehende reine Pflicht­teilsverzicht nicht unter § 2310 S. 2 BGB fällt. Folglich führt umgekehrt die Aufhebung des Erbverzichts zu einer Verringerung des Pflichtteils des Sohns, freilich nur dann, wenn die Ehefrau ihren Ehemann überlebt. Dann fiele aber der bisher wegen des Erbverzichts gem. § 2310 S. 2 BGB geltende Ausschluss der Ehefrau bei der Feststellung der Pflichtteilsberechtigten weg. Sind die Eheleute im gesetzlichen Güterstand verheiratet, so würde folglich der Pflichtteilsanspruch des Sohns beim Überleben der Ehefrau ¼ betragen (vgl. §§ 1924 Abs. 1, 1931 Abs. 1 u. 3, 1371 Abs. 1, 2303 Abs. 1 S. 2 BGB).

2. Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen Aufhebung des Pflichtteilsverzichts?
Fraglich ist weiter, ob der Sohn wegen der Aufhebung des Erbverzichts nach § 2351 BGB Pflichtteilsergänzungsansprüche gem. §§ 2325 ff. BGB geltend machen kann, weil insoweit eine Schenkung des Ehemanns an die Ehefrau vorläge. Diese Frage hat der BGH einmal allgemein verneint (NJW 1980, 2307, 2308): Die Aufhebung des Erbverzichts sei, auch bei Unentgeltlichkeit, keine Zuwendung aus dem Vermögen des Erblassers i. S. v. § 516 BGB und damit keine Schenkung i. S. d. §§ 516, 2287 BGB. Sie könne daher auch keine Ansprüche aus § 2287 BGB auslösen. Im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsan­spruchs nach §§ 2325 ff. BGB wird man dies nicht anders beurteilen können, da auch § 2325 Abs. 1 BGB notwendig eine Schenkung des Erblassers i. S. d. §§ 516, 517 BGB voraussetzt (s. nur Palandt/Weidlich, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2325 Rn. 7).

Richtigerweise wird man allerdings das Kausalgeschäft zur Aufhebung des Erbverzichts in die Betrachtung einbeziehen müssen. Unproblematisch gilt die genannte Entscheidung des BGH (NJW 1980, 2307, 2308) nur für die unentgeltliche Aufhebung eines unentgeltlichen Erbverzichts (s. nur Staudinger/Schotten, § 2346 Rn. 195; Kanzleiter, DNotZ 2009, 86; Weidlich, NotBZ 2009, 149, 158).

Komplizierter stellen sich die Dinge bei der unentgeltlichen Aufhebung eines entgeltlichen Erbverzichts dar. Wurde für den Verzicht eine Abfindung geleistet, so kann im Verzicht auf das Rückforderungsrecht bzgl. der Abfindung (Rückforderungsanspruch aus §§ 812 Abs. 1 S. 2 Var. 1, 313 BGB o. Ä.) eine Schenkung liegen (s. wiederum Staudinger/Schotten, § 2346 Rn. 195; Keim, NotBZ 1999, 1, 7; Kanzleiter, DNotZ 2009, 86, 91). Der Sachverhalt bietet indes keinen Anhaltspunkt dafür, dass anlässlich des ursprünglichen gegenseitigen Erb- und Pflichtteilsverzichts weitere Geldleistungen geflossen sind. Das „Ent­gelt“ für den Erbverzicht des einen Ehegatten bestand im Erbverzicht des anderen Ehegat­ten. Insoweit ist im Ergebnis allgemein anerkannt, dass der ursprüngliche Erb- und Pflichtteilsverzicht wegen § 517 BGB auch ohne ihm gegenüberstehende Geldleistungen keine Schenkung darstellt. Streitig ist nur, ob es sich um einen unterlassenen Vermögenserwerb i. S. v. § 517 Var. 1 BGB handelt (dafür BeckOGK-BGB/Harke, Std.: 1.4.2018, § 517 Rn. 8) oder ob der Erb- und Pflichtteilsverzicht in erweiternder Auslegung von § 517 Var. 3 BGB erfasst wird (dafür etwa MünchKommBGB/Koch, 7. Aufl. 2016, § 517 Rn. 5; Staudinger/Chiusi, 2013, § 517 Rn. 8). Ist aber der ursprünglich erklärte Erb- und Pflichtteilsverzicht wegen § 517 BGB keine Schenkung, so wird man entsprechend auch in der Aufhebung des Erbverzichts keine Schenkung sehen können. Dies hat jedenfalls dann zu gelten, wenn – wie hier – nicht zugleich auf ein Rückforderungsrecht hinsichtlich geleisteter Geldabfindungen verzichtet wird.

Im Ergebnis gehen wir daher davon aus, dass der Sohn mangels einer Schenkung i. S. d. §§ 516, 517 BGB aufgrund der Aufhebung des Erbverzichts keine Pflichtteilsergänzungsansprüche nach den §§ 2325 ff. BGB geltend machen kann.

Gutachten/Abruf-Nr:

169922

Erscheinungsdatum:

28.05.2019

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Erbverzicht
Pflichtteil
Grundstücksübergabe, Überlassungsvertrag

Erschienen in:

DNotI-Report 2019, 83-85

Normen in Titel:

BGB § 517; BGB § 2310; BGB § 516; BGB § 2325; BGB § 2351