25. März 2022
WEG § 21; WEG § 20

Bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum; Gestattungsbeschluss; Wirkung ggü. Rechtsnachfolgern; Rücknahme des Gestattungsbeschlusses

WEG §§ 20, 21
Bauliche Veränderungen am Gemeinschaftseigentum; Gestattungsbeschluss; Wirkung ggü. Rechtsnachfolgern; Rücknahme des Gestattungsbeschlusses

I. Sachverhalt
Es soll eine Eigentumswohnung verkauft werden. Der Verkäufer hat auf dem Dach des Treppenhauses (Gemeinschaftseigentum) eine Dachterrasse errichtet, die nur über sein Sondereigentum zu erreichen ist. Ein Zugang vom Treppenhaus zur Terrasse besteht nicht. 2021 fasste die Eigentümerversammlung einen Beschluss, in dem sie dem jetzigen Verkäufer den Ausbau einer Dachterrasse zur ausschließlichen eigenen Nutzung gestattet. Der Beschluss legt fest, dass die Arbeiten erst nach Vorliegen aller behördlichen Genehmigungen ausgeführt werden dürfen und der Eigentümergemeinschaft keine Kosten entstehen dürfen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft erhält für die Gestattung eine einmalige Zahlung i. H. v. 7.000 € auf das Rücklagenkonto der WEG und eine monatliche Nutzungsentschädigung i. H. v. 50 € auf das Girokonto der WEG.

Der Beschluss wurde mehrheitlich (aber nicht einstimmig) gefasst. Im Rahmen des Verkaufs der Wohnung soll nun die Dachterrasse bzw. das Nutzungsrecht hieran mitveräußert werden. Die bestehende Gemeinschaftsordnung aus dem Jahr 2016 enthält keine Regelungen über bauliche Veränderungen.

II. Fragen
1. Hat die Eigentümerversammlung für einen solchen Beschluss überhaupt ausreichend Kompetenz oder wäre hier lediglich eine Vereinbarung möglich?

2. Falls ein Beschluss nicht möglich ist: Ist der gefasste Beschluss nichtig oder nur anfechtbar? Entfaltet er Wirkung, soweit er nicht angefochten wird?

3. Falls ein Beschluss möglich war: Ist dieser auch gegenüber Dritten (Rechtsnachfolgern) wirksam, obgleich er nicht im Grundbuch eingetragen ist?

4. Falls ein Beschluss möglich war: Kann dieser dann durch einfachen Mehrheitsbeschluss jederzeit rückgängig gemacht werden?

III. Zur Rechtslage
1. Intertemporaler Anwendungsbereich
Zunächst ist zu klären, ob sich die Beurteilung der Fragen nach den Vorschriften des WEG in der derzeit gültigen Fassung richtet oder nach der bis zum 30.11.2020 geltenden Rechtslage. Zum 1.12.2020 trat das WEMoG in Kraft (Gesetz zur Förderung der Elektromobilität und zur Modernisierung des Wohnungseigentumsgesetzes und zur Änderung von kosten- und grundbuchrechtlichen Vorschriften, BGBl. I v. 22.10.2020, S. 2187; s. nun auch die vollständige Bekanntmachung der Neufassung des WEG vom 12.1.2021, BGBl. I v. 20.1.2021, S. 34). Die Vorschriften über die baulichen Veränderungen wurden darin vollständig neu gefasst und erheblich modifiziert.

Der Zeitpunkt der Vornahme der baulichen Maßnahme ist im Sachverhalt nicht angegeben. Im Ergebnis dürfte es darauf jedoch auch nicht ankommen, da der Gestattungsbeschluss nach Inkrafttreten des WEMoG gefasst wurde. Zu den Regelungen über bauliche Veränderungen enthält das Gesetz keine Übergangsregelung. Insofern ist davon auszugehen, dass für die Möglichkeit der Gestattung allein das Recht zum Zeitpunkt des Gestattungsbeschlusses maßgeblich ist. Im vorliegenden Fall wurde der Beschluss in einer Eigentümerversammlung im Jahr 2021 gefasst. Würde man auf den Zeitpunkt der baulichen Veränderung in tatsächlicher Hinsicht abstellen, käme man ggf. zu dem widersinnigen Ergebnis, dass die nach altem Recht unzulässige bauliche Veränderung nicht nach neuem Recht zu gestatten wäre, also zunächst ein Rückbau mit anschließender Neuerrichtung zu erfolgen habe. Das kann vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt sein. Die Zulässigkeit der baulichen Maßnahme dürfte sich dementsprechend insgesamt nach den Vorschriften des WEG in der seit dem 1.12.2020 geltenden Fassung richten.Eine abweichende Regelung in der Gemeinschaftsordnung ist gem. § 47 WEG unbeachtlich, wenn die Vereinbarung vor dem 1.12.2020 getroffen wurde und sich aus der Vereinbarung nicht ein anderer Wille ergibt. Ein solcher Wille ist gem. § 47 S. 2 WEG im Zweifel nicht anzunehmen. Die vorliegende Gemeinschaftsordnung wurde 2016 geschlossen, sodass § 47 WEG anwendbar ist. Da die Gemeinschaftsordnung keine entsprechende Regelung enthält, erübrigt sich die Frage, ob ein entsprechender Abweichungswille besteht.

2. Zulässigkeit von baulichen Veränderungen
Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen (bauliche Veränderungen), können beschlossen oder einem Wohnungseigentümer durch Beschluss gestattet werden, § 20 Abs. 1 WEG. Bauliche Veränderungen, die die Wohnanlage grundlegend umgestalten oder einen Wohnungseigentümer ohne sein Einverständnis gegenüber anderen unbillig benachteiligen, dürfen nicht beschlossen und gestattet werden, § 20 Abs. 4 WEG. Ein dagegen verstoßender Beschluss ist nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar (BT-Drucks. 19/18791, S. 66).

Der Begriff der „grundlegenden Umgestaltung“ wird nicht gesetzlich definiert. Auch in den Gesetzgebungsmaterialien finden sich keine Hinweise. Letztlich muss unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls die Gestaltung der Wohnanlage vor und nach der streitigen baulichen Veränderung verglichen werden (sog. objektiver Vorher-Nachher-Vergleich, vgl. BeckOGK-WEG/Kempfle, Std.: 1.3.2022, § 20 Rn. 208). Dass die Dachterrasse die Wohnanlage im vorliegenden Fall grundlegend umgestaltet oder einen anderen Wohnungseigentümer unangemessen benachteiligt, ist für uns aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich. Insofern würden wir davon ausgehen, dass ein entsprechender Gestattungsbeschluss gem. § 20 Abs. 1 WEG zulässig ist und gem. § 25 Abs. 1 WEG mit der erforderlichen (einfachen) Mehrheit gefasst wurde. Über die Erhebung einer Anfechtungsklage ist nichts bekannt.

Gem. § 21 Abs. 1 S. 1 WEG hat der Wohnungseigentümer, dem die bauliche Veränderung gestattet wird, die Kosten der baulichen Veränderung zu tragen, nur ihm obliegen gem. § 21 Abs. 1 S. 2 WEG die Nutzungen. Durch die Beschlussfassung entsteht dementsprechend ein gesetzliches Sondernutzungsrecht an der Fläche des Gemeinschaftseigentums (BeckOGK-WEG/Kempfle, § 20 Rn. 103; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 1057, 1200; teilw. auch – u. E. nicht ganz präzise – „faktisches Sondernutzungsrecht“, vgl. bspw. Elzer, StichwortKommentar Wohnungseigentumsrecht, 1. Aufl. 2021, Bauliche Veränderungen Rn. 29).

Zu beachten ist hierbei allerdings, dass die übrigen Wohnungseigentümer grundsätzlich gem. § 21 Abs. 4 S. 1 WEG einen Anspruch darauf haben, dass ihnen die Mitbenutzung gegen angemessenen Ausgleich gestattet wird. Allerdings muss dies nur „nach billigem Ermessen“ erfolgen. Billigem Ermessen entspricht die Beteiligung anderer Wohnungseigentümer an der Nutzung von vornherein dann nicht, wenn die bauliche Veränderung mit dem Sondereigentum eines Wohnungseigentümers verbunden ist und der Zugang zur Nutzungsfläche nur über dieses Sondereigentum möglich ist (Lehmann-Richter/Wobst, Rn. 1122; BeckOGK-WEG/Kempfle, Std.: 1.3.2022, § 21 Rn. 60). Wie die Rechtsprechung dieses Tatbestandsmerkmal in der Praxis interpretieren wird, bleibt abzuwarten. Grundsätzlich wird man es weit auszulegen und im Zweifel von einem Anspruch auszugehen haben. Denn die Norm schafft einen Ausgleich dafür, dass der Mitgebrauch am Gemeinschaftseigentum nicht durch Mehrheitsbeschluss entzogen werden kann und alle Wohnungseigentümer grundsätzlich gleich zu behandeln sind (BeckOK-WEG/Elzer, Std.: 1.1.2022, § 21 Rn. 56). Im vorliegenden Fall dürfte dies freilich am Ergebnis nichts ändern, da eine Mitbenutzung der Dachterrasse unter Zugang über die Sondereigentumseinheit des Verkäufers unter keinen Umständen zumutbar sein wird.

3. Wirkung ggü. Dritten
Gem. § 10 Abs. 3 S. 2 WEG wirken Beschlüsse, die die Wohnungseigentümer gefasst haben, auch gegen Sondernachfolger. Etwas anderes gilt gem. § 10 Abs. 3 S. 1 WEG nur für Beschlüsse, die „aufgrund einer Vereinbarung“ (also einer sog. rechtsgeschäftlichen Öffnungsklausel) gefasst werden. Solche Beschlüsse wirken gegenüber Sondernachfolgern nur, wenn sie im Grundbuch eingetragen sind. Bei § 20 Abs. 1 WEG handelt es sich um eine gesetzliche Öffnungsklausel. Beschlüsse aufgrund einer gesetzlichen Öffnungsklausel wirken gem. § 10 Abs. 3 S. 2 WEG ohne Eintragung im Grundbuch uneingeschränkt gegenüber Rechtsnachfolgern eines Wohnungseigentümers (Grüneberg/Wicke, BGB, 81. Aufl. 2022, § 10 WEG Rn. 26).

4. Rücknahmemöglichkeit
Inwiefern eine einmal erteilte Gestattung durch Beschluss zurückgenommen werden kann, ist für das neue Recht noch nicht gerichtlich geklärt und wird in der Literatur nur teilweise erörtert. Grundsätzlich geht man davon aus, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Gestattung zur Vornahme einer baulichen Veränderung später durch einen sog. abändernden Zweitbeschluss widerrufen kann. Ein solcher Widerruf soll aber nur dann ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt und der betroffene Wohnungseigentümer gegenüber dem bisherigen Zustand nicht unbillig benachteiligt wird (MünchKommBGB/Rüscher, 8. Aufl. 2021, WEG, § 20; Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl. 2021, § 20 Rn. 60: „ohne Angabe von Gründen“). Es sind dabei die schutzwürdigen Interessen und Belange des Wohnungseigentümers zu berücksichtigen, dem die bauliche Veränderung gestattet wurde (vgl. OLG Frankfurt v. 3.9.2004, BeckRS 2004, 150697 Rn. 13).

Unseres Erachtens wird man an den Rücknahmebeschluss – jedenfalls wenn die bauliche Maßnahme bereits umgesetzt wurde – hohe Anforderungen stellen müssen und jedenfalls grundsätzlich von einem überwiegenden Interesse des Nutzungsberechtigten ausgehen können. Wegen der Pflicht zur Kostentragung wird man ihm insofern einen gewissen Vertrauensschutz zubilligen müssen. Ebenso vertretbar erscheint uns die – in der Literatur bislang jedoch nicht vertretene – Auffassung, dass das einmal gem. § 21 Abs. 1 S. 2 WEG entstandene gesetzliche Sondernutzungsrecht nur mit Zustimmung des berechtigten Wohnungseigentümers wieder entzogen werden kann. Dies dürfte umso mehr gelten, als der Wohnungseigentümer eine Gegenleistung an die WEG zu erbringen hatte. Mag dies auch nicht den Charakter eines Austauschvertrages erfüllen, so dürfte dies doch zumindest einen erheblichen Abwägungsgesichtspunkt für das Interesse des Wohnungseigentümers bilden. Wollte man sogar so weit gehen und einen Austauschvertrag zwischen der WEG und dem Wohnungseigentümer annehmen, so wäre es bereits aus diesem Vertrag heraus der WEG verboten, den Gestattungsbeschluss zurückzunehmen. Würde sie dem zuwiderhandeln, wäre die WEG verpflichtet, einen erneuten Beschluss zu fassen.

5. Ergebnis
Soweit keine Ausnahme nach § 20 Abs. 4 WEG besteht, ist eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums nur mit entsprechendem Gestattungsbeschluss der Wohnungseigentümer zulässig. Die Beschlusskompetenz ergibt sich aus § 20 Abs. 1 WEG. Der Beschluss wirkt gem. § 10 Abs. 3 S. 2 WEG ohne Eintragung im Grundbuch auch gegenüber Rechtsnachfolgern. Ein Rücknahmebeschluss ist zwar wohl grundsätzlich möglich, dabei sind jedoch die berechtigten Belange des nutzungsberechtigten Wohnungseigentümers hinreichend zu berücksichtigen.

Gutachten/Abruf-Nr:

187758

Erscheinungsdatum:

25.03.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

WEG

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 41-43

Normen in Titel:

WEG § 21; WEG § 20