08. Juni 2017
BGB § 2042; BGB § 1629a

Haftungsbeschränkung des Minderjährigen bei Erwerb eines überschuldeten Nachlasses; Erbauseinandersetzung

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 136126
letzte Aktualisierung: 8. Juni 2017

BGB §§ 1629a, 2042
Haftungsbeschränkung des Minderjährigen bei Erwerb eines überschuldeten Nachlasses;
Erbauseinandersetzung

I. Sachverhalt
Im Jahre 2008 ist die Mutter M der Tochter T verstorben. M war mit V verheiratet. M und V
waren Miteigentümer eines Grundstücks zu je ½. M wurde von T und V zu je ½ beerbt. V hat es
versäumt, die Erbschaft des überschuldeten Nachlasses auszuschlagen. Mittlerweile wird ein
Zwangsversteigerungsverfahren über den Grundbesitz betrieben. T ist Anfang Juli dieses Jahres
18 Jahre alt geworden. Um T vor einer Haftung für die Verbindlichkeiten des Nachlasses zu
schützen, sollen nun die Voraussetzungen für eine Minderjährigenhaftungsbeschränkung nach
§ 1629a BGB geschaffen werden. In diesem Zusammenhang wird eine Erbauseinandersetzung
angestrebt.

II. Fragen
1. Wie können die Voraussetzungen von § 1629a BGB geschaffen werden? Ist eine Teilungsklage
erforderlich bzw. ratsam?
2. Ist eine Auseinandersetzung nach dem FamFG erforderlich?

III. Zur Rechtslage
1. Haftungsrisiken für Minderjährige bei Erbschaften
Nach §§ 1922 Abs. 1, 1967 Abs. 1 BGB haftet der Erbe für die Erblasserschulden und
Nachlassverbindlichkeiten unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen. Gem. § 2059
Abs. 1 BGB gilt eine Haftungsbeschränkung nur bis zur Teilung des Nachlasses. Nach erfolgter
Teilung des Nachlasses kommt eine Haftungsbeschränkung auf einen dem Erbteil
entsprechenden Teil der Nachlassverbindlichkeit nur unter den Voraussetzungen des § 2060
BGB in Betracht.
Des Weiteren ist eine Haftungsbeschränkung denkbar, wenn ein Nachlassverwaltungsverfahren
bzw. ein Nachlassinsolvenzverfahren durchgeführt wird (§ 1975 Abs. 1 BGB).
Sollten entsprechende Beschränkungsgründe nicht vorliegen, würde T somit mit ihrem
gesamten Vermögen für die Schulden der Erblasserin M haften.

2. Haftungsbeschränkung gem. § 1629a Abs. 1 S. 1 Var. 3 BGB
Erwirbt ein Minderjähriger eine Erbschaft von Todes wegen, beschränkt sich die Haftung
des Minderjährigen auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen
Vermögens des Minderjährigen (§ 1629 Abs. 1 S. 1 Var. 3 BGB). Hintergrund der Vorschrift
ist, dass dem Minderjährigen „eine zweite Chance“ einer Haftungsbegrenzung gegeben
werden soll, falls eine Erbausschlagung durch die gesetzlichen Vertreter nicht erfolgt ist
bzw. ein Nachlassverwaltungs- bzw. Insolvenzverfahren mit den Folgen der Haftungsbeschränkung
des § 1975 BGB nicht durchgeführt worden sein sollte (vgl. Münch-
KommBGB/Huber, 7. Aufl. 2017, § 1629a Rn. 19; Behnke, NJW 1998, 3078, 3079;
Staudinger/Coester, BGB, 2015, § 1629a Rn. 26).
Da die Erbschaft der Tochter T angefallen ist, als diese minderjährig war (§§ 1922 Abs. 1,
1942 Abs. 1 BGB), liegt ein während der Minderjährigkeit erfolgter Erwerb von Todes wegen
vor. Damit sind die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Haftungsbeschränkung nach
§ 1629a Abs. 1 S. 1 Var. 3 BGB gegeben. Die Haftungsbeschränkung ist im vorliegenden
Fall auch nicht nach § 1629a Abs. 2 BGB ausgeschlossen, da nichts für ein Vorliegen der
entsprechenden Ausnahmetatbestände (Betrieb, Geschäfte für persönliche Bedürfnisse des
Minderjährigen) gem. dieser Vorschrift ersichtlich ist.
Rechtsfolge des § 1629a Abs. 1 ist, dass dem Volljährigen eine dauernde Einrede der auf
das Altvermögen beschränkten Haftung eingeräumt wird (Staudinger/Coester, § 1629a
Rn. 49), die der Beschränkung der Erbenhaftung nach §§ 1990, 1991 BGB entspricht. Umstritten
ist, ob die Einrede der Haftungsbeschränkung bereits im Erkenntnisverfahren vorgebracht
werden muss und ansonsten eine Präklusion nach § 767 Abs. 2 ZPO besteht (hierfür
OLG Köln NJW-RR 2010, 1447 f.; hiergegen OLG Hamm NJOZ 2012, 123; Palandt/Götz,
BGB, 76. Aufl. 2017, § 1629a Rn. 4). Obwohl keine Pflicht zur Inventarerrichtung besteht,
dürfte sich aus Beweisgründen regelmäßig die Errichtung eines Verzeichnisses über das bei
Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen empfehlen (Palandt/Götz, a. a. O.). Anders
als die Beschränkung der Erbenhaftung führt die Haftungsbegrenzung des § 1629a Abs. 1
S. 1 BGB nicht zu einer Haftungsbeschränkung auf den Nachlass, sondern nur auf das
gesamte beim Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen (einschließlich des Nachlasses).
Verfügt der Minderjährige über sonstige Aktiva, sind diese von der Haftungsbeschränkung
nicht erfasst.

3. Vermutung des § 1629a Abs. 4 S. 1 BGB
Im Interesse des Gläubigerschutzes enthält § 1629a Abs. 4 S. 1 BGB eine widerlegliche
Vermutung. Hat der Minderjährige nicht innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Volljährigkeit
die Erbauseinandersetzung verlangt, ist im Zweifel anzunehmen, dass die Verbindlichkeit
erst nach dem Eintritt der Volljährigkeit entstanden ist (§ 1629a Abs. 4 S. 1
BGB). Außerdem wird in diesem Fall vermutet, dass das gegenwärtig vorhandene Vermögen
bereits bei Eintritt der Volljährigkeit vorhanden war, es sich somit nicht um von der
Haftungsbeschränkung begünstigtes und nach Eintritt der Volljährigkeit erworbenes Vermögen
handelt (§ 1629a Abs. 1 S. 2 BGB). Wie sich bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen
ergibt, handelt es sich um widerlegliche Vermutungen, nicht jedoch um Voraussetzungen
für den Eintritt der Haftungsbeschränkung (MünchKommBGB/Huber,
§ 1629a Rn. 69; BT-Drucks. 13/5624, S. 14, li. Sp.).
Die widerlegliche Vermutung des § 1629a Abs. 4 BGB greift somit dann nicht ein, wenn der
Minderjährige „die Auseinandersetzung des Nachlasses“ innerhalb von drei Monaten nach
Eintritt der Volljährigkeit „verlangt“. Zu der Frage, welche Voraussetzungen für ein entsprechendes
Auseinandersetzungsverlangen gelten, finden sich – soweit ersichtlich – keine
weitergehenden Stellungnahmen. Nach § 2042 Abs. 1 BGB kann der Erbe jederzeit die Auseinandersetzung
der Erbengemeinschaft verlangen, es sei denn, dass die Auseinandersetzung
durch Anordnung des Erblassers gem. § 2044 BGB ausgeschlossen worden ist (vgl. zu der
Frage, ob eine Kündigung aus einem wichtigen Grund möglich ist, Münch-
KommBGB/Huber, § 1629a Rn. 72).
Nach Auffassung der Literatur reicht eine Erklärung gegenüber den Miterben, dass die
Auseinandersetzung verlangt wird (vgl. MünchKommBGB/Huber, § 1629a Rn. 72;
Palandt/Götz, § 1629a Rn. 13; BeckOK-BGB/Veit, Stand: 1.2.2017, § 1629a Rn. 40.1;
Staudinger/Coester; § 1629a Rn. 88). Dass der Vollzug der Auseinandersetzung innerhalb
der dreimonatigen Frist erfolgt, ist keine Voraussetzung dafür, dass die Vermutung des
§ 1629a BGB nicht eingreift (vgl. BeckOK-BGB/Veit, § 1629a Rn. 40.1; Palandt/Götz,
§ 1629a Rn. 13). Demzufolge dürfte es auch nicht erforderlich sein, dass innerhalb der dreimonatigen
Frist eine Teilungsklage zur Durchsetzung des Anspruchs aus § 2042 BGB
erhoben (vgl. hierzu Palandt/Weidlich, § 2042 Rn. 20) bzw. ein notarielles Verfahren zur
Vermittlung der Auseinandersetzung des Nachlasses gem. § 23a Abs. 3 GVG i. V. m.
§§ 344 Abs. 4a, 363 ff. FamFG eingeleitet wird. Hierfür spricht zum einen der Wortlaut der
Vorschrift, der nur auf ein bloßes Auseinandersetzungsverlangen abstellt. Außerdem lässt
sich der systematische Vergleich mit der Kündigung einer Gesellschaft in § 1629a Abs. 4
S. 1 BGB heranziehen. Wenn bei Gesellschaften nach § 1629a Abs. 4 S. 1 BGB eine
Kündigungserklärung ausreicht, nicht jedoch aber die Auseinandersetzung der Gesellschaft
durch ein gerichtliches Verfahren förmlich eingeleitet werden muss, können für die Erbengemeinschaft
insoweit keine strengere Voraussetzung gelten.
Nicht geklärt ist die Frage, ob die Vermutung des § 1629a Abs. 4 BGB dann nicht eingreift,
wenn der volljährig Gewordene die Auseinandersetzung trotz Kündigung bzw. Auseinandersetzungsverlangens
nicht weiter betreibt. Unter Schutzzweckgesichtspunkten spricht viel
dafür, dass die Vermutung des § 1629a Abs. 4 S. 1 BGB einschlägig ist, wenn der nunmehr
Volljährige das Verfahren nicht mehr ernstlich betreiben sollte. Welche Fristen hierfür im
Einzelnen gelten könnten und aus welchen Anhaltspunkten sich die Aufgabe einer entsprechenden
Absicht folgern ließe, ist derzeit offen. In jedem Fall dürfte es angezeigt sein, entsprechende
Schritte für die Auseinandersetzung einzuleiten, wenn die Miterben sich dauerhaft
weigern sollten an einer entsprechenden Auseinandersetzung mitzuwirken.
Sollte V im vorliegenden Falle bereit sein, an einer Erbauseinandersetzung mit T mitzuwirken,
und eine Auseinandersetzung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, nachdem T gegenüber
V ein Auseinandersetzungsverlangen geltend gemacht hat, dürfte die Vermutungswirkung
des § 1629a Abs. 4 S. 1 BGB nicht eingreifen. Demzufolge könnte sich T ohne Weiteres
auf die Haftungsbeschränkung berufen.

4. Vermittlung der Auseinandersetzung des Nachlasses durch den Notar
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass ein Vermittlungsverfahren zur Auseinandersetzung
des Nachlasses durch den Notar keine Voraussetzung ist, um die Vermutungswirkung
des § 1629a Abs. 4 BGB aus der Welt zu schaffen. Ein Auseinandersetzungsverlangen
i. S. v. § 1629a Abs. 4 S. 1 BGB setzt nicht einen Antrag des Erben auf
Auseinandersetzung des Nachlasses i. S. v. § 363 Abs. 1 FamFG voraus.
Dennoch mag es im Einzelfall zweckmäßig sein, ein entsprechendes Verfahren durchzuführen,
um die Auseinandersetzung zu beschleunigen.
Eine freiwillige notariell beurkundete Erbauseinandersetzung im Rahmen der §§ 2042 ff.
dürfte aber in jedem Falle genügen.
Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass § 1629a Abs. 4 BGB ohnehin nur eine Vermutung
enthält, die bei einer Inanspruchnahme durch einen Gläubiger widerlegt werden
kann. Es bietet sich möglicherweise ohnehin an, entsprechende Verzeichnisse über das bei
Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen sowie die Erblasserschulden zu errichten.
Es mag sich außerdem empfehlen, das Auseinandersetzungsverfahren und seinen
Zugang schriftlich zu dokumentieren.

Gutachten/Abruf-Nr:

136126

Erscheinungsdatum:

08.06.2017

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Erbengemeinschaft, Erbauseinandersetzung
Elterliche Sorge (ohne familiengerichtliche Genehmigung)

Normen in Titel:

BGB § 2042; BGB § 1629a