BGH 22. März 2023
IV ZB 12/22
BGB §§ 119 Abs. 1 Var. 1, 1953

Ausschlagung einer Erbschaft; Irrtum über die Person des Nächstberufenen; kein anfechtungsbegründender Motivirrtum

letzte Aktualisierung: 21.4.2023
BGH, Beschl. v. 22.3.2023 – IV ZB 12/22

BGB §§ 119 Abs. 1 Var. 1, 1953
Ausschlagung einer Erbschaft; Irrtum über die Person des Nächstberufenen; kein an-
fechtungsbegründender Motivirrtum

Irrt sich der eine Erbschaft Ausschlagende bei Abgabe seiner Erklärung über die an seiner Stelle in
die Erbfolge eintretende Person, ist dies nur ein Irrtum über eine mittelbare Rechtsfolge der
Ausschlagungserklärung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften. Ein solcher Motivirrtum
berechtigt nicht zur Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB.

Gründe:

I. Die Beteiligten erstreben eine Klärung der Erbfolge im Erbscheinsverfahren.
Der Erblasser ist am 3. Juli 2018 verstorben, ohne eine letztwillige
Verfügung zu hinterlassen. Die Beteiligte zu 1 ist die Witwe des Erblassers,
der Beteiligte zu 2 ein gemeinsames Kind. Sämtliche Abkömmlinge
des Erblassers schlugen durch notariell beglaubigte Erklärungen gegenüber
dem Nachlassgericht die Erbschaft aus. Die fristgerecht beim Nachlassgericht
eingegangene Erklärung des Beteiligten zu 2 lautet auszugsweise:

" Ich (...) schlage die Erbschaft hiermit aus allen in Betracht
kommenden Gründen aus."

Daraufhin beantragte die Beteiligte zu 1 zunächst einen Erbschein,
durch den sie als Alleinerbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge ausgewiesen
werden sollte. Nachdem das Nachlassgericht die Beteiligte zu 1 darauf
hingewiesen hatte, dass sie gemäß § 1931 Abs. 1 BGB nur Alleinerbin sei,
soweit weder Erben der ersten und zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden
seien, focht der Beteiligte zu 2 seine Ausschlagungserklärung
durch notariell beglaubigte Erklärung fristgerecht wegen Irrtums an, die
auszugsweise wie folgt lautet:

" In der Nachlasssache (...) fechte ich, (...), die Ausschlagungserklärung (...) wegen
Irrtums an.
Ich und meine Geschwister haben die Erbschaft ausgeschlagen,
weil wir davon ausgingen, dass somit unsere Mutter,
Alleinerbin ist und somit auch als Alleineigentümerin der
Eigentumswohnung
ich Kenntnis darüber, dass durch die Ausschlagungserklärung
sämtlicher Kinder unseres Vaters dessen Halbgeschwister
erben.

Diese Halbgeschwister sind weder meiner Mutter, meinen
Geschwistern oder mir namentlich bekannt. Auch mein Vater
hatte zu diesen Halbgeschwistern keinen Kontakt. Erst mit der
Mitteilung des Nachlassgericht erfuhr ich durch meine
Mutter am 2. Oktober 2018, dass die Halbgeschwister meines
Vaters durch meine Erbausschlagung erben.

"
Daraufhin beantragte die Beteiligte zu 1 einen gemeinschaftlichen
Erbschein für sie und den Beteiligten zu 2 als Miterben zu 1/2.

Sodann wies das Nachlassgericht darauf hin, dass es die Anfechtungserklärung
nicht als wirksam erachte, da es sich um einen unbeachtlichen
Motivirrtum handele, und gab Gelegenheit zur Stellungnahme.
Hierauf ergänzte der Beteiligte zu 2 seine Anfechtungserklärung durch
weitere notariell beglaubigte Erklärung unter anderem wie folgt:
"Bei der Ausschlagung der Erbschaft ging ich davon aus, dass
die Erbschaft der übrig bleibenden Miterbin, meiner Mutter,
übertragen wird. Mir war nicht bekannt, dass die Erbschaft
durch meine Ausschlagung demjenigen anfällt, welcher berufen
gewesen wäre, wenn ich und meine Geschwister zur Zeit
des Erbfalls nicht gelebt hätten.
"
Ferner erklärten die Beteiligten mit anwaltlichem Schreiben, der
Beteiligte zu 2 sei im Zeitpunkt der Ausschlagung der Auffassung gewesen,
dass durch seine Ausschlagung und diejenige seiner Geschwister die
Erbanteile der Beteiligten zu 1 übertragen würden. Er sei also der Auffassung
gewesen, dass diese Erbteile ihr anwachsen würden.

Den Erbscheinsantrag hat das Nachlassgericht zurückgewiesen. Im
Rahmen der dagegen gerichteten Beschwerde hat das Oberlandesgericht
Ermittlungen zur Identität der Erben zweiter Ordnung durchgeführt, die ergeben
haben, dass der Erblasser neben Halbgeschwistern auch eine Vollschwester
hatte. Daraufhin hat der Beteiligte zu 2 seine Anfechtungserklärung
dahingehend ergänzt, dass ihm auch nicht bekannt gewesen sei,
dass sein Vater eine Vollschwester gehabt habe. Sodann hat das Oberlandesgericht
die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die
zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten, mit der sie den Erbscheinsantrag
weiterverfolgen.

II. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung unter anderem in
ZEV 2022, 525 veröffentlicht ist, ist der Ansicht, der Beteiligte zu 2 sei
nicht neben der Beteiligten zu 1 zur Erbfolge gelangt, da er die Erbschaft
wirksam ausgeschlagen habe. Die Wirkung der Ausschlagung sei nicht
durch seine Anfechtungserklärung beseitigt worden. Die Anfechtung sei
unwirksam, da sich anhand seines Vorbringens ein rechtlich beachtlicher
Anfechtungsgrund nicht feststellen lasse. In der ex-post-Sicht sei es
offensichtlich, dass sich der Beteiligte zu 2 bei seiner Ausschlagungserklärung
in einem Rechtsirrtum befunden habe. Die allgemeine Begründung
der Anfechtung, der Beteiligte zu 2 habe darüber geirrt, dass neben seiner
Mutter noch Erben zweiter Ordnung zur Erbfolge gelangen können, sei aus
Rechtsgründen unbeachtlich, da es sich um einen bloßen Motivirrtum handele.
In diesen Fällen habe der Ausschlagende nicht über die primäre
Rechtsfolge (Verlust der Erbenstellung), sondern über eine weitere, von
Gesetzes wegen eintretende Rechtsfolge, nämlich den Anfall bei einer bestimmten
Person geirrt. Die Vorstellungen und die Willensrichtung des
Ausschlagenden seien für den rechtlichen Maßstab, was als unmittelbare
und was als mittelbare Rechtsfolge angesehen werden könne, bedeutungslos.
Die primäre Rechtsfolge der Ausschlagung sei nach § 1953
Abs. 1 BGB der Wegfall des Ausschlagenden. Dies bringe weitere Rechtsfolgen
hervor, nämlich den Anfall der Erbschaft oder des Erbteils bei anderen
Personen, weil das BGB einen erbenlosen Nachlass nicht kenne.
§ 1953 Abs. 2 BGB stelle insoweit nicht mehr als eine bereits durch § 1953
Abs. 1 BGB vorgegebene Rechtsfolge klar. Wem die Erbschaft/der Erbteil
nunmehr anfalle, bestimme sich nicht nach § 1953 Abs. 2 BGB, sondern
vielmehr allein nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge oder den
Regeln der gewillkürten Erbfolge betreffend Ersatzerbfolge und Anwachsung.
§ 1953 Abs. 2 BGB besage nicht mehr, als dass anstelle des Ausschlagenden
eine andere Person an seine Stelle trete. Hierüber irre der
Ausschlagende aber nicht. Er irre darüber, welche Person dies sei. Soweit
schriftsätzlich vorgetragen worden sei, der Beteiligte zu 2 habe die Vorstellung
gehabt, sein Erbteil werde seiner Mutter anwachsen beziehungsweise
er übertrage hiermit seinen Erbteil, werde dies in der obergerichtlichen
Rechtsprechung als relevanter Irrtum diskutiert. Für derartige Feststellungen
biete der Vortrag der - rechtlich vertretenen - Beteiligten aber
keinerlei Anhaltspunkte, weshalb auch eine amtswegige Sachaufklärung
keine Grundlage habe. Soweit der Beteiligte zu 2 zusätzlich geltend
mache, ihm sei unbekannt gewesen, dass sein Vater (Halb-)Geschwister
gehabt habe, sei dieser tatsächliche Irrtum für die Ausschlagungserklärung
jedenfalls nicht kausal geworden, da der Beteiligte zu 2 diese infolge
seines Rechtsirrtums auch bei Kenntnis von der Existenz der (Halb-)Geschwister
abgegeben hätte.

III. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist
unbegründet. Das Beschwerdegericht hat rechtsfehlerfrei angenommen,
dass der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins für die Beteiligte zu 1 und
den Beteiligten zu 2 als Miterben zu 1/2 unbegründet ist, da der Beteiligte
zu 2 infolge der Ausschlagung der Erbschaft nicht zur Erbfolge gelangt ist.
Die Wirkung der Ausschlagung ist nicht durch die Anfechtung der Ausschlagungserklärung
beseitigt worden.

1. Ursprünglich war der Beteiligte zu 2 als Sohn des Erblassers nach
gesetzlicher Erbfolge gemäß §§ 1924 Abs. 1, 1931 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1,
1371 Abs. 1 BGB Miterbe. Seine Miterbenstellung hat er jedoch rückwirkend
verloren (§ 1953 Abs. 1 BGB), indem er gegenüber dem Nachlassgericht
form- und fristgerecht die Ausschlagung der Erbschaft nach
§§ 1944 Abs. 1, 1945 Abs. 1 BGB erklärt hat. Da die Erwartung des Beteiligten
zu 2, dass der Nachlass in vollem Umfang an die Beteiligte zu 1
fallen werde, keinen Niederschlag in der Ausschlagungserklärung gefunden
hat, liegt darin keine Bedingung im Rechtssinne, die gemäß § 1947
BGB die Unwirksamkeit der Ausschlagung zur Folge hätte (vgl. OLG
Düsseldorf ZEV 2019, 469 Rn. 14; ZEV 2018, 85, 86 [juris Rn. 20];
Staudinger/Otte, BGB (2017) § 1954 Rn. 5 [Stand: 30. April 2021] m.w.N.;
Eickelberg, ZEV 2018, 489, 490 f.).

2. Die Wirkung der Ausschlagung ist nicht durch die Anfechtungserklärung
des Beteiligten zu 2 beseitigt worden (§ 142 Abs. 1 BGB).
Die form- (§ 1955 Abs. 1 Satz 2, § 1945 Abs. 1, § 129 Abs. 1 BGB)
und fristgerecht (§ 1954 Abs. 1, Abs. 2 BGB) gegenüber dem Nachlassgericht
(§ 1955 Satz 1 BGB) erklärte Anfechtung ist unwirksam, da sich anhand
des Vorbringens des Beteiligten zu 2 kein rechtlich beachtlicher
Anfechtungsgrund feststellen lässt.

Die Ausschlagung der Erbschaft kann ebenso wie deren Annahme
nur nach den allgemeinen Vorschriften über Willenserklärungen unter
Lebenden gemäß §§ 119 ff. BGB angefochten werden. Die Sonderregeln
der §§ 1954, 1955 und 1957 BGB für Frist, Form und Wirkung der Anfechtung
der Ausschlagungserklärung ändern oder erweitern die Anfechtungsgründe
nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juli 2006 - IV ZB 39/05,
BGHZ 168, 210 Rn. 19 m.w.N.).

Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Beschwerdegericht zu
Recht angenommen, dass sich der Beteiligte zu 2 bei Abgabe der Ausschlagungserklärung
nicht in einem allein in Betracht kommenden Irrtum
im Sinne des § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB befand. Ein Inhaltsirrtum kann zwar
auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner
Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm
erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden.
Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt aber nur dann zur Anfechtung,
wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als
die beabsichtigten Wirkungen erzeugt (vgl. Senatsurteil vom 29. Juni 2016
- IV ZR 387/15, ZEV 2016, 574 Rn. 11; Senatsbeschluss vom 5. Juli 2006
- IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210 Rn. 19; st. Rspr.). Dagegen ist der nicht
erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu
den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum
über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum
(Senatsurteil vom 29. Juni 2016 aaO; Senatsbeschluss vom 5. Juli
2006 aaO; jeweils m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der Beteiligte zu 2 keinem
Irrtum über die unmittelbaren Rechtswirkungen der Ausschlagung erlegen,
soweit er geltend macht, er sei bei Abgabe der Ausschlagungserklärung
davon ausgegangen, dass somit seine Mutter Alleinerbin sei. Dass
er sich über die konkrete Person des Nächstberufenen geirrt h at, begründet
unabhängig davon, welche rechtlichen oder tatsächlichen Fehlvorstellungen
dem zugrunde lagen, z.B. irrige Annahme einer Anwachsung beim
verbleibenden Miterben oder Irrtum über Inhalt der gesetzlichen Erbfolge
im deutschen Erbrecht, lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum. Es ist
daher ohne Bedeutung, ob dem Beteiligten zu 2 auch unbekannt war, dass
sein Vater (Halb-)Geschwister hatte.

a) Die hier maßgebliche Frage, ob im Falle einer sogenannten "lenkenden
Ausschlagung", bei der es dem Ausschlagenden gerade um den
Eintritt des Anfalls an einen bestimmten Dritten ankommt, ein Irrtum darüber,
wem der Erbteil infolge der Ausschlagung anfällt, einen Irrtum über
die mittelbaren oder unmittelbaren Rechtsfolgen darstellt, ist umstritten.
Eine Auffassung sieht den Irrtum über die nächstberufene Person stets als
einen Irrtum über die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung und
damit als einen beachtlichen Inhaltsirrtum an (OLG Düsseldorf ZEV 2019,
469 Rn. 22; ZEV 2018, 85, 87 [juris Rn. 34]; wohl auch, im Ergebnis aber
offenlassend OLG Frankfurt ZEV 2021, 507 Rn. 22, 24 f.; ebenfalls offengelassen
von OLG Brandenburg ZEV 2022, 716 Rn. 16; BeckOGK/
Rehberg, BGB § 119 Rn. 105 [Stand: 1. September 2022]; MünchKomm-
BGB/Leipold, 9. Aufl. § 1954 Rn. 7; NK-BGB/Feuerborn, 4. Aufl. § 119
Rn. 51; NK-BGB/Ivo, 6. Aufl. § 1954 Rn. 7 f.; J. Schmidt in Erman, BGB
16. Aufl. § 1954 Rn. 3c; Staudinger/Singer, BGB (2021) § 119 Rn. 73; Ivo,
ZEV 2017, 518, 519; Keim, ErbR 2022, 978 f.; ders., ErbR 2021, 1012,
1013 ff.; ders., ZEV 2020, 393, 400 f.). Eine andere Auffassung geht in
diesen Fällen hingegen - wie auch das Beschwerdegericht - nur von einem
Irrtum über die mittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung und damit von
einem unbeachtlichen Motivirrtum aus (vgl. KG ZEV 2020, 152 Rn. 26 f.;
OLG Frankfurt ZEV 2017, 515 Rn. 16 ff.; OLG Hamm FGPrax 2011, 236,
236 f. [juris Rn. 7]; OLG München NJW 2010, 687 [juris Rn. 14]; OLG
Schleswig ZEV 2005, 526 [juris Rn. 10 f.]; OLG Hamm ZEV 1998, 225;
OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 150, 151 [juris Rn. 33]; FamRZ 1997, 905
[juris Rn. 17]; OLG Stuttgart OLGZ 1983, 304, 306 f. [juris Rn. 24];
KG KGJ 35 A Nr. 19 00002; BeckOGK/Heinemann, BGB § 1954 Rn. 25
[Stand: 15. Dezember 2022]; BeckOK-BGB/Siegmann/Höger, § 1954
Rn. 7 [Stand: 1. Mai 2022]; Grüneberg/Weidlich, BGB 82. Aufl. § 1954
Rn. 5; Staudinger/Otte, BGB (2017) § 1954 Rn. 6 [Stand: 30. April 2021];
Naczinsky in Soergel, BGB 14. Aufl. § 1954 Rn. 3; Muscheler in Groll/
Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung 5. Aufl. § 22 Rn. 22.101a;
Krätzschel in Krätzschel/Falkner/Döbereiner, Nachlassrecht 12. Aufl. § 16
Rn. 20; Reul in Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis
3. Aufl. § 5 Rn. 11; Eickelberg, ZEV 2018, 489, 495;
Kollmeyer, ZEV 2021, 509; ders., ZEV 2017, 517, 518; Musielak,
ZEV 2016, 353, 356; Wendt, ErbR 2021, 562, 567).

b) Die letztgenannte Auffassung trifft zu. Wenn sich der Ausschlagende
bei Abgabe der Ausschlagungserklärung über die nach seinem
Wegfall an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende konkrete Person irrt,
ist dies nur ein Irrtum über eine mittelbare Nebenfolge der Ausschlagungserklärung
aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften. Es liegt ein Motivirrtum
vor, der nicht zur Anfechtung berechtigt.

aa) Dafür sprechen Systematik und Wortlaut des § 1953 BGB. Unmittelbare
Rechtsfolgen der Ausschlagung sind danach der Wegfall der
Erbenstellung bei dem Ausschlagenden und der Anfall bei einer anderen
Person. Wer die Person des Nächstberufenen ist, regelt § 1953 BGB nicht
unmittelbar.

(1) Die Ausschlagung bewirkt, dass der Ausschlagende die ihm zugedachte
Rechtsstellung aufgibt (§ 1953 Abs. 1 BGB) und diese Rechtsstellung
dem Nächstberufenen anfällt (§ 1953 Abs. 2 BGB). Das steht mit
dem Grundsatz des Vonselbsterwerbs in Einklang, wonach die erbrechtliche
Sukzession gemäß § 1922 Abs. 1 BGB mit dem Erbfall kraft Gesetzes
eintritt (vgl. BeckOGK/Preuß, BGB § 1922 Rn. 43 [Stand: 1. Februar
2023]).

Davon ist allerdings die Frage zu unterscheiden, wer Erbe nach
§ 1953 Abs. 2 BGB und Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers ist. Die
konkrete Bestimmung der nachrückenden Person regelt § 1953 Abs. 2
BGB nicht. Sie richtet sich nach den Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge
(§§ 1924 ff. BGB) oder im Rahmen der gewillkürten Erbfolge vorrangig
nach der Testamentsauslegung und nachrangig nach den §§ 2069,
2094 Abs. 1 Satz 1 BGB. § 1953 Abs. 2 BGB stellt sich lediglich als Vorgabe
für die weitere Rechtsanwendung dar. Ein Irrtum darüber führt damit,
anders als die Rechtsbeschwerde meint, lediglich zu einer fehlerhaften
Anwendung der Vorschriften über die gesetzliche oder gewillkürte Erbfolge,
nicht jedoch über die wesentliche und unmittelbare Rechtswirkung
der Ausschlagung (vgl. KG ZEV 2020, 152 Rn. 27; OLG Frankfurt ZEV
2017, 515 Rn. 16; OLG Hamm FGPrax 2011, 236, 237 [juris Rn. 7]). Einer
Differenzierung, ob der Ausschlagende in diesem Zusammenhang die gesetzliche
oder gewillkürte Erbfolge verkennt und dies aus rechtlichen
Gründen oder aus tatsächlichen Gründen etwa wegen Unkenntnis der
Existenz eines Geschwisterteils des Erblassers geschieht, bedarf es insofern
nicht.

(2) Dafür spricht auch der Sinngehalt des Wortes "ausschlagen".
Dieser beinhaltet für den juristischen Laien, dass der Ausschlagende nicht
mehr Erbe sein will und er durch die Ausschlagung seine Erbenstellung an
eine andere Person verliert (vgl. OLG Schleswig ZEV 2005, 526 [juris
Rn. 11 ff.]), nicht aber, dass anstelle des Ausschlagenden ein bestimmter
Dritter Erbe werden soll.

bb) Dass das deutsche Erbrecht keinen herrenlosen Nachlass kennt
(vgl. BeckOGK/Heinemann, BGB § 1953 Rn. 2 [Stand: 15. Dezember
2022]; BeckOK-BGB/Siegmann/Höger § 1953 Rn. 1 [Stand: 1. Mai 2022];
MünchKomm-BGB/Leipold, 9. Aufl. § 1953 Rn. 1; NK-BGB/Ivo, 6. Aufl.
§ 1953 Rn. 1), steht der Annahme, § 1953 Abs. 2 BGB mache die Begünstigung
einer bestimmten Person zu einer nachrangigen, mittelbaren Folge,
nicht entgegen. Der Umstand, dass die konkrete Person des Nächstberufenen
nach den Vorschriften über die gesetzliche oder gewillkürte Erbfolge
ermittelt werden muss, führt nicht dazu, dass der Nachlass herrenlos wird.
§ 1953 Abs. 2 BGB fingiert den Anfall der Erbschaft für den endgültigen
Erben auf den Zeitpunkt des Erbfalls (vgl. Senatsurteil vom 30. November
2022 - IV ZR 60/22, ZEV 2023, 103 Rn. 22 m.w.N.).

cc) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die Anfechtung
auch weder dadurch gerechtfertigt, dass der Ausschlagende den Anfall
der Erbschaft an eine bestimmte Person als das primäre Ziel seiner Ausschlagung
und seinen Wegfall als bloßes Mittel zu diesem Zweck erachtet,
noch durch eine sonstige an der Vorstellung oder Willensrichtung des Ausschlagenden
ausgerichtete wertende Betrachtung (a.A. OLG Düsseldorf
ZEV 2018, 85, 87 [juris Rn. 34]). Eine Rechtsfolge wird nicht dadurch zu
einer unmittelbaren, dass sie der Hauptgrund für die Erklärung der Ausschlagung
war (KG ZEV 2020, 152 Rn. 27; Lange, ZEV 2022, 527, 528;
a.A. Keim, ErbR 2021, 1012, 1013 f.). Eine andere Betrachtung würde
- wovon auch das Beschwerdegericht ausgegangen ist - der gesetzlichen
Konzeption der §§ 119 ff. BGB und der §§ 1942 ff. BGB nicht gerecht
(ebenso KG aaO). Die Rechtsfolge anhand der Vorstellung und Absicht
des Ausschlagenden, mit der Ausschlagung falle die Erbschaft einer bestimmten
anderen Person an, zu qualifizieren, führte sie zudem dem Inhalt
der Ausschlagungserklärung zu, der hier allerdings ausschließlich darin
besteht, die Erbschaft nicht anzunehmen (vgl. Musielak, ZEV 2016, 353,
355 f.). Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung beruhen nicht
auf der Willensentschließung des Ausschlagenden (vgl. BGH, Beschlus s
vom 5. Juni 2008 - V ZB 150/07, NJW 2008, 2442 Rn. 18 zur Grundstücks-
Zwangsversteigerung), sondern ergeben sich aus § 1953 BGB.

dd) Die Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeit im vorliegenden
Fall ist überdies im Interesse der Rechtssicherheit erforderlich, wovon
auch das Beschwerdegericht unter Bezugnahme auf § 1953 Abs. 3 BGB
zutreffend ausgeht. Soweit die Rechtsbeschwerde hiergegen einwendet,
der Anfechtende müsse die gewollte Lenkungswirkung belegen und plausibel
machen und es lasse sich im Erbscheinsverfahren regelmäßig eine
schnelle Klärung der Sachlage herbeiführen (vgl. Keim, ErbR 2022, 978,
979; ders., ErbR 2021, 1012, 1015), verfängt dies nicht. Die erweiterte
Anfechtungsmöglichkeit widerspräche der besonderen Interessenlage bei
der Ausschlagung, den durch den Vonselbsterwerb (§ 1922 Abs. 1 BGB)
herbeigeführten Schwebezustand durch Annahme oder Fristablauf nach
verhältnismäßig kurzer Zeit zu beseitigen. Die denkbaren Beweggründe,
die Veranlassung zu einer Ausschlagungserklärung geben könne n, sind
zudem unüberschaubar (vgl. BeckOK-BGB/Wendtland, § 119 Rn. 37.1
[Stand: 1. Februar 2023]). Es gilt daher, die Anfechtbarkeit wegen eines
Rechtsfolgenirrtums auf die Fälle zu begrenzen, in denen sich - anders als
hier - die Rechtsfolge, auf die sich der Irrtum bezieht, nach der gesetzlichen
Regelung und Systematik unmittelbar aus dem Rechtsgeschäft bzw.
der Willenserklärung ergibt, und hierdurch die Stabilität des Erbschaftserwerbs
zu erzielen (vgl. Schmidt, ErbR 2022, 929, 930 f.).

ee) Die Entstehungsgeschichte des Bürgerlichen Gesetzbuchs und
das Leitbild des historischen Gesetzgebers bestätigen den strengen Umgang
mit der Anerkennung von Ausschlagungsanfechtungen und die Verantwortung
des Ausschlagenden, sich vor Abgabe der Erklärung über die
Umstände des Erbfalls rechtlich und tatsächlich kundig zu machen. So besagen
die Motive, dass eine allgemeine Anfechtung der Ausschlagungserklärung
wegen Irrtums nicht zugelassen sei. Dem Irrtum des Ausschlagenden,
welcher sich immer nur als ein Irrtum in den Motiven darstellen
werde, einen besonderen Einfluss beizumessen, werde sich nicht rechtfertigen
lassen (vgl. zu §§ 2040, 2041 BGB-E Mugdan, Die gesamten
Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band V
S. 272; vgl. auch Wendt, ErbR 2021, 562, 566). Nach allgemeinen Grund-
sätzen bleibe es Sache des Ausschlagenden, sich vor seiner Entscheidung
die vollständige Kenntnis von den letztwilligen Verfügungen des Erblassers
zu verschaffen. Ihm könne nicht gestattet werden, weil er seine
Lage wegen ihm unbekannt gebliebener letztwilliger Verfügungen des Erblassers
verkannt habe, nachträglich die Rechte derjenigen, an welche in
Folge seiner Ausschlagung ein Anfall erfolgt sei, in Frage zu stellen (vgl.
zu §§ 2040, 2041 BGB-E Mugdan aaO S. 273).

ff) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde folgt ein anderes
Verständnis nicht daraus, dass der Senat in seinen Entscheidungen vom
5. Juli 2006 (IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210) zu § 2306 Abs. 1 BGB in der
bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung und vom 29. Juni 2016
(IV ZR 387/15, ZEV 2016, 574) zu § 2306 Abs. 1 BGB in der derzeit geltenden
Fassung einem die Erbschaft annehmenden Erben ein Anfechtungsrecht
zugestanden hat, weil der Erbe nicht gewusst hatte, dass er
das Pflichtteilsrecht im Falle der Ausschlagung nicht verliert (ebenso KG
ZEV 2020, 152 Rn. 30). Unmittelbare und wesentliche Wirkung der Erklärung
einer Annahme der Erbschaft ist danach, dass der Erbe die ihm zugedachte
Rechtsstellung einnimmt und er das von § 2306 Abs. 1 BGB eröffnete
Wahlrecht verliert, sich für den möglicherweise dem Werte nach
günstigeren Pflichtteilsanspruch zu entscheiden. Dieser Verlust des
Pflichtteilsrechts als Rechtsfolge der Erbschaftsannahme ist zwingende
Folge des Einrückens in die Erbenstellung durch die Annahme der Erbschaft
(Senatsurteil vom 29. Juni 2016 aaO Rn. 21; Senatsbeschluss vom
5. Juli 2006 aaO Rn. 22).

Mit einem Irrtum über das pflichtteilsrechtliche Wahlrecht ist der vorliegende
Fall des Irrtums über die nach Ausschlagung nächstb erufene
Person nicht vergleichbar. Das Wahlrecht und die Entstehung des Pflichtteilsrechts
sind in § 2306 Abs. 1 BGB zwingend und unmittelbar mit der
Ausschlagungserklärung verknüpft. Dass die Pflichtteilsberechtigung daneben
auch deren Feststellung in Person des Ausschlagenden nach
§ 2303 BGB sowie die Zuwendung eines beschwerten oder beschränkten
Erbteils gemäß § 2306 Abs. 1 BGB voraussetzt (vgl. Keim, ZEV 2020, 393,
400), ändert an dieser Verknüpfung nichts. Die zur Bestimmung des
Nächstberufenen heranzuziehenden Regelungen der gesetzlichen oder
gewillkürten Erbfolge stellen dagegen keine unmittelbare Rechtsfolge der
Ausschlagung dar. Im Übrigen betreffen die Rechtsfolgen der §§ 2303,
2306 Abs. 1 BGB die Person des Ausschlagenden selbst, während die
Weiterleitung an den Nächstberufenen eine Rechtsfolge betrifft, die allein
in dessen Person eintritt und damit den Ausschlagenden nicht berührt. Die
Zulassung der Anfechtung bei einem Irrtum über das pflichtteilsrechtliche
Wahlrecht und die Nichtzulassung bei einem Irrtum über die nach Ausschlagung
nächstberufene Person erscheinen schließlich auch aufgrund
der Erwägungen des historischen Gesetzgebers gerechtfertigt, wonach
- anders als nach dem Grundsatz, dass eine Anfechtung der Ausschlagungserklärung
wegen Irrtums nicht zuzulassen sei - für den Pflichtteils-
berechtigten hiervon abgewichen werden müsse (vgl. zu §§ 2040, 2041
BGB-E Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch
für das Deutsche Reich, Band V S. 272, 273; dazu Wendt, ErbR 2021,
562, 566).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

22.03.2023

Aktenzeichen:

IV ZB 12/22

Rechtsgebiete:

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge
Gesetzliche Erbfolge
Pflichtteil
Erbengemeinschaft, Erbauseinandersetzung

Normen in Titel:

BGB §§ 119 Abs. 1 Var. 1, 1953