BGH 06. Oktober 2022
VII ZR 895/21
BGB §§ 130, 145, 147 Abs. 2

Zugang von E-Mails im unternehmerischen Geschäftsverkehr

letzte Aktualisierung: 21.12.2022
BGH, Urt. v. 6.10.2022 – VII ZR 895/21

BGB §§ 130, 145, 147 Abs. 2
Zugang von E-Mails im unternehmerischen Geschäftsverkehr

Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten
auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger
grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur
Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

I.
Das Berufungsgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen
aus, das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass zwischen
den Parteien ein Vergleich nach § 779 BGB zustande gekommen sei mit
der Folge, dass darüberhinausgehende Forderungen der Klägerin gegenüber der
Beklagten erlassen worden seien. Jedenfalls in der E-Mail der Klägerin vom
14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, habe ein das vorgehende Angebot der Beklagten
abänderndes Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Vergleichs im Sinne des
§ 150 Abs. 2 BGB gelegen, welches die Beklagte durch die Anweisung des darin
geforderten Betrags, also der Hauptforderung und der Rechtsanwaltskosten, am
21. Dezember 2018 konkludent angenommen habe. Die Klägerin habe ein entsprechendes
Angebot in der E-Mail vom 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, mit der
nachfolgenden E-Mail vom 14. Dezember 2018, 9:56 Uhr, weder wirksam angefochten
noch wirksam widerrufen beziehungsweise zurückgenommen. Das Gericht
schließe sich der herrschenden Meinung an, wonach eine E-Mail im geschäftlichen
Verkehr dann dem Empfänger zugehe, wenn sie abrufbereit in seinem
elektronischen Postfach eingegangen sei. Insoweit sei bei Geschäftsleuten
und Behörden während der üblichen Geschäfts- beziehungsweise Bürozeiten mit
der Kenntnisnahme (Zugang) unmittelbar nach Eingang der Nachricht in den
elektronischen Briefkasten zu rechnen. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme
durch den Empfänger komme es dabei nicht an. Sei davon auszugehen, dass
das Vergleichsangebot der Klägerin mit der E-Mail um 9:19 Uhr bereits im Sinne
des § 130 BGB zugegangen sei, könne die um 9:56 Uhr eingegangene E-Mail
keinen wirksamen Widerruf mehr darstellen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin habe die Beklagte deren Angebot auch
rechtzeitig angenommen. Gemäß § 147 Abs. 2 BGB könnten Anträge unter Abwesenden
bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in dem der Eingang der
Antwort unter regelmäßigen Umständen zu erwarten sei. Diese Frist setze sich
zusammen aus der Zeit für die Übermittlung des Antrags an den Empfänger, dessen
Bearbeitungs- und Überlegungszeit sowie aus der Zeit für die Übermittlung
der Antwort an den Antragenden. Die Klägerin gehe selbst davon aus, dass die
übliche Frist für die Annahme eines Angebots zwei bis drei Wochen betrage. Dem
stimme das Gericht auch für den vorliegenden Fall zu. Der Umstand, dass die
Annahme der Beklagten zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem sie aufgrund der
zweiten E-Mail der Klägerin vom 14. Dezember 2018 bereits Kenntnis davon gehabt
habe, dass die Klägerin ihrerseits an dem Vergleichsangebot nicht habe
festhalten wollen, könne - auch unter Berücksichtigung von Treu und Glauben -
weder an der Annahmefrist noch an der Wirksamkeit der Annahme etwas ändern.

II.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsurteil sei entgegen der
Vorschrift des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht mit Gründen versehen.
Nach dieser Vorschrift bedarf das Berufungsurteil zwar keines Tatbestandes.
An dessen Stelle muss es jedoch die Bezugnahme auf die tatsächlichen
Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen
oder Ergänzungen enthalten (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Mangelt es daran,
fehlt dem Berufungsurteil die für die revisionsrechtliche Nachprüfung nach
§§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurteilungsgrundlage (BGH, Urteil
vom 26. März 2019 - VI ZR 171/18 Rn. 5, NJW 2019, 1885; Urteil vom
11. Oktober 2012 - VII ZR 10/11 Rn. 6, BauR 2013, 117 = NZBau 2012, 783;
Urteil vom 11. Januar 2007 - IX ZR 181/05 Rn. 6, NJW-RR 2007, 781 m.w.N.).
Das Berufungsurteil enthält die nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO erforderlichen
Gründe. Die Bezugnahme des Berufungsgerichts auf den Tatbestand
des angefochtenen Urteils hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien
in erster Instanz beschränkt sich entgegen der Auffassung der Revision
nicht auf das streitige Vorbringen der Parteien, sondern auch auf den vom Landgericht
als unstreitig festgestellten Sachverhalt. Diesen Feststellungen des Landgerichts
liegt ebenfalls das wechselseitige Vorbringen der Parteien zugrunde, so
dass kein Grund ersichtlich ist, die Bezugnahme auf die Feststellungen des Landgerichts
zu dem jeweiligen Parteivorbringen erster Instanz dahin zu verstehen,
dass nur auf den streitig gebliebenen Vortrag der Parteien verwiesen wird. Das
Landgericht hat den Streitgegenstand der Klage dahin festgestellt, dass die Klägerin
einen restlichen Werklohnanspruch aus einem am 19. August 2016 geschlossenen
Vertrag über die Erbringung von Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten
am Bauvorhaben M. in B.
geltend macht. Dadurch wird der streitgegenständliche Anspruch hinreichend
konkretisiert.

2. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Klägerin der
mit der Klage geltend gemachte Restwerklohnanspruch nicht zusteht. Mit der von
der Beklagten am 21. Dezember 2018 bewirkten Zahlung in Höhe von insgesamt
15.376,58 ist zwischen den Parteien ein Vergleich
des Inhalts wirksam zustande gekommen, dass damit weitere Forderungen der
Klägerin aus dem Vertrag der Parteien vom 19. August 2016 erloschen sind.
Die Klägerin hat der Beklagten mit E-Mail ihrer anwaltlichen Vertreter vom
14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, wovon das Berufungsgericht in revisionsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise ausgegangen ist, ein wirksames Angebot auf
Abschluss eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB mit dem Inhalt unterbreitet,
dass weitere Forderungen nicht erhoben würden, wenn die Beklagte einen rest-
Beklagte
hat dieses Angebot durch die von ihr am 21. Dezember 2018 zur Anweia)
Die Klägerin war an das mit E-Mail ihrer anwaltlichen Vertreter vom
14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, unterbreitete Angebot gemäß § 145 BGB gebunden,
als dieses von der Beklagten mit der am 21. Dezember 2018 bewirkten Zahlung
stillschweigend angenommen worden ist. Danach ist derjenige, der einem
anderen die Schließung eines Vertrags anträgt, an den Antrag gebunden, es sei
denn, dass er die Gebundenheit ausgeschlossen hat. Für letzteres ist nichts ersichtlich.
Die Klägerin macht nicht geltend, dass der Antrag auf Abschluss des
Vergleichs ohne Rechtsbindungswillen erfolgt ist.

aa) Das Angebot der Klägerin mit E-Mail vom 14. Dezember 2018,
9:19 Uhr, auf Abschluss eines Vergleichs ist der Beklagten zu diesem Zeitpunkt
gemäß § 130 Abs. 1 BGB wirksam zugegangen. Eine Willenserklärung, die einem
anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit
abgegeben wird, gemäß § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem
sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig
ein Widerruf zugeht. Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden
setzt voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser
unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung
Kenntnis zu nehmen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Februar 2019
- IX ZR 181/17 Rn. 11, NJW 2019, 1151; Urteil vom 8. Januar 2014 - IV ZR 206/13
Rn. 8, NJW 2014, 1010; Beschluss vom 21. Juni 2011 - II ZB 15/10 Rn. 15,
NJW-RR 2011, 1184). Wann eine E-Mail als zugegangen gilt, ist in der Rechtsprechung
noch nicht abschließend geklärt.

(1) Zum Teil wird angenommen, dass eine E-Mail dem Empfänger unmittelbar
in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen
Postfach eingegangen ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 15. März 2012
- Verg 2/12, NZBau 2012, 460, juris Rn. 50; LG Hamburg, Urteil vom 7. Juli 2009
- 312 O 142/09, MMR 2010, 654, juris Rn. 19; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81.
Aufl., § 130 Rn. 7a; Bierekoven in Auer-Reinsdorff/Conrad, Handbuch IT- und
Datenschutzrecht, 3. Aufl., § 26 E-Commerce und Fernabsatzrecht Rn. 24; Holzbach/
Süßenberger in Moritz/Dreier, Rechts-Handbuch zum E-Commerce,
2. Aufl., Abschnitt C Rn. 169; Hoeren/Sieber/Holznagel/Kitz, Handbuch Multimedia-
Recht, Teil 13.1 Rn. 101; MünchKommBGB/Einsele, 9. Aufl., § 130 Rn. 18 f.;
Wertenbruch, JuS 2020, 481, 485; Herwig, MMR 2001, 145, 146; Taupitz/Kritter,
JuS 1999, 839, 842; Heun, CR 1994, 595, 598). Eine Ausnahme soll für den Fall
gelten, dass die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten
eingeht; in diesem Fall liege der Zugang der Erklärung am Folgetag (vgl. OLG
Düsseldorf, Urteil vom 19. Juli 2011 - 24 U 186/10, juris Rn. 33 ff.; AG Meldorf,
Urteil vom 29. März 2011 - 81 C 1601/10, NJW 2011, 2890, juris Rn. 20 ff.;
Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 130 Rn. 7a; Bierekoven in Auer-Reinsdorff/
Conrad, Handbuch IT- und Datenschutzrecht, 3. Aufl., § 26 E-Commerce
und Fernabsatzrecht Rn. 24; Holzbach/Süßenberger in Moritz/Dreier, Rechts-
Handbuch zum E-Commerce, 2. Aufl., Abschnitt C Rn. 169; Ultsch, NJW 1997,
3007, 3008).

(2) Nach anderer Ansicht geht eine E-Mail dem Empfänger, wenn ein Abruf
im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann, an dem Tag zu, an dem sie
abrufbereit im Postfach liegt. Maßgeblich ist danach, wann der Absender mit einer
Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen
kann. Insoweit wird angenommen, dass ein Abruf der E-Mails spätestens bis zum
Ende der Geschäftszeit zu erwarten ist (vgl. Härting, Internetrecht, 6. Aufl.
Rn. 681; Köhler/Fetzer, Recht des Internet, 8. Aufl. Rn. 181; Redeker, IT-Recht,
7. Aufl. Rn. 926; Thalmair, NJW 2011, 14, 16; Ultsch, NJW 1997, 3007, 3008;
Krüger/Bütter, WM 2001, 221, 228; Glatt, ZUM 2001, 390, 394; BeckOGK
BGB/Gomille, Stand: 1. September 2022 § 130 Rn. 75; LG Nürnberg-Fürth, Urteil
vom 7. Mai 2002 - 2HK O 9434/01, NJW-RR 2002, 1721, juris Rn. 35).

(3) Der Streitfall gibt keinen Anlass, die Rechtsfrage umfassend zu entscheiden.
Jedenfalls für den nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts
gegebenen Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr
innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des
Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie dem Empfänger
grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in
den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen
zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und
zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.
Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte
Mailserver ist jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung
der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck
bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von
E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen
in elektronischer Form zugehen können. Elektronische Willenserklärungen
in Form von E-Mails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver
des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser wird
über den Eingang der E-Mail unterrichtet. In diesem Zeitpunkt ist der Empfänger
in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen
zu lassen (vgl. zum technischen Ablauf: Härting, Internetrecht, 6. Aufl., Rn. 671;
Redeker, IT-Recht, 7. Aufl. Rn. 925; Krüger/Bütter, WM 2001, 221, 227).

bb) Der mit E-Mail der Klägerin vom 14. Dezember 2018, 9:56 Uhr, erklärte
Widerruf des Vergleichsangebots war verspätet. Da das Vergleichsangebot der
Klägerin der Beklagten am 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, und damit innerhalb
üblicher Geschäftszeiten wirksam zugegangen war, konnte die Klägerin dieses
um 9:56 Uhr nicht mehr gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB wirksam widerrufen.
b) Die mit der am 21. Dezember 2018 geleisteten Zahlung in Höhe von
15.376,58 konkludente Annahme des Angebots seitens der Beklagten
ist rechtzeitig gewesen. Eine Annahmefrist im Sinne des § 148 BGB ist von der
Klägerin unstreitig nicht bestimmt worden. Gemäß § 147 Abs. 2 BGB kann der
einem Abwesenden gemachte Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen
werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen
Umständen erwarten darf. Das Berufungsgericht hat angenommen, nach
den gegebenen Umständen sei mit einer Antwort der Beklagten binnen einer Frist
von zwei Wochen zu rechnen gewesen. Diese sei durch die binnen sieben Tagen
erfolgte Zahlung der Beklagten, der ein Annahmewille zu entnehmen sei, gewahrt
worden. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird auch von der Revision
nicht angegriffen.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

06.10.2022

Aktenzeichen:

VII ZR 895/21

Rechtsgebiete:

Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 130, 145, 147 Abs. 2