BGH 01. Juli 2022
V ZR 23/21
NachbarG Bln § 16a Abs. 1

Anspruch auf Duldung einer grenzüberschreitenden Wärmedämmung

letzte Aktualisierung: 31.8.2022
BGH, Urt. v. 1.7.2022 – V ZR 23/21

NachbarG Bln § 16a Abs. 1
Anspruch auf Duldung einer grenzüberschreitenden Wärmedämmung

a) Der gegen den Nachbarn gerichtete Anspruch des Grundstückseigentümers aus § 16a NachbarG
Bln auf Duldung einer grenzüberschreitenden Wärmedämmung hat einzig zur Voraussetzung, dass
die Überbauung zum Zwecke der Dämmung eines bereits bestehenden, an der Grundstücksgrenze
errichteten Gebäudes erfolgt. Einschränkungen des Duldungsanspruchs, wie sie die
Nachbarrechtsgesetze anderer Bundesländer enthalten, können der Regelung nicht unter Rückgriff
auf „allgemeine Rechtsgrundsätze“ oder im Wege der verfassungskonformen Auslegung
entnommen werden.
b) Zur materiellen Verfassungsmäßigkeit von § 16a NachbarG Bln.

Entscheidungsgründe:

I.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in WuM 2021, 382 veröffentlicht
ist, meint, die Beklagte sei nach § 16a NachbarG Bln verpflichtet, das
Anbringen der Wärmedämmung an der grenzständigen Giebelwand des klägerischen
Gebäudes zu dulden. Die Norm sei formell verfassungsgemäß, denn dem
Land habe im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung die Gesetzgebungskompetenz
zu ihrem Erlass zugestanden. Die Regelung sei auch materiell verfassungsgemäß.
Sie begünstige nicht einseitig die Interessen des dämmenden
Eigentümers, sondern sei vor dem Hintergrund der allgemein anerkannten Notwendigkeit
der Steigerung der Energieeffizienz und der Senkung des Energiebedarfs
zu sehen. Der Landesgesetzgeber habe bewusst auf unbestimmte Rechtsbegriffe
verzichtet. Zwar sehe die Vorschrift keine Einschränkungen der Duldungspflicht
vor; diese folgten aber aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen. So
müsse der dämmende Eigentümer den Grundsatz von Treu und Glauben berücksichtigen
und die Eigentumsrechte des Nachbarn wahren. Dessen Duldungspflicht
entfalle deshalb, wenn eine Innendämmung eine adäquate Alternative darstelle.
Ausdrücklich geregelt sei zudem das Recht des Nachbarn, die Beseitigung
des Überbaus zu verlangen, wenn und soweit er selbst zulässigerweise an die
Grenzwand anbauen wolle. Auch werde dem dämmenden Eigentümer die Unterhaltungspflicht
für den Wärmeschutzüberbau auferlegt. Die Verweisung auf § 17
Abs. 3 NachbarG Bln stelle die zügige und schonende Ausübung des Überbaurechts
sicher, die Verweisung auf § 912 Abs. 2 BGB die Entschädigungspflicht.
Die materiellen Voraussetzungen von § 16a NachbarG Bln lägen hier vor. Bei der
Wand handele es sich um eine Grenzwand, und das Gebäude stehe bereits seit
mehr als 100 Jahren. Eine Innendämmung stelle nach dem Ergebnis der durchgeführten
Beweisaufnahme keine adäquate Alternative zum Anbringen einer
Außendämmung dar. Der Anspruch auf Duldung des hängenden Gerüsts für die
Dauer der Arbeiten und des Betretens des Dachs zu deren Durchführung folge
aus § 17 Abs. 1 und 2 NachbarG Bln.

II.
Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 16a
NachbarG Bln auf Duldung der Überbauung ihres Grundstücks zum Zwecke der
Wärmedämmung der grenzständigen Giebelwand des klägerischen Gebäudes.

a) Nach § 16a Abs. 1 NachbarG Bln in der Fassung vom 17. Dezember
2009 (Wärmeschutzüberbau der Grenzwand) hat der Eigentümer eines Grundstücks
die Überbauung seines Grundstücks für Zwecke der Wärmedämmung zu
dulden, wenn das zu dämmende Gebäude auf dem Nachbargrundstück bereits
besteht.

b) Das Berufungsgericht geht im Ergebnis zutreffend davon aus, dass die
Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm vorliegen. Die Klägerin beabsichtigt,
ein bereits bestehendes, an der Grundstücksgrenze errichtetes Gebäude (vgl. zu
dem Begriff der Grenzwand Senat, Urteil vom 12. November 2021 - V ZR 25/21,
ZfIR 2022, 229 Rn. 16) zu dämmen und für die Zwecke der Wärmedämmung auf
das Grundstück der Beklagten zu überbauen. Weitere Voraussetzungen hat der
Duldungsanspruch nach dem Wortlaut von § 16a Abs. 1 NachbarG Bln nicht.

2. Es ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht
die Verfassungsmäßigkeit von § 16a NachbarG Bln bejaht und seine Entscheidung
auf diese Norm gestützt hat. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht
gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, die nunmehr durch den Senat erfolgen
müsste, ist nicht veranlasst.

a) Gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit von § 16a NachbarG Bln bestehen
keine Bedenken, insbesondere ist die Gesetzgebungskompetenz des
Landes Berlin gegeben. Wie der Senat inzwischen in einem zu § 23a NachbarG
NW ergangenen Urteil entschieden hat, sind Regelungen, die den Grundstückseigentümer
zur Duldung einer nachträglichen grenzüberschreitenden Wärmedämmung
des Nachbargebäudes verpflichten, aufgrund des Vorbehalts in
Art. 124 EGBGB von der Gesetzgebungskompetenz der Länder umfasst. Auf die
dortige Begründung, die auf § 16a NachbarG Bln übertragbar ist, wird verwiesen
(Senat, Urteil vom 12. November 2021 - V ZR 115/20, NZM 2022, 149 Rn. 18 ff.).
b) Der Senat hat allerdings Zweifel an der materiellen Verfassungsmäßigkeit
von § 16a NachbarG, namentlich an der Vereinbarkeit der Norm mit Art. 14
Abs. 1 GG.

aa) Bei dem Recht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG handelt es sich
um ein normgeprägtes Grundrecht. Die konkrete Reichweite des Schutzes durch
die Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und
Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers
ist (vgl. BVerfGE 143, 246 Rn. 218 mwN). Dabei hat er sowohl der
grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1
GG als auch der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) Rechnung
zu tragen. Das Wohl der Allgemeinheit, an dem sich der Gesetzgeber hierbei zu
orientieren hat, ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die Beschränkung
der Eigentümerbefugnisse. Der Gesetzgeber hat die schutzwürdigen Interessen
des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich
und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen und sich dabei im Einklang
mit allen anderen Verfassungsnormen zu halten. Insbesondere muss jede Inhalts-
und Schrankenbestimmung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten
(vgl. BVerfGE 143, 246 Rn. 268 mwN).

Dies gilt auch für die gesetzliche Regelung von Rechtsverhältnissen zwischen
zwei privaten Grundrechtsträgern. So hat das Bundesverfassungsgericht
etwa zum Wohnraummietrecht entschieden, dass es Aufgabe des Gesetzgebers
ist, die Befugnisse von Mieter und Vermieter zuzuordnen und abzugrenzen. Er
muss die schutzwürdigen Interessen beider Seiten berücksichtigen und in ein
ausgewogenes Verhältnis bringen und hat dabei mehrere Gesichtspunkte zu beachten.
Er muss den Vorgaben Rechnung tragen, die sich einerseits aus der
grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1
Satz 1 GG und andererseits aus der verbindlichen Richtschnur des Art. 14
Abs. 2 GG ergeben, und berücksichtigen, dass sich Vermieter und Mieter gleichermaßen
auf das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berufen können
(BVerfG, NJW 2011, 1723 Rn. 29 mwN).

bb) Dem Senat erscheint zweifelhaft, ob der Berliner Landesgesetzgeber
diesen Anforderungen bei der Ausgestaltung von § 16a NachbarG Bln gerecht
geworden ist, insbesondere ob er die grundrechtlich geschützten Interessen des
von dem Überbau betroffenen Nachbarn ausreichend berücksichtigt hat. Denn
die Norm sieht - anders als entsprechende Regelungen anderer Länder - keine
Einschränkungen oder Ausnahmen von der Duldungspflicht vor (vgl. schon
Senat, Urteil vom 2. Juni 2017 - V ZR 196/16, NZM 2017, 855 Rn. 8; siehe auch
MüKoBGB/Brückner, 8. Aufl., § 912 Rn. 49: dürfte unverhältnismäßig sein ). Der
Anspruch des Grundstückseigentümers aus § 16a NachbarG BIn auf Duldung
einer grenzüberschreitenden Wärmedämmung hat - wie bereits dargelegt - seinem
Wortlaut nach einzig zur Voraussetzung, dass die Überbauung zum Zwecke
der Dämmung eines bereits bestehenden, an der Grundstücksgrenze errichteten
Gebäudes erfolgt.

(1) Damit unterscheidet sich die durch den Gesetzgeber für Berlin getroffene
Regelung von den durchweg ausführlicheren Regelungen anderer Bundesländer,
die die Duldungspflicht teils an weitere Voraussetzungen knüpfen,
teils in bestimmten Fällen einschränken.

(a) So sehen die Regelungen in nahezu allen anderen Ländern vor, dass
der Überbau die Benutzung oder (zulässige) beabsichtigte Benutzung des
Grundstücks des Nachbarn nicht oder nur geringfügig beeinträchtigen darf (§ 7c
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NRG BW; Art. 46a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayAGBGB; § 19a
Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 BbgNRG; § 74a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HBO; § 10a Abs. 1 Nr. 3b
NachbarG HE; § 21a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NNachbG; § 23a Abs. 1 Satz 1
NachbarG NW; § 19a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3c NachbarG SL; § 15 Abs. 1 Nr. 3
NachbarG SH; § 14a Abs. 1 Nr. 3 ThürNRG). Dies wird teilweise dahingehend
konkretisiert, dass die Überbauung in der Tiefe ein bestimmtes Maß nicht überschreiten
darf, das zumeist 25 cm (§ 7c Abs. 1 Satz 2 NRG BW; § 19a Abs. 1
Nr. 3 Satz 2 BbgNRG; § 21a Abs. 1 Satz 1 NNachbG; § 23a Abs. 1 Satz 2
NachbarG NW; § 19a Abs. 1 Satz 2 NachbarG SL; § 15 Abs. 2 Satz 1 NachbarG
SH; § 14a Abs. 1 Satz 2 ThürNRG), teils aber auch nur 20 cm beträgt (§ 74a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HBO). Ergänzend wird teilweise bestimmt, dass der Nachbar
die Überbauung nur zu dulden hat, wenn die Wärmedämmung über die Bauteile-
anforderungen in der Energieeinsparverordnung in der jeweils geltenden Fassung
nicht hinausgeht (§ 10a NachbarG HE, § 23a Abs. 1 Satz 1 NachbarG NW
und § 19a NachbarG SL).

(b) In der Mehrzahl der anderen Länder ist der Überbau nur zu dulden,
wenn eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere Weise (als durch Außendämmung)
mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann (Art. 46a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayAGBGB; § 19a Abs. 1 Nr. 2 BbgNRG; § 74a Abs. 1 Satz 1
Nr. 4 HBO; § 10a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NachbarG HE; § 21a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
NNachbG; § 23a Abs. 1 Satz 1 NachbarG NW; § 19a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
NachbarG SL; § 15 Abs. 2 Satz 1 NachbarG SH; § 14a Abs. 1 Nr. 3 ThürNRG).

(c) Die meisten landesrechtlichen Regelungen sehen vor, dass die für die
Wärmedämmung verwendeten Bauteile nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften
zulässig oder zugelassen sein müssen (§ 7c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NRG BW,
Art. 24a Abs. 1 BremAGBGB; § 14a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ThürNRG und § 19a
Abs. 1 Nr. 1 BbgNRG; § 74a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HBO) bzw. öffentlich-rechtlichen
Vorschriften nicht widersprechen dürfen (Art. 46a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayAGBGB;
§ 21a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NNachbG; § 15 Abs. 1 Nr. 2 NachbG SH).

(2) Mit diesen Voraussetzungen soll nach den Vorstellungen der jeweiligen
Landesgesetzgeber eine ausgewogene und verhältnismäßige Regelung erreicht
werden. So heißt es etwa in der Begründung des Entwurfs zu § 10a NachbarG
HE (LT-Drs. 18/855 S. 5 f.):

Mit der neuen
Grundstückseigentümers oder Nutzungsberechtigten von übergreifenden
Bauteilen des Nachbargrundstücks, die der Wärmedämmung
dienen, eingeführt. Dies bedeutet zwar einen Eingriff in das
Eigentumsrecht des in Anspruch genommenen Nachbarn. Die Dulmuss
gewährleistet sein, dass das Grundstück des betroffenen
Nachbarn nicht über Gebühr in Anspruch genommen wird. Einerseits
darf der Bauherr nur eine solche Wärmedämmung anbringen,
die dem energetischen Standard für die Änderung oder Erweiterung
von Bestandsbauten entspricht. Weitergehende und aufwendigere
Dämmmaßnahmen, die über den Mindeststandard der Energieeinsparverordnung
in der jeweils geltenden Fassung hinausgehen und
möglicherweise eine stärkere Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks
zur Folge hätten, hat der betroffene Nachbar, dessen in
Art. 14 des Grundgesetzes geschütztes Eigentumsrecht berührt ist,
nicht zu dulden. Andererseits soll der Nachbar den Bauherrn nur
dann auf eine andere Art der Wärmedämmung verweisen können,
wenn diese mit der vorgesehenen Ausführung vergleichbar ist und
mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden kann. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass insbesondere die Anbringung einer Innendämmung
je nach Gebäude und gerade bei Vorliegen von
Wasser-, Abwasser- und sonstigen Versorgungsleitungen im Bereich
der Außenwand nur mit einem ganz erheblichen Aufwand
oder gar nicht möglich und auch bauphysikalisch wegen kaum zu
beseitigender Wärmebrücken nicht in jedem Fall sinnvoll ist. Auch
ist es in der Regel nicht sachgerecht, den Bauherren auf den Einsatz
von extrem dünnen Hochleistungs-Dämmstoffen zu verweisen.
Diese sind zum einen sehr teuer und damit nicht wirtschaftlich, zum
anderen
hin darf die Nutzung des betroffenen Grundstücks nicht oder nur
geringfügig beeinträchtigt werden. Eine nur geringfügige Beeinträchtigung
wird in der Regel dann nicht mehr vorliegen, wenn der
Nachbar seinerseits nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften bis
zur gemeinsamen Grundstücksgrenze bauen darf. Eine Duldungspflicht
kommt daher grundsätzlich nur bei der einseitigen Grenzwand
in Betracht. Ob etwa bei versetzten Gebäuden (zum Beispiel
bei versetzt gebauten Reihenhäusern) oder bei unterschiedlichen
Gebäudehöhen eine andere Betrachtung geboten ist, muss der
konkreten Abwägung der beiderseitigen Interessen und geschützten
Rechtsgüter im Einzelfall vorbehalten bleiben. Ferner dürfen die
übergreifenden Bauteile öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht widersprechen.
Dies gilt nicht nur für das übergreifende Bauteil selbst,
sondern auch für seine Befestigung bzw. Anbringung.

Ähnliche Ausführungen finden sich in den Gesetzesbegründungen anderer
Länder (vgl. etwa in Brandenburg, LT-Drs. 5/8050 S. 3 f.; in Niedersachsen,
LT-Drs. 17/1259 S. 5; in Nordrhein-Westfalen, LT-Drs. 15/853 S. 8 f.; im
Saarland, LT-Drs. 15/1214 S. 82; in Schleswig-Holstein, LT-Umdruck 19/6067
S. 5 f.; und in Thüringen, LT-Drs. 6/1173 S. 9 f.).

(3) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner die Überbauung im Luftraum
gemäß § 7b NRG BW betreffenden Kammerentscheidung die materielle
Verfassungsmäßigkeit dieser Norm im Hinblick auf die differenzierten Vorgaben
zur Duldungspflicht des Nachbarn in dieser Vorschrift und vor allem auch zu deren
inhaltlicher und zeitlicher Begrenzung (solange die Benutzung seines Grundstücks
nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird) bejaht (BVerfG, ZfIR 2008,
108 Rn. 54). Ebenso hat der Senat die Regelung in § 23a NachbarG NW schon
deshalb als verhältnismäßig angesehen, weil die Duldungspflicht hinsichtlich des
Überbaus danach nur besteht, wenn eine vergleichbare Wärmedämmung auf andere
Weise mit vertretbarem Aufwand nicht vorgenommen werden kann, die
Überbauung die Benutzung des Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen
darf und ein finanzieller Ausgleich nach Maßgabe von § 23a Abs. 5
NachbarG NW erfolgen muss (Senat, Urteil vom 12. November 2021
- V ZR 115/20, NZM 2022, 149 Rn. 29).

(4) Der gegen den Nachbarn gerichtete Anspruch des Grundstückseigentümers
aus § 16a NachbarG Bln auf Duldung einer grenzüberschreitenden Wärmedämmung
hat einzig zur Voraussetzung, dass die Überbauung zum Zwecke
der Dämmung eines bereits bestehenden, an der Grundstücksgrenze errichteten
Gebäudes erfolgt. Einschränkungen des Duldungsanspruchs, wie sie die Nachbarrechtsgesetze
anderer Bundesländer enthalten, können der Regelung nicht
unter Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze oder im Wege der verfassungskonformen
Auslegung entnommen werden. Deshalb kam es hier nicht auf
die Frage - zu der das Berufungsgericht Beweis erhoben hat - an, ob die Klägerin
die Dämmung ihres Gebäudes auf andere, die Rechte der Beklagten nicht tangierende
Weise, hätte erreichen können.

(a) Die Grenzen verfassungskonformer Auslegung ergeben sich grundsätzlich
aus dem ordnungsgemäßen Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden.
Eine Norm ist nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine
nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung
vereinbare Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte,
der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung und deren
Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsmäßigen
Ergebnis führt, so ist diese geboten. Die Möglichkeit einer verfassungskonformen
Auslegung endet allerdings dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem
klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch träte. Anderenfalls
könnten die Gerichte der rechtspolitischen Entscheidung des demokratisch legitimierten
Gesetzgebers vorgreifen oder diese unterlaufen. Das Ergebnis einer
verfassungskonformen Auslegung muss demnach nicht nur vom Wortlaut des
Gesetzes gedeckt sein, sondern auch die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers
wahren. Das gesetzgeberische Ziel darf nicht in einem wesentlichen Punkt
verfehlt oder verfälscht werden (zum Ganzen BVerfGE 138, 64 Rn. 86). Diese
Vorgaben gelten uneingeschränkt auch dann, wenn sich ein Fachgericht mit der
Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung bei Prüfung der Voraussetzungen
eines Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG auseinandersetzen
muss (BVerfGE 138, 64 Rn. 87).

(b) Nach diesen Maßstäben wäre eine verfassungskonforme Auslegung
von § 16a NachbarG Bln nicht möglich. Denn die Regelung enthält nach ihrem
eindeutigen Wortlaut keine der in den Gesetzen anderer Länder enthaltenen
Voraussetzungen und Einschränkungen der Duldungspflicht des Nachbarn beim
Überbau zu Zwecken der Wärmedämmung, und hierbei handelt es sich um eine
bewusste Entscheidung des Berliner Landesgesetzgebers.
Der ursprüngliche Entwurf (LT-Drs. 16/2594) sah in Anlehnung an § 19
BbgNRG einen Überbau nur im Luftraum über dem Nachbargrundstück vor und
auch dies nur unter bestimmten Voraussetzungen:

§ 15a
Einseitige Grenzwand
Der Eigentümer eines Grundstücks hat Bauteile, die in den Luftraum
seines Grundstücks übergreifen, zu dulden, wenn
1. nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften auf dem Nachbargrundstück
nur bis an die Grenze gebaut werden darf,
2. die übergreifenden Bauteile öffentlich-rechtlich zulässig oder zugelassen
worden sind,
3. sie die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich
beeinträchtigen und
4. sie nicht zur Vergrößerung der Nutzfläche dienen.
Der Berliner Senat gab zu diesem Entwurf eine Stellungnahme ab (abrufbar
unter www.parlament-berlin.de/ados/16/BauWohn/vorgang/bw16-0157-v-stsenat.
pdf), in der es u.a. heißt:

Die Bedingung, dass die Benutzung des anderen (duldungsverpflichteten)
Grundstücks nicht oder nur unwesentlich durch den
Überbau beeinträchtigt werden darf, führt vorhersehbar zu Streit
über die Baumaßnahmen zur energetischen Sanierung von Altbauten.
Der unbestimmte Rechtsbegriff würde erst durch konkretisierende
Rechtsprechung die Konturen erhalten, die den Bauwilligen
die anzustrebende Planungssicherheit verschaffen.

In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bauen und Wohnungen
des Berliner Abgeordnetenhauses (Drs. 16/2817) erhielt der Entwurf von § 16a
NachbarG Bln sodann die Fassung, die schließlich angenommen (PlenProt 16/51
S. 5302) und im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht wurde (GVOBl. 2009
S. 870). Der Landesgesetzgeber hat folglich bewusst davon Abstand genommen,
die Duldungspflicht von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen,
namentlich davon, dass die Benutzung des Nachbargrundstücks durch den Überbau
nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird. Damit scheidet eine (verfassungskonforme)
Auslegung der Vorschrift dahingehend, dass die Duldungspflicht
von weiteren als den im Gesetz genannten Voraussetzungen abhängig ist, aus.
Denn eine solche Auslegung liefe dem erkennbaren gesetzgeberischen Ziel, die
Handhabung der Vorschrift möglichst einfach zu gestalten und nicht durch den
möglichen Streit über weitere Voraussetzungen, insbesondere über unbestimmte
Rechtsbegriffe, zu belasten, zuwider.

(c) Ebenso wenig können entsprechende Voraussetzungen und Einschränkungen
der Duldungspflicht nach § 16a NachbG Bln aus den Regeln des
nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses abgeleitet werden (aA Postier, Das
Nachbarrecht in Berlin, 2. Aufl., § 16a Anm. 2). Diese Regeln betreffen nämlich
lediglich die einzelfallbezogene Anwendung von § 242 BGB, und sie erlauben es
nicht, die nachbarrechtlichen Regelungen in ihr Gegenteil zu verkehren
(st. Rspr., vgl. Senat, Urteil vom 12. November 2021 - V ZR 115/20, NZM 2022,
149 Rn. 21 mwN). Dementsprechend kann die gesetzlich geregelte Duldungspflicht
des Nachbarn hinsichtlich des Überbaus zum Zwecke der Wärmedämmung
nicht unter Anwendung der Regeln des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses
- noch dazu entgegen dem ausdrücklich erklärten Willen des Landesgesetzgebers
- generell von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht oder
allgemein für bestimmte Konstellationen eingeschränkt oder ausgeschlossen
werden.

cc) Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht kommt gleichwohl
nicht in Betracht.

(1) Die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG setzt voraus, dass das Fachgericht
an der Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes
nicht nur zweifelt, sondern - vorbehaltlich einer verfassungskonformen Auslegung
- von der Verfassungswidrigkeit überzeugt ist; hat das Gericht lediglich
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, ist die Vorlage unzulässig
(st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 138, 64 Rn. 82, 84 mwN; vgl. auch Senat, Urteil
vom 12. November 2021 - V ZR 115/20, NZM 2022, 149 Rn. 6).

(2) Nach diesem Maßstab wäre eine Vorlage von § 16a NachbarG Bln
unzulässig. Denn der Senat ist ungeachtet der dargestellten Zweifel, ob der Landesgesetzgeber
seinen von Art. 14 Abs. 1 GG eröffneten Gestaltungsspielraum
eingehalten hat, von der Verfassungswidrigkeit der Norm nicht überzeugt.

(a) Die Regelung in § 16a NachbarG Bln dient dem Ziel, die energetische
Sanierung von bestehenden Gebäuden, insbesondere von Altbauten, zu erleichtern;
die nachträgliche Wärmedämmung einer Grenzwand soll auch in dem Fall
ermöglicht werden, dass sie einen Überbau auf das Nachbargrundstück mit sich
bringt (Drs. 16/2594 S. 2). Die Regelung zielt folglich auf Energieeinsparungen
bei bestehenden Wohngebäuden ab und dient dadurch mittelbar dem Klimaschutz
(so ausdrücklich etwa die Gesetzesbegründungen in Niedersachsen,
LT-Drs. 17/1259 S. 4 und Schleswig-Holstein, LT-Umdruck 19/6067 S. 4). Der
Landesgesetzgeber verfolgt damit ein dem Wohl der Allgemeinheit dienendes
Ziel, dem über das aus Art. 20a GG abgeleitete Klimaschutzgebot Verfassungsrang
zukommt (vgl. hierzu BVerfGE 157, 30).

(b) Der Senat hat keine Zweifel, dass die in § 16a NachbarG BIn getroffene
Regelung zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist. Jedenfalls
durfte der Landesgesetzgeber nach Auffassung des Senats im Rahmen seines
gesetzgeberischen Beurteilungsspielraums - unausgesprochen, aber erkennbar
- davon ausgehen, dass mit der nachträglichen Dämmung von Bestandsgebäuden,
insbesondere bei Altbauten, deren Energieverbrauch gesenkt werden
kann und damit angesichts der derzeit in Deutschland noch vorherrschenden Beheizung
von Wohngebäuden mit fossilen Energieträgern zugleich der für das
Klima schädliche Ausstoß von Kohlendioxid. Auch die Annahme, dass die nachträgliche
Dämmung von Bestandsgebäuden erleichtert wird, wenn bei Grenzwänden
ein Anspruch gegen den Nachbarn auf Duldung des mit der Dämmung verbundenen
Überbaus besteht, hält sich im Rahmen des gesetzgeberischen Beurteilungsspielraums.

(aa) Entgegen der von der Revision in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat vertretenen Auffassung fehlt es § 16a NachbarG BIn nicht deshalb an
der Erforderlichkeit, weil sich das Ziel der Senkung des Energieverbrauchs von
Bestandsgebäuden in manchen Fällen gleichermaßen durch eine Innendämmung
von Grenzwänden, und damit ohne Belastung des Nachbarn, erreichen
ließe. Eine Innendämmung wird - wie die vorliegenden, auf durchgeführter Beweisaufnahme
beruhenden Feststellungen des Berufungsgerichts zeigen - aufgrund
ihrer bauphysikalischen Folgen (Gefahr der Erhöhung des Feuchtegehalts
der Außenwand) nicht immer eine adäquate Alternative zu einer Außendämmung
darstellen. Aber auch dort, wo die Innendämmung technisch adäquat ist, stellt sie
kein gleich geeignetes Mittel zur Erreichung des Zieles einer raschen Dämmung
von Bestandsgebäuden dar. Denn der Grundstückseigentümer kann, wenn die
Wohnungen vermietet sind, die Innendämmung nur mit Zustimmung seiner Mieter
durchführen, die er gegebenenfalls zunächst jeweils gerichtlich erstreiten
muss. Ist das Gebäude in Wohnungseigentum aufgeteilt, stellt sich die Innendämmung
als eine Maßnahme dar, die das Sondereigentum der einzelnen Wohnungseigentümer
betrifft. Selbst wenn eine solche Maßnahme, was hier keiner
Klärung bedarf, durch die Wohnungseigentümer beschlossen werden könnte,
stünde den einzelnen Wohnungseigentümern der Rechtsweg gegen einen solchen
Beschluss offen, was ebenfalls zu einer erheblichen Verzögerung führen
kann. Der Gesetzgeber hält sich daher nach Auffassung des Senats im Rahmen
des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums, wenn er davon ausgeht, dass zu
einer Außendämmung von Bestandsgebäuden keine gleich geeignete, vor allem
keine gleich rasche und für den dämmenden Eigentümer gleich rechtssichere
Alternative besteht.

(bb) Ebenso wenig steht die Geeignetheit der Regelung deshalb in Frage,
weil § 16a NachbarG Bln, anders als die Mehrzahl der in den anderen Bundesländern
getroffenen Regelungen, keine Anforderungen an die technische Eignung
und öffentlich-rechtliche Zulässigkeit der für die Dämmung verwendeten
Materialien der Dämmung vorsieht. Zwar erscheint denkbar, dass ein Grundstückseigentümer,
etwa wegen geringerer Anschaffungskosten, für die Dämmung
nicht zugelassene Materialien verwendet, die im Ergebnis zu einer geringeren
Energieeinsparung führen. Das allein lässt eine Regelung, die die Einhaltung
öffentlich-rechtlicher Vorschriften zur Voraussetzung hat, aber nicht als besser
geeignet erscheinen. Denn Eigentümer werden möglicherweise von der
Dämmung ganz absehen, wenn sie damit rechnen müssen, mit dem Nachbarn
über die verwendeten Materialien streiten zu müssen. Zudem wäre eine solche
Regelung nicht grundrechtsschonender, denn es ist nicht ersichtlich, weshalb die
Eigentumsinteressen des Nachbarn dadurch beeinträchtigt werden, dass der
überbauende Eigentümer für die Dämmung Materialien verwendet, die hierfür
nicht oder noch nicht zugelassen sind.

(c) Fraglich kann daher nur sein, ob die getroffene Regelung im engeren
Sinne verhältnismäßig ist, namentlich ob sie die Interessen des duldungspflichtigen
Nachbarn noch in einer Weise berücksichtigt, dass der gesetzgeberische
Gestaltungsspielraum eingehalten ist. Der Senat hält dies jedenfalls nicht für ausgeschlossen.

(aa) Zwar erscheint bedenklich, dass § 16a NachbarG Bln keine Einschränkungen
des Duldungsanspruchs im Hinblick auf den Umfang der Beeinträchtigung
des Nachbarn und die Zumutbarkeit der Überbauung für diesen
vorsieht und dem Tatrichter somit eine Einzelfallbetrachtung selbst in besonders
gelagerten Ausnahmefällen verwehrt ist. So wäre der Duldungsanspruch etwa
auch dann gegeben, wenn die grenzüberschreitende Dämmung bei engen baulichen
Verhältnissen dazu führte, dass der Platz auf dem Nachbargrundstück
nicht mehr ausreicht, um Mülltonnen oder Fahrräder abzustellen oder über einen
Weg zwischen den Häusern zur Straße zu bringen.

(bb) Die Interessen des von der Überbauung betroffenen Nachbarn werden
aber nicht gänzlich ausgeblendet, sondern zumindest in einem gewissen
Umfang berücksichtigt.

Nach § 16a Abs. 2 NachbarG Bln ist der duldungsverpflichtete Nachbar
im Falle des Wärmeschutzüberbaus berechtigt, die Beseitigung des Überbaus zu
verlangen, wenn und soweit er selbst zulässigerweise an die Grenzwand anbauen
will. Durch diese Regelung wird in einem gewissen Umfang sichergestellt,
dass der duldungspflichtige Nachbar in der Benutzung seines Grundstücks nicht
über Gebühr beeinträchtigt wird. Die Bebauung seines Grundstücks bleibt ihm
als intensivste Form der Grundstücksnutzung ungeachtet des Überbaus uneingeschränkt
möglich. Dem Berufungsgericht ist auch in der Annahme beizutreten,
dass diese Rückbauverpflichtung des überbauenden Eigentümers eine gewisse
selbstregulierende Wirkung entfalten dürfte. Steht nämlich zum Zeitpunkt des
Überbaus bereits fest bzw. hat der Nachbar bereits ankündigt, dass er in naher
Zukunft selbst an die Grenzwand anbauen will, wird sich die Wärmedämmung
aus Sicht des Eigentümers des Bestandsgebäudes in vielen Fällen nicht mehr
als lohnend darstellen, weil sie ohnehin alsbald zurückzubauen wäre und damit
zusätzlich zu den dann nicht amortisierten Kosten der Dämmung noch Kosten für
den Rückbau anfielen.

) Durch § 16a Abs. 3 NachbarG Bln wird dem Begünstigten des Wärmeschutzüberbaus
auferlegt, die Wärmedämmung in einem ordnungsgemäßen und
funktionsgerechten Zustand zu erhalten und die wärmegedämmte Grenzwand zu
unterhalten. Allerdings folgt dies in dem Fall, dass die Wand - wie hier - allein auf
dem Grundstück des dämmenden Eigentümers steht, schon daraus, dass dieser
alleiniger Eigentümer der Wand und der überbauten Dämmung ist. Denn bei einem
- hier nach § 16a Abs. 1 NachbarG Bln - rechtmäßigen oder sonst nach
§ 912 BGB zu duldenden Überbau gehört der überbaute Teil des Bauwerks nicht
dem Eigentümer des überbauten Grundstücks, sondern entsprechend
§ 95 Abs. 1 Satz 2 BGB dem Eigentümer des Stammgrundstücks (vgl. Senat,
Urteil vom 27. März 2015 - V ZR 216/13, BGHZ 204, 364 Rn. 32 mwN).

( ) Nach § 16a Abs. 4 i.V.m. § 17 Abs. 3 NachbarG Bln ist das Recht so
zügig und schonend wie möglich auszuüben und darf nicht zur Unzeit geltend
gemacht werden. Die Duldungspflicht des Nachbarn wird durch diese Regelung
zwar nicht an weitere Voraussetzungen geknüpft, denn sie betrifft allein die
Rechtsfolgenseite der Norm, nämlich die Ausübung des Rechts zur nachträglichen
grenzüberschreitenden Wärmedämmung. Immerhin ist der Nachbar aber
davor geschützt, dass der überbauende Nachbar die Dämmung etwa zur Nachtzeit
anbringt oder die Ausführung der Arbeiten ohne Grund in die Länge zieht.
( ) Von besonderem Gewicht für die Frage der Verhältnismäßigkeit von
§ 16a NachbarG Bln ist schließlich, dass der duldungspflichtige Nachbar für die
Beeinträchtigung der Benutzung seines Grundstücks zu entschädigen ist. Nach
§ 16a Abs. 5 NachbarG BIn findet § 912 Abs. 2 BGB entsprechende Anwendung.
Gemäß Satz 1 dieser Norm ist der Nachbar durch eine Geldrente zu entschädigen.
Für die Höhe der Rente ist nach Satz 2 die Zeit der Grenzüberschreitung
maßgebend. Die Geldrente nach § 912 Abs. 2 BGB hat die Funktion, den Nutzungsverlust
des betroffenen Eigentümers auszugleichen (Senat, Urteil vom
5. Dezember 2003 - V ZR 447/01, NJW 2004, 1798, 1801 mwN). Der Anspruch
auf die Überbaurente besteht selbst dann, wenn die Beeinträchtigung geringfügig
ist, weil die - wenn auch ggf. geringe - Rente auf der Grundlage der überbauten
Fläche und deren Wert zu berechnen ist (vgl. Senat, Urteil vom 12. Oktober 2018
- V ZR 81/18, NZM 2019, 422 Rn. 15).

(d) In der Gesamtschau erscheint es dem Senat durchaus möglich, dass
§ 16a NachbarG Bln insgesamt noch als verhältnismäßig anzusehen ist. Dabei
ist zu berücksichtigen, dass die Regelung aus Sicht des Gesetzgebers nicht allein
das Verhältnis zweier Grundstückseigentümer untereinander betrifft, deren
Individualinteressen zum Ausgleich zu bringen sind. Sie dient vielmehr vor allem
dem Klimaschutz und damit einem anerkannten Gemeinwohlbelang mit Verfassungsrang;
im Interesse künftiger Generationen ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich
sogar verpflichtet, in allen Lebensbereichen Anreize für die Entwicklungen
zu schaffen, die den rechtzeitigen Übergang zur Klimaneutralität ermöglichen
(vgl. BVerfGE 157, 30 Rn. 248). Ein solcher Anreiz soll hier gesetzt
werden. Das wirtschaftliche Interesse des Grundstückseigentümers an der Einsparung
von Energie durch eine grenzüberschreitende Dämmung seines Bestandsgebäudes
wird nicht als solches, sondern deswegen höher gewichtet als
das entgegenstehende Interesse des Nachbarn an der vollständigen Nutzung
seines Grundstücks, weil es sich mit dem Interesse der Allgemeinheit an der
möglichst raschen Dämmung von Bestandsgebäuden deckt. Zwar erscheint dem
Senat bedenklich, dass das individuelle Interesse des Nachbarn selbst dann
keine Berücksichtigung findet, wenn im Einzelfall die Annahme einer Unzumutbarkeit
der Duldungsverpflichtung naheläge. Es ist aber nicht zu verkennen, dass
der Streit zwischen den Nachbarn über die Frage, ob ein solcher Ausnahmefall
vorliegt, zu einer unter Umständen Jahre währenden Verzögerung der jeweiligen
Maßnahme oder sogar dazu führen kann, dass der Grundstückseigentümer von
der Dämmung seines Gebäudes ganz absieht. Der Senat hält es daher für nicht
ausgeschlossen, dass der generalisierende Ansatz des Berliner Landesgesetzgebers,
den Duldungsanspruch klar und einfach zu regeln, um auf das Ganze
gesehen die Durchführung möglichst vieler und rascher Dämmmaßnahmen zu
erreichen, noch zulässig ist, auch wenn damit für den jeweiligen Nachbarn im
Einzelfall gewisse - unter Umständen auch erhebliche - Härten verbunden sein
mögen.

2. Richtig ist auch, dass die Klägerin einen Anspruch darauf hat, dass die
Beklagte die Anbringung eines hängenden Gerüsts für die Dauer von drei Monaten
und das Betreten des Dachs des zum Grundstück der Klägerin grenzständigen
Seitenflügels des Gebäudes der Beklagten durch die Klägerin zur Durchführung
der Sanierungs- und Wärmedämmungsarbeiten duldet. Dieser Anspruch
folgt aus dem sog. Hammerschlagsrecht nach § 17 Abs. 1 und 2 NachbarG Bln.

a) Nach § 17 Abs. 1 NachbarG Bln muss der Eigentümer eines Grundstücks
dulden, dass sein Grundstück einschließlich der Bauwerke von dem Nachbarn
zur Vorbereitung und Durchführung von Bau-, Instandsetzungs- und Unterhaltungsarbeiten
auf dem Nachbargrundstück vorübergehend betreten und benutzt
wird, wenn und soweit 1. die Arbeiten anders nicht oder nur mit unverhältnismäßig
hohen Kosten durchgeführt werden können, 2. die mit der Duldung verbundenen
Nachteile oder Belästigungen nicht außer Verhältnis zu dem von dem
Berechtigten erstrebten Vorteil stehen und 3. das Vorhaben öffentlich-rechtlich
zulässig ist. Das Recht zur Benutzung umfasst nach § 17 Abs. 2 NachbarG Bln
die Befugnis, auf oder über dem Grundstück Gerüste und Geräte aufzustellen
sowie die zu den Arbeiten erforderlichen Baustoffe über das Grundstück zu bringen.

b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts ist es nicht möglich, die Dämmung an der Giebelwand des
klägerischen Gebäudes anzubringen, ohne ein Gerüst über dem Seitenflügel des
Gebäudes der Beklagten zu errichten und hierzu das Grundstück der Beklagten
zu betreten. Indem die Klägerin ein hängendes Gerüst errichten will, das das Gebäude
der Beklagten nicht berührt, trägt sie dem Erfordernis einer schonenden
Ausübung des Hammerschlagsrechts Rechnung. Sie hat ihre Absicht, ein solches
Gerüst zu errichten, der Beklagten angezeigt. Es begegnet rechtlich auch
keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht die Unwägbarkeiten bei der Ausführung
von Baumaßnahmen dieser Art als allgemein bekannt (§ 291 ZPO)
voraussetzt und im Hinblick darauf für die Maßnahmen eine Zeitdauer von drei
Monaten veranschlagt.

c) Die hinsichtlich dieser Feststellungen von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge
der Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103
Abs. 1 GG) hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 564
Satz 1 ZPO).

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

01.07.2022

Aktenzeichen:

V ZR 23/21

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
Allgemeines Schuldrecht
Öffentliches Baurecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

NachbarG Bln § 16a Abs. 1