OLG Brandenburg 11. September 2018
13 WF 114/18
BGB § 1643 Abs. 2; FamFG §§ 26, 151 Abs. 1 Nr. 1, 342 Abs. 1 Nr. 5, 352, 363 Abs. 3

Familiengerichtliche Genehmigung bei Erbausschlagung für minderjährige Kinder

letzte Aktualisierung: 17.5.2019
OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.9.2018 – 13 WF 114/18

BGB § 1643 Abs. 2; FamFG §§ 26, 151 Abs. 1 Nr. 1, 342 Abs. 1 Nr. 5, 352, 363 Abs. 3
Familiengerichtliche Genehmigung bei Erbausschlagung für minderjährige Kinder

1. Das Verfahren zur familiengerichtlichen Genehmigung einer Erbausschlagung nach § 1643 Abs. 2
BGB ist eine Kindschaftssache nach § 151 Abs. 1 Nr. 1 FamFG (vergleiche Hammer in:
Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl. 2018, § 151 FamFG, Rn. 7).

2. Zur Frage der Erbausschlagung für ein minderjähriges Kind bedarf es über gerichtsinterne
Nachfragen hinaus weiterer Ermittlungen (§ 26 FamFG). Dazu gehören neben der Beiziehung der
Nachlassakten eine sorgfältige Prüfung einer möglichen Überschuldung sowie die Ermittlung der
Gründe bereits erfolgter vorrangiger Erbausschlagungen (vergleiche Prütting in: Prütting/Helms,
FamFG, 4. Aufl. 2018, § 26 FamFG, Rn. 35b).

3. Eine die gerichtliche Ermittlungspflicht des Gerichts nach § 26 FamFG möglicherweise
einschränkende Obliegenheit zur Glaubhaftmachung eines Ausschlagungsgrundes sieht das FamFG
indessen in Nachlasssachen für die Entgegennahme von Erklärungen (§ 342 Abs. 1 Nr. 5 FamFG),
anders als etwa in Erbscheinsverfahren (§ 352 ff FamFG) oder in Erbauseinandersetzungsverfahren
(vgl. § 363 Abs. 3 FamFG), für den Fall einer Erbausschlagung wegen Nachlassüberschuldung nicht
vor.

4. Schlagen vor der Beschwerdeführerin berufene und dem Erblasser näherstehende gesetzliche
Erben die Erbschaft wegen Überschuldung aus, kann dies eine Indizwirkung für eine
Überschuldung schaffen (vergleiche OLG Rostock NotBZ 2017, 278 Rn. 4).

5. Da nahe Angehörige eines Verstorbenen in der Regel zuverlässige Erkenntnisquellen darüber
haben, wie es um den Nachlass tatsächlich bestellt ist, hat das Familiengericht diese Personen in
seine Ermittlungen einzubeziehen, bei ihnen etwa die den Erbausschlagungen zugrunde liegende
Kenntnisse nachzufragen und sie gegebenenfalls – wenn durch eine Nachfrage auf schriftlichem
Wege keine ausreichenden Erkenntnisse gewonnen werden können – persönlich anzuhören
(vergleiche OLG Zweibrücken, FamRZ 2017, 296 Rn. 19).

Gründe:

1. Das beschwerdeführende, minderjährige Kind begehrt die gerichtliche Genehmigung einer
für es erklärten Erbausschlagung in einer Nachlassangelegenheit.

Die alleinsorgeberechtigte Kindesmutter hat nach Versterben des W… Z…, des Großonkels
väterlicherseits des Kindes, nachdem neben weiteren möglichen Erben auch der Kindesvater
die Erbschaft wegen Überschuldung ausgeschlagen hatte, die Erbschaft für das Kind ebenfalls
wegen Überschuldung ausgeschlagen und hierfür die familiengerichtliche Genehmigung
erbeten.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht die Genehmigung versagt, da die
gesetzliche Vertreterin eine Überschuldung des Nachlasses in Ansehung eines hierein fallenden
Anspruchs über 3.816,69 € aus einer Risikolebensversicherung nicht nachgewiesen
habe.

Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Amtsgericht mit Nichtabhilfebeschluss vom
02.07.2018 dem Senat vorgelegt.

Die Beschwerdeführerin erbittet zuletzt die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an
das Amtsgericht nach § 69 Abs. 1 S 3 FamFG.

2. Die nach § 58 ff statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde gegen die Endentscheidung
des Amtsgerichts, die einer Selbstabhilfe durch das Amtsgericht nicht zugänglich
ist (§§ 11 Abs. 1 RPflG, 68 Abs. 1 S 2 FamFG), hat vorläufig Erfolg dahin, dass die Sache
aufzuheben und an das Amtsgericht zurückzuverweisen ist, § 69 Abs. 1 S 3 FamFG.

Die Erbausschlagung ist genehmigungsbedürftig nach § 1643 Abs. 2 S 1 BGB, da die alleinsorgeberechtigte
Kindesmutter außerhalb des Erbganges steht, sodass die Ausnahmevoraussetzungen
einer Genehmigungsfreiheit nach S 2 dieser Bestimmung fehlen. Die Ausschlagung
eines überschuldeten Nachlasses entspricht regelmäßig sowohl dem Kindeswohl
als auch den Vermögensinteressen des Kindes.

Das Verfahren des Amtsgerichts, das in den Beschlussgründen keine materiell-rechtliche
Prüfung vorgenommen hat, nach dessen Standpunkt es allerdings gleichfalls auf eine Überschuldung
des Nachlasses ankommt, leidet an einem wesentlichen Mangel, weil es diesen
von ihm selbst für erheblich gehaltenen Umstand nicht ausreichend aufgeklärt hat. Das Verfahren
zur familiengerichtlichen Genehmigung einer Erbausschlagung nach § 1643 Abs. 2
BGB ist eine Kindschaftssache nach § 151 Abs. 1 Nr. 1 FamFG (vgl. Hammer in: Prütting/
Helms, FamFG, 4. Aufl. 2018, § 151 FamFG, Rn. 7); in diesen Verfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz
(§ 26 FamFG). Das Familiengericht ist deshalb verpflichtet, den entscheidungserheblichen
Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären und hierbei sämtliche Umstände
zu ermitteln, die ihm eine Prüfung und Gesamtwürdigung der entscheidungserheblichen
Umstände ermöglichen. Dabei muss das Gericht zwar nicht jeder nur denkbaren Möglichkeit
nachgehen. Der Umfang der einzuleitenden und durchzuführenden Amtsermittlung ist
aber so weit auszudehnen, wie es die Sachlage erfordert. Richtung und Umfang der Ermittlungen,
die sich stets an der Lage des Einzelfalls orientieren müssen, werden durch die Tatbestandsmerkmale
der anzuwendenden materiell-rechtlichen Vorschriften bestimmt und begrenzt.
Zur Frage der Erbausschlagung für ein minderjähriges Kind bedarf es über gerichtsinterne
Nachfragen hinaus weiterer Ermittlungen. Dazu gehören neben der – hier zum
09.11.2017 erfolgten - Beiziehung der Nachlassakten eine sorgfältige Prüfung einer möglichen
Überschuldung sowie die Ermittlung der Gründe bereits erfolgter vorrangiger Erbausschlagungen
(vgl. Prütting in: Prütting/Helms, FamFG, 4. Aufl. 2018, § 26 FamFG, Rn. 35b).

Das Amtsgericht ist demgegenüber verfahrensfehlerhaft davon ausgegangen, die Erteilung
der Genehmigung hinge von der Glaubhaftmachung eines Ausschlagungsgrundes ab (vgl.
5). Eine die gerichtliche Ermittlungspflicht des Gerichts möglicherweise einschränkende Obliegenheit
zur Glaubhaftmachung eines Ausschlagungsgrundes sieht das FamFG indessen
in Nachlasssachen für die Entgegennahme von Erklärungen (§ 342 Abs. 1 Nr. 5 FamFG),
anders als etwa in Erbscheinsverfahren (§ 352 ff FamFG) oder in Erbauseinandersetzungsverfahren
(vgl. § 363 Abs. 3 FamFG), für den Fall einer Erbausschlagung wegen Nachlassüberschuldung
nicht vor.

Die insoweit geltenden Grundsätze hat das Amtsgericht unbeachtet gelassen. Vorliegend
haben schon zahlreiche vor der Beschwerdeführerin berufene und dem Erblasser näherstehende
gesetzliche Erben die Erbschaft wegen Überschuldung ausgeschlagen, was bereits
eine Indizwirkung für eine Überschuldung schaffen kann (vgl. OLG Rostock NotBZ 2017, 278
Rn. 4), und neben fünf weiteren Geschwistern des Erblassers kommt eine weitere Nichte als
Erbin in Betracht (vgl. 2). Da nahe Angehörige eines Verstorbenen in der Regel zuverlässige
Erkenntnisquellen darüber haben, wie es um den Nachlass tatsächlich bestellt ist, hat das
Familiengericht diese Personen in seine Ermittlungen einzubeziehen, bei ihnen etwa die den
Erbausschlagungen zugrunde liegende Kenntnisse nachzufragen und sie gegebenenfalls -
wenn durch eine Nachfrage auf schriftlichem Wege keine ausreichenden Erkenntnisse gewonnen
werden können - persönlich anzuhören (vgl. OLG Zweibrücken, FamRZ 2017, 296
Rn. 19).

Die unterlassene Aufklärung führt, wie von der Beschwerdeführerin beantragt, und um ihr
keine Tatsacheninstanz zu entziehen, zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht,
damit dieses die notwendigen Ermittlungen (§ 26 FamFG) nachholt. Hierbei wird das Amtsgericht
auch Gelegenheit haben, dem Vorbringe der Beschwerdeführerin nachzugehen,
demzufolge nach Mitteilung seiner Geschwister der Erblasser diverse Schulden angehäuft
hatte, u.a. aus Handy-Verträgen auf seinem Namen allerdings für Dritte, ohne dass diese die
Forderungen beglichen hätten.

Die Nichterhebung der Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 Abs. 1
Satz 1 FamGKG. Die übrige Kostenentscheidung über das Beschwerdeverfahren ist dem
Amtsgericht vorzubehalten (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Unger, FamFG, 5. Aufl., § 69,
Rn. 29 m.w.N.).

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Brandenburg

Erscheinungsdatum:

11.09.2018

Aktenzeichen:

13 WF 114/18

Rechtsgebiete:

Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Elterliche Sorge (ohne familiengerichtliche Genehmigung)

Erschienen in:

Zerb 2019, 21-22

Normen in Titel:

BGB § 1643 Abs. 2; FamFG §§ 26, 151 Abs. 1 Nr. 1, 342 Abs. 1 Nr. 5, 352, 363 Abs. 3