OLG Brandenburg 11. Februar 2020
3 W 137/19
BGB § 1960

Nachlasspflegschaft für unbekannte Erben kann auch angeordnet werden, wenn Streit über Erbeneigenschaft besteht

letzte Aktualisierung: 17.07.2020
OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.2.2020 – 3 W 137/19

BGB § 1960
Nachlasspflegschaft für unbekannte Erben kann auch angeordnet werden, wenn Streit über
Erbeneigenschaft besteht

Die Unbekanntheit der Erben ist aus der Sicht des Nachlassgerichts zu beurteilen. Erben können
auch unbekannt sein, wenn Streit über die Testierfähigkeit des Erblassers und damit über die
Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung besteht. (Leitsatz der DNotI-Redaktion)

Gründe:

I.
Die Beteiligte zu 1., die Enkelin und Tochter einer vorverstorbenen Tochter der Erblasserin,
wurde mit privatschriftlichem Testament vom ...03.2013, der Beteiligte zu 2., der Sohn der
Erblasserin mit notariellem Testament vom ...02.2016 zum Alleinerben der Erblasserin
eingesetzt. Die Beteiligte zu 1. meint, die Erblasserin sei zum Zeitpunkt der Errichtung des
zweiten Testaments testierunfähig gewesen, der Beteiligte zu 2. hält sich aufgrund des
Testaments vom ...02.2016 für den Alleinerben.

Mit Beschluss vom 09.10.2019 hat das Nachlassgericht die Nachlasspflegschaft für die
unbekannten Erben der Erblasserin angeordnet und den Beteiligten zu 3. zum
Nachlasspfleger bestimmt.

Dagegen wendet sich der Beteiligte zu 2. mit seiner Beschwerde, mit der er sich darauf
beruft, es bestehe kein Grund für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft, da er aufgrund
des notariellen Testaments vom ... .02.2016 Alleinerbe geworden sei. Der Erbe sei somit
bekannt und habe die Erbschaft angenommen. Ein Rechtsstreit über das Erbrecht sei nicht
anhängig.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Senat zur Entscheidung
vorgelegt.

II.
Die nach §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Das Nachlassgericht ist zu Recht vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung
einer Nachlasspflegschaft nach § 1960 BGB ausgegangen.

Gemäß § 1960 BGB kann das Nachlassgericht dem unbekannten Erben einen
Nachlasspfleger bestellen, soweit hierfür ein Bedürfnis besteht. Dabei ist die Frage, ob der
Erbe „unbekannt” ist und ob ein Sicherungsbedürfnis besteht, vom Standpunkt des
Nachlassgerichts bzw. des im Beschwerdeverfahren an seine Stelle getretenen
Beschwerdegerichts aus zu beurteilen, wobei der Kenntnisstand im Zeitpunkt der
Entscheidung über die Sicherungsmaßnahme maßgebend ist. Dabei ist allgemein anerkannt,
dass der Erbe auch dann unbekannt ist, wenn mehrere Erben in Betracht kommen und sich
der Tatrichter nicht ohne weitere Ermittlungen davon überzeugen kann, wer Erbe ist, weil
Streit über die Testierfähigkeit des Erblassers und damit über die Gültigkeit einer letztwilligen
Verfügung besteht (BGH, FamRZ 2012, 1869; OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.05.2015,
8 W 147/15; OLG Karlsruhe/Freiburg, Beschluss vom 02.05.2003, 14 Wx 3/03). Bloße
oberflächliche Zweifel an der Gültigkeit des Testaments genügen nicht (OLG Stuttgart,
a.a.O). Dies ist bei einer Konstellation wie der hier vorliegenden dann der Fall, wenn Zweifel
an der Testierfähigkeit des Erblassers bestehen, die nicht von vornherein von der Hand zu
weisen und damit ernst zu nehmen sind (OLG Karlsruhe, a.a.O).

Die von der Antragstellerin geltend gemachten Zweifel sind, wovon das Nachlassgericht
zutreffend ausgegangen ist, nicht bloß oberflächlicher Natur.

Es liegt ein - im Betreuungsverfahren des Amtsgerichts Königs Wusterhausen
21 XVII 511/16 eingeholtes - Gutachten der Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie
S… vom 25.07.2017 vor, das der Erblasserin bereits für den Zeitpunkt ab März 2013 die
Testierfähigkeit abspricht. Ferner liegt ein im selben Verfahren eingeholtes Obergutachten
des Sachverständigen Dr. P… (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) vom 06.08.2019
vor, das zu dem Ergebnis kommt, dass die Erblasserin weder im Zeitraum zwischen Februar
2013 und Februar 2016, noch im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens bzw. der
Exploration durch den Gutachter am 06.07.2019 geschäftsunfähig war.

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 25.09.2019 zahlreiche, ausführlich begründete
und konkrete Einwände gegen das Gutachten des Dr. P… erhoben, die nicht von
vorneherein von der Hand zu weisen sind und sich nicht darauf beschränken, das Ergebnis
des Gutachtens pauschal in Abrede zu stellen. Insofern liegen aufgrund der sich
widersprechenden Gutachten mehr als bloß oberflächliche Zweifel an der Testierfähigkeit der
Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des letzten Testaments am 08.02.2016 vor, denen
im Erbscheinsverfahren weiter nachzugehen sein wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Brandenburg

Erscheinungsdatum:

11.02.2020

Aktenzeichen:

3 W 137/19

Rechtsgebiete:

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB § 1960