OLG Braunschweig 30. März 2022
2 W 10/22
BGB §§ 138, 883; GBO § 18

Zurückweisung eines Antrags auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung durch das Grundbuchamt bei Überzeugung von der Nichtigkeit des Grundgeschäfts aufgrund von erheblicher Wertdifferenz (wucherähnliches Rechtsgeschäft)

letzte Aktualisierung: 3.8.2022
OLG Braunschweig, Beschl. v. 30.3.2022 – 2 W 10/22

BGB §§ 138, 883; GBO § 18
Zurückweisung eines Antrags auf Eintragung einer Auflassungsvormerkung durch das Grundbuchamt bei Überzeugung von der Nichtigkeit des
Grundgeschäfts aufgrund von erheblicher Wertdifferenz (wucherähnliches Rechtsgeschäft)

Das Grundbuchamt ist im Antragsverfahren nach § 18 GBO unter anderem zur Prüfung des
Grundgeschäfts berechtigt. Es darf den Eintragungsantrag zurückweisen, wenn es aufgrund der ihm
vorliegenden Urkunden oder anderer ihm bekannter Umstände zu der sicheren Überzeugung
gelangt, dass das Grundgeschäft nichtig ist und die Nichtigkeit auch das Erfüllungsgeschäft ergreift.
Diese Nichtigkeit kann sich auch aus § 138 Abs. 1 BGB ergeben, wenn eine erhebliche
Wertdifferenz zu früheren Veräußerungen feststellbar ist.

(Leitsatz der DNotI-Redaktion)

Gründe

I.
Der Beteiligte zu 1.) begehrt die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung seines
Anspruchs auf Eintragung als Eigentümer.
Der Beteiligte zu 1.) schloss als Käufer mit dem Beteiligten zu 2.) als Verkäufer am
3. November 2021 einen notariellen Grundstückskaufvertrag über 220.000,00 €
(UR-Nr. …. des Notars B. in S.). Der Beteiligte zu 2.) hatte das Eigentum an dem
Grundstück zuvor am 15. September 2021 durch notariellen
Grundstückskaufvertrag zu einem Kaufpreis von 85.000,00 € von Herrn D. erworben
(UR-Nr. ….. des Notars B. in S.), der das Eigentum an dem Grundstück aufgrund
des Zuschlagbeschlusses vom 2. März 2018 erworben hatte (Amtsgericht Osterode
am Harz, Aktenzeichen …). Sein Bargebot lag bei 39.500,00 €. Im Vorlauf des
Zwangsversteigerungsverfahrens war der Verkehrswert (Marktwert) des
Grundstücks durch Verkehrswertgutachten nach § 194 BauGB des
Gutachterausschusses für Grundstückswerte Northeim zum
Wertermittlungsstichtag 5. April 2017 mit 43.000,00 € ermittelt worden.
Mit Hinweisverfügung vom 27. Dezember 2021 wies das Grundbuch den Notar
darauf hin, dass der Grundstückskaufvertrag im Hinblick auf die dargestellten
Beträge gemäß § 138 BGB wegen des besonders groben Missverhältnisses
zwischen Leistung und Gegenleistung sittenwidrig sein könnte und gab
Gelegenheit, die erhebliche Wertsteigerung des Objekts durch Vorlage eines
Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen
nachzuweisen. Nachdem der Notar am 31. Januar 2022 erklärt hatte, dass ein
solches Gutachten nicht vorgelegt werde, wies das Grundbuchamt den Antrag auf
Eintragung einer Auflassungsvormerkung mit Beschluss vom 1. Februar 2022
zurück.

Gegen diesen, dem Notar am 7. Februar 2022 zugestellten Beschluss, wendet sich
der Notar mit seiner am 17. Februar 2022 bei dem Oberlandesgericht
eingegangenen Beschwerde.

Das Grundbuchamt hat der Beschwerde nicht abgeholfen und hat die Akten dem
Oberlandesgericht Braunschweig als Beschwerdegericht vorgelegt.

Unter dem 21. März 2022 hat der Notar ein Gutachten zur Wertermittlung des
geprüften Immobilienfachwirts (IHK), Fachwirt für Finanzberatung (IHK),
Sachkundigen für Immobilienbewertung (TÜV) und geprüften Sachverständigen für
Immobilienbewertung (GIS Sprengnetter) E. vom 16. März 2022 zu den Akten
gereicht, das einen Ertragswert von 371.000,00 € zum Wertermittlungsstichtag 15.
März 2022 ausweist.

II.
Die nach § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 71 Abs. 1, 73 GBO zulässige Beschwerde hat in
der Sache keinen Erfolg. Zutreffend hat das Grundbuchamt den Antrag auf
Eintragung einer Auflassungsvormerkung zu Gunsten des Beteiligten zu 1.)
zurückgewiesen, nachdem Bedenken wegen der Sittenwidrigkeit des Vertrages
nicht ausgeräumt und die angebliche Wertsteigerung durch Vorlage eines
Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen nicht
nachgewiesen wurde.

1.
Das Grundbuchamt ist im Antragsverfahren nach § 18 GBO unter anderem zur
Prüfung des Grundgeschäfts berechtigt. Es darf den Eintragungsantrag
zurückweisen, wenn es aufgrund der ihm vorliegenden Urkunden oder anderer ihm
bekannter Umstände zu der sicheren Überzeugung gelangt, dass das
Grundgeschäft nichtig ist und die Nichtigkeit auch das Erfüllungsgeschäft ergreift
(BGH, Beschluss vom 15. August 1999 – V ZB 24/98 –, Rn. 15, juris; Demharter,
GBO, 31. Aufl., § 19, Rn. 20; OLG Celle, Beschluss vom 13. September 2018 – 18
W 57/18 –, nicht veröffentlicht).

Ein gegenseitiger Vertrag – wie ein Grundstückskaufvertrag – ist als
wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn
zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und
außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei
Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig
erscheinen lässt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung
des Begünstigten hervorgetreten ist. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und
Gegenleistung besonders grob, lässt dies den Schluss auf eine verwerfliche
Gesinnung des Begünstigten zu (BGH, Urteil vom 24. Januar 2014 – V ZR 249/12 –
, Rn. 5, juris, m.w.N.). Ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und
Gegenleistung liegt bei Grundstücksgeschäften ab einer Verkehrswertüber- oder -
unterschreitung von 90 % vor (BGH, Urteil vom 24. Januar 2014 – V ZR 249/12 –,
Rn. 8, juris).

2.
Zutreffend hat das Grundbuchamt diese Voraussetzungen angenommen und die
Klärung der erheblichen Wertdifferenz durch Vorlage eines von einem öffentlich
bestellten und vereidigten Sachverständigen erstellten Gutachten erfordert (OLG
Celle, Beschluss vom 13. September 2018 – 18 W 57/18 –, nicht veröffentlicht).

a)
Der beurkundete Kaufvertrag ist sittenwidrig und damit nichtig. Zwischen dem im
Zwangsversteigerungsgutachten am 5. April 2017 festgestellten Verkehrswert von
43.000,00 € bzw. dem im Kaufvertrag vom 15. September 2021 vereinbarten
Kaufpreis von 85.000,00 € und dem nunmehr am 3. November 2021 – knapp zwei
Monate später – vereinbarten Kaufpreis von 220.000,00 € besteht ein besonders
grobes Missverhältnis, das den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung zulässt.

Der nunmehr vereinbarte Kaufpreis entspricht einer Wertsteigerung von mehr als
dem 2,5-fachen binnen sieben Wochen.

Zweifel an der Vermutung der verwerflichen Gesinnung (mindestens) eines der
Beteiligten sind nicht ausgeräumt, insbesondere nicht durch die von dem Verkäufer
vorgelegte Wertermittlung des Sachkundigen für Immobilienbewertung E.
Das nunmehr vorgelegte Gutachten vermag bestehende Zweifel am derzeitigen
Verkehrswert der Immobilie nicht auszuräumen. Es ist bereits zweifelhaft, ob es sich
bei dem nunmehr vorgelegten Gutachten überhaupt um ein Verkehrswertgutachten
handelt. Bei dem im Zwangsversteigerungsverfahren eingeholten Gutachten des
Gutachterausschusses handelt es sich ausdrücklich um ein Verkehrswertgutachten
nach § 194 BauGB. In dem nunmehr vorgelegten Gutachten wird hingegen darauf
hingewiesen, dass es sich dabei um eine Marktwertschätzung handele, die kein
Verkehrswertgutachten nach § 194 BauGB darstelle. Es handele sich um eine
überschlägige Schätzung des Marktwertes nach Angaben des
Auftraggebers/Eigentümers in Anlehnung nach den Vorgaben der ImmoWertV.
Auftragsgemäß sei keine Prüfung der gemachten Angaben durch den
Sachverständigen erfolgt.

Auch sind die Wertermittlungsmethoden grundlegend unterschiedlich und gehen
von gänzlich verschiedenen Parametern aus und legen andere
Berechnungsmethoden zugrunde, wobei die Wertermittlung im nunmehr
vorgelegten Gutachten nicht nachvollziehbar ist. Während das im
Zwangsversteigerungsverfahren eingeholte Verkehrswertgutachten einen
vorläufigen Ertragswert von 56.691,00 € ermittelt, wovon Abschläge in Höhe von 20
% für wirtschaftliche Wertminderungen, Baumängel und Bauschäden und weitere 5
% für Denkmalschutz gemacht werden, ermittelt das nunmehr vorgelegte Gutachten
einen Bodenwert von 59.880,00 €, einen Bodenrichtwert für die Lage des
Bewertungsgrundstücks von 120,00 € / m² zum Stichtag 1. Januar 2022 zugrunde
legend. Sodann wird eine Ertragswertermittlung nach dem Ertragswertmodell
vorgenommen. Der Sachverständige E. ermittelt hierfür einen vorläufigen
Ertragswert für das Hauptgebäude von 670.631,92 €, addiert den Bodenwert von
59.880,00 € hinzu und bringt davon besondere gebäudespezifische
Grundstücksmerkmale (Sanierungskosten) in Höhe von 360.000,00 € in Abzug.
Dies ist ohne weiteres nicht nachvollziehbar. Es fällt auf, dass die von dem
Gutachter ermittelten Ertragswerte Investitionen in Höhe von 360.000,00 €
voraussetzen, die bislang nicht erbracht worden sind. Es ist daher jedenfalls derzeit
kein Ertragswert von rund 671.000,00 € für das Hauptgebäude anzunehmen. Weiter
berücksichtigt das nunmehr eingeholte Gutachten den bestehenden
Denkmalschutz für das Objekt nicht, was bei der Wertermittlung im
Zwangsversteigerungsverfahren zu einem Abschlag von 5 % geführt hat.

b)
Zutreffend hat das Grundbuchamt auch die Vorlage eines Gutachtens eines
öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erfordert. Der öffentlich
bestellte Sachverständige muss eine besondere Sachkunde aufweisen und es
dürfen keine Bedenken gegen seine Eignung bestehen, § 36 Abs. 1 Satz 1 GewO.
Ferner ist er aufgrund seiner Vereidigung gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 GewO
verpflichtet, das Gutachten unabhängig, weisungsfrei, persönlich, gewissenhaft und
unparteiisch zu erstatten. Nur so wird im Übrigen die erforderliche Vergleichbarkeit
mit dem im Zwangsversteigerungsverfahren eingeholten Gutachten des
Gutachterausschusses für Grundstückswerte Northeim gewährleistet (OLG Celle,
Beschluss vom 13. September 2018 – 18 W 57/18 –, nicht veröffentlicht). Bei dem
Sachverständigen E. handelt es sich nicht um einen öffentlich bestellten und
vereidigten Sachverständigen.

2.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da sich die Kostenregelung
unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (§§ 1 Abs. 1, 22 Abs. 1 GNotKG i.V.m. Nr.
14510 KV GNotKG).

3.
Gründe zur Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 78 Abs. 2 GBO liegen
nicht vor.
4.
Der Beschwerdewert ist gemäß den §§ 79 Abs. 1, 61 Abs. 1, 36 Abs. 1 GNotKG
festgesetzt worden.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG Braunschweig

Erscheinungsdatum:

30.03.2022

Aktenzeichen:

2 W 10/22

Rechtsgebiete:

Grundbuchrecht
Kostenrecht
Öffentliches Baurecht

Normen in Titel:

BGB §§ 138, 883; GBO § 18