OLG München 28. Februar 2011
9 U 3782/10
BGB § 280

Rechtsbindungswille bei Nachbesserungszusage „aus Kulanz“

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Dokumentnummer: 9u3782_10
letzte Aktualisierung: 14.12.2011
OLG München, 1.3.2011 - 9 U 3782/10
BGB § 280
Rechtsbindungswille bei Nachbesserungszusage „aus Kulanz“
1. Eine Kulanzvereinbarung ist in der Regel rechtlich bindend, wenn sie zur Vermeidung eines
Rechtsstreits getroffen wird.
2. Der Rechtsbindungswille der Parteien muss durch Auslegung der Kulanzregelung unter
Berücksichtigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung der Angelegenheit sowie der
Interessenlage festgestellt werden.


Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Ersatzvornahmekosten für Malerarbeiten an der Außenfassade der Wohnanlage, F-M-Weg ..., M., die von der Beklagten im Jahre 2002 als Bauträgerin
errichtet worden ist.
Nachdem die TÜV ... I. Service GmbH anlässlich einer Ortsbegehung vor Ablauf der bis
20.12.2007 verlängerten Gewährleistungsfrist Mängel der Fassadenfarbe beanstandet hatte
(Gutachten vom 13.07.2007 = Anlage K 4), beantragte die Klägerin am 20.12.2007 beim Landgericht München I die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahren u. a. zu folgender
Mängelbehauptung: „Die Farbanstriche an sämtlichen Außenfassaden sind übermäßig ausgeblichen und weisen Farbabweichungen auf“ (Ziff. I.1 der Antragsschrift in dem Verfahren 18
OH 24178/07). Am 13.02.2008 erließ das Landgericht München I einen entsprechenden Beweisbeschluss und ordnete die Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Daraufhin bot die
Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 27.02.2008 (Anlage K 5) an, durch die Fa. A (Subunternehmerin) die „streitgegenständlichen Fassaden“ überarbeiten und eine neue Beschichtung
aufbringen zu lassen, „um den unnötigen Anfall von Gerichts- und Sachverständigenkosten zu
vermeiden“. Die Durchführung der Arbeiten sollte „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ und
„ohne Anerkennung der Mangelhaftigkeit der Fassaden“ erfolgen. Mit Schreiben vom
12.03.2008 und 28.03.2008 lehnte die Kläger die angebotene Nachbesserung zunächst mit der
Begründung ab, ihr stehe ein „Anspruch auf vorbehaltlose Mängelbeseitigung“ zu (Anlage K 6
und K 7). Mit Schreiben vom 08.04.2008 (Anlage B 3) wiederholte die Beklagte ihre Bereitschaft, „die im Schreiben vom 27.02.2008 angekündigten Arbeiten … auszuführen“, und stellte
mit weiterem Schreiben vom 15.04.2008 (Anlage K 8) klar, dass „die bereits früher beschriebenen Arbeiten ohne jede Einschränkung“ und ohne Vorbehalte angeboten würden. Allerdings
werde auch nichts anerkannt. Insofern werde von dem Schreiben vom 27.02.2008 nichts zurückgenommen oder relativiert. Auf dieses Angebot antwortete die Klägerin mit Schreiben vom
21.04.2008 (Anlage K 9), sie nehme erfreut zur Kenntnis, dass die Beklagte „ohne jede rechtliche Einschränkung die in ihrem Schreiben vom 27.02.2008 näher beschriebenen Fassadenarbeiten anbietet“. Mit Anwaltsschriftsatz vom 21.04.2008 (Anlage K 12), gerichtet an das
Landgericht München I, bat die Klägerin darum, die Beweisaufnahme hinsichtlich der Mangelbehauptung I.1 der Antragsschrift vom 20.12.2007 einstweilen zurückzustellen, da die Beklagte
in Kürze an den „verfahrensgegenständlichen Fassaden“ eine neue Beschichtung aufbringen
lasse. In der Folgezeit ließ die Beklagte sämtliche Fassadenflächen mit Ausnahme der in hellem
Gelbton gestrichenen Westfassade nacharbeiten (ca. 640 m²). Da die Beklagte den Neuanstrich
der hellgelben Restfläche endgültig verweigerte, beauftragte die Klägerin die R-GmbH mit der
Durchführung der Ersatzvornahme (Rechnung vom 27.08.2008 in Höhe von EUR 18.607,91 =
Anlage K 10).
Durch Endurteil vom 16.07.2010, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend gemäß § 540
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird (Bl. 59-73 d. A.), hat das Landgericht München
I die Beklagte wegen fehlerhafter Putzanschlüsse und Verfärbungen in den Eckbereichen der
Fassaden zur Zahlung von EUR 3.500,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit 15.10.2009 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Das Landgericht hat ausgeführt, dass der Klägerin kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für
den Neuanstrich der hellgelben Fassadenbereiche zustehe, da die Parteien eine entsprechende
Leistungspflicht der Beklagten nicht durch einen eigenständigen Vergleichsvertrag begründet
hätten und es der Klägerin auch nicht gelungen sei, die Mangelhaftigkeit der hellgelben
Fassadenteile nachzuweisen.
Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf Bl. 65-71 d. A. verwiesen.
Gegen dieses ihr am 28.07.2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 03.08.2010 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.10.2010 an eben diesem Tag begründet.
Die Klägerin macht geltend, durch die vorliegende Korrespondenz gemäß Anlagen K 5-K 9 habe
sich die Beklagte im Vergleichswege zur Nacharbeitung sämtlicher Außenfassaden verpflichtet.
Dass die Parteien ihre abweichenden Rechtsstandpunkte hierbei jeweils aufrechterhalten hätten,
stehe einer vergleichsweisen Einigung nicht entgegen.
Im Übrigen wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht.
Die Klägerin beantragt,
unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte zur Zahlung weiterer
EUR 18.607,91 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
18.03.2009 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, soweit die Klage abgewiesen wurde, und
wiederholt im Wesentlichen ihren Vortrag erster Instanz. Die Parteien hätten weder einen Vergleich abgeschlossen noch eine bindende Kulanzregelung getroffen.
Auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen
Verhandlung vom 01.03.2011 (Bl. 95/96 d. A.) wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil muss insoweit
abgeändert werden, als die Klage in Höhe von EUR 18.607,91 (nebst Zinsen) abgewiesen
worden ist.
1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung in
Höhe der Ersatzvornahmekosten für den Neuanstrich der hellgelben Fassadenflächen nach § 280
Abs. 1 und 3, § 281 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB zu.
Aus den Nachbesserungsangeboten der Beklagten vom 27.02.2008, 08.04.2008 und 15.04.2008
(Anlagen K 5, K 8 und B 3) und dem Antwortschreiben der Klägerin vom 21.04.2008 (Anlage K
9) ergibt sich, dass die Parteien eine rechtlich bindende Kulanzregelung getroffen haben. Die
Beklagte verpflichtete sich, sämtliche Fassadenflächen, die Gegenstand des selbstständigen
Beweisverfahrens 18 OH 24178/07 waren, durch ihren Subunternehmer neu zu beschichten. Die
geschuldete Leistung hat die Beklagte in der Folgezeit nur zum Teil erbracht.
Die Höhe ihres Schadens von EUR 18.607,91 hat die Klägerin durch Vorlage der Rechnung des
Malereibetriebes R vom 27.08.2008 nachgewiesen (Anlage K 10).
a) Dass die Beklagte ihre Angebote „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ und „ohne
Anerkennung der Mangelhaftigkeit der Fassaden“ abgab, bedeutet lediglich, dass die angebotene
Leistung allein auf Entgegenkommen beruhte, nicht aber auf der Anerkennung einer Leistungsverpflichtung. Die Beklagte wollte damit klarstellen, dass sie nur aus Kulanz und nicht in dem
Bewusstsein handelte, zur Nacherfüllung verpflichtet zu sein. Damit sollten zugleich die
Wirkungen des § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB ausgeschlossen werden. Denn die Vornahme oder
Zusage einer Kulanzleistung an sich stellt niemals ein zum Neubeginn der Verjährung führendes
Anerkenntnis dar (vgl. Auktor/Mönch, NJW 2005, 1686, 1688; Palandt/Ellenberger, BGB, 70.
Aufl., § 212 Rn. 4). Wie der Schriftsatz der Beklagten vom 29.03.2010 (Bl. 47/48 d. A.) und ihre
beigefügten Schreiben an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 03.03.2010 und
29.03.2010 belegen, hat die Beklagte Kulanzangebote zur Nachbesserung stets mit den Formeln
„ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ und „ohne Anerkennung der Mangelhaftigkeit“ abgegeben.
b) Inhaltlich bezogen sich die Nachbesserungsangebote vom 27.02.2008, 08.04.2008 und
15.04.2008 auf die Neubeschichtung der „streitgegenständlichen Fassaden“, wie sie sich aus
Ziff. I.1 der Antragsschrift des selbstständigen Beweisverfahrens ergaben. Es wurden somit
sämtliche Außenfassaden erfasst, auch die jetzt noch streitigen hellgelben Fassadenbereiche. Da
die Beklagte diese Arbeiten „ohne jede Einschränkung“ und ohne „Vorbehalte“ anbot, durfte die
Klägerin nach dem objektiven Empfängerhorizont von der Neubeschichtung der Gesamtfassade
ausgehen.
c) Indem die Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt den Neuanstrich der hellgelben Fassadenteile
endgültig ablehnte, hat sie sich nach § 280 Abs. 1 und 3, § 281 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB
schadensersatzpflichtig gemacht. Der Erörterung bedarf lediglich die Frage der Pflichtverletzung. Darunter ist jede objektive Abweichung des Verhaltens einer Partei vom geschuldeten Pflichtenprogramm zu verstehen. Eine Kulanzregelung ist in der Regel rechtlich bindend und
begründet Pflichten im Sinne der §§ 241, 280 Abs. 1 BGB. Ob die Parteien durch eine Kulanzregelung ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis mit Rechtsbindungswillen begründen wollten,
hängt davon ab, wie sich das Verhalten der Beteiligten bei Würdigung aller Umstände nach Treu
und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte einem objektiven Betrachter darstellt (vgl.
BGH NJW 2009, 1141). Wenn derjenige, der dem anderen Teil etwas gewährt, selbst ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse daran hat, spricht dies in der Regel für seinen Rechtsbindungswillen. Gleiches gilt, wenn der Begünstigte sich erkennbar auf die Zusage verlässt und
für ihn erhebliche Werte auf dem Spiel stehen. Die Annahme eines Rechtsbindungswillens liegt
insbesondere nahe, wenn der Begünstigte ein (berechtigtes) Interesse an einem vertraglichen
Schadensersatzanspruch für den Fall der Nicht- oder Schlechterfüllung der Leistung bzw. des
Verzuges hat (Bamberger/Roth-Sutschet, Beck-OK, Stand: 1.5.2010, § 241 Rn. 18; vgl. auch
Palandt/Grüneberg, a. a. O., Einl. vor § 241 Rn. 7). Danach kann im vorliegenden Fall ein
Rechtsbindungswillen der Parteien nicht zweifelhaft sein. Die Beklagte hatte ein starkes wirtschaftliches Interesse, den weiteren Anfall von Gerichts- und Sachverständigenkosten zu vermeiden (Anlage K 5) und bot deshalb eine umfassende Neubeschichtung aller streitigen
Fassadenteile durch ihre Subunternehmerin an. Die Klägerin hat sich auf die Zusage der
Beklagte ersichtlich verlassen, indem sie mit Schriftsatz vom 21.04.2010 von der weiteren
Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens absah, soweit die Fassadenflächen
begutachtet werden sollten, und damit zugleich ihre Beweislage verschlechterte. Dass die
Klägerin in einer solchen Situation ein erhebliches Interesse an einem vertraglichen Schadensersatzanspruch für den Fall der Nicht- oder Schlechtleistung hatte, drängt sich auf. Nach allem
hat sich die Beklagte rechtlich bindend zur Nacherfüllung hinsichtlich sämtlicher in der Antragsschrift vom 20.12.2007 enthaltenen Fassadenbereiche verpflichtet. Der unterbliebene Neuanstrich der hellgelben Flächen stellt deshalb eine zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung dar.
2. Verzugszinsen stehen der Klägerin gemäß §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB seit
18.03.2009 zu. Durch die Zahlungsaufforderung vom 18.02.2009 unter Fristsetzung bis zum
17.03.2009 kam die Beklagte spätestens mit fruchtlosem Fristablauf in Schuldnerverzug. Für den
Zinsbeginn gilt § 187 Abs. 1 BGB entsprechend. Die Zinssatz ergibt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 2
BGB.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 543 Abs.
2 ZPO). Die vorliegende Sache hat keine grundsätzliche, über den Einzelfall hinaus reichende
Bedeutung. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts
oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.
V.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 und § 47 GKG.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG München

Erscheinungsdatum:

28.02.2011

Aktenzeichen:

9 U 3782/10

Rechtsgebiete:

Allgemeines Schuldrecht

Erschienen in:

NJW 2011, 1369-1370

Normen in Titel:

BGB § 280