BGH 29. März 2023
XII ZB 515/22
BGB §§ 1814 Abs. 3 Nr. 1, 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 u. 4; FamFG § 34 Abs. 2

Vorsorgevollmacht; Kriterien für Ungeeignetheit des Bevollmächtigten; Maßgeblichkeit der objektiven Bedürfnisse; Kontrollbetreuer; Anordnung des Betreuungsgerichts, erteilte Vollmacht nicht auszuüben

letzte Aktualisierung: 19.5.2023
BGH, Beschl. v. 29.3.2023 – XII ZB 515/22

BGB §§ 1814 Abs. 3 Nr. 1, 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 u. 4; FamFG § 34 Abs. 2
Vorsorgevollmacht; Kriterien für Ungeeignetheit des Bevollmächtigten; Maßgeblichkeit der
objektiven Bedürfnisse; Kontrollbetreuer; Anordnung des Betreuungsgerichts, erteilte
Vollmacht nicht auszuüben

a) Ein Bevollmächtigter ist ungeeignet, die Angelegenheiten des Betroffenen nach dessen Wünschen
zu besorgen, wenn zu befürchten ist, dass er die Angelegenheiten des Vollmachtgebers nicht
entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers
besorgt. Ergeben sich aus der Vereinbarung und dem erklärten Willen des Vollmachtgebers keine
konkreten Vorgaben, kann der Betroffene seine Wünsche nicht mehr äußern und bestehen auch
keine individuellen Anhaltspunkte für seinen mutmaßlichen Willen, richtet sich dieser nach seinen
objektiven Bedürfnissen.
b) Die Möglichkeit des Betreuungsgerichts, nach § 34 Abs. 2 FamFG von einer persönlichen
Anhörung des Betroffenen abzusehen, wenn dieser offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen
kundzutun, entbindet das Gericht nicht von der in § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG enthaltenen
Verpflichtung, sich einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu verschaffen (im Anschluss an
Senatsbeschluss vom 4. November 2020 – XII ZB 344/20 – FamRZ 2021, 224).
c) Sind behebbare Mängel bei der Ausübung einer Vorsorgevollmacht festzustellen, erfordert der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden
Kontrollbetreuers auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insbesondere durch Verlangen
nach Auskunft und Rechenschaftslegung (§ 666 BGB) sowie die Ausübung bestehender
Weisungsrechte (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 8. Januar 2020 – XII ZB 368/19 – FamRZ
2020, 629).
d) Besteht die dringende Gefahr, dass ein Bevollmächtigter durch fehlende Bereitschaft zum
Konsens mit anderen Bevollmächtigten nicht den Wünschen des Vollmachtgebers entsprechend
handelt und dadurch die Person des Vollmachtgebers oder dessen Vermögen erheblich gefährdet,
kann das Betreuungsgericht gemäß § 1820 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BGB anordnen, dass er die ihm
erteilte Vollmacht insgesamt oder in bestimmten Angelegenheiten nicht ausüben darf.

Gründe:

I.
Die 78-jährige Betroffene befindet sich infolge einer 2017 eingetretenen
Subarachnoidalblutung bei rupturiertem Aneurysma, Hydrocephalus occlusus
und struktureller Epilepsie sowie nach mindestens einem weiteren ischämischen
Schlaganfall im Zustand der spastischen Tetraparese mit bereits eingesetzten
Kontrakturen und im Zustand der globalen Aphasie ohne Aussicht auf Verbesserung
des neurologischen Status. Bereits im Jahr 2006 hatte sie ihrer Tochter (Beteiligte
zu 1) und ihrem Enkel (Beteiligter zu 2) Vorsorgevollmachten zur jeweils
alleinigen Ausübung erteilt.

Bis 2021 wurde sie in häuslicher Intensivpflege 24 Stunden täglich im
Haus des Enkels durch einen Pflegedienst betreut, wobei auch der Enkel Maßnahmen
der Grundpflege übernahm. Am 3. August 2021 erstattete der Pflegedienst
eine Strafanzeige gegen den Enkel wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen,
laut derer er lebensgefährdende Manipulationen am Beatmungsschlauch
vorgenommen haben soll. Am 16. August 2021 wurde die Betroffene
durch die vom Amtsgericht zur vorläufigen Betreuerin bestellte Beteiligte zu 3 in
eine Intensivwohngemeinschaft verlegt.

Mit Beschluss vom 11. Februar 2022 hat das Amtsgericht im Hauptsacheverfahren
eine Betreuung für den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung, der
Geltendmachung von Rechten der Betreuten gegenüber ihrem/ihrer Bevollmächtigten,
Gesundheitssorge, Heimangelegenheiten, Vermögenssorge und Vertretung
gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern eingerichtet und die
Beteiligte zu 3 als Berufsbetreuerin bestimmt.

Das Landgericht hat die Beschwerden der Tochter und des Enkels der
Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der
Tochter.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Für die Betroffene, die ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen könne,
bestehe trotz der vorliegenden Vorsorgevollmachten ein Betreuungsbedarf, da
beide Bevollmächtigte nicht geeignet seien, die Angelegenheiten der Betroffenen
zu deren Wohl zu besorgen. Zwischen beiden Bevollmächtigten bestünden erhebliche
innerfamiliäre Spannungen. Aufgrund ihrer Uneinigkeit in der Frage des
Aufenthalts und der pflegerischen Versorgung würden sich beide in der Vollmachtausübung
gegenseitig blockieren. Die Eignung des Enkels könne derzeit
auch wegen der gegen ihn erhobenen und noch nicht abschließend geklärten
Misshandlungsvorwürfe nicht bejaht werden. Die Tochter sei zur selbständigen
Ausübung der Betreuung nicht in der Lage, weil sie keine eigenen konkreten Vorstellungen
darüber entwickele, wie sie sich um die Betroffene kümmern wolle,
sondern nur den Pflegedienst für sie sprechen lasse. Die Tochter lasse nicht erkennen,
dass sie sich mit den Vorschlägen des Pflegedienstes sinnvoll auseinandersetze.
Zudem sei im Pflegeheim beobachtet worden, dass die Betroffene auf
Besuche ihrer Tochter und deren Lebensgefährten mit Weinen reagiere. Wegen
fehlender Eignung könnten die Tochter und der Enkel auch nicht als Betreuer
bestellt werden. Demgegenüber bestünden keine Zweifel an der Eignung der
vom Amtsgericht bestellten Berufsbetreuerin, die für eine sachgerechte Versorgung
der Betroffenen sorge.

2. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Zutreffend rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Landgericht verfahrensfehlerhaft
von einer Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren abgesehen
hat.

aa) Gemäß § 278 Abs. 1 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der
Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts
persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen.
Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68
Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt
§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren
die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen.
Doch scheidet dies aus, wenn neue Erkenntnisse zu erwarten sind. Das
ist dann der Fall, wenn das Beschwerdegericht - wie hier - für seine Entscheidung
eine neue Tatsachengrundlage heranzieht, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung
datiert (vgl. Senatsbeschluss vom 6. April 2022 - XII ZB 451/21 -
FamRZ 2022, 1130 Rn. 16 mwN).

bb) Gemessen hieran hätte das Landgericht die Betroffene persönlich anhören
müssen, da es seine Entscheidung ausdrücklich auch auf das erst im Beschwerdeverfahren
eingeholte Sachverständigengutachten gestützt hat.

cc) Das Landgericht durfte von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen
nicht mit der Begründung absehen, die Betroffene sei offensichtlich nicht in
der Lage, ihren Willen kundzutun.

(1) Zwar kann nach § 34 Abs. 2 FamFG die persönliche Anhörung eines
Beteiligten unterbleiben, wenn hiervon erhebliche Nachteile für seine Gesundheit
zu besorgen sind oder der Beteiligte offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen
Willen kundzutun. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Anwendung dieser
Vorschrift auch im Anwendungsbereich von § 278 FamFG nicht ausgeschlossen.
Sie entbindet das Gericht aber nicht von der in § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG
enthaltenen Verpflichtung, sich einen persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu
verschaffen. Denn die für ein Absehen von der Anhörung erforderliche Feststellung,
dass Rückschlüsse auf den natürlichen Willen des Betroffenen offensichtlich
weder aufgrund verbaler noch aufgrund nonverbaler Kommunikation möglich
sind, kann das Gericht regelmäßig nur auf der Grundlage eines noch aktuellen
persönlichen Eindrucks treffen, den es bei einer unmittelbaren Kontaktaufnahme
mit dem Betroffenen gewonnen hat. Zudem dient die persönliche Anhörung nicht
nur der Gewährung rechtlichen Gehörs. Durch sie soll auch sichergestellt werden,
dass sich das Gericht vor der Entscheidung einen persönlichen Eindruck
von dem Betroffenen verschafft, durch den es in die Lage versetzt wird, das eingeholte
Sachverständigengutachten zu würdigen. Schließlich will § 278 Abs. 1
FamFG verhindern, dass es zu einer Betreuerbestellung ohne persönlichen Kontakt
zwischen Gericht und dem Betroffenen kommt (Senatsbeschluss vom 4. November
2020 - XII ZB 344/20 - FamRZ 2021, 224 Rn. 9 f.). An diesen Maßstäben
hat sich auch durch die am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Vorschrift des § 278
Abs. 4 Satz 2 FamFG nichts geändert, denn diese trifft eine abweichende Regelung
nur für den Fall, dass von der persönlichen Anhörung erhebliche Nachteile
für die Gesundheit des Betroffenen zu besorgen sind (vgl. BT-Drucks. 19/24445
S. 332).

(2) Aufgrund dieser rechtlichen Maßstäbe durfte das Landgericht nicht
nach § 34 Abs. 2 FamFG von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen absehen.
Zwar befindet sich die Betroffene nach den getroffenen Feststellungen
derzeit in einem Zustand, in dem sie offensichtlich nicht in der Lage ist, ihren
Willen kundzutun. Das machte es jedoch nicht entbehrlich, sich einen persönlichen
Eindruck von der Betroffenen zu verschaffen, da im erstinstanzlichen Verfahren
eine Anhörung lediglich durch den ersuchten Richter und mithin keine unmittelbare
Kontaktaufnahme des entscheidenden Gerichts mit der Betroffenen
erfolgte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. November 2020 - XII ZB 344/20 - FamRZ
2021, 224 Rn. 11 und vom 8. April 2020 - XII ZB 558/19 - FamRZ 2020, 1121
Rn. 9). Zudem zieht das Landgericht selbst Schlüsse daraus, dass seitens des
Pflegeheims regelmäßig beobachtet worden sei, wie die Betroffene auf Besuche
der Tochter und deren Lebensgefährten mit Weinen reagiere. Schon aufgrund
der herangezogenen Beobachtungen des Pflegeheims hätte das Landgericht
nicht davon absehen dürfen, sich selbst einen Eindruck von der Betroffenen und
möglichst davon zu verschaffen, wie diese auf ihre Angehörigen reagiert.

b) Auch in der Sache fehlt es bislang an einer rechtlich tragfähigen Grundlage
für die Auffassung des Landgerichts, die Bestellung eines Betreuers sei trotz
des Vorliegens einer wirksamen Vorsorgevollmacht erforderlich.

aa) Gemäß § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB (bis 31. Dezember 2022: § 1896
Abs. 2 Satz 1 BGB) darf ein Betreuer nur bestellt werden, wenn dies erforderlich
ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen
durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können (§ 1814
Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB; bis 31. Dezember 2022: § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB).
Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich
entgegen. Steht die - hier vom Landgericht nicht in Zweifel gezogene - Wirksamkeit
der Vorsorgevollmacht fest, kann gleichwohl eine Betreuung erforderlich
sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen
nach dessen Wünschen zu besorgen, insbesondere, wenn zu befürchten ist,
dass er die Angelegenheiten des Vollmachtgebers nicht entsprechend der Vereinbarung
oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers
besorgt. Ergeben sich aus der Vereinbarung und dem erklärten Willen des Vollmachtgebers
keine konkreten Vorgaben, kann der Betroffene seine Wünsche
nicht mehr äußern und ergeben sich auch keine individuellen Anhaltspunkte für
seinen mutmaßlichen Willen, richtet sich dieser nach seinen objektiven Bedürfnissen.
Den daraus abzuleitenden Handlungsmaximen kann der Bevollmächtigte
nicht gerecht werden, wenn er mangels Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken
an seiner Redlichkeit als ungeeignet erscheint (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss
vom 16. November 2022 - XII ZB 212/22 - FamRZ 2023, 308
Rn. 10 mwN).

Über Art und Umfang der zur Frage der Eignung des Vorsorgebevollmächtigten
durchzuführenden Ermittlungen entscheidet das Tatgericht nach pflichtgemäßem
Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle
auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob das Tatgericht alle maßgeblichen
Gesichtspunkte in Betracht gezogen hat und die Würdigung auf einer
ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 16. November
2022 - XII ZB 212/22 - FamRZ 2023, 308 Rn. 11 mwN).

bb) Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hat die
angefochtene Entscheidung keinen Bestand.

(1) Das Landgericht hat nicht in Zweifel gezogen, dass die Tochter der
Betroffenen ein ausreichendes Verständnis für die Schwere von deren Erkrankung
besitzt und deshalb Entscheidungen, die dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen
entsprechen, treffen wird. Es hat lediglich beanstandet, dass die Toch-
ter diese Entscheidungen nicht hinreichend selbstständig erarbeite und das geplante
Vorgehen dem Gericht nicht persönlich erläutern könne, sondern dieses
in die Hand des Pflegedienstes lege und unreflektiert dessen Vorschlägen folge.
Die hierbei angestellten Erwägungen sind indessen nicht frei von Rechtsfehlern.
Zwar hat das Landgericht im Ansatz zutreffend erkannt, dass ein Bevollmächtigter
in der Lage sein muss, die Lebens- und Pflegebedürfnisse des Betroffenen
zu erfüllen. Die Auswahl des Bevollmächtigten obliegt jedoch der Entscheidung
des Vollmachtgebers, die grundsätzlich auch dann zu respektieren ist,
wenn - bei objektiver Betrachtung - die zu regelnden Angelegenheiten durch einen
Betreuer möglicherweise besser erledigt werden könnten. Denn in der Regel
kann davon ausgegangen werden, dass der Vollmachtgeber die Fähigkeiten der
Person, der er eine Vorsorgevollmacht erteilt, bedacht hat. Deshalb kann auch
ein Bevollmächtigter, der mit der eigenverantwortlichen Planung und Organisation
einer pflegerischen Versorgung des Betroffenen überfordert wäre, sich diesbezüglich
aber von Vorschlägen eines zugelassenen Pflegedienstes leiten lässt,
nur dann als ungeeignet angesehen werden, wenn tragfähige Gründe dafür festgestellt
werden können, dass er aufgrund der Art seiner Auseinandersetzung mit
den Vorschlägen des Pflegedienstes die Angelegenheiten des Betroffenen
nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen
der Betroffenen besorgt (vgl. Senatsbeschluss vom 16. November 2022
- XII ZB 212/22 - FamRZ 2023, 308 Rn. 14 mwN).

(2) Solche Umstände hat das Landgericht bislang nicht konkret festgestellt.
Soweit es in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass die Tochter keine
Details darüber nennen konnte, wie sie die von ihr beabsichtigte künftige Unterbringung
der Betroffenen in einem vom ursprünglichen Pflegedienst bereitzustellenden
Zimmer oder einer Einrichtung konkret gestalten wolle, begründet dies
noch keine fehlende Eignung der Tochter. Dieser ist vielmehr Gelegenheit zu geben,
mit Unterstützung eines Pflegedienstes ein tragfähiges ambulantes Konzept
zu entwickeln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein ambulantes Pflegekonzept
bis 2021 bereits umgesetzt werden konnte und deshalb nicht von vornherein undurchführbar
erscheint.

c) Soweit das Landgericht Defizite darin erkennt, dass die bevollmächtigte
Tochter nicht ausreichend in der Lage sei, die Vorschläge des Pflegedienstes
einer eigenen kritischen Würdigung zu unterziehen, und deshalb davon auszugehen
sei, dass sie die Angelegenheiten der Betroffenen nicht entsprechend der
Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen der Betroffenen besorgt,
hätte es sich die Frage vorlegen müssen, ob zur Behebung eines solchen
Mangels die Anordnung lediglich einer Kontrollbetreuung ausreicht (§§ 1815
Abs. 3, 1820 Abs. 3 Nr. 2 BGB; bis 31. Dezember 2022: § 1896 Abs. 3 BGB).
Denn sind behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung festzustellen, erfordert
der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, mittels
eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken,
insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftslegung
(§ 666 BGB) sowie die Ausübung bestehender Weisungsrechte (vgl. Senatsbeschluss
vom 8. Januar 2020 - XII ZB 368/19 - FamRZ 2020, 629 Rn. 12).

d) Defizite schließlich, die darin begründet sind, dass mehrere Bevollmächtigte
unterschiedliche Auffassungen in der Frage des Aufenthalts und der
pflegerischen Versorgung verfolgen und sich dadurch gegenseitig blockieren,
dürfen nicht unbesehen dahin gelöst werden, dass statt beider ein Berufsbetreuer
zur Wahrnehmung der Angelegenheiten bestellt wird. Die Achtung des Selbstbestimmungsrechts
des Betroffenen gebietet es auch in einem solchen Fall vielmehr,
seinen Wunsch, die Angelegenheiten von ausgewählten Bevollmächtigten
regeln zu lassen, bestmöglich zur Geltung zu bringen. Hierzu kann ein Kontrollbetreuer
verbindliche, an den Wünschen des Betroffenen orientierte Weisungen
erteilen, wie ein zwischen den Bevollmächtigten bestehender Sachkonflikt aufzulösen
ist.

3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der
Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen
Feststellungen nicht selbst treffen kann.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass das Betreuungsgericht
nach der seit 1. Januar 2023 geltenden Rechtslage auch für einen
einzelnen Bevollmächtigten anordnen kann, dass er die ihm erteilte Vollmacht
insgesamt oder in bestimmten Angelegenheiten nicht ausüben darf, wenn die
dringende Gefahr besteht, dass dieser Bevollmächtigte nicht den Wünschen des
Vollmachtgebers entsprechend handelt und dadurch die Person des Vollmachtgebers
oder dessen Vermögen erheblich gefährdet (§ 1820 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
BGB). Dies kann sich auch auf Gefahren beziehen, die aus der fehlenden Bereitschaft
eines Bevollmächtigten herrühren, im Konsens mit anderen Bevollmächtigten
von der Vollmacht Gebrauch zu machen.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil
sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung,
zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BGH

Erscheinungsdatum:

29.03.2023

Aktenzeichen:

XII ZB 515/22

Rechtsgebiete:

Vormundschaft, Pflegschaft (familien- und vormundschaftsgerichtliche Genehmigung)
Betreuungsrecht und Vorsorgeverfügungen
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)

Normen in Titel:

BGB §§ 1814 Abs. 3 Nr. 1, 1815 Abs. 3, 1820 Abs. 3 u. 4; FamFG § 34 Abs. 2