BFH 16. September 2004
X R 7/04
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1 a, § 22 Nr. 1 Satz 1; EGBGB Art. 96

Hinreichende Bestimmtheit eines Vertrags zur Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen bei Einräumung eines „freien Altenteilsrechts“

Steuerrecht
24. ErbStG § 10 Abs. 6 Satz 3, § 12 Abs. 1, 3; BewG § 148
Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 (Künftig Bewertung eines Grundstückssachvermächtnisses mit gemeinem Wert?)
1. Der Grundstückswert für Grundstücke, auf denen
sich Gebäude auf fremdem Grund und Boden befinden, ist gemäß § 148 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 BewG
zu ermitteln.
2. Verstößt der nach § 148 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1
BewG ermittelte Wert solch eines Grundstücks, das
mit Gebäuden auf fremdem Grund und Boden bebaut ist, im Einzelfall gegen das Übermaßverbot, ist
er im Wege verfassungskonformer Auslegung der
Vorschrift auf den Verkehrswert des Grundstücks
herabzusetzen.
3. Die Rechtsprechung, wonach die aus reinen Grundstücksvermächtnissen sich ergebenden Sachleistungsverpflichtungen der Erben und Sachleistungsansprüche
der Vermächtnisnehmer ausnahmsweise mit den
Steuerwerten der Grundstücke zu bewerten sind,
bedarf unter der Geltung der §§ 138 ff. BewG einer
Überprüfung.
BFH, Urteil vom 2.7.2004, II R 9/02
Hinweis der Schriftleitung:
Das Urteil ist abgedruckt etwa in BStBl II 2004, 1039 oder
ZEV 2004, 474.
25. EStG § 10Abs. 1 Nr. 1 a, § 22 Nr. 1 Satz 1; EGBGBArt. 96
(Hinreichende Bestimmtheit eines Vertrags zur Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen bei Einräumung eines
„freien Altenteilsrechts“)
Ein Vertrag, der im Rahmen einer Vermögensübergabe
gegen Versorgungsleistungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge den Vermögensübergebern ein „freies
Altenteilsrecht“ einräumt, ist hinreichend bestimmt. Die
vom Kern des Altenteilsrechts erfassten Versorgungsleistungen (insbesondere, im übergebenen Besitz weiterhin
wohnen zu dürfen, sowie freie Verpflegung) bedürfen
weder Festlegungen nach der Art noch nach der Höhe.
BFH, Urteil vom 16.9.2004, X R 7/04
Aus den Gründen:
I.
Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Im Jahr 1977 hatten die Eltern des
Klägers diesem im Wege der vorweggenommenen Erbfolge
ihren Haus- und Grundbesitz übertragen, der bis dahin in
Teilen vom Vater des Klägers als Nebenerwerbslandwirt bewirtschaftet worden war. Gemäß § 4 des Übergabevertrags,
erhielten die Eltern des Klägers „lebenslänglich auf der übertragenen Besitzung ein freies Altenteilsrecht“. Im August
1998 legten der Kläger und seine Eltern in einem weiteren
notariellen Vertrag den genauen Inhalt des Altenteilsrechts
fest. Danach wurde der Umfang des Wohnrechts im Einzelnen
beschrieben, die Pflicht des Klägers benannt, alle Kosten der
Bewirtschaftung der von den Eltern benutzten Räume zu tragen und ebenso seine Pflicht, die Eltern am gemeinsamen Tisch
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zu beköstigen. Mit der Einkommensteuererklärung machten
die Kläger insgesamt 9 386 DM (Verpflegung 7 700 DM und
Energie 1686 DM) als dauernde Last (§ 10Abs. 1 Nr. 1 a EStG)
geltend. Das beklagte Finanzamt ließ die dauernden Lasten
nicht mehr zum Abzug zu. Es betrachtete die Versorgungsleistungen als nach Art und Höhe nicht eindeutig festgelegt.
Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen. Es fehle an einer
klaren und eindeutigen Vereinbarung über die Höhe der Versorgungsleistungen und die Art und Weise der „Zahlung“.
Welche Leistungen mit dem Begriff „freies Altenteilsrecht“
umschrieben und geschuldet würden, sei nicht klar. Art. 96
EGBGB enthalte keine Definition des Altenteils. Weil das
Versorgungsbedürfnis der Eltern des Klägers wegen der Sozialrente des Vaters nicht mit der eines Vollerwerbslandwirts
vergleichbar sei, könne der Übergabevertrag nicht von vorneherein als typischer landwirtschaftlicher Vertrag qualifiziert
werden. Daher lasse sich der Umfang der Verpflichtung des
Klägers nicht eindeutig aus dem Begriff des Altenteils ableiten. Die nachträgliche Konkretisierung führe nicht zu einer
Anerkennung der dauernden Lasten, weil die klaren und
eindeutigen Vereinbarungen bereits zu Beginn des streitigen
Rechtsverhältnisses vorliegen müssten. Mit ihrer Revision
rügen die Kläger die Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 FGO). Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts ist
der Vermögensübergabevertrag hinreichend bestimmt.
1. Als Sonderausgaben abziehbar sind die auf besonderen
Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden
Lasten, die nicht mit Einkünften in Zusammenhang stehen,
die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben (§ 10 Abs. 1
Nr. 1 a EStG). Dauernde Lasten sind in vollem Umfang abziehbar (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 1 EStG). Leibrenten können
– nach näherer Maßgabe des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 2 EStG
nur mit dem Ertragsanteil abgezogen werden.
Werden wiederkehrende Leistungen in sachlichem Zusammenhang mit der Übertragung von Vermögen im Wege der
vorweggenommenen Erbfolge zugesagt (private Versorgungsrenten), stellen diese weder Veräußerungsentgelt des Übergebers noch Anschaffungskosten des Übernehmers dar, sondern sind spezialgesetzlich den Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1
Nr. 1 a EStG) und den wiederkehrenden Bezügen (§ 22 Nr. 1
Satz 1 EStG) zugeordnet (Urteil des BFH vom 27.8.1997
X R 54/94, BStBl II 1997, 813, unter II. 1. b, m. w. N.).
2. Der zu beurteilende Vertrag beinhaltet eine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen. Dieser Würdigung
steht nicht entgegen, dass Gegenstand der Vermögensübergabe keine im Vollerwerb betriebene Landwirtschaft, sondern
die eines Nebenerwerbslandwirts war. Maßgeblich ist, dass
dem Kläger der Haus- und Grundbesitz seiner Eltern im Wege
der vorweggenommenen Erbfolge zur weiteren Bewirtschaftung übertragen wurde, dass den Vermögensübergebern dafür
ein lebenslängliches Altenteilsrecht eingeräumt wurde und
dass der Vermögensübernehmer die geschuldeten Versorgungsleistungen aus den Erträgen des übertragenen Vermögens erwirtschaften konnte.
3. Der Übergabevertrag vom 5.2.1977 zwischen dem Kläger und seinen Eltern entspricht einem Altenteilsvertrag im
Sinne des in Nordrhein-Westfalen fortgeltenden vorkonstitutionellen Ausführungsgesetzes zum EGBGB für das Königreich Preußen vom 20.9.1899, jedenfalls aber einem Versorgungsvertrag, der dem landesrechtlich geregelten AltenRechtsprechung
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teilsvertrag zumindest vergleichbar ist (vgl. Senatsurteil vom
25.3.1992 X R 38/86, BFH/NV 1992, 595). Die Beteiligten
haben übereinstimmend ein lebenslängliches und freies
Altenteil für die Eltern des Klägers begründet.
4. Auch wenn die Auslegung von Verträgen zu den tatsächlichen Feststellungen i. S. des § 118 Abs. 2 FGO gehört, ist
das Revisionsgericht berechtigt, sie darauf zu überprüfen, ob
die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB –), die Denkgesetze und allgemeinen Erfahrungssätze zutreffend angewendet worden sind.
a) Unter Berücksichtigung des Kerns des Begriffs des Altenteilrechts ergibt eine §§ 133 und 157 BGB beachtende
Auslegung des Übergabevertrags, dass den Eltern des Klägers
darin ein Anspruch auf die unentgeltliche Überlassung von
Wohnräumen und die unentgeltliche Verköstigung eingeräumt wurde. Das hat das FG verkannt.
b) Unabhängig davon, ob im Rahmen einer Vermögensübergabe den Übergebern eine Geldrente eingeräumt wird, ist
das Recht der Altenteiler, im übergebenen Besitz weiterhin
wohnen zu dürfen und am Tisch der Übernehmer verköstigt
zu werden, seit jeher ein zentrales Element einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen und damit ohne
weiteres von dem Begriff „Altenteilsrecht“ erfasst. Dies entspricht im Streitfall dem Willen der Vertragsbeteiligten und
der Verkehrssitte, ohne dass es dafür einer weitergehenden
Konkretisierung bedarf. Das wird unterstrichen durch die
Bezeichnung des Übergabevertrags mit dem überkommenen
Begriff „Übertragsvertrag“, dessen wesentlicher Inhalt als allgemein bekannt und anerkannt anzusehen war (vgl. Urteil des
Reichsgerichts vom 11.2.1913 VII 296/12, RGZ 81, 311). Insoweit bedurften die vom Kern des Altenteilbegriffs erfassten
Versorgungsleistungen keiner näheren Festlegung nach Art
und Höhe. Charakter und Ausmaß dieser Naturalleistungen
ergeben sich aus dem Üblichen unter Berücksichtigung der
individuellen Verhältnisse der Beteiligten, so dass sie anders
als etwa eine Barrente nicht auf eine klare Konkretisierung
angewiesen sind. Dieses Grundverständnis eines Altenteils
liegt auch den einschlägigen landesgesetzlichen Bestimmungen zugrunde, selbst wenn diese Konkretisierungen zulassen.
Weil mit dem Kernbestand eines Altenteilrechts nur die
Grundbedürfnisse des Wohnens und der Verköstigung abgedeckt sind, wird die Bestimmtheit der konkret geschuldeten
Versorgungsleistungen nicht dadurch beeinträchtigt, dass der
Vater des Klägers aus seiner früheren Berufstätigkeit eine
Rente bezieht. Einer etwaigen Überversorgung kommt bei der
Beurteilung der Versorgungsleistungen keine Bedeutung zu
(vgl. Senatsurteile vom 24.3.1993 X R 4/92, BFH/NV 1993,
717; vom 31.8.1994 X R 79/92, BFH/NV 1995, 382, und vom
16.3.1999 X R 87/95, BFH/NV 2000, 12, unter II. 1. d). Damit genügt der Vertrag des Klägers mit seinen Eltern den
an eine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen zu
stellenden Anforderungen an die Eindeutigkeit und Klarheit.
c) Dem 1998 geschlossenen Ergänzungsvertrag kommt
lediglich eine klarstellende und keine rechtsbegründende
Wirkung zu. Für die Entscheidung des Streitfalls ist er ohne
Bedeutung.
Anmerkung:
1. Die vorstehende Entscheidung des BFH hätte so auch zu
einem „bayerischen“ Szenario ergehen können. Für die steuerliche Beurteilung spielt es keine Rolle, ob der Übergabevertrag ein „Altenteilsvertrag“ nach in Nordrhein-Westfalen
weitergeltendem preußischem Recht ist oder aber ein LeibSteuerrecht
gedingsvertrag i. S. von Art. 7 ff. BayAGBGB.1 Das Konkretisierungsproblem, dem sich der BFH zur Beurteilung der
steuerlichen Abzugsfähigkeit der gewährten Versorgungsleistungen stellen musste, dürfte sich in der gegenwärtigen
Kautelarpraxis erledigt haben, kann aber für Altfälle auch in
Bayern noch von Bedeutung sein.
2. Das Judikat fügt sich nahtlos ein in die aktuelle Rechtsentwicklung zur Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen, ausgehend von den grundlegenden Beschlüssen des
Großen Senats des BFH vom 12.5.2003.2 Versorgungsleistungen werden als vom Übergeber vorbehaltene Erträge seines
Vermögens betrachtet, die nunmehr jedoch vom Übernehmer
erwirtschaftet werden müssen.3 Dabei kommt es nur noch
darauf an, ob die erzielbaren laufenden Nettoerträge des übergebenen Vermögens die vereinbarten wiederkehrenden Leistungen abdecken.4 Ob die übertragene Wirtschaftseinheit für
sich genommen ausreichend ertragbringend ist, ist nicht entscheidend. Das übertragene Vermögen muss nur grundsätzlich für eine generationenübergreifende Anlage geeignet und
bestimmt sein und dem Übernehmer zur Fortsetzung des
Wirtschaftens überlassen werden, um damit wenigstens teilweise die Existenz des Übergebers zu sichern.5 Die Finanzverwaltung hat diese Sichtweise in den III. Rentenerlass übernommen.6
Vor diesem Hintergrund bezieht der (für Fragen des Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG zuständige)
X. Senat konsequenterweise auch Nebenerwerbsbetriebe in
den Kreis der steuerlich übergabefähigen Vermögensgegenstände ein, ohne jedoch auf die Rechtsprechungsänderung
durch den Großen Senat ausdrücklich einzugehen. Damit
steht zugleich fest, dass bloße Liebhaberobjekte – etwa die
„Hobbyzucht“ – nicht Gegenstand einer Vermögensübergabe
gegen Versorgungsleistungen sein können (es sei denn, es wird
eine Umschichtung in eine versorgungsfähige Wirtschaftseinheit im Übergabevertrag vereinbart)7. Auf die Praxis kommen
hier Abgrenzungs- und Nachweisprobleme zu. Denn es muss
noch als offen bezeichnet werden, ob die bestehende (widerlegbare) Vermutung für eine existenzsichernde Wirtschaftseinheit bei Fortführung des Unternehmens durch den Übernehmer8 auch auf Nebenerwerbsbetriebe Anwendung findet.
Dagegen spricht, dass dann sehr leicht auch die Liebhaberei
zur steuerlich anerkannten Übergabe gegen „Versorgungsleistungen“ führen könnte (so dass in Wahrheit Unterhaltsleistungen steuerlich anerkannt würden),9 dafür, dass auch Teilbetriebe in die Vermutung einbezogen werden.10 Die Aussonde1 Vgl. auch Art. 96 EGBGB.
2 GrS 1/00, BStBl 2004 II, 95 = MittBayNot 2004, 306 ff.;
GrS 2/00, BStBl 2004 II, 100 = MittBayNot 2004, 310 ff.
3 BFH, MittBayNot 2004, 306, 308 (unter C. II. 2. c der Gründe),
unter Berufung auf BFH BStBl 1990 II, 847.
4 BFH, MittBayNot 2004, 306, 308 (unter C. II. 3. der Gründe).
5 In diese Richtung schon BFH, MittBayNot 2004, 306, 309 (unter
C. II. 6. a der Gründe).
6 Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF)
v. 16.9.2004, IV C 3 – S 2255 – 354/04, BStBl 2004 I, 922 = MittBayNot 2005, 85 ff. (Tz. 6 ff., 9 ff.); vgl. hierzu Hipler, ZEV 2004,
412 ff.; Schwenke, DStR 2004, 1679 ff.; Everts, MittBayNot
2005, 13 ff.
7 BFH, MittBayNot 2004, 306, 309 (unter C. II. 6. a der Gründe);
BMF (Fn. 6), Tz. 13.
8 BFH, MittBayNot 2004, 306, 310 (unter C. II. 6. d bb der Gründe);
BMF (Fn. 6), Tz. 23.
9 Schönfelder, ZEV 2005, 31, 32.
10 BMF (Fn. 6), Tz. 23.
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Rechtsprechung
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Steuerrecht
rung von Verlustobjekten wird daher m. E. nur durch die Widerlegung der Vermutung im Einzelfall, d. h. durch die konkrete Ertragsprognose, erfolgen können.11
3. Aus der Rechtfertigung des Instituts der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen mit der Rechtsfigur der
vorbehaltenen Erträge ist zudem zu folgern, dass das Versorgungsmotiv der Beteiligten keine Rolle für die rechtliche Einordnung spielt.12 Dies war der Rechtsprechung zwar auch
bisher zu entnehmen.13 Der BFH stellt es nunmehr nochmals
fest, ohne allerdings auch hier einen ausdrücklichen Bezug
zur aktuellen Judikatur herzustellen. Eine etwaige „Überversorgung“ des Übergebers, etwa weil er, wie im entschiedenen
Fall, bereits anderweit eine Rente bezieht oder aber die ausgeworfenen Beträge angesichts des übertragenen Vermögenswertes so hoch sind, dass sie bei den konkreten Lebensverhältnissen des Übergebers niemals verbraucht werden können,
steht der steuerlichen Anerkennung der Versorgungsleistungen also nicht entgegen.
Notarassessor Dr. Arne Everts, Würzburg
11 Vgl. hierzu BMF (Fn. 6), Tz. 23.
12 Everts, MittBayNot 2005, 13, 15 f. m. w. N.
13 Vgl. die Nachw. im Besprechungsurteil (unter 4. b der Gründe).
26. GrEStG §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 (Erwerb eines Hausbausatzes vom Grundstücksverkäufer)
Die Annahme eines einheitlichen Erwerbsgegenstandes
„bebautes Grundstück“ setzt voraus, dass entweder der
Veräußerer selbst oder ein mit ihm zusammenwirkender
Dritter dem Erwerber gegenüber verpflichtet ist, den
tatsächlichen Grundstückszustand zu verändern, d. h. das
Grundstück zukünftig in einen bebauten Zustand zu versetzen. Beim Erwerb eines Hausbausatzes vom Grundstücksverkäufer kann deshalb nur dann das mit dem Bausatzhaus bebaute Grundstück einheitlicher Erwerbsgegenstand sein, wenn der Grundstücksveräußerer auch zur
Aufstellung und Montage der Bausatzteile auf dem Grundstück verpflichtet ist.
BFH, Urteil vom 27.10.2004, II R 12/03
Die Kläger beabsichtigten, auf einem ihnen zum Kauf angebotenen
Grundstück ein Bausatzhaus in Blockhausbauweise zu errichten.
Hierzu kauften sie 1995 von der F-GmbH einen Hausbausatz zu
einem Preis von 169.500 DM. Nach Abschnitt 4 des Vertrages sollte
die Lieferung als erfüllt gelten, wenn der Blockhaus-Holzteilebausatz
an der frei befahrbaren Baustelle, auf dem Transportfahrzeug liegend,
angeliefert wurde. Die Entladung wie auch die Montage des Bausatzhauses auf dem Grundstück waren Aufgabe der Kläger. Nach dem
„Leistungsverzeichnis“, das dem Kaufvertrag beigefügt war, hatte die
F-GmbH die Baugenehmigungsunterlagen nebst Statik und Ausführungsplänen anzufertigen, den Wärmeschutznachweis zu erbringen sowie Montagepläne und eine Aufbauanleitung in Bild und Text
zu liefern. Ferner hatte die F-GmbH für 32 Stunden einen „Richtmeister“ für die fachliche Anleitung der Kläger bei der Errichtung des
Rohbaus zu stellen. In der hierzu als „Dienstverschaffungsvertrag“
bezeichneten Vereinbarung verpflichteten sich die Kläger, „den fachlichen Anordnungen des Instrukteurs unbedingt Folge zu leisten“, ansonsten könne dieser seine Tätigkeit sofort beenden; auch Gewährleistungsansprüche seien in diesem Fall ausgeschlossen.
Mit der B-GmbH i. G. schlossen die Kläger 1995 einen Grundstückskaufvertrag ab. Dieser kam jedoch wegen finanzieller Schwierigkeiten bei der Verkäuferin nicht zur Durchführung. In der1998 durchgeführten Zwangsversteigerung erwarb die F-GmbH das Grundstück
und veräußerte dieses anschließend durch notariell beurkundeten
MittBayNot 4/2005
Kaufvertrag im Jahr 1999 zu einem Kaufpreis von 87.210 DM an die
Kläger. Nach § 6 dieses Vertrages waren die Kläger verpflichtet, auf
dem erworbenen Grundstück ein Fertigteilhaus der F-GmbH zu errichten. Ansonsten sollte die F-GmbH vom Grundstückskaufvertrag
zurücktreten können. Die Errichtung des Rohbaus (Montage der
Hausbauteile) nahmen die Kläger mit Hilfe eines von ihnen beauftragten Krandienstes und zahlreicher Helfer (Verwandte, Freunde)
nach den Anweisungen des Richtmeisters vor.
Das beklagte Finanzamt sah in dem Grundstückskaufvertrag und dem
Blockhauslieferungsvertrag „ein einheitliches Vertragswerk“ und setzte
durch zwei getrennte Bescheide ausgehend von einer (Gesamt-)Gegenleistung von 256.710 DM (Grundstückskaufpreis: 87.210 DM zuzüglich Gebäudepreis: 169.500 DM) Grunderwerbsteuer gegen die
Kläger in Höhe von jeweils 4.492 DM fest.
Einspruch und Klage, mit denen sich die Kläger gegen die Einbeziehung des Kaufpreises für den Hausbausatz in die grunderwerbsteuerrechtliche Bemessungsgrundlage wandten, blieben ohne Erfolg. Das
FG folgte der Rechtsauffassung des FA, dass als Gegenstand des Erwerbsvorgangs der Kläger nicht nur das unbebaute, sondern das mit
dem Fertighaus der F-GmbH bebaute Grundstück anzusehen sei. Die
Kläger seien bei Abschluss des Grundstückskaufvertrages hinsichtlich der Bebauung des Grundstücks mit dem bei der F-GmbH bereits
bestellten Haus gebunden gewesen. Gegenstand des Kaufvertrages
hinsichtlich des Hausbausatzes sei nicht nur die Lieferung der für die
Rohbauerstellung notwendigen Baumaterialien gewesen; vielmehr
habe der Vertrag darauf abgezielt, den Klägern das Grundstück bebaut zu verschaffen; denn die F-GmbH habe wesentliche, nämlich die
planerisch-organisatorischen Arbeiten im Zusammenhang mit der Errichtung des Gebäudes zu erbringen gehabt. So habe sie neben der
Lieferung der erforderlichen Baumaterialien sämtliche Pläne und
Aufbauanleitungen erstellt und den Richtmeister als Bauleiter eingesetzt und die Einweisungen vornehmen lassen (EFG 2003, 794).
Mit der Revision rügen die Kläger fehlerhafte Anwendung von §§ 8
Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Das FG habe nicht berücksichtigt,
dass sie das Haus selbst und mit Hilfe von Drittunternehmern sowie
Freunden, Verwandten und Bekannten errichtet hätten.
Gründe:
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Herabsetzung der festgesetzten Steuer
in dem von den Klägern beantragten Umfang (§ 126 Abs. 3
Nr. 1 FGO).
1. Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass im Streitfall
als einheitlicher Erwerbsgegenstand das von den Klägern erworbene Grundstück einschließlich der Bebauung mit dem
von der F-GmbH gelieferten Fertigteilhaus anzusehen ist.
a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Erwerb eines
Anspruchs auf Übereignung eines inländischen Grundstücks
der Grunderwerbsteuer. Bemessungsgrundlage ist gemäß § 8
Abs. 1 GrEStG die Gegenleistung. Bei einem Grundstückskauf gilt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG als Gegenleistung u. a.
der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen
sonstigen Leistungen. Danach gehören alle Leistungen des
Erwerbers zur grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistung
(Bemessungsgrundlage), die dieser nach den vertraglichen
Vereinbarungen gewährt, um das Grundstück zu erwerben.
Entscheidend für den Umfang der Bemessungsgrundlage ist
dabei, in welchem tatsächlichen Zustand das Grundstück Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist (vgl. z. B. Urteile des BFH
vom 11.3.1981, II R 77/78, BFHE 133, 230, BStBl II 1981,
537; vom 24.1.1990, II R 94/87, BFHE 160, 284, BStBl II
1990, 590, und vom 27.10.1999, II R 17/99, BFHE 189, 550,
BStBl II 2000, 34). Dieser bestimmt sich nicht nur nach dem
Rechtsgeschäft, das den Übereignungsanspruch begründet.
Vielmehr können auch weitere Verträge ggf. mit anderen Vertragspartnern einzubeziehen sein. Bei einer solchen Mehrheit
von Verträgen ist ein Grundstück in bebautem Zustand Erwerbsgegenstand, wenn zwischen ihnen ein so enger sachlicher

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

BFH

Erscheinungsdatum:

16.09.2004

Aktenzeichen:

X R 7/04

Rechtsgebiete:

Einkommens- und Körperschaftssteuer

Erschienen in:

MittBayNot 2005, 342-344

Normen in Titel:

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1 a, § 22 Nr. 1 Satz 1; EGBGB Art. 96