Nachehelicher Unterhalt; engere Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates
letzte Aktualisierung: 7.9.2022
BGH, Beschl. v. 11.5.2022 – XII ZB 543/20
EuUntVO Art. 15; HUP Art. 3 Abs. 1, 5, 8
Nachehelicher Unterhalt; engere Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates
a) Ob für eine engere Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates nach Art. 5 HUP
Anhaltspunkte von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass der gewöhnliche Aufenthalt
des Unterhaltsberechtigten als in der Regel maßgeblicher Anknüpfungspunkt zurücktritt, ist eine
Frage der bei der vorzunehmenden wertenden Gesamtbetrachtung zu berücksichtigenden
Einzelfallumstände.
b) Zur engeren Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates nach Art. 5 HUP bei aufgrund
beruflicher Verhältnisse eines Ehegatten („Expatriate“) jeweils befristeten Aufenthalten in
verschiedenen Ländern.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin (im Folgenden: Ehefrau) begehrt vom Antragsgegner
(im Folgenden: Ehemann) nachehelichen Unterhalt.
Die Beteiligten, die beide deutsche Staatsangehörige sind, lebten mit ihrer
1992 geborenen Tochter seit dem Jahr 1994 gemeinsam in Schottland, wo der
Ehemann eine Doktorandenstelle innehatte. Im Jahr 1999 ging der Ehemann ein
Arbeitsverhältnis mit einem weltweit tätigen Mineralölunternehmen ein, wonach
er als so genannter Expatriate für eine jeweils befristete Zeit von in der Regel vier
Jahren an einem internationalen Standort des Unternehmens tätig sein sollte.
Daraus ergab sich - unter zwischenzeitlicher Verlängerung - zunächst ein Aufenthalt
der Familie in den Niederlanden von 1999 bis 2008, wo die Beteiligten im
Jahr 2006 einen Partnerschaftsvertrag nach niederländischem Recht schlossen
und im Juli 2008 heirateten. Anschließend lebten sie im Zuge einer befristeten
Tätigkeit des Ehemanns im Sultanat Brunei. Seit Juni 2012 hielt sich die Familie
im US-Bundesstaat Texas auf, wo der Ehemann für das Unternehmen im Rahmen
eines zunächst auf längstens fünf Jahre befristeten Einsatzes zu den Bedingungen
eines -
Im Anschluss an die Trennung der Beteiligten im Februar 2015 wurde ihre
Ehe auf ihren beiderseitigen Antrag durch Urteil des Bezirksgerichts des 505. Gerichtsbezirks,
Fort Bend County, Texas, vom 8. Dezember 2017 rechtskräftig geschieden.
Im Rahmen einer Mediation hatten sie am 6. Oktober 2017 eine - durch
das Urteil bestätigte - Scheidungsfolgenvereinbarung getroffen, die im Wesentlichen
Regelungen zur Vermögensauseinandersetzung einschließlich der vom
Ehemann erworbenen Anrechte auf Altersvorsorge enthielt. Seit der Scheidung
hält sich die Ehefrau bei ihren Eltern in Deutschland auf, während der Ehemann
weiterhin in Texas lebt.
Das Amtsgericht hat den Antrag der Ehefrau, den Ehemann zur Zahlung
eines rückständigen nachehelichen Ehegattenunterhalts für den Zeitraum von
April 2018 bis Juni 2018 in Höhe von insgesamt 15.546,09
Unterhalts ab Juli 2018 in Höhe von monatlich insgesamt 5.182,03
ten, auf der Grundlage des nach seiner Auffassung anwendbaren texanischen
Unterhaltsrechts zurückgewiesen. Die Beschwerde der Ehefrau hatte vor dem
Oberlandesgericht keinen Erfolg. Hiergegen wendet sie sich mit der zugelassenen
Rechtsbeschwerde, mit der sie weiterhin ihren Antrag auf nachehelichen Unterhalt
nach deutschem Recht verfolgt.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner in FamRZ 2021,
1030 veröffentlichten Entscheidung Folgendes ausgeführt:
Entgegen der Auffassung der Ehefrau beurteile sich der von ihr geltend
gemachte Anspruch in Anwendung des Haager Unterhaltsprotokolls vom 23. November
2007 (HUP) nach texanischem Unterhaltsrecht. Da die Beteiligten im
Zuge des Scheidungsverfahrens keine Rechtswahl im Sinne des
hätten, komme es nach
Aufenthalt der berechtigten Person an. Anstelle des danach einschlägigen
deutschen Rechts sei hier jedoch gemäß Art. 5 HUP texanisches Recht
maßgeblich, weil sich der Ehemann gegen die Anwendung deutschen Rechts
wende und vorliegend das Recht des Bundesstaats Texas eine engere Verbindung
zur Ehe der Beteiligten aufweise. Im Rahmen der hierbei gebotenen Beurteilung
komme es auf alle Verbindungen der Ehe zu den verschiedenen betroffenen
Ländern an. Außer Betracht blieben hingegen Umstände, die vor der Eheschließung
oder nach der Ehescheidung eingetreten seien.
Im vorliegenden Fall spreche für eine engere Verbindung zum texanischen
Recht, dass die Beteiligten bezogen auf die gesamte Ehezeit am längsten in
Texas gelebt hätten. Dass es sich hierbei auch um den letzten gemeinsamen
gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten handele, indiziere eine enge Verbindung
zu der dortigen Rechtsordnung. Der Umstand, dass für die Beteiligten die Dauerhaftigkeit
ihres Aufenthalts in Texas nicht festgestanden habe, stehe einer engeren
Verbindung deshalb nicht entgegen, weil diese durch weitere Umstände
untermauert werde. Die Beteiligten hätten sich bewusst zur Durchführung ihrer
Scheidung in Texas entschlossen und sich damit für die dortige Rechtsordnung
entschieden, auch wenn diese Ortswahl letztlich aus Gründen der Praktikabilität
erfolgt sei. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Ehemann dort weiterhin seinen
gewöhnlichen Aufenthalt habe und dieser im Hinblick auf seinen Antrag zur
Erteilung nun auf Dauer angelegt sei.
Die Verbindung der Beteiligten zu Deutschland bestehe demgegenüber im
Wesentlichen in ihrer gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit. Dieses Kriterium
sei jedoch im Rahmen des Art. 5 HUP grundsätzlich zurückhaltend zu bewerten.
Darüber hinaus seien die Beteiligten nur durch gelegentliche Besuche
mit Deutschland verbunden gewesen; eine Rückkehr dorthin habe während der
Ehezeit nicht in Frage gestanden. Auch der Umstand, dass die Beteiligten in den
Niederlanden einen Partnerschaftsvertrag abgeschlossen und geheiratet hätten,
verdeutliche, dass sie Deutschland gerade nicht als gemeinsame Basis angesehen
hätten. Es bestehe allerdings auch keine engere Verbindung der Ehe zu den
Niederlanden, da der Ort der Eheschließung in der Regel keine engere Verbindung
als der Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts begründen könne und die
Beteiligten nach der Heirat nicht mehr in den Niederlanden gelebt hätten.
Ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt bestehe nach dem hier maßgeblichen
§ 8.051 Abs. 2 des texanischen Family Code nur, wenn die Ehe mindestens
zehn Jahre gedauert habe und zudem weitere Voraussetzungen der Bedürftigkeit
des Berechtigten erfüllt seien. Im vorliegenden Fall scheitere ein Anspruch
bereits an der nicht gegebenen Mindestdauer. Deshalb könne auch dahinstehen,
ob die Geltendmachung von Unterhalt schon aufgrund eines auch insoweit
abschließenden Charakters des Scheidungsurteils ausgeschlossen sei.
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht
stand.
a) Zutreffend hat das Oberlandesgericht allerdings die internationale Zuständigkeit
der deutschen Gerichte bejaht, die unbeschadet des Wortlauts
des
in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
in der Rechtsbeschwerdeinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (Senatsbeschluss
vom 31. März 2021 - XII ZB 516/20 -
Sie ergibt sich im vorliegenden Fall aus Art. 1 Abs. 1, Art. 3 lit. b der Verordnung
(EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das
anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen
und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUntVO), weil die Ehefrau ihren
gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.
b) Ohne Erfolg macht der Ehemann geltend, dem Unterhaltsantrag der
Ehefrau stehe entgegen, dass über diesen Streitgegenstand eine rechtskräftige
Entscheidung in dem in Texas durchgeführten Scheidungsverfahren ergangen
sei. Soweit er sich insoweit auf ein Verfahrenshindernis beruft, ist dessen Vorliegen
allerdings in jedem Rechtszug von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senatsbeschluss
vom 10. Dezember 2014 - XII ZB 662/13 -
mwN) und kann - anders als vom Oberlandesgericht angenommen - wegen des
grundsätzlichen Vorrangs der Zulässigkeitsprüfung (vgl. Senatsurteil vom 25. Januar
2012 - XII ZR 139/09 -
eine etwaige Unbegründetheit des Antrags dahinstehen. Ausreichend tragfähige
Anhaltspunkte, wonach in dem Scheidungsverfahren eine Sachentscheidung
über die Frage des nachehelichen Unterhalts getroffen wurde, sind jedoch weder
dem Scheidungsurteil vom 8. Dezember 2017 noch der ihm zugrundeliegenden,
auf solche Ansprüche ebenfalls nicht Bezug nehmenden Mediationsvereinbarung
vom 6. Oktober 2017 zu entnehmen; sie sind auch nicht anderweitig vorgetragen
oder ersichtlich.
c) Indes ist es rechtsfehlerhaft, dass das Oberlandesgericht texanisches
Unterhaltsrecht angewendet und auf dieser Grundlage einen Unterhaltsanspruch
der Ehefrau verneint hat.
aa) Wie das Oberlandesgericht im Ausgangspunkt zutreffend annimmt,
bestimmt sich das auf den hier geltend gemachten Unterhaltsanspruch anwendbare
Recht gemäß
2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (ABl. EG
Nr. L 331 vom 16. Dezember 2009 S. 19; Haager Unterhaltsprotokoll - HUP).
Wegen der in
Sicht nicht darauf an, dass die Vereinigten Staaten von Amerika kein Vertragsstaat
sind (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 - XII ZB 358/19 - FamRZ
2020, 918 Rn. 12 mwN).
bb) Frei von Rechtsbedenken ist auch die Auffassung des Oberlandesgerichts,
dass die Beteiligten im Zuge ihres Scheidungsverfahrens keine Rechtswahl
bezüglich des anwendbaren Unterhaltsrechts getroffen haben. Nimmt man
an, dass eine Rechtswahl im Sinne des Art. 8 Abs. 1 HUP nicht nur ausdrücklich,
sondern auch konkludent getroffen werden kann (Grüneberg/Thorn BGB
81. Aufl. Art. 8 HUntProt Rn. 31 mwN), bedarf es hierfür jedenfalls eines anhand
der Gesamtumstände festzustellenden Rechtswahlwillens der Beteiligten (Rauscher/
Andrae EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 8 HUntStProt Rn. 6; vgl. auch Senatsurteil
Frage des nachehelichen Unterhalts bezogenen Willen musste das Oberlandes-
gericht nicht aus den gegebenen Umständen folgern, zumal sich aus der Scheidungsfolgenvereinbarung
vom 6. Oktober 2017 kein erkennbarer Bezug zu dieser
Frage ergibt.
cc) Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch erfolgreich die Anwendung des
Art. 5 HUP durch das Oberlandesgericht.
(1) Nach der Grundregel des
das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen
Aufenthalt hat. Allerdings findet diese Anknüpfung in Fällen des Ehegattenunterhalts
gemäß Art. 5 HUP keine Anwendung, wenn eine der Parteien sich
dagegen wendet und das Recht eines anderen Staates, insbesondere des Staates
des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten, zu der
betreffenden Ehe eine engere Verbindung aufweist. Hintergrund der als Einrede
zu qualifizierenden Regelung ist das Vertrauen eines Ehegatten in diejenige
Rechtsordnung, der sich beide Eheleute während des Bestehens der Ehe unterstellt
haben (Senatsurteil vom 26. Juni 2013 - XII ZR 133/11 -
Rn. 44 mwN). Ein Ehegatte soll nicht die Möglichkeit haben, das Bestehen und
den Inhalt der Unterhaltspflicht durch einen einseitigen Wechsel des gewöhnlichen
Aufenthaltsorts auf unfaire Weise zu beeinflussen (Bonomi Erläuternder Bericht
zum HUP Rn. 78, veröffentlicht bei www.hcch.net).
Art. 5 HUP stellt die Ausnahme zu der in Art. 3 HUP niedergelegten Grundanknüpfung
dar. Lässt sich daher keine andere Rechtsordnung feststellen, zu der
die Ehe der Beteiligten eine engere Verbindung aufweist, bleibt es nach - soweit
ersichtlich - allgemeiner Meinung aufgrund dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses
bei der allgemeinen Regel des Art. 3 HUP für das anzuwendende Recht (vgl.
BeckOK BGB/Heiderhoff [Stand: 1. Februar 2022] HUP 2007 Art. 5 Rn. 5; Klinkhammer
in Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens Neue
Impulse im europäischen Familienkollisionsrecht S. 163, 181; Münch-
KommBGB/Staudinger 8. Aufl. Art. 5 HUP Rn. 21; Rauscher/Andrae
EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 5 HUntStProt Rn. 18; Staudinger/Mankowski BGB
[2021] Art. 5 HUP Rn. 41; vgl. auch OGH Wien
BeckOGK/Yassari [Stand: 1. Dezember 2020] Art. 5 HUP Rn. 25; Hausmann Internationales
und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. C Rn. 616; Münch-
KommBGB/Staudinger 8. Aufl. Art. 5 HUP Rn. 9; Uecker
OGH Wien
4. Aufl. Art. 5 HUntStProt Rn. 13b).
(2) Art. 5 HUP verlangt eine wertende Gesamtbetrachtung. Ob für eine
engere Verbindung zum Recht eines anderen Staates Anhaltspunkte von solcher
Art und solchem Gewicht bestehen, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten
als in der Regel maßgeblicher Anknüpfungspunkt zurücktritt,
ist eine Frage der Einzelfallumstände (vgl. Bonomi Erläuternder Bericht zum HUP
Rn. 82, 85; Hausmann Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl.
C Rn. 617; NK-BGB/Bach 3. Aufl. Art. 5 HUP Rn. 15; jurisPK-BGB/Ludwig
[Stand: 1. März 2020] Art. 5 HUP Rn. 15; vgl. auch OGH Wien
Als solche kommen neben dem vom Normgeber in Art. 5 HUP ausdrücklich gemen
gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten weitere Gesichtspunkte in Betracht,
etwa ein früherer gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten während
der Ehe, ihre Staatsangehörigkeit, der Ort der Eheschließung sowie der Ort der
Trennung oder Scheidung (vgl. Bonomi Erläuternder Bericht zum HUP Rn. 85;
OGH Wien
- XII ZR 133/11 -
Die Abwägung der für die Beurteilung einer engeren Verbindung im Sinne
des Art. 5 HUP in Betracht kommenden Gesichtspunkte ist Aufgabe des Tatrichters.
Sie ist vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin zu überprüfen, ob sie
gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder sonst auf rechtsfehlerhaften
Erwägungen beruht (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Juni 2019
- XII ZB 299/18 -
(3) Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält die
Annahme einer engeren Verbindung der Ehe der Beteiligten zum Recht des Bundesstaates
Texas durch das Oberlandesgericht den Angriffen der Rechtsbeschwerde
nicht stand. Dessen Würdigung, wonach der - im Wesentlichen durch
den nicht auf Dauer angelegten gemeinsamen Aufenthalt in Texas vermittelte -
Bezug zum Recht des Bundesstaates Texas ein höheres Gewicht als die zur Anwendung
deutschen Unterhaltsrechts führende Grundanknüpfung des gewöhnlichen
Aufenthalts der Ehefrau (
Mit Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Oberlandesgericht auf der
Grundlage seiner Feststellungen zu den Lebensumständen der Beteiligten, insbesondere
zu den Umständen ihres Aufenthalts in Texas, dem Gesichtspunkt
des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts im hier zu beurteilenden
Einzelfall einen unvertretbar hohen Stellenwert eingeräumt hat.
(a) Allerdings erwähnt Art. 5 HUP als einzigen Staat ausdrücklich denjenigen
des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten als einen
in Betracht kommenden anderen Staat, zu dem die Ehe eine engere Verbindung
als zum Aufenthaltsstaat des Unterhaltsberechtigten (
kann. Damit wird das Gewicht des letzten gemeinsamen Aufenthalts insoweit
fraglos betont. Gleichwohl wird diesem Kriterium, wie bereits aus dem Normtext
-Einleitung ersichtlich nur beispielhaft erfolgten
Nennung ohne weiteres folgt, kein absoluter Charakter beigegeben. Vielmehr
handelt es sich um einen bedeutsamen, jedoch nicht notwendig um den ausschlaggebenden
Umstand, weil es stets einer Gesamtabwägung bedarf (vgl. Bonomi
Erläuternder Bericht zum HUP Rn. 81, 86; OGH Wien
345; Rauscher/Andrae EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 5 HUntStProt Rn. 17 f. mwN).
(b) Für die hier zu beurteilende Fallgestaltung ist die Bedeutung des letzten
gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten jedoch entwertet. Der
gemeinsame Aufenthalt in Texas ab dem Jahr 2012 war nach den vom Oberlandesgericht
getroffenen Feststellungen nicht auf Dauer angelegt, sondern reihte
sich in eine - durch die beruflichen Verhältnisse des Ehemanns bedingte - regelmäßige
Abfolge jeweils befristeter Aufenthalte in verschiedenen Ländern ein. Die
entsprechenden Ortswechsel waren demnach wesentlich durch die betrieblichen
Erfordernisse des Arbeitgebers, nicht aber durch eine Bindung der Beteiligten
zum jeweiligen Einsatzort begründet. Für die auf längstens fünf Jahre begrenzte
Tätigkeit des Ehemannes in Texas gilt nichts anderes, auch wenn er in diesem
zu den Bedingungen
eines on-
Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend hervorhebt, kann bei solcherart regelmäßig
wechselnden gewöhnlichen Aufenthalten aus dem jeweiligen, von
vornherein lediglich vorübergehend angelegten Aufenthaltsort nicht ohne weiteres
auf einen Bezug der Ehe zu dessen Rechtsordnung geschlossen werden, der
eine Anwendung von Art. 5 HUP rechtfertigen könnte. Vielmehr hätte es zufälligen
Charakter, welches Recht in Anknüpfung an den jeweils letzten gemeinsamen
Aufenthalt anstelle des sonst berufenen Rechts zur Anwendung gelangt.
(c) Anders kann es nur dann liegen, wenn die im Rahmen der vorzunehmenden
Einzelfallabwägung zu berücksichtigenden weiteren Tatsachen für eine
im Verhältnis zu
gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten sprechen. Das ist
hier jedoch nicht der Fall.
Das Oberlandesgericht sieht insoweit vor allem als wesentlich an, dass die
Beteiligten sich bewusst für die Durchführung der Ehescheidung in Texas entschieden
haben. Dies wird aber durch die ebenfalls getroffene Feststellung relativiert,
dass diese Entscheidung seitens der Ehefrau vor allem auf Praktikabilitätserwägungen
beruhte und damit nicht Ausdruck einer Bindung der Ehe an die
texanische Rechtsordnung ist. Der vom Oberlandesgericht weiter angeführte
Umstand, dass der Aufenthalt des Ehemanns in Texas nunmehr - entgegen den
Verhältnissen während bestehender Ehe - auf Dauer angelegt ist, hat für die
Frage einer engeren Verbindung der Ehe im Sinne von Art. 5 Satz 1 HUP unabhängig
von der umstrittenen Rechtsfrage, ob insoweit generell nur Umstände
während des Bestands der Ehe Berücksichtigung finden können (so etwa OGH
Wien
EuZPR/EuIPR 4. Aufl. Art. 5 HUntStProt Rn. 15 mwN; MünchKommBGB/Staudinger
8. Aufl. Art. 5 HUP Rn. 17 mwN; aA jurisPK-BGB/Ludwig [Stand: 1. März
2020] Art. 5 UntProt Rn. 16; anders auch Bonomi Erläuternder Bericht zum HUP
Rn. 86), keine Aussagekraft. Denn er besagt allein etwas über die Wahl des Aufenthaltsorts
eines Ehegatten, die dieser gerade in Anbetracht des Scheiterns der
Ehe getroffen hat, nicht aber über die Verbindung der Ehe selbst zu der betreffenden
Rechtsordnung.
(d) Mangels Einzelfallaspekten, die eine engere Verbindung der von den
Beteiligten geführten Ehe zur texanischen Rechtsordnung begründen, bedarf es
keines weiteren Eingehens darauf, welche Rolle die Rückkehr der Ehefrau nach
dem Scheitern der Ehe in ihr Heimatland Deutschland und die mit diesem Aufenthaltsort
übereinstimmende Staatsangehörigkeit der Beteiligten im Rahmen
der Gesamtabwägung spielen können.
d) Es bedarf keiner Vorlage der Sache an den Europäischen Gerichtshof
gemäß Art. 267 AEUV (vgl. dazu Senatsurteil vom 26. Juni 2013
- XII ZR 133/11 -
Fall stellenden Auslegungsfragen im Zusammenhang mit dem Haager
Unterhaltsprotokoll sind derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel
kein Raum bleibt und mithin für eine Verfahrensweise nach
kein Anlass besteht ("acte clair", vgl. Senatsbeschluss vom 27. November 2019
- XII ZB 311/19 -
der Vorlagepflicht EuGH
mwN). Das gilt sowohl dafür, dass Art. 5 HUP eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen
Umstände erfordert, als auch für die Möglichkeit, dass der letzte gemeinsame
gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten im Rahmen dieser Gesamtwürdigung
abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls nicht notwendigerweise
ausschlaggebende Bedeutung erlangt. Die sich demnach allein stellende
Frage, zu welchem Ergebnis die Gesamtwürdigung im konkret zu entscheidenden
Fall führt, kann hingegen nicht zum Gegenstand eines Vorlageverfahrens
gemacht werden.
3. Die angefochtene Entscheidung kann aus den genannten Gründen keinen
Bestand haben und ist daher gemäß
sind zur Frage des nach dem Haager Unterhaltsprotokoll anwendbaren Unterhaltsrechts
keine weiteren Feststellungen mehr zu treffen, weshalb der Senat
selbst befinden kann, dass vorliegend eine Anwendung von Art. 5 HUP ausscheidet
und es daher grundsätzlich bei der Grundregel des
Denn dem Kriterium des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts
der Ehegatten kommt vorliegend wegen der von vorneherein auf einen beständigen
Wechsel des Aufenthaltsorts angelegten ehelichen Lebensverhältnisse
keine besondere Bedeutung zu, und es fehlt auch an anderweitigen Umständen,
die die Annahme einer engeren Verbindung der Ehe der Beteiligten zur texanischen
Rechtsordnung begründen können.
Die Sache ist gleichwohl nicht zur Endentscheidung reif und daher an das
Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Dieses
wird sich nun mit der von ihm bislang - aus seiner Sicht folgerichtig - offen
gelassenen Frage zu befassen haben, ob die Ehefrau mit der Scheidungsfolgenvereinbarung
vom 6. Oktober 2017 auf nachehelichen Unterhalt verzichtet hat.
Sollte dies nicht der Fall sein, wird das Oberlandesgericht zudem über Dauer und
Höhe des von der Ehefrau geltend gemachten Unterhaltsanspruchs zu entscheiden
haben.
Entscheidung, Urteil
Gericht:BGH
Erscheinungsdatum:11.05.2022
Aktenzeichen:XII ZB 543/20
Rechtsgebiete:
Deutsches IPR (EGBGB)
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
EuUntVO Art. 15; HUP Art. 3 Abs. 1, 5, 8