OLG München 28. Januar 2020
31 Wx 557/19
FamFG §§ 49, 64 Abs. 3, 84, 352e Abs. 3; ZPO § 935; BGB §§ 2361, 2365, 2366

Verfahren bei Erbscheinseinziehung

letzte Aktualisierung: 14.05.2020
OLG München, Beschl. v. 28.1.2020 – 31 Wx 557/19

FamFG §§ 49, 64 Abs. 3, 84, 352e Abs. 3; ZPO § 935; BGB §§ 2361, 2365, 2366
Verfahren bei Erbscheinseinziehung

1. Sind im Rahmen eines Abhilfeverfahrens die Voraussetzungen für die Einziehung des bereits
erteilten Erbscheins zu prüfen, ist das Nachlassgericht für den Erlass der das Einziehungsverfahren
begleitenden einstweiligen Anordnung zuständig.
2. Der Regelungsgehalt einer im Rahmen eines Erbscheinseinziehungsverfahrens zu erlassenden
einstweiligen Anordnung ist auf die in der Hauptsache ergehende Endentscheidung hin beschränkt.
3. Der Ausspruch, sich einstweilig jeglicher (alleiniger) Verfügung über Nachlassgegenstände zu
enthalten, ist dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Zivilrechtsverfahren vorbehalten.

Gründe

I.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 richtet sich gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom
21.11.2019. Gegenstand dieses Beschlusses ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung dergestalt, dass
der aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 19.1.2019 erteilte Alleinerbschein zugunsten der
Beteiligten zu 1 einstweilen zu den Akten gegeben wird (Ziffer 1) sowie der Beteiligten zu 1 aufgegeben wird,
sich bis zur rechtskräftigen Entscheidung über eine Einziehung einstweilen jeglicher alleiniger Verfügung
über die Nachlassgegenstände zu enthalten (Ziffer 2).

Die einstweilige Anordnung des Nachlassgerichts erging nach Erteilung des Erbscheins zugunsten der
Beteiligten zu 1 am 1.10.2019. Hiergegen hat sich der Beteiligte zu 5 mit Schreiben vom 27.10.2019,
eingegangen beim Nachlassgericht am 28.10.2019, gewandt. Zudem hat dessen Verfahrenbevollmächtigter
mit Schriftsatz vom 18.11.2019, eingegangen am 19.11.2019 nach förmlicher Zustellung des Beschlusses an
ihn am 5.11.2019, Beschwerde gegen die Erteilung des Erbscheins eingelegt.

II.
Die zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat lediglich insofern Erfolg, als sie gegen die Ziffer 2 des
Beschlusses des Nachlassgerichtes gerichtet ist.

1. Da der Erbschein bereits erteilt ist, ist die Beschwerde des Beteiligten zu 5 als Anregung auf Einziehung
des Erbscheins auszulegen (vgl. § 352e Abs. 3 FamFG). Nachdem die „Beschwerde“ fristgemäß erfolgt ist,
ist die einstweilige Anordnung des Nachlassgerichts im Rahmen eines Abhilfeverfahrens im Sinne des § 68
FamFG erfolgt.

2. Gleichwohl war das Nachlassgericht für den Erlass der einstweiligen Anordnung zuständig, da im Rahmen
des Abhilfeverfahrens aufgrund der Erteilung des Erbscheins die Voraussetzungen des § 2361 BGB zu
prüfen sind und dieses insofern im Hinblick auf das Erteilungsverfahren ein gesondert durchzuführendes
Verfahren darstellt. Insofern greift § 64 Abs. 3 FamFG nicht, wonach im Beschwerdeverfahren allein das
Beschwerdegericht für den Erlass einer einstweiligen Anordnung zuständig ist.

III.
Auch der Senat ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
in Bezug auf den erteilten Erbschein im Sinne des § 49 FamFG vorliegen.
1. Es liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass im Rahmen der Hauptsacheverfahren im Sinne des
§ 2361 BGB die Voraussetzungen für eine Einziehung des erteilten Erbscheins gegeben sind, da die
Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit des Erbscheins erschüttert ist und die erstmalige Erteilung
des Erbscheins auf der derzeitigen Entscheidungsgrundlage nicht erfolgen würde (vgl. Gierl in:
Burandt/Rojahn 3. Auflage <2019> § 2361 BGB Rn. 9).

a) Der Senat teilt - auch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Beteiligten zu 1, 2 und 3 zu dem
Hinweisbeschluss des Senats vom 19.12.2019 - weiterhin die Auffassung des Nachlassgerichts, dass die
Authentizität des Testaments in Bezug auf den Erblasser zweifelhaft ist. Auch nach den Feststellungen des
Senats sind neben der Unterschrift (Datum 19.1.2019) auch im Rahmen der (ersten) Unterschrift des
Erblassers in dem Testament (Datum 22.4.2018) Bleistiftspuren unterhalb der mit Kugelschreiber
niedergelegten Unterschrift des Erblassers festzustellen. Insofern steht im Raum, dass die Unterschriften
des Erblassers nach Vor-Schrift nachgeahmt wurden und so der beantragte Erbschein an sich erst nach
Durchführung einer Beweisaufnahme und gegebenenfalls nach Einholung eines
Schriftsachverständigengutachtens zur Abklärung der Urheberschaft des Erblassers zu erteilen gewesen
wäre.

b) Ob der Erblasser - wie von der Beteiligten zu 1 behauptet und unter Beweis gestellt - tatsächlich der
Urheber der hier inmitten stehenden Unterschriften war, bleibt der umfassenden Prüfung des
Nachlassgerichts im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

2. Angesichts der Publizitätswirkung des Erbscheins im Rechtsverkehr (§§ 2365, 2366 BGB) erkennt auch
der Senat ein dringendes Bedürfnis, dass der erteilte Erbschein derzeit keine Rechtswirkung im
Rechtsverkehr entfaltet. Da der Erbschein lediglich zu den Akten gegeben wird, nicht aber förmlich im Sinne
des § 2361 BGB eingezogen wird, liegt darin keine Vorwegnahme der Hauptsache. Andererseits stellt die
Maßnahme eine taugliche Maßnahme dar, dass im Rechtsverkehr keine Rechtsgeschäfte gestützt auf den
Erbschein durchgeführt werden können.

3. Für die von dem Nachlassgericht in Ziffer 2 seiner Entscheidung angeordnete Untersagung jeglicher
Verfügung betreffend die Nachlassgegenstände ist im Rahmen des § 49 FamFG jedoch kein Raum. Denn
die einstweilige Anordnung im Sinne des § 49 FamFG „begleitet“ die Hauptsacheentscheidung, die
vorliegend allein die Einziehung des Erbscheins betrifft. Demgemäß ist der in Ziffer 2 angeordnete
Ausspruch allein dem Verfahren der einstweiligen Verfügung im Sinne des § 935 ZPO vorbehalten, das im
ordentlichen Zivilrechtsverfahren auf Antrag des Beteiligten zu 5 zu verfolgen wäre.

IV.
Die vom Nachlassgericht angeordneten Maßnahmen haben einen eigenständigen Regelungsgehalt und
stellen insofern zwei gesonderte Verfahrensgegenstände dar. Demgemäß liegen auch zwei gesondert zu
beurteilende Beschwerdegegenstände vor, die zur Entscheidung gestellt sind (vgl. OLG Köln BeckRS 2018,
28413 Tz. 8.). Demgemäß ist sowohl die Kostenentscheidung als auch die Festsetzung des Geschäftswerts
für das jeweilige Beschwerdeverfahren gesondert zu treffen (vgl. OLG München FGPrax 2019, 163). Das
Beschwerdeverfahren betreffend Ziffer 1 des Beschlusses des Nachlassgerichts wird daher unter dem
Aktenzeichen 31 Wx 557/19, betreffend Ziffer 2 des Beschlusses des Nachlassgerichts unter dem
Aktenzeichen 31 Wx 561/19 geführt.

V.
1. Da die Beschwerde der Beteiligten zu 1 im Verfahren 31 Wx 557/19 erfolglos blieb, hat sie kraft Gesetzes
die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Die Anordnung der Erstattung der notwendigen
außergerichtlichen Kosten des Beteiligten zu 5 beruht auf § 84 FamFG.
2. In Bezug auf das Verfahren 31 Wx 561/19 war die Beschwerde erfolgreich. Insofern ist eine Entscheidung
über die Gerichtskosten nicht geboten (§ 25 Abs. 1 GNotKG). Für eine Anordnung der Erstattung der
außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1 durch die übrigen Beteiligten besteht keine Veranlassung.

VI.
3. Ausgehend von einem Nachlasswert i.H.v. 188.795,48 €, wobei in Bezug auf die Immobilie nach den
Berechnungen des Nachlassgerichts ein Wert i.H.v. 182.727,90 € anzusetzen ist und da die Anordnung in
Ziffer 2 des Beschlusses des Nachlassgerichts auf diese bezogen ist, errechnen sich gemäß § 62 GNotKG
für die erwachsenen Gerichtskosten im Verfahren 31 Wx 557/19 ein Geschäftswert i.H.v. 94.397,74 € und in
Bezug auf das Verfahren 31 Wx 561/19 ein Geschäftswert i.H.v. 91.363,95 €.

Art:

Entscheidung, Urteil

Gericht:

OLG München

Erscheinungsdatum:

28.01.2020

Aktenzeichen:

31 Wx 557/19

Rechtsgebiete:

Kostenrecht
Verfahrensrecht allgemein (ZPO, FamFG etc.)
Nachlaßabwicklung (insbes. Erbschein, Nachlaßinventar)
Zwangsvollstreckung (insbes. vollstreckbare Urkunde und Vollstreckungsklausel)

Erschienen in:

ZEV 2020, 246

Normen in Titel:

FamFG §§ 49, 64 Abs. 3, 84, 352e Abs. 3; ZPO § 935; BGB §§ 2361, 2365, 2366